TotW: [23.02.-01.03.2015]: GENESIS - Jesus He Knows Me

  • Kein Song, mit dem ich mich je anfreunden konnte - wie so viele auf der WCD.
    Der Song ist irgendwie dünnflüssig. Geht runter wie nichts und es bleibt nichts hängen. Das Drumming finde ich fast schon schlimm. Auch Tony und Mike schrummen nur so rum. Der Rhytmus könnte gefallen, wenn er nicht so fad aufgesetzt wäre. Der Gesang von Phil ist da noch am besten, und wird nur noch von der originellen Songidee und der kritisch-humorvollen Umsetzung übertrumpft, die den Song irgendwie noch rettet.
    Bleiben noch ungefähr 6 Punkte übrig.

    Zy
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    "The music is the true currency. It's more valuable than the accolades or the money. The relationship is with the invisible muse and you know if she's pleased or if she ain't." - Steve Hackett

  • 14 Punkte für einen der besten Genesis Pop Songs! Ich liebe den Track einfach. Großartige Musik, geht super nach vorne und macht einfach gute Laune. Dazu ein toller Refrain und ein schön ironischer, bissiger Text. Ist einfach einer der Songs, bei dem die Sonne aufgeht, im Grunde ein perfekter Sommer-Track. Meine Liebe zu Genesis begann ja zaghaft mit der Turn it on Again best of (die mich später zu The Lamb führte.) Die CD ging das erste Mal verloren, keine Ahnung wie. Irgendwann, so Anfang 2006, hatte ich vor allem diesen Song wieder im Kopf und wollte ihn unbedingt hören, also fix CD neu gekauft. Der Rest ist dann Geschichte :)

  • Im Dezember 2004 schrieb Phil Collins im "Turn It On Again"-Forum über seine äußerst reale Inspiration zum Song:


    "This song was touch and go in some parts of the South of the USA. I was treading on dodgy ground. Many Bible belters there. There was an Evangelist called Ernest Angley (I'm not sure now how you spell his name)...he was priceless. Whenever, on a Sunday I'd surf the TV, if EVER I found him I'd watch for as long as he was on. He had the worst wig I've ever seen, and his accent was THE most outrageous thing you'll ever hear. A complete character and I loved him. It was he who I impersonated on the video. The figure of 18,000,000 dollars was drawn from another guy who went on TV saying that God had told him to get that much by the weekend !!! The strangest stories are usually founded on truth. No 666 thing."


    [Blockierte Grafik: http://i1352.photobucket.com/a…%20Angley_zpsu0ocy3jg.jpg]


    Wenn man den Typ so anschaut, (sieht irgendwie auch ein bißchen aus wie Mr. Creosote aus "Meaning of life"), kriegt man gleich ein schlechtes Gewissen, daß man dem Stück nicht mehr Punkte gegeben hat.

    In einer britischen TV-Comedy kann man den Direktvergleich machen:
    Collins in Room 101 (2005)
    Er war schon seeehr nah dran!

    • Offizieller Beitrag

    “Siehst Du dieses Licht? – Siehst Du … dieses … Licht?” Selbst durch die dunkle Sonnenbrille hindurch kann Joliet Jake Blues erkennen, wie genau James Brown als Reverend Cleophus James einen charismatischen Pastor beim Gottesdienst nachahmt – und ihn dabei gnadenlos persifliert. Und siehe, die Himmel reißen auf und aus der Höhe herab schien ein Licht und das Licht war um ihn und in ihm und in seinem Geiste. Denn das Licht der Erkenntnis erhellte seinen Geist und gab ihm Wissen in sein Herz und des freute er sich, denn wes das Herz voll ist, des läuft der Mund über, und er hub an zu sprechen und redete also und sprach: „Die Band!“


    Schon Ende der 70er Jahre waren exaltierte Pastoren demnach so bekannte Phänomene, dass es sich lohnte, sie zu karikieren. Es gab sie sicherlich in den einzelnen Gemeinden vor Ort, aber die ambitioniertesten von ihnen erschlossen sich eine neue Gemeinde über die Massenmedien und trugen die Erweckungsveranstaltungen ins Fernsehen. Das Time Magazine verschmolz dann die Begriffe „television“ und „evangelist“ (womit nicht nur Johannes, Markus, Matthäus und Lukas gemeint sind) zu „televangelist“. Fernsehprediger also.


