TotW: [19.-25.01.2015]: PETER GABRIEL - Solsbury Hill

  • Dass ein Song mit 7/4 Rythmus und ohne Refrain so ein Hit werden konnte, erstaunt mich immer noch positiv. Dieses Erstaunen wird nur noch bei "Bohemian Rhapsody" getoppt. Die Menschen mögen vielleicht doch einfach gute Musik.


    Exkurs:
    Solsbury Hill hat mich als Hobbymusiker gelehrt, dass man einen krummen Rythmus eingängig gestalten kann, wenn man eben nicht den krummen Takt betont, sondern die 8tel oder 4tel locker durchlaufen lässt. Ähnlich hat er es bei D.I.Y mit dem 5/4-Takt gemacht. Oder Genesis mit "Dance On A Volcano". Viele Neoprog-Bands machen es anders und betonen die krummen Takte. "Hört mal, ich kann einen 7/8 spielen!" Bei einigen späteren Versionen gefallen mir daher die Betonungen durch die Snare-Drum weniger, aber sie gewinnen durch die "hey hey hey back home"-Chöre.
    Exkurs-Ende


    Der Text dreht sich um seinen Ausstieg bei Genesis und gefällt mir gut, auch wenn ich einige Stellen etwas zu sehr um den Reim bemüht finde. Es sind schöne Bilder, die er erzeugt. Der Text für sich wirkt eher nachdenklich, aber die Musik bringt ihn in eine positive Aufbruchstimmung.


    Ich kann Solsbury Hill immer noch ohne Langeweile und gut gelaunt hören und bei mir hat sich durch bald 30 Jahre nichts abgenutzt. Das finde ich sehr gut: 13 Punkte.

    Gedankenrauschen – Da geht noch was!

    2 Mal editiert, zuletzt von pealmu ()

  • Da möchte ich mal kurz widersprechen - das liegt schon auch am Song, denn erstens würde er nicht "gepusht" werden, wenn er nicht eingängig wäre und dann gibt es auch, je nachdem wie gut Arrangement und Komposition sind, große Unterschiede in der Langzeitwirkung. Manche Stücke, auch wenn sie anfangs noch so gut erscheinen, erträgt man einfach irgendwann nicht mehr, andere kann man immer wieder hören, oft, weil viele kleine besondere Ideen drinstecken, die immer wieder Freude machen zu hören. Sussudio etwa wäre ein Beispiel für den ersten, Solsbury Hill eins für den zweiten Fall. Volle Punktzahl für mich!



    Die Tatsache, dass ein Song "eingängig" ist, ist nicht der Grund, warum ihn manche Leute nach einer gewissen Zeit nicht mehr hören können. Ein Song kann sich nicht selbst "totdudeln", er kann nur eine gewisse Zeit lang zu oft gehört werden. Darum ist es auch keine Kritik an einen Song.

    Wenn man den Song wirklich gut findet, entdeckt man ihn nach einer Hörpause wieder aufs Neue. Das ging mir schon mit Don't give up und vielen anderen Songs so. Es war für mich immer klar, dass dies nichts mit der Qualität des Songs zu tun hatte, sondern mit mir selbst. Es gibt kein kompositorisches Rezept, einen Song für immer und für alle Menschen frisch wirken zu lassen. Wenn schon liegt es noch eher am Arrangement oder an der Produktion, die allenfalls mehr oder weniger zeitgemäss ausfällt.

    Aber schlussendlich ist es einfach sehr individuell, es gibt auch Menschen, die finden Sussudio nach wie vor toll auch nach dem 1000mal hören. Vielleicht weil der Song einfach für den einzelnen Menschen etwas bedeutet, oder aus welchen Gründen auch immer.

    Als Songwriter kann ich dir auch sagen, dass es manchmal schwieriger ist, einen gaaanz simplen Song zu schreiben, der ohne "viele kleine besondere Ideen" auskommt. Die besondere Idee ist einfach der Song an sich. Und du kannst darauf gehen, dass auch bei solchen Songs manche Menschen nie genug kriegen können (Bsp. Beatles, Stones, Dylan etc.)

