SdW [29.11.-05.12.10]: GENESIS - Duke's Travels / Duke's End

  • An den „Schwanengesang“-Gedanken schließe ich mich an – ich habe auch schon öfter gedacht bzw. diese beiden Stücke emotional so erlebt, als ob hier eine Genesis-Ära mit Glanz und Gloria, aber unwiderruflich verabschiedet würde.


    Was mich jetzt beim Hören wieder unwahrscheinlich reizt, ist der musikalische Reichtum, der sich da offenbart und sich auf verschiedensten Ebenen genießen lässt. Insgesamt finde ich, dass dieser Reichtum einfach ganz toll mit der Vorstellung einer Reise korrespondiert – und zwar nicht im Sinne eines Kinofilms mit gegenständlichen Bildern und einer konkreten Handlung, sondern eines rasanten Fluges durch unterschiedliche Gefühlslandschaften.


    Toll finde ich die vielen harmonischen Facetten: Ohne weitere Details auszubreiten, aber hier werden in kürzester Zeit viele harmonische Räume durcheilt, ein Streifzug durch z.T. ganz entfernte Tonarten gemacht und auch Skalen verwendet, die das ewige Dur- und Moll-Einerlei einfach überbieten. Und wie die „I am the one, who guided you…“-Stelle harmonisiert ist, finde ich musikalische Extraklasse. Da ist Leben, da sind Farben, da sind Dichte und tonale Dynamik, eigenständiger Ausdruck und Kreativität.


    Oder rhythmisch: Die ganzen „Travels“ über findet eine Auseinandersetzung zwischen ternärer und binärer Spielweise statt. Geht’s nach dem Intro zunächst grundsätzlich ternär los, kommt dann dieser grandiose Wechsel bei 4:43 in die aufgeregtere, zackigere binäre Rhythmik. Aber auch hier kann’s der so großartig aufspielende Collins nicht lassen: Bei 5:12, 5:14 und 5:16 torpediert er das schon gesteigerte Energielevel mit triolischen Salven, dass ich hier schon komplett ausrasten könnte vor Extase.


    Tonys Solo besteht aus bewegten Läufen und ruhelosen Figuren ohne das ganz große melodische Gepräge: Trotzdem nehme ich seine Linien als eigenständige Strukturen wahr, die vor allem ausdrücken: Energie, weiter, vorwärts… Dass Tony hier nicht den großen hymnisch-melodischen Ausbruch spielt ist aber gut, denn der kommt ja dann noch. Zunächst lässt sich Tony von Mikes kleinem Gitarrensolo (aber mit großer Wirkung) ablösen und dann kommt der vokal-melodische Höhepunkt mit „I am the one…“. (Übrigens: In „Chapter & Verse“ sagt Tony ja irgendwo, dass er die Abfolge ‚Key-Solo – Git-Solo unwahrscheinlich wirkungsvoll findet. Ist ja z.B. auch in „Second home by the sea“ und „Fading lights“ so ähnlich.) Und wie der Vokalteil dann auch noch im Vergleich zu „Guide vocal“ verändert und zu einem neuen Höhepunkt getrieben wird, ist ganz großer Emotionssport.


    Vor „Duke’s End“ kommt ja dann noch dieses überraschende Break. Auch das ist absolut richtig platziert, denn so kann vor dem Epilog mit der Wiederaufnahme des triumphalen Album-Anfangs noch einmal Luft geholt werden – der Bombast wirkt ja hier erst durch den dynamischen Kontrast wirklich noch einmal so extrem mitreißend. Darin sind Genesis m.E. ganz groß: Sie übertreiben’s nicht mit dem Bombast, der sich ja auch sonst schnell wirkungstechnisch relativieren würde, sondern sie spüren sehr genau, wie man Spannung aufbaut, hält, Höhepunkte vorbereitet…und dann kommt ja auch irgendwann die ganz große Geste.


