hoher Status, mieser Gesang


  • Damit sich der Aufwand in Grenzen hält: Vielleicht reichen ja erst einmal ein (oder zwei) Beispiele, bei denen das besonders deutlich wird.


    Ja, das ging jetzt auch ganz schnell. Ich habe zwei ganz bekannte Alben genommen, eins live und eins Studio:


    Bei "Yessongs" hörst du sein Unvermögen praktisch durchgehend. Bei "Siberian Khatru" singt er eine beträchtliche Anzahl von Tönen nicht sauber an, sondern schleift die Töne (meistens von unten) rein. Das machen Sänger, die auf Grund mangelnder Tonvorstellung / schlechter Technik keine große Kontrolle über die Intonation haben.
    Höre dir mal 6:12 - 6:30 bei "Heart of the sunrise" an - ist auch unsauber.
    Insgesamt hört man auch, dass er keine gute Atemstütze (Zwerchfell!) hat: Er kann längere Töne kaum mal halten, ohne dass zwischendurch Schwebungen (vereinfacht: Reibungen durch leichte Tonhöhenverschiebungen) entstehen.
    Die lauten, hohen Stellen bei diesem Song sind auch sehr gequetscht und tendenziell zu tief. Anderson klingt in der Höhe also sehr bemüht, drückt, ist nicht frei (was klanglich unschön ist).
    Die erste Zeile von "Perpetual change" ist auch schon gleich ziemlich versemmelt.


    Dann noch "Soon" von "Relayer": Ganz abgesehen davon, dass er hier natürlich mit ähnlichen Unzulänglichkeiten zu tun hat (ist ja ungefähr auch der gleiche Zeitraum), lassen sich diese z.B. bei "Our heart is open" und "Long ago, set into rhyme" wunderbar (na ja) deutlich ausmachen.


    Andersons Stärke und Auszeichnung ist seine Stimmfarbe und seine Begeisterung für die Musik. Und er passt ja da bei Yes zumeist auch ganz gut rein. Sängerisch befindet er sich aber aus genannten Gründen auf dem Stand eines Amateurs.


    Einmal editiert, zuletzt von townman ()


  • Fahr zur Hölle! :D
    Warum, was findest Du daran so schlecht? Ich liebe seinen alten Gesang mehr als den Neuen!

    It requires that you leave behind everything of human ways, human behaviour, human ignorance, human disinformation.


    Last Chance to evacuate Planet Earth before it is recycled


  • Fahr zur Hölle! :D
    Warum, was findest Du daran so schlecht? Ich liebe seinen alten Gesang mehr als den Neuen!


    Über Peters Gesang bei Genesis habe ich in den letzten Tagen schon genug geschrieben: Er war einfach schief, unreif und unkontrolliert.


    Aber zur Liebe habe ich gerade dir ja auch neulich was gesagt: Wer etwas trotz aller Mängel liebt, dem würde ich diese Liebe niemals ausreden wollen (ich bin bei Peter selbst betroffen).
    Nur verstehe ich auch diesen Thread eben so, dass man die Frontmänner / -frauen mal unter spezifisch sängerischen Gesichtspunkten unter die Lupe nimmt und ggf. seine Fanbrille dafür auch absetzt.


    Und da stehen Kate Bush und Napoleon Murphy Brock (Status???) auf qualitativ ganz anderer Stufe als die bislang hier Genannten. Das sind für mich keine begeisterten Dilettanten, sondern richtig gute Sänger (die selbstredend aber auch nicht perfekt sind).

  • Mir fiele ein Paradebeispiel ein: Marillion.


    Fish oder Hogarth?


    Hogarth ist eindeutig der bessere Sänger (dem Können nach), dennoch ist kaum eine andere Fangemeinde gespaltener als die von Marillion.


    In den 90ern fand ich seinen Gesang unerträglich sauber. Der gute hat sich aber allmählich "gebessert" und seiner Stimme mehr Kanten "hinzugefügt".