    Die Band von Jake und Elwood und die Band, um deren Lied es hier geht, haben in der Tat zwei Dinge gemeinsam: Sie nehmen die Prediger auf die Schippe – und tragen dabei ausweislich des Videos dunkle Sonnenbrillen.


    Das Lied beginnt mit einigen Fragen: nach einem Mann auf dem Bildschirm und nach einem Mann auf einem großen Werbeplakat. Sind das zwei verschiedene Leute? Nein, denn es wird gleich aufgelöst: „Dieser Mann bin ich.“ Der Erzähler ist also im Fernsehen unterwegs und treibt Werbung. Jemand mit Geld also, und jemand, der interessant genug ist, dass (nicht näher beschriebene) Magazine ihm die Titelseite widmen. Die Bemerkung, es stelle sich überhaupt nicht die Frage, warum er auf dem Foto lächle, bewirkt allerdings genau das Gegenteil. Sie wirft nämlich genau die Frage auf, warum er lächelt. Die konventionelle Antwort („weil Menschen auf Pressefotos in aller Regel lächeln“) gilt nicht – warum dann? Wieder bekommen wir die Antwort frei Haus geliefert: „Du kaufst ein Stück vom Paradies, wenn du ein Stück von mir erwirbst.“
    An diesem Punkt wird der Text ein wenig verstörend. „Ein Stück vom Paradies“ – das klingt nach Luxusimmobilien und/oder exotischen Reisezielen. Oder einfach „ein Stück vom Glück“ , was eine weitere Option eröffnet: Der Erzähler könnte auch mit Waffen handeln oder mit Drogen – für beides gibt es den Slang-Ausdruck „a piece“. Dann bezöge sich das „paradise“ auf das Drogen-High … oder griffe die Beatles auf, die schon zu ihrerzeit wussten: Happiness Is A Warm Gun. Und so jemand landet auf den Titelseiten?


    „Ich besorge dir alles, was du brauchst“, verspricht der Erzähler. Man müsse noch nicht einmal ans Jenseits glauben. Durchaus praktisch, wenn man mit Drogen oder Waffen zu tun hat. Da ist ein Gewissen doch eher lästig. Wenn man also nicht ans Jenseits glauben muss, dann doch wenigstens einfach an – Gott? Nö, es reicht, wenn man an den Erzähler glaubt.


    Bis zum ersten Refrain haben wir den Erzähler kennengelernt: Er ist eine Art prominenter, erfolgreicher Universalkaufmann, der mit etwas handelt, das den Käufern himmlisches Glück verspricht. Mit etwas, das den Glauben ans Jenseits obsolet macht. Warum?


    Weil Jesus den Erzähler kennt und weiß, dass er (der Erzähler) richtig liegt. Denn unser Erzähler spricht schon sein ganzes Leben lang mit Jesus. Zu schade, denkt man da, dass Jesus ihm nicht antwortet. Vermutlich kommt er nicht zu Wort… Ah doch, Jesus hat unserem Erzähler gesagt, dass alles in Ordnung sei… sagt der Erzähler.


    Und wendet sich gleich den gesellschaftlichen Werten zu: Die Familie über alles, das ist ein höchst amerikanischer Topos. Kein Präsidentschaftskandidat, keine Präsidentschaftskandidatin, die nicht bei jeder Wahl- und Werbeveranstaltung ihre makellos gestylten und vor Familienglück nur so strahlenden Angehörigen präsentierten. Hier wie dort hat das Ganze allerdings leichte Risse. Der stolze Familienvater betrügt seine treusorgende liebende Ehefrau allerdings mit einer Geliebten und bei Gelegenheit auch gleich noch mit einem Geliebten. Böses Foul. Unser Erzähler ist also schlichtweg ein Heuchler, weil er gleichzeitig das Ideal der glücklichen, frommen und anständigen Mann-Frau-Kinder-Familie hochhält und dabei nach Strich und Faden fremdgeht.


