• Interessant, wie die Meinungen auseinandergehen. Ich bin mit den niedrigsten Erwartungen seit meines Springsteen-Fan-Daseins (22 Jahre) an das neue Album herangegangen und bin froh, dass es so war. Das Ganze hat - wie Rob Plant schon schrieb - meines Erachtens viel mehr von "18 Tracks" als von einem normalen Album.


    Irgendwie wirkt das Ganze etwas zusammengestückelt, wenn man die vielen alten Songs ohnehin schon gut kennt. Man kann sich die Scheibe natürlich trotzdem gut am Stück anhören, keine Frage.
    Mich als eingefleischtem Fan nervt an dem Album, dass mit "High Hopes", "American Skin" und v.a. "The Ghost Of Tom Joad" (das ja sogar auf einem ganz "normalen" Studioalbum den Titeltrack darstellte) bereits drei bereits offiziell veröffentlichte Stücke vertreten sind, deren Ursprungsversionen mir übrigens wesentlich besser gefallen. Ja, auch ich gehöre zu denen, die mit Morello wenig bis gar nichts anfangen können. Ich bin gewiss kein Kostverächter, was härtere Gitarrenstücke angehen, aber zu "Tom Joad" passt der Krach m.E. nicht wirklich. Springsteens Soli strahlen in meinen Ohren viel mehr Ausdruck und Atmosphäre aus, auch oder gerade wenn sie "unsauberer" sind als die von Morello.


    "Dream Baby Dream" habe ich auf der "Devils & Dust"-Tour 2005 geliebt, aber da lebte es von seiner Dramaturgie und den von Strophe zu Strophe passionierter, atemloser gesungenen Vocals. Jetzt ist daraus eine gesäuselte, zuckersüße Wohlfühlnummer geworden. "The Wall" war Insidern auch schon bekannt, aber hier gelingt es ihm, sie mindestens genauso intensiv darzubieten wie in den Live-Versionen - außerdem war der Song bislang noch nie offiziell veröffentlicht worden und hat m.E. daher eine absolute Daseinsberechtigung, nun auf einem richtigen "Album" veröffentlicht zu werden (wie seinerzeit schon z.B. "Point Blank" 1980 oder in den späteren Jahren "My City Of Ruins" auf der "The Rising", "The Hitter" auf "Devils & Dust" oder auch "Long Walk Home" auf "Magic"). Aber das sind Dinge, die natürlich dem ein oder anderen vollkommen egal sind, was ich ja auch nachvollziehen kann in Zeiten von MP3 und der verstärkt aufkommenden Neigung - ich mache da keine Ausnahme - Alben im Ganzen immer weniger zu hören.


    Zu den auch mir bis vorgestern unbekannten Stücken: "Harry´s Place" tönt in der Tat wie ein relativ unbedeutender "Rising"-Outtake (wobei er statt "Let´s Be Friends" gerne auf diesem an sich m.E. hervorragenden Album hätte veröffentlicht werden können) und "This Is Your Sword" ist die Sorte von irisch beeinflusstem Songmaterial, das ich aufgrund des Schunkelpotentials nicht so mag (wobei ich an sich die immer öfter auftauchenden irischen oder auch keltischen Einflüsse in Springsteens Songmaterial durchaus schätze).


    "Heaven´s Wall" ist natürlich sehr eingängig und hat Ohrwurmpotential, allerdings bin ich mir noch nicht so sicher, ob das in diesem Fall positiv zu verstehen ist... "Hunter Of Invisible Game" ist eine unauffällige Nummer, an die ich mich glaub ich ganz gut gewöhnen kann. "Just Like Fire Would" ist zwar wie auch "Dream Baby Dream" eine Coverversion (was ich auch etwas gewöhnungsbedürftig finde bei einem fleißigen Songwriter wie Springsteen, der gewiss auch andere Möglichkeiten hätte finden können, solche auf Vinyl/ CD zu pressen, siehe die Live-Scheiben, "Tracks" oder auch die "Seeger Sessions"), aber macht durchaus Spaß. Gleiches gilt in noch verstärktem Maße für das Springsteen-typische "Frankie Fell In Love" (laut einschlägigen Quellen neben "Hunter Of Invisible Game" ja das einzige wirklich neu für dieses Album geschriebene Lied).


