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Michael Drewitt/Sarah Hill/Kimi Kärki (ed.):

Peter Gabriel, From Genesis To Growing Up


Über einen Mangel an Publikationen über Genesis oder Peter Gabriel muss man sich als Fan eigentlich nicht beklagen. Genesis und die aus der Band hervorgegangenen Solokünstler sind vielfach Gegenstand von Fanbüchern, Biographien und Interviewbänden gewesen. Eine Veröffentlichung ganz anderer Art ist der hier vorliegende Band. Der renommierte und auflagenstarke britische Wissenschaftsverlag Ashgate publiziert seit einigen Jahren die musikwissenschaftliche Buchreihe Ashgate Popular and Folk Music Series. In dieser Reihe ist u.a. auch 2008 der hier auf der Genesis-Fanclub-Seite bereits rezensierte Band von Kevin Holm-Hudson Genesis and The Lamb Lies Down On Broadway erschienen.

Dieser Sammelband über das Schaffen von Peter Gabriel deckt, wie der Titel bereits klarmacht, eine weite Zeitspanne ab, so dass einige Beiträge auf Gabriels Zeit bei Genesis eingehen, der Löwenanteil sich aber auf die Solokarriere bis hin zu den Tourneen Growing Up und Still Growing Up bezieht. Wie bei Sammelbänden nicht unüblich, versuchen die drei Herausgeber, die in Südafrika, Wales und Finnland Musikwissenschaft, Soziologie bzw. Kulturwissenschaft lehren, dem Projekt einen Gesamtrahmen und eine Legitimation zu geben. Die Musikwissenschaft hat – wie viele Kulturwissenschaften – in den letzten zwei Jahrzehnten massive Veränderungsprozesse durchlaufen. Neben methodischen Erneuerungen sind in großem Umfang Untersuchungsgegenstände in den Blick der Forschung geraten, die vor noch nicht allzu langer Zeit einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht für würdig erachtet wurden. Als Die Literaturwissenschaft fand die Trivialliteratur und teilweise auch die Kinder- und Jugendliteratur nicht „wertvoll“ genug, um sie zu analysieren; Historiker haben den Fokus von den „großen Taten großer Männer“ auf Themen wie Alltagsgeschichte und die Perspektive unterdrückter Völker erweitert; und, um auf das hier vertretene Fachgebiet zu kommen, Musikwissenschaftler haben die Popularmusik als ernstzunehmendes Forschungsfeld akzeptiert.

Bis dieser Sammelband in Angriff genommen wurde, gab es so gut wie keine musik- oder kulturwissenschaftlichen Analysen über Peter Gabriels Schaffen. Dass hier also ein veritables Desiderat vorlag, können die Herausgeber in ihrer gemeinsam verfassten Einleitung eindrücklich darlegen. Anstatt der Versuchung zu verfallen, „alles“ sagen zu wollen, konzentrieren sich die Beiträge auf drei große Themenschwerpunkte, die da sind:


I.    Identity and Representation

II.    Politics and Power

III.    Production and Performance


Gerade in den ersten Beiträgen wird der Künstlerbiographie, der Entfaltung von Peter Gabriels Bühnenpersönlichkeit und seiner Außendarstellung nachgegangen. Hier wird Gabriels Entwicklung von einem Prog-Vertreter hin zu einem Vertreter der World Music nachgezeichnet, und wie er sich vom exzentrischen Vertreter und „widerwilligen Popstar“ hin zu einem Performer entwickelte, für den Authentizität, Offenheit und direkter Kontakt mit seinem Publikum im Mittelpunkt stehen. Der bereits erwähnte Kevin Holm-Hudson beleuchtet in seinem Beitrag den starken Einfluss, den die Soul-Musik auf Gabriel ausgeübt hat. Äußerungen Gabriels über seine starke Affinität zu Otis Redding oder Marvin Gaye sind hinlänglich bekannt – hier wird dem Einfluss aber sehr viel tiefer nachgegangen. So kann man bereits in Gabriels Gesangsbeiträgen in Genesis-Zeiten z.B. in der Phrasierung und im Einsatz des stimmlichen Timbres klare Soul-Bezüge erkennen. Aber auch die späteren offensichtlicheren Soul-Anleihen werden angesprochen. Wenn auch Kritiker seinerzeit Steam als „Son of Sledgehammer“ abtaten, so kann Holm-Hudson zeigen, dass sich die beiden Songs auf jeweils sehr verschiedene Soul- bzw. Rhythm’n’Blues-Traditionen beriefen. Sledgehammer war dabei deutlich von Motown-Musik inspiriert, Steam eher von den Produktionen des Stax-Labels. Allerdings wird an anderer Stelle in dem Band darauf hingewiesen, dass diese Anleihen keineswegs in nostalgischer Manier geschahen (wie etwa im Falle von Phil Collins‘ Going Back), was anhand der modernen, auf Rock-/Pop-Hörgewohnheiten ausgerichteten Produktion zu erkennen ist – und im Falle des Videos auch durch das weit gehende Fehlen von visuellen Referenzen auf die Soul-/R’n’B-Musik der 60er/70er Jahre.

