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The Musical Box: Das Lamm in Frankfurt

Jahrhunderthalle, 17. und 19.03.2005


„’Tschuldigung, dass ich Sie so einfach anspreche. Aber ich musste Ihnen einfach sagen, dass sie dem Sänger von Grateful Dead total ähnlich sehen...“  So gehört nach dem ersten von mir besuchten Lamb-Konzert in der Frankfurter Jahrhunderthalle. Ich war zum Glück nicht gemeint, das sicherlich nett gemeinte Kompliment traf einen anderen der Besucher. Aber doch steht dieses Zitat für mich sinnbildlich für diesen Abend - es war ein passender Abschluss zum vorhergehenden Konzert. Ein wenig verrückt, doch sympathisch. Und vor allem sagt es auch ein wenig über die Fans aus, die sich an diesem Abend in der Jahrhunderthalle versammelten. So manchen von ihnen sah ich nicht zum ersten Mal - ich war zuvor auf fünf TMB-Konzerten gewesen, und ein paar Gesichter konnte man ein jedes Mal erblicken.

Ich finde das sehr wohltuend; man fühlt sich wie unter alten Freunden. Man weiß: Du hast mit denen was gemeinsam - wir alle sind wegen der Musik da, und es lässt vermuten, dass sie auch den anderen so wichtig ist wie mir selbst.

Die beiden Konzerte, die ich in Frankfurt besuchte, hätten von meiner Wahrnehmung her unterschiedlicher kaum sein können. Den ersten Abend hatte ich das „Glück“, einen Platz in der ersten Reihe direkt vor der Bühne ergattert zu haben. Die Vorfreude war, wie sich herausstellte, trügerisch. Den zweiten Abend saß ich weiter hinten, in der fünften Reihe. Während ich am ersten Abend die Halle nach dem Konzert relativ enttäuscht verließ, war ich nach dem zweiten hellauf begeistert. Wie erklärt sich das? Vor allem der Sound war es, der mich am Donnerstagabend sehr oft die Stirn runzeln ließ. Die Musik verschwamm in der ersten Reihe zu einem lauten Klangbrei, die einzelnen Instrumente ließen sich oftmals nur schwer bis gar nicht heraus hören. Viele Effekte wirkten von soweit vorne aus gesehen einfach nicht, andere bekam man gar nicht mit.

Der einzige wirkliche Vorteil dieses Platzes: Man kann den Musikern direkt in die Augen schauen. Und wenn man Glück hat, sieht einen auch jemand aus der Band an. Martin Levac, der überirdisch gute Drummer zum Beispiel, der, wenn er nicht gerade alle Hände voll zu tun hat und sein Gesicht ekstatisch verzieht (was sehr oft vorkommt bei dieser Musik), derart sympathisch und herzlich lächelt und lacht, dass es in der Tat ansteckend ist. 

Die erste Reihe ist also nicht wirklich das Maß aller Dinge - die Show wirkt von hier aus betrachtet einfach nicht. Meine nachherige Begeisterung für die Darbietung entspringt vor allem dem zweiten Abend. Erst von weiter hinten konnte ich die volle Wucht, Größe, Komplexität und Einzigartigkeit dieses Ereignisses wahrnehmen. Ja, vollkommen zu Recht behauptet man, dass die Tour zum Lamb-Album wohl „diejenige Rockshow ist, in die am meisten Gehirnschmalz“ investiert worden ist. Es ist schier nicht möglich, alle Einzelheiten dieses phantastischen Ereignisses an einem Abend in sich aufzunehmen. Die Augen wechseln oftmals hilflos wild umher - von den Dias zum Sänger, dann auf den Gitarristen und zurück zum Keyboarder, wobei man noch die Lichteffekte im Auge behalten will...

Sofern man dazu in der Lage ist: Dieses Konzert muss man sich mindesten zwei Mal ansehen. Auch nach dem fünften Mal wird einem sicherlich noch etwas auffallen, was man vorher nicht bemerkte. Was für die heutige Medienlandschaft gilt, kann auch schon für das dreißig Jahre alte Lamb-Konzert angewandt werden: Reizüberflutung. Allerdings lässt man sich von diesen Reizen doch wesentlich lieber überfluten als von manch anderen Dingen, denen man in der heutigen Zeit kaum entgehen kann.