    No cloud, a sleepy calm
    Sunbaked earth that's cooled by gentle breeze
    And trees with rustling leaves
    Only endless days without a care
    Nothing must be done

  • Im Sommer 1985 krabbelte ich mit meinem Freund aus einem nach heutigen Maßstäben sicherlich putzig anmutenden kleinen Zelt, das wir mit dem Selbstverständnis reisender Jugendlichkeit auf dem Solsbury Hill aufgeschlagen hatten.
    Wir waren soeben kauernde Zeugen eines veritablen Gewitters geworden, während dessen uns als weit und breit höchstem Anziehungspunkt ganz schön die Muffe gegangen war. Nun war der Himmel aufgerissen, wir blinzelten glücklich in die einsetzende Dunkelheit und genossen den herzerwärmenden Blick auf die funkelnden Lichter von Bath. Der Wind zauste die andächtigen Pilger, und im Grunde stand natürlich nicht nur die Zeit still, sondern die Welt weit offen.
    Nach dergestalt einprägsamen Erlebnissen konnte diesem Gassenhauer in den letzten 30 Jahren selbstverständlich kein noch so zigfaches Abnudeln bei Party, Konzert oder im Radio irgendetwas anhaben.

    Naja, so ganz doll oft muß ich ihn inzwischen vielleicht nicht mehr hören. Aber 'ne Eins hat er schon verdient.


    P.S. "Sussudio", diese im selben Jahr erschienene verstörende Rand-Notiz der Genesis-Geschichte, mußte damals leider zu Hause bleiben.

  • "Sussudio" (...) mußte damals leider zu Hause bleiben.


    Das "leider" trifft es. Sonst wären aus "einprägsamen Erlebnissen" womöglich epochal prägende geworden. Ich weiß speziell bei "Sussudio", wovon ich spreche.
    (Just say the word, oooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooh...!!!!!:tanzen:)

  • @ littlewood, Du bist doch nicht etwa wegen Solsbury Hill auf den Solsbury Hill gepilgert?
    Oder doch?! Doch, oder!!?? Wie war das doch gleich - nerd on.

  • Ach, wir waren eh gerade zufällig in der Ecke und dachten, latschen wir da halt mal hoch. Ich hatte schon immer was für die Berge übrig, (handelt sich in diesem Fall allerdings mehr um einen Hügel).
    Landschaftlich ist das eine sehr reizvolle Gegend, also keineswegs nur Kohl-Acker.

    Das "leider" trifft es. Sonst wären aus "einprägsamen Erlebnissen" womöglich epochal prägende geworden. Ich weiß speziell bei "Sussudio", wovon ich spreche.
    (oh...!)



    Nee, laß man, das war mir immer zu komplex, hab auch bis heute den Text nicht verstanden. Außerdem hab ich das ständig mit diesem Prince-Song verwechselt, Du weißt schon…
    Aber Du, hat das Teil nich 'ne eigene Rubrik? Sonst kommt irgendwann noch einer auf die Idee zu fragen, was hier eigentlich los ist. Der eine schreibt über's Reisen, der andere über irgendwelche komischen Cover-Versionen...