coverDie Beiträge decken eine beeindruckende Bandbreite an thematischen wie disziplinären Zugängen ab. Die Videoproduktionen zu Sledgehammer und Mercy Street werden ebenso behandelt wie Peter Gabriels Status als produktionstechnische Referenz („I’d like my record to sound like this‘), als Befürworter technologischer Innovation in der Aufnahmetechnik sowie als Innovator, was Bühnendesign und Live-Performances betrifft. Im letzteren Fall deutet Kimi Kärki in seiner Analyse die Zusammenarbeit mit dem kanadischen Theaterkünstler Robert Lepage als ein gewisses Wiederaufnehmen von Gabriels progressiven Wurzeln – wenn auch unter veränderten Vorzeichen und mit modernen Mitteln. Während die Bühnenshows und Gabriels künstlerisches Ich in der Anfangsphase seiner Solokarriere betont unauffällig und zurückhaltend daherkamen, unterstreicht auch Jeffrey Callen in seinem Text über die Security Tour 1982/83, wie sehr Gabriel bereits damals wieder stärker auf theatralische Mittel setzte – etwa durch den Einsatz von Masken/Schminke sowie einer ausgefeilte choreographische und dramaturgische Gestaltung seiner Konzerte.

Kritisch geht es in den Beiträgen zur politischen Wirkung von Biko zu oder, wenn es um Peter Gabriels Rolle als Unterstützer und Vermarkter von „World Music“ geht. So war Biko durch die politisch bedingte Zensur eine Anti-Apartheid-Hymne der Welt außerhalb Südafrikas. Die Single und das zugehörige Album Peter Gabriel III waren in Südafrika in Apartheid-Zeiten verboten. Beruhigte Biko letztlich eher das westliche Gewissen und wie ist der Song in Südafrika aufgenommen worden, auch und gerade nach dem Ende der Apartheid? Interessant ist aber auch, dass der Song für einige westliche Musiker und Künstler Anstoß war, sich mit der Situation im Südafrika des Apartheid-Regimes genauer zu beschäftigen. Hier werden aber auch die musikalischen Mittel, die eingesetzt wurden, um Biko zu einem Protestsong mit Hymnen- und Kampfliedcharakter zu machen, kritisch auseinandergenommen. So wird durch das Einflechten südafrikanischer Originalmusik, durch die heiseren Kampfschreie und den simplen Schlagzeug-Rhythmus eine Vorstellung von primitiver Ursprünglichkeit und Tradition evoziert.

Hier ergibt sich eine Verbindung zu dem Beitrag von Timothy D. Taylor, der Gabriels Aneignung von traditioneller Musik primär aus Afrika und Asien als koloniales Auftreten deutet und dementsprechend kritisiert. Er analysiert das Verhalten Gabriels, Aufnahmen von afrikanischen Musikern teilweise ohne deren Wissen benutzt zu haben, aus postkolonialer Perspektive. Die unautorisierte Übernahme, aber auch die Integration von Elementen traditioneller Musik oder Folklore in seine eigenen Songs, als deren alleiniger Urheber Gabriel dann im rechtlichen Sinne dennoch auftrete, sieht Taylor als typisches Verhalten von Vertretern der westlichen Welt. Selbst, wenn sie es wie Gabriel „gut meinen“ schrieben sie mit ihrem Verhalten dennoch die Vorstellung einer kulturellen Hegemonie der industrialisierten Welt und der westlichen Kultur fort. Diese harsche Kritik versucht Dave Laing in seinem Beitrag eine differenziertere Sicht entgegenzuhalten – die Herausgeber beweisen damit erfrischende Offenheit für einander widersprechende Deutungen. Laing ist ebenfalls weit davon entfernt, Gabriel als „Säulenheiligen“ zu verehren, deutet Gabriels Annäherung an das Phänomen „World Music“ aber aus einer anderen Perspektive, aus der heraus er auf die verschiedenen Rollen, die Gabriel in Bezug auf „World Music“ einnimmt, verweist: Produzent, Musiker, aber auch Unternehmer. Problematisch in der Beziehung zwischen westlichen Popmusikern und -produzenten und Musikern aus Entwicklungs- und Schwellenländern bleibe dabei die Asymmetrie der gegenseitigen Beziehungen. Gabriel kann dieser Falle im Prinzip auch nicht entfliehen, kann aber als beeindruckender Exponent gesehen werden, der seine Popularität dazu nutzt, um Musik, die nicht den vorherrschenden Konsummustern entspricht, Gehör und Absatz zu verschaffen.

