Tag zusammen. Folgendes stammt aus der HEUTIGEN Ausgabe der SZ
Schwarze Augen
Ein Fest für die Nackenhaare: Der Gitarrist Steve Hackett in London
Die Frage, ob Steve Hackett ein cooler Hund ist, hat sich der Künstler selbst schon lange nicht mehr gestellt.
Man hatte es womöglich nicht leicht im Leben, wenn man so ist wie er, und nun hat man es etwas leichter. Denn es ist zwar so, dass niemand je ernsthaft bestritten hätte, dass Steve Hackett zu den paar ganz, ganz großen Gitarristen der, nun ja, Popszene zu zählen ist. Aber mehr als 30 Jahre lang wurde eben auch gemault, dieser Künstler sei vielleicht sogar zu gut und doch immer recht verkopft. Leichter haben es Leute wie Hackett heutzutage, weil eh allen egal ist, wer gerade was macht, und sich keine Sau mehr dafür interessiert, welcher Popjournalist gerade mal wieder welches Zeitalter ausruft. Leichter hat Hackett es auch, weil heute, mehr als 20 Jahre nachdem Punk an seiner eigenen Dummheit verreckt ist, Bands wie Radiohead zugeben, dass sie das Gewummer im Frühwerk von Genesis oder Pink Floyd verehren und sich dafür nicht schämen. Dafür wären sie vor 10 Jahren noch erschossen worden, aber tempi wie gesagt passati, und solange sie sich nicht Übelrocker wie Yes zum Vorbild nehmen, ist ja alles auch noch soweit in Ordnung.
Steve Hackett verließ die einst viktorianisch-schwarzhumorige Band Genesis 1977. Erst danach begann unter der nun endgültigen Regie des Fexes Phil Collins bei der Band das, was Hacketts Fans – also die Puristen der reinen Progrock-Lehre (1 Prozent Elvis, 9 Prozent Poe, 45 Prozent Bach, 45 Prozent Rachmaninow) – die „schlimme Zeit“ nennen: globaler Irrsinns-Erfolg mit einer Popmusik, die die einen als „entrümpelt“ und die anderen als „entsetzlich“ bezeichneten.
Die Frage, ob er ein cooler Hund ist, stellt sich Steve Hackett nach eigenem Bekunden erstmals wieder in diesen Tagen, konkret an einem sonnigen Londoner Herbstnachmittag im Umkleideraum der Queen Elizabeth Hall. Die Halle an der Themse ist seit geraumer Zeit ausverkauft, ein für Hackett in den letzten 26 Jahren nicht grundsätzlich selbstverständlicher Zustand. „Wissen Sie“, sagt er, „jahrzehntelang habe ich mir sagen lassen müssen, ich hätte meinen Stil nicht kultiviert und mich verzettelt, ich sei zu verkopft. Jetzt lese und höre ich überall, dass die Stilvielfalt und das intellektuelle Niveau meiner Kompositionen eben genau das Überragende an mir seien. Ich bin froh, dass ich früher nicht viel auf Kritiken gegeben habe, also gebe ich immer noch nichts drauf. Es läuft halt gut im Moment, und das freut mich.“
Steve Hackett ist jetzt 53 Jahre alt und hat ein wenig gewartet, bis die Mode wieder bei ihm vorbeikam. In der Zwischenzeit hat er, wie er es schon als junger Mann tat, Satie gehört und Bach und Jazz und Blues, und, wie es sich für einen introvertierten Geist gehört: Gedichte gelesen. Außerdem hat er eine Platte nach der anderen aufgenommen, in recht bescheidenen Stückzahlen. Wie so einer einst auf Welttourneen den vermutlich schon beim Frühstück gut gelaunten Phil Collins verkraften konnte, man weiß es nicht und ahnt aber, wieso schon 1977 eben nicht mehr.
Steve Hackett ist ein schmächtiger, freundlicher und schüchterner Mann, dessen irgendwie bibliophil wirkende Augen lange einen Punkt auf dem Teppichboden fixieren, während er redet. Unterbricht man ihn mit einer Zwischenfrage, erschrickt er ein wenig und entschuldigt sich dann dafür. Nicht, dass man daraus eine allgemeine Verhaltensregel ableiten sollte, aber nur nebenbei: Solche Leute tun in einer Zeit, in der fast nurmehr die lautesten Bauern die dicksten Kartoffeln haben, auch mal ganz gut.