    „Duke’s End“ ist dann ausgelassener Epilog, ein musikalisches Schaulaufen. Das ursprünglich verquere „Turn it on again“-Riff wird per Augmentation, also der Verlängerung der Notenwerte, jetzt in einen 4er-Takt verfrachtet (witzigerweise ist ja die Vergrößerung eigentlich eine „Entschleunigung“, aber dient hier natürlich als bombastische Intensivierung), jetzt geht’s nur noch um’s Nachhausekommen, die Musik bleibt nun einfach und geradlinig und schließt mit einer strahlenden, beglückenden melodischen Wendung.


    Von mir nur 12 P.. Auch wenn es viele starke Stellen gibt, auch einige schwache. Z.B. das Intro, hier finde ich weniger den sphärischen Gitarrensound, aber das ziemlich naive Keyboard-Gedudel nervig, für Banks sicherlich keine Meisterleistung. (...)
    Beim zweiten Abschnitt geht es besser weiter - vor allem finde ich aber die Begleitung besser das Solo selbst. Dieses Riff und seine geschickten Variationen dürften auch entfernt Elemente von Man of our Times als Umkehrung aufgreifen


    Das nenn' ich doch mal ein grandioses Einstiegsposting hier, willkommen! Die Bemerkung zu dem Begleitmuster des Key-Solos finde ich total interessant, obwohl ich die Verbindung zu "Man of our times" noch nicht hören kann. Aber wie diese Begleitung so durch die harmonischen Fortschreitungen hindurch ihren Eigenwert untermauert, das mag ich sehr.
    Und zu Tonys "Gedudel" beim Intro von DT: Kann ich verstehen, dass du das so siehst. Bei mir ist es so, dass ich das Ganze als atmosphärischen Auftakt sehe, wo es eher um Farben und die harmonischen Wechsel geht, bevor dann mit dem Schlagzeugeinsatz schärfere Konturen entstehen.

  • Ich bin dabei:
    15 Punkte.




    Von mir nur 12 P.. Auch wenn es viele starke Stellen gibt, auch einige schwache. Z.B. das Intro, hier finde ich weniger den sphärischen Gitarrensound, aber das ziemlich naive Keyboard-Gedudel nervig, für Banks sicherlich keine Meisterleistung. Auch ungewöhnlich für Genesis in dieser Phase: ein Verspieler auf der Studioversion bei 1:36. Das Crossfading zum Schlagzeug des nächsten Teils ist nach eineinhalb Minuten sicherlich eine Erlösung, wenn auch kein besonders kreativer Übergang. Kein Wunder, dass der erste Part schon in der Live-Version 1980 weggelassen wurde.
    Beim zweiten Abschnitt geht es besser weiter - vor allem finde ich aber die Begleitung besser das Solo selbst. Dieses Riff und seine geschickten Variationen dürften auch entfernt Elemente von Man of our Times als Umkehrung aufgreifen (m. E. einer der stärksten Tracks des Albums). Das Solo selbst wirkt streckenweise mit seinen vielen Arpeggios und Tonleitern eher wie eine Fingerübung, auch wenn mir der Wechsel zwischen den Parts über dem Tomtom-basierten Schlagzeug und den mehr beckenlastigen drums und die anschließenden Steigerungen gefallen.
    So richtig gut gefällt mir aber erst der Doubletime-Teil ab 4:48, weil hier auch das Solo selbst melodisch und harmonisch (weil zu Beginn dieses Teils mehrstimmig) Interessantes bietet. Die Steigerung zur Reprise von Guide Vocal bekommt mächtig an Fahrt, und spätestens wenn die Gitarre das Solo übernimmt, geht die Sonne auf. Wirklich toll fand ich schon immer diese Stelle, bei der Mike merkwürdig chaotisch "outside" und rhythmisch ziemlich frei spielt (ab 6:02). Gut, dass ausgerechnet dieser Teil 2007 wieder live gespielt wurde, wenn auch mit grottigen Übergängen. Toll auch der Sechzehntel-Bass, der wie beim In the Cage-Finale dem Stück einen pulsierenden Höhepunkt verleiht.
    Alles weitere zu den weiteren Reprisen von Guide Vocal, Behind the Lines usw. wurde bereits gesagt - für sich geniale Songs und in dieser Verarbeitung als Finale des Albums sicherlich ebenso genial zusammengestellt.