    Ist er dabei wenigstens fromm? Die nächste Strophe ist zutiefst entlarvend. Er steigt ein mit der Gretchenfrage: „Glaubst du an Gott?“ und begründet die Frage: Das ist nämlich das, was ich verkaufe. Gott als Produkt, beworben, vermarktet, jetzt mit 50ml Treuebonus zum Sonderpreis. Wer “Gott” als Produkt verkauft – die Sprache ist da ebenso doppelsinnig wie klar - , der verkauft Gott. Für 30 Silberlinge. Statt eines zweiten immer scharf schneidenden Messers, einer Bonus-Rheumadecke oder ähnlichem Schnickschnack wird hier dann noch der Weg in den Himmel angeboten. Der Fernsehprediger als Religionsnavi – und das auch noch omnipräsent auf allen Kanälen.


    In dem reggae-ähnlichen Abschnitt wird die Doppelbödigkeit auf die Spitze getrieben. „Won’t find me practising what I’m preaching: Einerseits ist es ja schön, wenn er „nicht üben (practise) muss, was er predigt“; als Prediger mit dem direkten Draht zu Jesus werden ihm, das ist hier impliziert, die Worte direkt eingegeben, er muss sie nicht künstlich einüben. Andererseits darf man – muss man das auch lesen als: Ihr werdet nicht erleben, dass ich praktiziere (practise), was ich predige.
    Genauso die doppelte Verneinung im Folgenden: Wörtlich verstanden heißt es hier „Ich werdet nicht erleben, dass ich ein Opfer nicht bringe“, also: „Ich bringe stets alle nötigen Opfer, so fromm bin ich!“ Wenn aber der sprachliche Kontext, wie hier, sehr umgangssprachlich ist, dann kommt eine Variante des schönen bayrischen Satzes zum Tragen: „Im Bayrischen gibt’s koa doppelte Verneinung net!“, d.h. die Dopplung der Verneinung hebt sie nicht auf, sondern betont sie besonders stark. Der offensichtliche Sinn: „Nee, Opfer (Almosen?) geb ich mal garantiert nicht!“


    Das Versprechen einer “Hosentasche voller Wunder” birgt nichts unanständiges. A Pocketful Of Miracles ist der Originaltitel der Komödie Die Unteren Zehntausend, in der einer Person mit größtem Aufwand eine wundervolle Welt des Luxus und Wohlstands vorgegaukelt wird. So wie hier den Anhängern des Predigers für Wohlverhalten der Himmel versprochen wird … als Potemkinsches Dorf. Ganz offen gibt er auch zu: „Tu, was ich sage, nicht, was ich selber tue.“


    Und was tut er? Er „zählt seine Segnungen“. Was man wörtlich verstehen kann, etwa als Einschlafhilfe für Fernsehprediger (“Ein Segen springt über den Zaun, zwei Segen springen über den Zaun…”) oder als zufriedene Sichtung eines erfolgreichen Tagwerks (“500 Leute habe ich heute gesegnet“). Aber der Ausdruck ist eine stehende Redewendung und bedeutet soviel wie „Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe“. Und was hat er? Geld. Und das zählt er. Das sind seine Segenswünsche, und er muss immer mehr zählen, weil er immer reicher wird. So reich, dass die Spenden-Anruf-Nummern für die Anrufer kostenlos sind. Die Telefongebühren (die in den USA ohnehin nicht arg hoch sind) werden durch die Spenden mehr als reichlich kompensiert.
    Und der Prediger ist sich sicher: Seine Gemeinde wird nicht zweifeln an ihm, denn sie werden vielleicht nicht auf IHN vertrauen, aber wenigstens auf ihn, und sie öffnen ihre Herzen und, wichtiger noch, sie öffnen ihre Geldbeutel und geben, auf dass ihnen gegeben würde, und siehe: Es ward ihnen gegeben: Ein schöner Schein für ihre Hoffnungen, Illusionen für ihr Vertrauen, ein Nichts für ihre Spenden. Die schmierigen Versprechen eines verlogenen Heuchlers. Der Ablasshandel der multimedialen Gesellschaft.


    Darüber könnte man sich furchtbar empören und aufregen. Aber die ganz großen Skandale um die Fernsehprediger kamen ein oder zwei Jahre, bevor Jesus He Knows Me herauskam. Was wiederum beweist, dass Timing wichtig ist, um einen Song, eine Satire richtig treffen zu lassen. In diesem Fall war Genesis schlichtweg zu spät dran, die große Aufmerksamkeit für das Thema war schon durch, das war alles ein bissel passé. Heute wirkt es wie eine leicht angegilbte Parodie auf ein Skandälchen aus der „guten alten Zeit“.