    Zum Rock gehören irgendwie kantige Stimmen, was auch bedeutet, dass es vorteilhaft sein kann, diese Kanten zu kultivieren. Soweit ich mich erinnere, ist Sing damit in den (80ern?) 90ern hausieren gegangen und hat jedem erzählt, dass er gleich noch ein Date bei seinem Gesangslehrer (oder Vocal-Coach?) hat. Also verkehrt hat er das nicht gemacht, wenn man bisweilen sein ersticktes Gekreische und Gefiepse auf den ersten beiden Police-Scheiben hört.


    So'n Jon Anderson kann einem wirklich die Suppe versalzen. Gesangs-Langweiler wie Knopfler , Hamill oder Waters sind dagegen harmlos. Die stören einen wenigstens nicht beim Musik-Hören.

  • Wie definieren wir eigentlich "guten Gesang"? Mal davon abgesehen, daß es sich bei Rezeption um erlernte Kulturtechnik handelt, denn ein Inder, Koreaner oder Inuit versteht garantiert etwas ganz anderes darunter.


    Gerade in der westlichen Rockmusik ging es doch aber immer schon primär um individuellen Ausdruck statt Erfüllung vorgegebener Kriterien. Das, was wir bei DSDS sehen und wie dort zwischen "kann singen" und "kann nicht singen" unterschieden wird, bietet dafür ein schönes Beispiel. Die Mädels dort "können singen" (glattgebügeltes koloraturgeschwängertes Geschwurbel), daran gemessen können Lena M-L, Tom Waits oder Bob Dylan das nicht. Aber? Richtig.


    Marillion ist auch ein schönes Beispiel: nach Fish war für mich Schluß. Keine Chance.


    Stellt euch Genesis mal mit Peter Hofmann vor. Yes meinetwegen mit Vicky Leandros. Doors mit Karel Gott oder Queen mit der Callas.
    Die können all das geforderte mit Bravour, aber was würde es nützen?
    Tom Waits kann nicht singen? Klar, daran gemessen nicht, aber was IST Singen denn nun eigentlich?


    Die Stimme sollte doch nicht weiter ein austauschbares Instrument in einem Orchester sein, sondern soviel individueller Ausdruck wie möglich, gemäß der Attitude des Rock'n'Roll: Hier schreie ich, ich kann nicht anders. Und es wird ein Gefühl transportiert statt koloriert. Das ist neu, aber doch schon seit ein paar Dekaden und die meisten hier sind alt genug, daran gewöhnt zu sein.


    Das geht auch bei Instrumenten: Daryl Stuermer kann bestimmt ganz famos Gitarre spielen, trifft immer schön alle Töne und so: aber er vermag nicht zu ergreifen, ins Innere zu dringen und ist gnadenlos austauschbar. (ist jetzt nur ein Beispiel weils die meisten kennen.)
    Wollen wir wirklich solche Sänger?


    Und was der hier:


    Gesangs-Langweiler wie ... Hamill


    an der Stimme leistet, gehört für mich zum Besten in der Rockmusik überhaupt.
    Aber es ist eben so eine Sache.


    Stellt euch mal vor, wie ein Forum zu Zeiten der Renaissance über van Gogh oder Picasso und ihre Fähigkeiten als Maler geredet hätte :)

    the wind is blowing harder now

  • Eric Clapton


    Er hat seinen Gesang seit der Unplugged-Platte stetig verbessert. Auf den neueren Live-Veröffentlichungen oder auch Bootlegs haut er manchmal ganz schöne Dinger raus. Als Beispiele seien die Winwood-Gigs genannt, aber auch Studio-Tracks wie Change The World. Seine Anfangsphase bis in die 1980er hinein war er allerdings gesanglich wirklich nicht besonders, zumal er auch ursprünglich nie Frontman sein wollte.