    Interesanter Post, indes frage ich mich, wasfür einen Verspieler du da bei 1:36 raushörst?
    Lustig finde ich daß ich es genau umgekehrt empfand, was die Teile des Instrumentals empfand, die 2007 fürs medley benutzt wurden:
    ich fand den 6/8-teil immer sehr schön, gerade in der Live-Fassung von Archive 2.


    Überhaupt habe ich das Stück durch die Live-Fassung erst richtig wiederentdeckt-
    grandioses drum-duett..

    Here come the Cavalry!

    • Offizieller Beitrag

    Mir fehlen neben den überzeugenden Keyboards aber die genialen Gitarrenmomente eines Steve Hacketts.
    Duke ist ein gutes Album, mit Hackett oder einem anderen Gitarristen seines Kalibers hätte es ein sehr gutes werden können.

    Och ich weiß nicht - es stimmt natürlich, dass Mike es generell nicht so leicht hatte, sich mal gegen Tony durchzusetzen, aber sein Gitarrensolo direkt vor dem Einsetzen des Gesangs finde ich genial.


    Sehr gute Idee die Gesangsmelodie von "Guide Vocal" schneller ablaufen zu lassen, um danach wieder das "Originaltempo" zu spielen.

    Die Melodie läuft nicht schneller, nur der Rhythmus darunter ist doppelt so schnell (bis zum "don't understand"). Bei der Live-Version 2007 wurde die Gesangsmelodie ja von Daryls Gitarre übernommen - das war sicher schon deshalb, weil der Text ohne jeden Bezug nicht wirklich Sinn macht, aber irgendwas hat mir da gefehlt.

  • Bei der Live-Version 2007 wurde die Gesangsmelodie ja von Daryls Gitarre übernommen - das war sicher schon deshalb, weil der Text ohne jeden Bezug nicht wirklich Sinn macht, aber irgendwas hat mir da gefehlt.



    Ich glaub ja, weil phil sich nicht mehr getraut hat das zu singen, das hätte nämlich die powe gebraucht, die er irgendwie nicht mehr aufbringen will oder kann...fand ich auch schade.


    Anyway letzter wirklich proggig genialer moment,


    15 dinger, keine frage

  • Als ich endlich meine Karten für The Lyceum am 2. Mai 1980 bekam, nachdem ich die ganze Nacht Schlange stehen musste, wusste ich nicht, dass dieses Konzert mir einen Abschied von dem alten Bombast bieten würde. Ich habe Genesis 1973 in The Rainbow, Finsbury Park zum 1. Mal gesehen und sie waren ein unverzichtbarer Teil meiner Jugend. Album – Tour, Album - Tour. Wenn du 15 bist und sie zum 4. Mal gesehen hast, verlässt du dich darauf, dass es immer so bleiben wird. Als Peter ging, stand mein herz Monatelang scheinbar still- Ich weinte beim zuhören von The Musical Box, das leben war vorbei. Aber TOTT hat mich wieder belebt. Ich war bei Steve’s Abgang zuversichtlich, ich hatte es schon erlebt, die Band war ein fester Bestandteil meines Lebens und trotze alle jämmerlichen Kritiker, die nur allzu bereit waren eine Todesannonce auf Seite 1 von Melody Maker, Sounds und NME zu setzen. Als es 1979 kein Album und auch keine Tour gab, verstand ich die Welt nicht mehr. Phil hat 78 auf der Bühne in Knebworth nach der Zugabe (I Know What I Like, 12 Minuten lang) gestanden und gesagt „See you next year“ Same Procedure as every Year? Scheinbar nicht. Aber 1980 fing soooo gut an – Wieder auf Tour und wieder in den etwas kleineren Hallen. Intimität, die seit 1976 verloren schien. Über 1 Mio leute wollten Karten in Großbritannien alleine aber dank Geoff und The UK Genesis Fan Club waren die Karten für Mitglieder gewiss. Hammersmith, Tony’s Geburtstag „Music from our new album, Duke“. Außer TIOA kannten wir kein Lied aber es war egal, die Reprise war sofort zu erkennen und die Leidenschaft des Gesangs versprach so viel für die Zukunft. Bis zum Lyceum im Mai waren alle Lieder der Suite alte Bekannte geworden und der Abschluss wahrlich orgasmisch. Hätte ich gewusst..... dass ich Phil nie wieder so ein inniger Teil der Gruppe sehen würde, hätte ich die 150 Minuten auf mein geistiges Auge tief eingekratzt. Die BBC Aufnahmen von diesem Konzert berühren mich noch heute zutiefst, denn danach wurde Phil wirklich sein eigener Herr..... wie es sein musste, denn nichts bleibt wie es war. Ich war und bleibe soooo dankbar für die Leidenschaft des Gesangs, die Zusammengehörigkeit, der EINHEIT der Gruppe bei diesem Finale der Duke Suite.
    Ich spiele Duke nicht so oft wie ich sollte. Ein paar von Tony’s Solo-Kompositionen sprechen mich nicht so sehr an. Aber wenn..... wenn ich die Scheibe reinlege. Dann kommt nach wie vor GANSEHAUT wie nur selten. Danke, Genesis, das ihr mir soviele Augenblicke dieser Schönheit gegeben habt. Diese war die letzte, die ich zum ersten mal erlebte und dafür wird dieses Lied mir immer etwas ganz besonders sein.