    Bleibt abschließend die Beobachtung, dass der Titel selbst doppelbödig ist. Je nachdem ob man „Jesus“ als Name oder als Ausdruck des Erschreckens auffasst, hört man hier entweder die ölige Stimme des Herrn Fernsehpredigers „Jesus Christus, der kennt mich durch und durch“ … oder sein Erschrecken: „Jessas, er hat mich durchschaut!“ Was aus theologischer Sicht vielleicht beschrieben werden könnte als heilige Furcht.



    Die Musik ist flott, beschwingt, mit einem unauffällig-gefälligen Reggae-Intermezzo. Ein ordentlicher Popsong, aber eher was zum Nebenherhören als zum Aufmerksam-In-Den-Lautsprecher-Kriechen. 8 Punkte, eine glatte Drei.

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    Bleibt abschließend die Beobachtung, dass der Titel selbst doppelbödig ist. Je nachdem ob man „Jesus“ als Name oder als Ausdruck des Erschreckens auffasst, hört man hier entweder die ölige Stimme des Herrn Fernsehpredigers „Jesus Christus, der kennt mich durch und durch“ … oder sein Erschrecken: „Jessas, er hat mich durchschaut!“ Was aus theologischer Sicht vielleicht beschrieben werden könnte als heilige Furcht.


    Die Musik ist flott, beschwingt, mit einem unauffällig-gefälligen Reggae-Intermezzo. Ein ordentlicher Popsong, aber eher was zum Nebenherhören als zum Aufmerksam-In-Den-Lautsprecher-Kriechen. 8 Punkte, eine glatte Drei.


    Stellvertretend für ALLE deine Analysen ein herzliches DANKESCHÖN von mir.


    Hier finde ich den Hinweis auf die Doppelbödigkeit interessant, weil ich es nie so deutlich wahrgenommen habe. GENESIS haben in der Zeit nach Peter Gabriel ihren Wortwitz einigermaßen behalten, siehe auch Taking it all too hard/heart.

    Gedankenrauschen – Da geht noch was!

    • Offizieller Beitrag

    Darüber könnte man sich furchtbar empören und aufregen. Aber die ganz großen Skandale um die Fernsehprediger kamen ein oder zwei Jahre, bevor Jesus He Knows Me herauskam. Was wiederum beweist, dass Timing wichtig ist, um einen Song, eine Satire richtig treffen zu lassen. In diesem Fall war Genesis schlichtweg zu spät dran, die große Aufmerksamkeit für das Thema war schon durch, das war alles ein bissel passé. Heute wirkt es wie eine leicht angegilbte Parodie auf ein Skandälchen aus der „guten alten Zeit“.

    Also in Sachen Betrug und Doppelmoral sind die Kollegen aber immer noch gut dabei - und werden auch gelegentlich entlarvt, so etwa Peter Popoff oder Ted Haggard. Und erst vor ein paar Jahren gab es eine groß angelegte Untersuchung der finanziellen Verhältnisse von sechs bekannten Fernsehpredigern durch den US-Senat, wobei Rolls-Royce-Flotten, palastähnliche Villen und Privatjets zum Vorschein kamen, die ganz offensichtlich von den Zuschauerspenden bezahlt waren.
    Also, das Thema scheint nach wie vor aktuell. ;)

    • Offizieller Beitrag

    Also in Sachen Betrug und Doppelmoral sind die Kollegen aber immer noch gut dabei - und werden auch gelegentlich entlarvt, so etwa Peter Popoff oder Ted Haggard. Und erst vor ein paar Jahren gab es eine groß angelegte Untersuchung der finanziellen Verhältnisse von sechs bekannten Fernsehpredigern durch den US-Senat, wobei Rolls-Royce-Flotten, palastähnliche Villen und Privatjets zum Vorschein kamen, die ganz offensichtlich von den Zuschauerspenden bezahlt waren.
    Also, das Thema scheint nach wie vor aktuell. ;)


    Stimmt, aber die 15 Minuten Empörung in Europa über dieses Thema lagen in den späten 80ern / frühen 90ern einfach vor der Veröffentlichung von WCD. Das wollte ich damit zum Ausdruck bringen. Für den Nachweis, dass Bauernfängerei nie wirklich ausstirbt, verweise ich auf den Großteil der aktuellen Nachrichten.