    • Offizieller Beitrag

    Peter Gabriel verlässt Genesis! Und verfällt ins Schweigen. Von Ende 1974 bis Ende 1976 singt er zunächst – seinen Noch-Bandkollegen gegenüber sehr loyal – hundertundeinpaarmal die Geschichte von Rael, der sich nur retten kann, indem er das, was er ist, komplett aufgibt. Dann zieht er sich aufs Land zurück, windelt seine Tochter, versucht sich als Bauer und hält sich fern von der Musik. Allmählich aber kehren Klänge und Melodien wieder in sein Leben zurück. Die anderthalb Jahre haben ihm musikalisch gut getan. Wie Rael hat er das aufgegeben, was er nach außen hin war: Sänger skurriler Texte in merkwürdigen Taktarten zu sein und Träger noch skurrilerer Kostüme bei den Konzerten von Genesis.
    Vielleicht hat er Abstand gebraucht, um sich darüber klarzuwerden, wie er und die Musik künftig miteinander umgehen wollen. Vielleicht ist er selbst Schritt um Schritt auf jenen Hügel in Somerset hinaufgestiegen, um ganz wörtlich Abstand zu gewinnen zu der Welt da unten. Vielleicht verbalisiert Solsbury Hill in seinem Liedtext genau diese Wanderung, dieses Abstandgewinnen, die Neuorientierung. Dann wäre es ein Schlüssel-Text, ein programmatisches Lied, der Abschluss mit der Vergangenheit in der Band, der Blick voraus in der Ahnung, dass da einer jetzt wirklich zu sich selbst findet.
    Vielleicht geht es auch überhaupt nicht um Genesis und nicht um Peter Gabriel.