Verwiesen sei schließlich noch kurz auf Beiträge, welche so Ungewohntes wie Peter Gabriels Einsatz der Flöte v.a. in seiner Zeit bei Genesis behandeln, oder die auf die phonographische Inszenierung von Gabriels Stimme am Beispiel von Blood Of Eden und Digging In The Dirt detailliert eingehen. So wird sein Beitrag zum Flötenspiel in der Rockmusik in den weiteren Kontext eingeordnet – hier wird aus Gabriel auch kein Ian Anderson gemacht, aber in überzeugender Manier erläutert, dass sein überwiegend pastoraler Ton eine ganz eigene Position einnimmt, was den Einsatz der Flöte im Rock-Kontext betrifft und dass es keineswegs allein um Beschäftigungstherapie in den Gesangspausen ging. Die Analyse der Inszenierung von Gabriels Stimme schafft es, selbst den geschulten Gabriel-Hörer auf neue Aspekte zu stoßen, etwa, wie die musikalische Gestaltung dazu beiträgt, zentrale Inhalte und Charakteristika des Textes zu vermitteln. Als Beispiel mag hier der im Fall von Digging In The Dirt teils doppelt, teils gar dreifach eingesungene Vokalpart dienen. Der Umstand, dass die verschiedenen Tracks keinesfalls vollkommen synchron oder identisch phrasiert sind, verweist auf die in dem Stück aufscheinende zerrissene Persönlichkeit, die offensichtlich mit sich im Unreinen ist. Auch die Variationen von den ruhigen Strophen über den aggressiven „Pre-Chorus“ und ersten Teil des Chorus („This time you’ve gone too far…“/“Don’t talk back…“) hin zum ruhigeren zweiten Teil des Chorus („Digging in the dirt…“) deutet der Autor Serge Lacasse als subtilen Einsatz musikalischer Mittel, welche die Botschaft des Textes unterstützen.

Die Beiträge des Bandes sind disziplinär wie methodisch sehr breit gefächert und an manchen Stellen wird der Laie an einige Verständnisgrenzen stoßen. Manches, was hier referiert wurde, mag auch auf den ersten Blick für den Fan als bereits bekannt und banal erscheinen. Eine intensive Lektüre des gesamten Bandes wird einem aber eindrucksvoll zeigen, welche Tiefen im Werk Peter Gabriels man mithilfe der hier verfolgten Fragestellungen ausloten kann. Erfreulich ist neben der fachlichen Bandbreite die Fundiertheit – dieses Buch richtet sich dezidiert an ein wissenschaftliches Publikum, die Fachterminologie und die methodisch-theoretischen Grundlagen wird man durch Vorwissen im Bereich kulturwissenschaftlicher Theorien und Denkweisen besser nachvollziehen können. Für denjenigen, der sich von solchem Überbau nicht abschrecken lässt, hält der Band eine Fülle von Einsichten in die verschiedenen Facetten von Peter Gabriels Werk bereit. In der Fachwelt wird der Band seine eigene Resonanz finden – für den Fan gilt es festzustellen, dass die Musik von Peter Gabriel und Konsorten zunehmend Eingang in den musikwissenschaftlichen Forschungskanon findet und dabei interessante Ergebnisse zu Tage kommen.

Autor: Jan Hecker-Stampehl (Berlin)


Michael Drewitt/Sarah Hill/Kimi Kärki (ed.):
Peter Gabriel, From Genesis to Growing Up
Farnham: Ashgate Publishing Ltd. 2010
267 S., ISBN 978-0-7546-6521-2
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