Ein bisschen Schwermetall
Auf der Bühne sieht er einige Stunden später aus wie ein freundlicher Polizist aus Florida im Jahre 1984, ein bisschen wie in einer Gastrolle bei „Miami Vice“. Ganz in Schwarz, mit einer Sonnenbrille, die er am Ende kurz abnimmt, so dass alle seine rührend vergeistigten Augen sehen können, während er sich zum zigsten Male etwas linkisch verneigt, weil der Schlussapplaus der sonst so applausarmen Londoner nicht von Pappe ist. Dem voraus ging ein zweistündiges Konzert Hacketts und seiner vier sehr versierten Musiker, ein Konzert, das einerseits ein Seminar in angewandter Gitarrenkunde war, andererseits aber wurde dieses Seminar mit großer Lässigkeit und Lust abgehalten, und anrührende Momente gab es auch, hierzu später mehr.
Hackett, dessen aktuelles Album „To Watch The Storms“ daherkommt wie eine große Zirkusaufführung der Weltmusikgeschichte, zelebriert auf der schlichten Bühne gewissermaßen bits and pieces, es sind Bilder aus seiner eigenen Werkschau – und 35 Jahre Gitarrenspiel lassen sich bei einem wie ihm eben nicht über den einen schon erwähnten Kamm scheren. So ist es einerseits atonal, ein Schönberg-Konzert, andererseits eine Bachmesse, einerseits ein Thomas-Dolby-artiger Pop-Abend, andererseits der reine Blues. Als Gastmusiker an diesem Abend hätten sich ferner nicht gelangweilt: auf jeden Fall Miles Davis, den man mitunter regelrecht vermisste, nicht einmal der Zyniker Frank Zappa, der nur brillanten Musikern und schönen Frauen alles verziehen hat. Ebenso nicht gelangweilt hätten sich natürlich King Crimson, die man sogar, schloss man mal die Augen, zu hören meinte, auch nicht aber Brian Wilson, dessen kalifornische Melancholie in naiven Gemälden wie Hacketts schlicht-schönem „Serpentine Song“ aufschien. Es waren auch knappe Elemente einer Leistungsschau enthalten, wenn Hackett mit elektrischem wie akustischem Instrument und seinen Effekt-Pedalen andeutete, was noch alles drin wäre, wenn er nur wollte, aber er wollte nicht mehr, denn wer es jetzt noch nicht begriffen hat . . . Fazit: Nicht nur die Wirklichkeit ist zu Steve Hackett gekommen, sondern Steve Hackett auch zur Wirklichkeit.
So. Und dann waren da noch die Momente, die man so sonst nicht mehr zu hören bekommt, und über die auch die Herren von Radiohead recht glücklich gewesen wären. Hackett richtet auf seiner Tour auch einen Reigen früher Genesis-Songs mit mal weniger, mal mehr Schwermetall an. „Firth Of Fifth“ beginnt als zurückgelehnter Bluesrock und schwingt sich dann auf, „Los Endos“ rasselt daher wie ein ganzer Sambabetrieb, und bei „Watcher Of The Skies“ und „Hairless Heart“ will man vor Rührung in die Rückenlehne des Vordermanns beißen! Womöglich ist es ja nur Hackett vorbehalten, mit seiner Gitarre mehrere Sonnen auf- und gleichzeitig so malerisch und nackenhaareaufstellend untergehen zu lassen. Alleine nach den letzten 30 Sekunden von „Watcher Of The Skies“, als Hackett in das Finale seine für die Ewigkeit designten Töne schickte, fand man, dass sich die natürlich beschwerliche Reise nach London gelohnt hat.
Die Frage, ob Steve Hackett ein cooler Hund ist, beantworten also wir anstelle des in diesen Fragen zu schüchternen Künstlers: Steve Hackett ist ein cooler Hund.
ALEXANDER GORKOW
Steve Hackett auf Deutschlandtour (Auswahl): 5.11. Hamburg, 6.11. Köln, 9.11. Stuttgart, 10.11. Mannheim.