    Ja, und dann ist da noch "Down In The Hole" - kurz gesagt: Ich liebe es. Das ist der Springsteen, wie ich ihn immer wieder hören möchte, so dass mit diesem Song und "The Wall" zum Glück doch noch zwei Stücke vertreten sind, durch die sich die Veröffentlichung dieses Albums auch für mich gelohnt hat.


    Insgesamt ist diese CD aus meiner Sicht neben "Working On A Dream" (das meiner Ansicht nach mit "The Last Carnival" und dem damaligen Bonuslied "The Wrestler" auch nur zwei wirkliche Kracher besaß) das bisher schwächste Springsteen-Studiowerk. Mit "Wrecking Ball" kam ich hingegen vor zwei Jahre schon beim ersten Hören hervorragend klar. Naja, alles Geschmackssache halt. ABER: Besser so, als jedesmal 10 Jahre oder so warten zu müssen, um überhaupt mal wieder eine neue, offizielle Studio-CD in den Händen halten zu dürfen. Nicht wahr, Mr. Gabriel...?! ;)

    3 Mal editiert, zuletzt von Jan ()

  • Bruce Springsteen wird allgemein total überschätzt! Darkness war genial, aber was der Mann nach Tunnel Of Love abgeliefert hat, war zum größten Teil aufgeblasen, aber unwichtig! Nach einem Durchlauf von High Hopes habe ich die Scheibe meinem Bruder geschenkt. Der wird sie höchstwahrscheinlich auf Ebay verkloppen.

    • Offizieller Beitrag

    Bruce Springsteen wird allgemein total überschätzt!

    :topp:
    Da kann ich dann mal nur zustimmen - allerdings finde ich das schon seit über 30 Jahren. Seit sein größter Fan Peter Rüchel mit dem Jammern anfing, dass der "Boss" nicht in seinem Rockpalast auftreten wollte ("zum Trost spielen wir jetzt nochmal den einzigen Clip, an dem wir die Rechte bekommen konnten: Rosalita"). Gähn, wo ist das Klo?
    Springsteen macht allerbräsigste, extrem konventionelle US-Klischee-Rockmusik mit allem was dazugehört, Saxofonsoli, Telecaster, Mundharmonika, Männerschweiß etc.
    Dazu die verquasten und ellenlangen Texte (warum muss er immer ganze Romanhandlungen in einen Song packen?) die er grundsätzlich mit geschlossenem Mund singen muss, dass sie auch ja niemand versteht!
    Gerade seine vielgelobten Klassiker waren zumeist hoffnungslos überproduziert - der an sich wirklich gute Song Born To Run ist das beste Beispiel dafür, wie man einen Rocksong nicht arrangieren sollte. Alle Instrumente spielen gleichzeitig und gleichlaut so dass die Ohren nur so bimmeln.
    Für mich steht er mit Bob Dylan auf einer Stufe - nein, den Kollegen mag ich auch nicht! ;)


    Aber ich werde in das neue Album auch mal reinhören, vielleicht schafft er es ja zum ersten Mal, mich zu überraschen (glaube ich jedoch nicht)...

  • Ich finde Springsteen toll! Ich mag seine Stimme, seine unglaubliche Energie, mit der er live performt. Von seinen Alben habe ich kein einziges, brauch ich auch nicht (irgendwo fliegt wohl ne alte Best Of rum). Mir reicht es, wenn ich ca. einmal im Jahr für ungefähr 20 Minuten bei 3Sat z.B. ein ein Konzert von ihm reinzappe. Ich kennen dann meist nichts davon, aber egal. Für 20 Minuten fühle ich mich von "The Boss" und seiner Band bestens unterhalten.

    “THE NIGHT WE TRACKED DOWN PHIL COLLINS, BECAME BEST FRIENDS WITH HIM, AND TALKED HIM INTO REUNITING WITH PETER GABRIEL, AND THEN WE GOT TO SING BACKUP ON THE NEW GENESIS ALBUM AND IT WAS AWESOME!”

    — Barney Stinson, How I Met Your Mother, Season 7, Episode 21 ‘Now We’re Even’

  • Bruce Springsteen wird allgemein total überschätzt!