    Da steigt jemand auf den Solsbury Hill hinauf. Ich habe mir immer jemanden vorgestellt, der in herrlicher Frühsommersonne, einen leichten Rucksack mit einem kleinen Imbiss über der Schulter, stetig zu Berge zieht, über grüne Wiesen, über sich den blauen Himmel und eine Handvoll Schönwetterwolken. Nicht wahr?
    Pustekuchen: Der Wanderer sieht das Licht der Stadt, und den Adler kann er gar nicht lang genug sehen, um etwaige majestätische Flugmanöver bewundern zu können – der Raubvogel kommt aus der Nacht angeschossen. Wir hören hier von einer Nachtwanderung.
    Der Adler ist allerdings „something to observe“, und dieser Satz verlangt nach Auslegung. Die spontane Übersetzung lautet „Er [der Adler] war sehenswert“. Dem steht entgegen, dass der Adler, so sehenswert dieser Vogel auch sein mag, in der Nacht kaum sichtbar ist. Prägnanter gefasst darf der Satz gelesen werden als „Der Adler war etwas, das man beachten sollte“ oder, noch stärker gefasst, „Er war etwas, dem man folgen sollte“. Die römischen Auguren pflegten auf Hügel zu steigen, um den Flug besonderer Vögel – zum Beispiel von Adlern – zu beobachten und daraus die Zukunft zu erkennen. Der Vogel, ein Omen für den Wanderer? Oder sogar ein Ruf, der ihn ereilt? Letzteres könnte ganz wörtlich gemeint sein, denn der Adler kommt ganz nah heran – und der Wanderer hört eine „voice“, eine Stimme. Vielleicht ist es der Adler, dessen Ruf er hört (und die Vogelstimmen werden im Englischen auch als voice bezeichnet).
    An dieser Stelle verlässt der Text die Ebene der Schilderung fürs Erste. Der Wanderer hört dem Ruf des Adlers – oder „der Stimme“ – gebannt und mit höchste Aufmerksamkeit zu, er fühlt sich gezwungen zuzuhören. Aber dem, was er da hört, der Information, glaubt er nicht – ist es nicht einfach nur ein Vogelschrei in der Nacht? Stattdessen hört er sozusagen mit seiner Vorstellungskraft, und durch das Pochen seines Herzschlags hindurch hört er die Stimme, den Adler, den Vogelschrei in seiner Vorstellung rufen „Junge, hol dein Zeug – ich bin gekommen, um dich heimzuholen.“
    Nach der ersten Strophe höre ich immer Emyn Muil, besonders wenn ich grade mal wieder den Herrn der Ringe gelesen habe. Das dürfte aber Gabrielisch sein, also nur eine Lautfolge, die Herr Gabriel eingefügt hat, weil er fand, dass dort eine stimmliche Äußerung, aber nicht unbedingt eine verständliche Aussage ins Lied gehört. Vielleicht sollte man aber auch hier „nicht der Information glauben“ und stattdessen „der Einbildungskraft vertrauen“?
    Die zweite Strophe beginnt sprachlich schwierig. Wer sie nur hört, könnte „To keeping silence I resigned“ genauso gut verstehen wie „To keep in silence I resigned“. Ersteres übersetzt sich als „Ich ergab mich [in die Aufgabe], Schweigen zu wahren“, als dürfte der Wanderer über irgendetwas nicht sprechen – weniger aufgrund eines Verbotes als einer moralischen Verpflichtung. Die zweite Lesart deutet sich schwieriger. „Um im Schweigen behalten zu können“, ist eine mögliche Deutung: um etwas behalten zu können, wird geschwiegen. „Um etwas im Schweigen bewahren zu können“, funktioniert auch: Da will jemand etwas totschweigen. Was bedeutet dann „I resigned“? Das Wort hat pikanterweise zwei Stoßrichtungen: „resignieren“ einerseits, andererseits „kündigen, die Brocken hinwerfen, eine Würde aufgeben“. Man könnte lesen: „Damit ich in Ruhe behalten kann (die Früchte meiner Arbeit), habe ich resigniert aufgegeben (Stichwort: innere Kündigung)“. Alternativ: „Damit ich meine (Seelen)ruhe behalte, bin ich gegangen. (Stichwort: Accept it, change it, or leave it).“
    Die Freunde des Mannes auf dem Solsbury Hill sind sich indes einig, dass diese Entscheidung eine Schnapsidee ist: Sie halten ihn für einen Fantasten, einen Spinner. Wenn jemand Lebensratschläge aus dem Schrei eines Vogels heraushört, der ihm bei einer Nachtwanderung begegnet, kommt eine solche Deutung nicht von ungefähr. Nach der strikten Reihenfolge des Verse geordnet teilt sich hier mit: „Ich habe gekündigt/resigniert. Meine Freunde haben mich für verrückt erklärt.“ Spannend wird der Satz wieder dadurch, dass man „turning water into wine“ sowohl auf die Freunde als auch auf den Sprecher beziehen kann – und die ing-Form eine große Bandbreite an Sinnrichtungen zulässt: „Ich habe die Brocken hingeschmissen. Meine Freunde, die Wasser zu Wein machten, hielten mich für bekloppt“ (aber selber Wasser zu Wein machen, aha!). Oder: „Ich habe die Brocken hingeschmissen. Meine Freunde hielten mich für einen Spinner, der Wasser in Wein verwandelt.“ (also für einen Größenwahnsinnigen; vgl. John Lennons kontroverses Zitat „Wir [die Beatles] sind momentan beliebter als Jesus“, das sich ja auf dieselbe Person bezieht“) Oder: „Ich habe die Brocken hingeschmissen. Meine Freunde hielten mich für einen Spinner, weil ich Wasser in Wein verwandele.“ Bei letzterer Auslegung stellt sich die Frage, wofür das Wasser, wofür der Wein steht. Vielleicht der berauschende Trank der Ungebundenheit nach dem Austritt aus dem Job gegen das einfache Wasser im Berufsleben, Sekt oder Selters? Oder muss man es lesen als spöttische Bemerkung der Freunde: Er macht ja schon ganz schön viel Selbstverwirklichung… und als nächstes wird er noch Wasser in Wein verwandeln, wie? Dessenungeachtet hat die Entscheidung des Sprechers, des Nachtwanderers auf dem Hügel, klare Folgen: Türen und Optionen, die ihm bislang offenstanden, sind ihm bald verschlossen.