  • Er hat seinen Gesang seit der Unplugged-Platte stetig verbessert. Auf den neueren Live-Veröffentlichungen oder auch Bootlegs haut er manchmal ganz schöne Dinger raus. Als Beispiele seien die Winwood-Gigs genannt, aber auch Studio-Tracks wie Change The World. Seine Anfangsphase bis in die 1980er hinein war er allerdings gesanglich wirklich nicht besonders, zumal er auch ursprünglich nie Frontman sein wollte.


    Stimme dem voll zu. Irgendwie habe ich in Erinnerung, dass Clapton für die "from the cradle" sessions bewusst Gesangsunterricht genommen hat. Ich glaube dies hat er in einer Scorsese-Doku über Bluesmusik so gesagt.



    Noch ein Wort zu Peter Gabriel. Ich mag seine reifere Simme extrem gerne. Auch die Genesis-Studioalben sind absolut in Ordnung. Was ich jedoch absolut nicht hören kann ist dieses "meckern", wenn der junge Gabriel live die hohen Töne nicht halten kann.


    Persönlich finde ich ja die Archive I CD, bei welcher der reifere Gabriel grosse Teile des Lamms neu eingesungen hat, sehr spannend. Sie gibt eine Ahnung davon, wie das Lamm klingen könnte, wenn sie es heute neu inszenieren würden und diese Ahnung empfinde ich eigentlich als sehr verheissungsvoll (aber bei einer Ahnung wird es wohl leider bleiben...).

    "Don't get up gentlemen, I'm only passing through"

  • Meiner Meinung nach gehört der Name Peter Gabriel absolut überhaupt NICHT in diesen Tread. Für mich einer der besten Sänger überhaupt, außerdem hat er 'ne sowas von geile Stimme. Auch schon in den frühen Genesis-Jahren hat er mich begeister. Ich bin wirklich sehr großer Fan von ihm und von seinem Gesang. Gabriel ist eher noch unterschätzt...

  • lämmchen: tolles Posting!