Gibt es für die Lamb-Shows eigentlich Altersbeschränkungen? Wenn man so manches Dia bei Couting out Time betrachtet, könnte man es durchaus meinen. Bei diesem Song sind die Dias im wahrsten Sinne sehr plastisch gestaltet - die unterhaltsamsten des ganzen Abends. Witzig und locker, passend zum Titel. Überhaupt die Dias: In ihrer Bedeutung können sie gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Mir haben sie viele textliche Einzelheiten mancher Songs sehr gut verdeutlicht bzw. erst vor Augen geführt. Sie sind sehr weise ausgewählt und führen einen gut durch die Geschichte. Manches kryptische Detail bei The Carpet Crawlers lässt einen jedoch schon einmal die Stirn runzeln. Um die Dias in ihrer Gesamtheit wahrnehmen zu können, müsste man die Show sicherlich mindestens fünf Mal besuchen.

Dass ich das Album The Lamb Lies Down On Broadway für ein Meisterwerk und das Beste von Genesis überhaupt (nicht das Schönste; das ist für mich Selling England By The Pound) halte, sei nur kurz erwähnt. The Musical Box bringen es beinahe fehlerfrei auf die Bühne. Dass It und The Light Dies Down bisweilen ein wenig schief klingen, das verzeiht man ihnen gerne. Dafür genießt man es umso mehr, wenn der ganze Saal unter den Basspedals bei Fly On A Windshield, Back In N.Y.C. und Hairless Heart bebt. Der Bass ist überhaupt während des ganzen Konzerts ungemein präsent und den Keyboards ebenbürtig. Was doch Mike Rutherford damals für eine tragende Rolle auch musikalisch gespielt hat - später konnte man das nicht mehr unbedingt behaupten. Die Basspedals jedenfalls sind für mich eines der wichtigsten Elemente der Musik. Jedoch konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Steve Hackett ein wenig unterfordert gewesen sein muss... Allerdings gehören die Gitarrenparts bei The Lamia und Fly On A Windshield zum Besten, was Steve uns aus seiner Zeit bei Genesis hinterlassen hat.

Tony Banks hielt die zweite Seite von The Lamb für die schlechtere und bedauerte, mit der schwächeren Hälfte aufhören zu müssen. Ich sehe das nicht so. Und auch wenn man es so sehen wollte: Zumindest optisch bekommt man nach der Hälfte noch mehr geboten. The Colony Of Slippermen ist der interessanteste, weil auch komplexeste Titel des ganzen Abends - musikalisch wie auch showtechnisch. The Lamia ist für mich einer der schönsten Titel, die Genesis je geschrieben haben. Riding The Scree erinnerte mich, als ich es sah, komischerweise an The Cinema Show. Zuvor war mir dieser Gedanke noch nie gekommen. Aber diese Eintracht von Banks/Collins/Rutherford, die auch räumlich zusammenrücken und ein atemberaubendes Instrumental bieten, das weckte starke Assoziationen bei mir.

Außerdem: Phils/Martins Gesangseinlage während Here Comes The Supernatural Aneasthetist  - einfach betörend. Und wer sich fragt, ob man denn wirklich so viel Geld für eine Konzertkarte ausgeben solle, der ist sich nach The Waiting Room sicher, dass es sich in jedem Falle lohnt. Dieser Titel allein ist Begründung genug dafür - das absolute Highlight des Abends. Im Grunde ist die Darbietung dieses Titels nicht in Worte zu fassen. Das muss man mit eigenen Augen gesehen und mit den eigenen Ohren gehört haben. Einziger musikalische Kritikpunkt, den ich anzubringen habe, ist, dass The Carpet Crawlers und The Lamia die Studioenden aufgedrückt bekommen haben.

Zu guter Letzt: Die beiden Zugaben. Gut gewählt, wie ich finde. The Musical Box allein deshalb, weil die Instrumentalpassagen zum stärksten und intensivsten gehören, die Genesis je geschrieben haben. Watcher Of The Skies als letzter Titel und Abschluss eines musikalisch atemberaubenden Abends ist eine gute Wahl, weil damit seine sonstige Rolle, nämlich die des Openers bei der Foxtrot- und Selling-Tour, gut kontrastiert wird. Während mir der neue Keyboarder während des ganzen Lamb-Albums ausgesprochen gut gefällt, scheinen ihm die älteren Sachen jedoch wohl nicht so zu liegen. Die Keyboardpassagen bei Musical Box waren zu abgehackt und unstimmig gespielt, und das Intro zu Watcher spielte er abwechselnd zu schnell oder zu langsam - an beiden Abenden. Am Ende von Watcher, bei dem die gleichen Dias wie bei der Selling-Tour verwendet wurden, wünscht man sich als Zuschauer nur eins: Dass anstatt des freundlichen „Dankeschön. Gute Nacht!“ die Einleitungsgeschichte zu Dancing With The Moonlit Knight und noch ein komplettes Selling-Konzert zu hören wäre - so gut ist diese Gruppe...

Falk Riemenschneider

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