Nachdem ich mich neuerdings mit dem Attribut "in too deep" schmücken darf, will ich mal versuchen mit einem neuen Thema etwas tiefer zu graben.
Supper's ready hat hier sicher schon des Öfteren zu reden gegeben. Doch wie versteht Ihr eigentlich diesen song?
Hier einmal ein bescheidener Deutungsversuch meinerseits:
Der song schneidet eindeutig grosse religiöse Themen an: Visionen, endzeitliche Schlachten, das Auftreten des Antichristen, die Wiederkunft Christi etc.
Mit den biblischen Bildern wird jedoch auf sehr eigenwillige, verspielte Weise umgegangen. Wenn man sich dann noch Gabriels live-performances vor Augen führt, stellt sich die Frage, ob das alles ironisch oder gar parodistisch gemeint ist. Die Apokalypse als Vaudeville-Theater, die Wiederkunft Christi mit sexy Hüftschwung à la Elvis etc.
Aber das Ganze ist nicht einfach nur parodistisch, eine gewisse Ernsthaftigkeit scheint trotzdem immer wieder auf. Irgendwie pendelt der song zwischen zwei Ebenen, Spass und Ernst, Parodie und Spiritualität hin und her. Das Gabriel später durchaus ernsthafte und tiefgründige songs zu spirituellen Themen schreibt, ist hinlänglich bekannt (blood of eden, more than tis etc.).
Doch nun zu den einzelnen Abschnitten des songs:
Lover's leap:
Zwei Liebende entdecken mitten im Alltag ihrer Beziehung etwas Transzendentes. Eine geheimnisvolle Heiligkeit hält Einzug. In der Liebe verborgen blitzt etwas tieferes auf, ein Verweis auf eine andere (göttliche?) Gegenwart. Eine mystische, leicht unheimliche Stimmung macht sich breit.
The Guaranteed Eternal Sanctuary Man:
Das spirituelle Erwachen ist jedoch in Gefahr, in ein fanatisches Extrem umzukippen. Ein Sektenführer taucht auf. Mit süssen Worten und einem "Löffel voller Wunder" verschlingt er seine Anhänger. Hier könnte man fast schon versucht sein, eine Linie zum viel späteren "Jesus he knows me" zu ziehen.
Ikhnaton And Itsacon And Their Band Of Merry Men:
Der Fanatismus führt direkt in den heiligen Krieg. Mit pfiffigen Bildern wird der (leider brandaktuelle) gewalttätiger religiöser Fanatismus karrikiert (z.B. I'd better activate my prayer capsule). Das fröhliche Schlachtenlied der "heiligen Krieger" fällt am Ende in sich zusammen und macht den tieftraurigen Melodien des nächsten Teils platz.
How Dare I Be So Beautiful?
Die Schlacht ist geschlagen, zurück bleibt ein blutiges Schlachtfeld. Die Folgen des Wahns werden in krassen Bildern dargestellt. Tiefer Ernst und bittere Ironie beherrschen die Szene, bis zu dem Moment, in welchem alles ins Absurde kippt.
Willow Farm
Erleben wir hier einen inneren Prozess der Verdrängung? Eben noch inmitten des Schlachfeldes, befinden wir uns nun auf einer Blumenwiese mit Schmetterlingen und lauter fröhlichen Menschen. Die Realität wird geleugnet, eine fröhliche Scheinwelt konstruiert. Doch selbst die Sprache verweigert sich diesem Verdrängungsversuch. Sie zerbröckelt und verfällt, wird zu Nonsense und Kindergelalle. Es gibt kein entkommen mehr, keine versteckten Türen, keine Flucht vor dem, was man zuvor angerichtet hat.
Apocalypse In 9/8
Die Apokalypse bricht herein. Natürlich auch hier wieder in eigenwilligen, zum Teil parodistischen Bildern. Sind die Trompeten, die "süssen Rock'n'Roll" spielen, eine Anspielung darauf, dass Rockmusik in frommen Kreisen bis heute als Teufelswerk gilt? Oder wird in diesem Bild, ähnlich wie in Don McLeans "american pie" auf das Altamont Konzert der Rolling stones angespielt, bei welchem, während die Stones auf der Bühne "sympathy with the devil" spielten, ein Zuschauer von einem Hell's Angel ermordet wurde?
Bei der Pythagoras-Zeile muss ich ehrlich gesagt mit einem Deutungsversuch passen.
Mitten im Schrecken der Apokalypse kommt es zu einem völligen Wandel der Szenerie. Wir sind wieder ganz am Anfang bei den beiden Liebenden und ihrer Liebe zueinander. War alles nur ein Traum, oder hat diese Liebe all diese schrecklichen Zeiten überstanden? Jedenfalls finde ich es spannend, dass zwischen der apokalyptischen Schlacht und der Vision der Wiederkunft Christi, dieser kleine, intime Moment zweier Liebender zwischengeschaltet ist.
As Sure As Eggs Is Eggs (Aching Men's Feet)
Die Liebenden erleben eine Verwandlung. Ihre Seelen fangen Feuer und leuchten in der Nacht. Sie werden Teil des grossen Ganzen, des mystischen Flusses, der sich ins Meer ergiesst. Hier werden Bilder verwendet, die eher aus dem Vokabular östlicher Spiritualität stammen könnten. Zu Ihnen gesellen sich aber zugleich biblische Bilder ("Das Mahl des Lammes", "das neue Jerusalem"). Träumt Gabriel hier von einen Zusammenfluss aller Religionen am Ende der Zeit? Oder hat das Ganze einen doppelten Boden? Denn die Melodie, welche nun erklingt, ist die gleiche, welche im zweiten Teil den "Eternal Sanctuary Man" untermalt hat. Beginnt alles wieder von vorne oder hat die Geschichte tatsächlich ein glückliches Ende gefunden? Sind wir nun im Himmel, oder doch wieder nur in den Fängen eines spirituellen Rattenfängers, der uns mit weissem Glitzerdress und einer ultravioletten Leuchstoffröhre betört?
Die Antwort muss hier vielleicht jeder selber geben. Ich glaube kaum, dass Mr. Gabriel dieses Rätsel für uns lösen wird. Obwohl ich sehr gerne mal mit Peter bei einer guten Flasche Bordeaux über diesen song philosophieren würde. Also, Peter, wenn Du das liest, Du bist herzlich zu einer Flasche Rotwein bei mir eingeladen
So und nun dürft ihr meinen Deutungsversuch in der Luft zerreissen...