    Aber diese Entscheidung ist noch überhaupt nicht gefällt: „So lebte ich von einem Tag zum anderen, obwohl sich mein Leben in ausgefahrenen Bahnen bewegte“ – hier hat sich jemand ein Szenario ausgemalt, wie es laufen könnte, bis er sich überlegt hat, was er sagen würde, und welche Verbindung er abbrechen sollte, mit welchem Teil seines bisherigen Lebens er brechen sollte. Die Analyse ist klar: Er empfindet sich nicht als wichtiger Teil des Ganzen, er ist nicht derjenige im Zentrum, der handelt, sondern nur „ein Teil der Landschaft“, Beiwerk, unnötig, ungebraucht, unwichtig. In diesem Wissen verlässt er die Tretmühle mit heftig pochendem Herzen, und wieder klingt der Adlerschrei: „Junge, hol dein Zeug – ich bin gekommen, um dich heimzuholen.“
    Die dritte Strophe ist sprachlich schwierig. Die meisten Übersetzungen des Textes bieten „Wenn die Illusion ihr Netz aufspannt, bin ich nie, wo ich sein will“ – was aber ignoriert, dass im Text nicht „spins“, sondern „spin“ steht, also eine Konjunktivform. Insofern ist es eher ein „Wenn die Illusion ihr Netz aufspannen soll, bin ich nie da, wo ich sein will“. Macht es für die Auslegung einen Unterschied? Der Wanderer ist unglücklich, nie da, wo er sein will, wenn die Spinne Illusion ihr Netz ausbreitet, in das er gehen soll. Da ist also auch eine Ahnung, dass die Unzufriedenheit mit der Situation, in der er sich aktuell befindet, vielleicht nur der Einbildung entspringt, dass alles besser wäre, wenn es anders wäre. (Und wenn alles anders wäre, wäre es eben eingebildet noch besser, wenn es noch anders wäre oder so wäre, wie es jetzt ist). Wer aber sind die leeren Umrisse, die ihn noch mit geschlossenen Augen ansehen (abgesehen davon, dass sie keine Manieren haben)? Immerhin: Die einzige Gruppe, die bislang erwähnt wurde, sind die Freunde. Sind sie jetzt nur noch Silhouetten, weil sie ihn für verrückt halten, sich abgewendet haben, nicht mehr als –Freunde- da sind? Das gilt dann hier als unmanierlich: Freunde die sich zwar abgewandt haben und nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen, die Augen vor ihm verschließen - aber dennoch sehen und beobachten, wie der Wanderer sich anstellt. Die sich sozusagen an dieser Seifenoper im echten Leben ergötzen. Was ja auch eher unmanierlich ist: Entweder steht man zu den Freunden und nimmt Anteil daran, wie es ihnen geht und was sie tun, oder man wendet sich von ihnen ab; dann hat man aber ja eigentlich auch kein Recht mehr auf Anteilnahme am Leben dessen, von dem man sich da abwendet. Insofern attestiert er den "Hinguckern mit geschlossenen Augen" einen Mangel an Etikette.
    Sie werden Zeugen einer Verwandlung: Ich werde ein anderes Ich zeigen! Und ich brauche jetzt, da ich mich frei gemacht habe von meiner bisherigen Lebensweise, auch keinen Ersatz (wohlgemerkt: keinen Ersatz für mich und/oder keinen Ersatz für das Bisherige!), ich werde ihnen zeigen, warum ich lächle. Denn am Ende spricht nicht der Adler, sondern der Wanderer. Er hat sich durchgerungen, eine Entscheidung gefällt. Er verlässt sein bisheriges Leben, fängt neu an, nimmt keinen Ballast mit: „Hey, behaltet mein Zeug, sie sind gekommen, um mich heimzuholen.“
    Wer auch immer „sie“ sind. Man könnte sie („Meine Freunde halten mich für beknackt“) für diejenigen halten, die ihn in die Psychiatrie mitnehmen…
    Und nun die Frage, die bei diesem Lied so oft die alles entscheidende, einzig wichtige zu sein scheint: Schließt Peter Gabriel hier mit Genesis ab und verkündet laut und beschwingt sein neues Ziel? Man kann es sicherlich so lesen: Das „Schweigen“ kann man auf Gabriels musikalische Funkstille zwischen Mai 1975 und der Veröffentlichung von Car im Februar 1977 beziehen. Man kann auch die Kritik („beknackt“) darauf münzen, dass Gabriel in dem Moment, wo es mit Genesis anfing richtig loszugehen, die Band verlässt und nicht mal das Momentum beibehält, indem er sofort ein Soloalbum nachschiebt. Man kann auch die „Freunde, die Wasser zu Wein“ machen, auf die Band münzen, die in der Zwischenzeit ja erfolgreich(er) wurde und so gewissermaßen von Selters zu Sekt wechseln konnte. Vielleicht ist auch das Wasser die neue Stücken, die Gabriel geschrieben hat, die aber eben noch nicht so berauschend sind. Seine Freunde ( = Fans?) würden dann glauben, dass er zwar als Künstler (Genesis-Bühnenshows! Slipperman!) eine ziemlich durchgeknallte Nummer ist und sein Ausstieg bei Genesis eine ziemliche Schnapsidee, aber auch, dass er gerade fleißig dabei ist, neues Material für ein wundervolles, berauschendes (Wein!) Album zu veredeln.
    Alternativ und eine Drehung komplizierter: Gabriels Erfahrungen mit dem einfachen Leben als Landmann (man lese bei Spencer Bright die Geschichte von der Woche der 1000 Salate!) sind etwas, das lebensnotwendig für ihn ist/war (wie Wasser) und das er zu einem neuen Album veredelt.