    Du bringst das Ganze hier auf einen wichtigen Punkt, indem du danach fragst, welche Erwartungen man konkret überhaupt an Gesang hat und haben kann.
    Ich stimme dir absolut zu, dass sich ästhetische Kriterien keinesfalls verallgemeinern lassen, im Gegenteil: Wenn man kulturell unterschiedliche Stimmideale vergleicht, springt es dem Hörer ja geradezu ins Ohr, dass man diese Ideale nur im jeweiligen Kontext angemessen würdigen kann. Sprich: Es wäre arrogant, wenn man die für unsere Ohren möglicherweise zu schrillen, schmalen Stimmen fernöstlicher Kulturen (Tibet, China, Japan usw.) grundsätzlich abwertet, weil sie unserer Vorstellung von Gesang nicht entsprechen und uns demnach zunächst prinzipiell fremd sind.
    Somit hast du auch völlig Recht, wenn du darauf hinweist, dass Peter Hofmann „Seven stones“ sicherlich gruselig gesungen hätte – obwohl er in Bayreuth den Startenor abgegeben hat. Aber man konnte es bei seinen Versuchen, mit diesem Tenor in der Rockmusik zu glänzen, sehr schön mitbekommen, dass sein Stimmideal zum Rock passt wie Kaviar zu Ketchup.
    Rockmusik verlangt nach eigenen Stimmen, aber nicht nach Belcanto – und lebt ganz bestimmt auch enorm davon, dass diese Stimmen einen extrem individuellen Ausdruck haben. Somit kann Roger Waters, der eigentlich überhaupt keine echte Singstimme hat, dennoch mit seinen sehr beschränkten Mitteln sein „Vera“ krächzen und damit eine überzeugende Wirkung erzielen. Ganz davon abgesehen, dass man in der Rockmusik kein auch nur annähernd einheitliches Stimmideal findet, bietet dieses Genre Hans und Franz die Möglichkeit, sich stimmlich auszudrücken, ohne z.B. eine jahrelange klassische Stimmbildung durchlaufen oder nur ein einziges Mal bei einem Vocalcoach gewesen zu sein.
    Wenn ich also jetzt davon ausgehe, dass es kein gültiges Stimmideal für den Rockbereich gibt, dann muss ich stets bei jeder Band und bei jedem Sänger fragen, welche stimmlichen Fähigkeiten eigentlich ganz individuell zur ganz konkret hervorgebrachten Musik passen und wünschenswert sind. Denn: Es soll in diesem Thread ja nicht darum gehen, dass alle Sänger auf eine Stufe gestellt werden nach dem Motto: Im Rock ist alles „erlaubt“ und darum auch alles gleich gut. Jeder weiß doch, dass das nicht stimmt. Jeder hat schon mehrmals die Erfahrung gemacht, dass Stimmen als irgendwie schwach, unpassend usw. wahrgenommen werden.
    Beispiel also wieder Jon Anderson: Die Musik verlangt nach einem extremen Ausdrucksspektrum, weil im Prog a la Yes enorme Kontraste eine Rolle spielen. Weiterhin gibt es lange Melodiephrasen, die z.T. von der Range her recht weit sind. Es gibt aber auch sehr rockige Elemente, die einen kraftvollen Stimmeinsatz nahe legen.
    Diesen Anforderungen wird Jon Anderson nur sehr mühsam oder z.T. auch nicht gerecht. Er hat kein sehr breites Ausdrucksspektrum, seine Stimme offenbart nicht gerade viele Facetten. Sie ist eher dünn: Anderson rockt nicht. Yes behelfen sich u.a. wohl deswegen auch mit diesem Satzgesang (vor allem mit Squire), trotzdem gibt es Passagen, an denen Jon mehr Power bräuchte.
    Ganz wichtig: Yes-Musik bedürfte unbedingt einer genauen Intonation. Sie ist daraufhin angelegt, dass Anderson sauber singt. In einer Punkband wäre das egal, aber Prog lebt u.a. von feineren und damit auch höheren Ansprüchen an Instrumentalisten sowie Sänger. Hier zu sagen, Intonationsschwächen wären dem Genre des Rock geschuldet, wäre für mich unmusikalisch argumentiert. Anderson ist weder für die rockige noch für die „orchestrale“ Ebene von Yes besonders prädestiniert – und das finde ich noch ausgesprochen höflich ausgedrückt. Die Musik von Yes ist nicht umsonst dafür bekannt, dass auch „klassische“ Einflüsse (ich spare mir hier eine genauere Betrachtung) eine Rolle spielen, dass also eine relativ komplexe und sublime Form des Rock angelegt ist. Die Ansprüche an den Sänger steigen damit einhergehend natürlich. Das gilt dann auch für andere Sänger gerade im Prog-Bereich, z.B. in beträchtlichem Maße bei Genesis.
    So sehe ich bei „Seven stones“ keine sinnvolle Möglichkeit, wie man Gabriels Schwächen in den Höhen konstruktiv verteidigen sollte: Das Lied schreit förmlich nach einer feinen und sauberen Intonation, nach einer ganz fundierten Tonvorstellung und Technik des Sängers, die vielen langen Melodiebögen und Modulationen adäquat und lebendig mitzugestalten. Peter hat es halt so irgendwie hingekriegt und das durchaus auch mit schönen Stellen. Das reicht aber m.E. nicht: Ein Musiker sollte klar über einem Stück stehen, damit dessen Ausdrucksgehalt überhaupt vollständig und „rund“ gestaltet ist.
    Anderson und / oder Gabriel ernsthaft sängerisch in die Nähe von van Gogh oder Picasso zu rücken, erschließt sich mir nicht im Ansatz. Beide Maler weisen ein beträchtliches handwerkliches Können auf, welches ich den beiden Sängern zum großen Teil abspreche. (Allerdings: Zumindest Peter hat sich dahingehend wirklich entwickelt. Gut so!)