  • Grandioses Instrumentalteil der Drei, Schlagzeugpower wie sonst nur Live (mit Doppelschlagzeug), wunderbarer Spannungsaufbau mit einem Ende, das keine Fragen mehr offen lässt. Eigentlich ist in diesem Stück alles drin, was mich zum Fan werden ließ. Als letztes seiner Art sehe ich allerdings nicht. Second home.. und Fading lights sind doch eigentlich ähnlich angelegt.

  • Grandioses Instrumentalteil der Drei, Schlagzeugpower wie sonst nur Live (mit Doppelschlagzeug), wunderbarer Spannungsaufbau mit einem Ende, das keine Fragen mehr offen lässt. Eigentlich ist in diesem Stück alles drin, was mich zum Fan werden ließ. Als letztes seiner Art sehe ich allerdings nicht. Second home.. und Fading lights sind doch eigentlich ähnlich angelegt.


    sorry, kann nicht zustimmen...... wie die Gruppe so tight bei "Duke" spielt, kommen die nicht annähernd dran bei 2nd Home und Fading Lights. Beide dieser Liede wandern von a bis B und da sind keine Überraschungen und kaum Accord- oder Tempowechseln. Auf Englisch sagen wir sie sind "plodding". Beide haben ihre Stärken, besonders Mike's Gitarre und Phils Drum bei den Live Versionen - abder Duke's Travels und -End wandern von a bis b über x,y,z und andere Buchstaben die ich nicht kenne. Alles, was nach Duke kam war etwas vorhersehbar, die stücke wurden nicht so viel geprobt - und aus dem vielen proben kamen die Überraschungen. Es war eine bewusste Entwicklung seitens der Gruppe, die wollten spontaner sein - und es gibt viel daran was liebenswert war. Aber es war nie wieder so wie es einmal gewesen war!

  • Zu Duke-Zeiten war es für mich nicht so ein Oberhammer, aber ich mochte das Aufgreifen der anderen Songs, wie auch bei Los Endos. Die Live-Version von 2007 war vielleicht nicht so populär für die hit-heischenden Hörer, aber ich habe es mir lieber angehört als die Originalversion. Und das ist sehr selten bei mir.


    12 Punkte

    Gedankenrauschen – Da geht noch was!

  • Zu Duke-Zeiten war es für mich nicht so ein Oberhammer, aber ich mochte das Aufgreifen der anderen Songs, wie auch bei Los Endos. Die Live-Version von 2007 war vielleicht nicht so populär für die hit-heischenden Hörer, aber ich habe es mir lieber angehört als die Originalversion. Und das ist sehr selten bei mir.


    12 Punkte


    hast aber Recht, diese Version war perfekt - alles, was die je mit dem track gut gemacht haben, war drin!