    Kann man alles so lesen. Muss man aber nicht. Ob der „Genesisbezug“ dem Stück die richtige Würze verleiht oder ihm ein falsches Aroma beilegt, mag jeder für sich entscheiden.
    Am Ende ist hier ein Lied über eine Selbstfindung entstanden, und zwar ein schwungvolleres als es die meisten von uns singen würden, wenn sie auf den Solsbury Hill wandern würden. Übrigens ist der nur rund 100 Meter hoch. Was mir an dem Stück gefällt, ist: Es ist anders. Anders als die klassischen Genesis-Lieder von Spieluhren, Mahlzeiten und Kinovorführungen, anders auch als die Lieder über die Lämmer auf New Yorker Hauptstraßen, einfach anders. Gleichermaßen Standortbestimmung wie auch Richtungsangabe. Wo, wenn nicht auf einem Hügel, gewinnt man als Wanderer einen Überblick, wohin es weiter gehen soll?


  • Herzlichen Dank, Martinus, für die vielen Interpretationsvarianten, derer ich mir gar nicht so bewusst war. Muss mal wieder mehr Englisch sprechen. Aufgrund der notorischen Langsamkeit von Peter im Textschreiben würde ich aber vermuten, dass es nicht nach dem Erfolg von Genesis ohne ihn entstand, sondern erste Ansätze vor der Verkündung der Entscheidung, also um 1975 herum. Ist aber nur Spekulation.

    Gedankenrauschen – Da geht noch was!

    • Offizieller Beitrag

    Danke martinus. Wo bringst du dann die Zeile No one told them etiquette unter?


    Die "they", die keine Manieren gelernt haben, sind die "leeren Silhouetten" der Freunde, die sich zwar abgewandt haben und nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen, die Augen vor ihm verschließen - aber dennoch sehen und beobachten, wie der Wanderer sich anstellt. Die sich sozusagen an dieser Seifenoper im echten Leben ergötzen. Was ja auch eher unmanierlich ist: Entweder steht man zu den Freunden und nimmt Anteil daran, wie es ihnen geht und was sie tun, oder man wendet sich von ihnen ab; dann hat man aber ja eigentlich auch kein Recht mehr auf Anteilnahme am Leben dessen, von dem man sich da abwendet. Insofern attestiert er den "Hinguckern mit geschlossenen Augen" einen Mangel an Etikette.



    (Ich hab's auch oben noch eingefügt)