    Nana, meine Herren, jetzt mal nicht übertreiben. Mögen vielleicht viele seiner Produktionen nicht dem geneigten Audiophilen zusagen, ist seine kompositorische Qualität unbestritten. Es gibt wenige Singer/Songwriter, die nach so vielen Jahrzehnten noch so eine Qualität besitzen. Sein Enthusiasmus auf der Bühne ist echt, seine Songs sind aus dem Leben, seine Konzerte ein emotionaler Ritt (für alle Beteiligten). Er spielt alleine auf der Gitarre oder dem Piano - und ich kann ihm stundenlang zuhören. Letztendlich kommt man bei Springsteen irgendwann an einen Punkt, an dem sich die Begeisterung für ihn nicht mehr erklären lässt. Wenn du damit "überschätzt" meinst, bin ich einverstanden ;)

  • . Letztendlich kommt man bei Springsteen irgendwann an einen Punkt, an dem sich die Begeisterung für ihn nicht mehr erklären lässt.


    Sehr schöner Satz! Kann ich genau so unterschreiben:topp:


    ...BTW, bin gerade ''Hunter of invisible game'' am hören, wirklich sehr sehr schönes Lied. ''Frankie fell in love'' und ''This is your sword'' sind ja schrecklich produziert. Viel zu laut, ein einziger Soundbrei.:-(
    Erinnert etwas an Magic, da ging auch alles aufgrund der Lautstärke flöten:mad:

    Einmal editiert, zuletzt von Rob Plant ()

  • Bruce Springsteen wird allgemein total überschätzt!


    Na ja, es soll ja auch Leute geben die Genesis für absolut verquirlte Kopfkacke halten. Und? Ist es das auch für die meisten Leute hier? Oder finden alle Abacab, IT oder WcD im Ganzen sooo toll? Seht ihr, ist alles relativ.


    Bevor das mobben lossgeht :): Ich selbst bin auch riesiger Genesis Fan seit langer Zeit. :topp:


    Was nun Springsteen angeht: Ich habe ihn schon immer gerne gehört, allerdings nie CD`s von ihm gekauft. Als er 2012 im Frankfurter Waldstadion spielte dachte ich mir : gehste mal hin bevor es zu spät ist ;). Was soll ich sagen : Das war kein Konzert, das war eine 3,5 stündige Rockmesse !!!!! Soviel Power, Lebensfreude und Spontanität auf der Bühne habe ich noch nie erlebt. Und ich habe einige Konzerte in meinem Leben besucht, darunter auch die sogenannten "ganz Großen". Und warum die E-Street Band zurecht die beste Band der Welt genannt wird weiß ich jetzt auch. Hammer....


    Seitdem habe ich mich auch mit dem Backkatalog beschäftigt. Und da sind sehr schöne Sache dabei!!


    Ob er nun ein musikalisches Genie ist oder nicht ist mir selbst egal. Mich berührt seine Musik emotional und genau das sollte Musik auch tun! Und ich glaube er hat den Status den er hat nicht umsonst. Auch der ist hart erarbeitet!


    Achso, die neue Platte finde ich auch gut, es gibt 2-3 Perlen und 1-2 Songs die ich nicht bräuchte. Der Rest ist ebenfalls sehr gut.


    Just my 2 cents....


    Gruß
    Didi

    • Offizieller Beitrag

    Na ja, es soll ja auch Leute geben die Genesis für absolut verquirlte Kopfkacke halten.

    Wie? Ist es das etwa nicht? :D
    Spaß beiseite, ich habe mir das neue Springsteen-Album gestern abend und heute morgen angehört - und als jemand, der Bruce nie als seinen Boss, Genie oder Messias, sondern eher für einen schwer überschätzten US-Musiker gehalten hat, komme ich nicht umhin zu befinden, dass das doch ein recht humorfreies Unterfangen war.


    Ich versuche mich mal an einer Einzelkritik:


    High Hopes ist trotz seiner Percussionloops am Anfang ein, soweit ich das mangels Backkatalogkenntnisse sagen kann, offenbar recht typischer Springsteen. Keine Ahnung, worum es im Text geht, aber "Hopes", "Soul" und "Peace" und der Gospeldamenchor lassen auf religiösen Kontext schließen. Möglicherweise ist das ironisch gemeint - "don't you know these days you pray for everything" ist sicherlich eine für US-Amerikaner nachvollziehbare Textzeile. Leider ist der Song sehr repetitiv. Das Hauptriff hat man schon dutzendfach woanders gehört und insgesamt gibt es dann doch zuwenig Abwechslung, was auch daran liegen könnte, dass der Song nur zwei Akkorde hat. Bläser tröten, Frauen singen, Gitarren solieren, eine Snaredrum im Dauerstress - nicht mein Fall, danke.


    Harry's Place fängt spannend an, mit einem pulsierenden Basssynthie. Warum die Titelzeile durch ein Megaphon gesungen wird, erschließt sich mir nicht. Immerhin sind die Vocals insgesamt gut aufgenommen, oder er nuschelt absichtlich weniger. Leider wird bei 1:30 zum ersten Mal Krach gemacht in Form von E-Gitarren, die einfach nur schräge Töne und Lautstärke produzieren. Ab Minute 3 wirds dann ganz schlimm, zum Glück wird ausgeblendet. Größtes Problem neben dem Krach auch hier wieder nur zwei Akkorde.


    American Skin (41 Shots) hat einen recht lahmen Anfang. Nach "praying for his life" setzt wieder der Gospelchor ein - das gehört bei Springsteen offenbar fest zusammen. Die Drums setzen erstmals bei Minute 2 ein, natürlich erstmal mit Rimshots, man will sich ja noch steigern. Erst bei 3:20 geht's dann richtig ab - naja, nicht so richtig, aber jetzt darf der Drummer richtig draufhauen und es gibt ein erstes Dudelgitarrensolo. Springsteens Gesang erinnert mich in seinem triefenden Pathos unvermittelt an Tom Smith, den Sänger der Birminghamer Indie-Band EDITORS (aber wahrscheinlich ist es andersrum). - Worum es hier geht, kann ich nur vermuten, aber die Message bekommt man ja hier mit dem Holzhammer: Wahrscheinlich wurde irgendein Amerikaner, um den es schade gewesen ist von 41 Kugeln durchsiebt. Jaja, die US-Waffengesetze, schlimm schlimm... Bei spätestens 5:30 wünscht man sich dann das Ende herbei, aber der Saxofonist hatte ja noch nichts zu tun und der Gitarrist muss auch nochmal. Also weitere zwei Minuten, uff. Die Akkordfolge hatte man vorher schon tausendmal gehört und hier muss man eben durch. Wahrscheinlich ein Springsteen-Klassiker.


    Just Like Fire Would kommt mit einem gefälligen Country-Riff und dann werden die üblichen Springsteen-Klischees verbraten: Motel room, last cigarette, 500 miles, sweat falls on the ground... gähn! Der Song ist in seiner musikalischen Struktur komplett vorhersehbar, jeder Akkordwechsel das genaue Gegenteil von Überraschung. Immerhin gibt es eine lustige Trompete im Mittelteil, aber nach 2:30 wird das Verlangen nach der Skiptaste fast übermächtig.


    Der Anfang von Down In The Hole soll wohl eine Mischung aus Country, Gospel und Industrial sein. Abgesehen vom "Uuuhuuhuu" der Hintergrunddamen ganz interessant. Wieder Megafon-Gesang, schon wieder brennt im Text ein Feuer (hatten wir das nicht eben erst?). Dann setzen die Drums ein - es sind dieselben wie bei seinem alten Hit I'm on fire (den sogar ich kenne). Da setzt bei mir spontan ein Fremdschäm-Reflex ein.


    Heaven's Wall muss angesichts des Titels natürlich mit Gospelchor kommen; ein anderes Stilmittel steht ihm bei diesem Themenkomplex offenbar nicht zur Verfügung. In der Mitte duellieren sich zwei Gitarren und weil er das offenbar so toll fand, wiederholt sich das am Ende nochmal.

    ...das war eine 3,5 stündige Rockmesse

    Gibt es hier auf 3:50 verdichtet. Nein danke.


    Frankie Fell In Love scheint ebenfalls nach der üblichen Springsteen-Blaupause gestrickt. Den Text verstehe ich nur rudimentär, aber "Shakespeare" und "Poetry" sind deutlich zu vernehmen. Wenigstens hat der Song einen interessanten Mittelteil und ist mit 2:48 auch angemessen kurz.


    This Is Your Sword beginnt mit Fiddle, Tin Whistle und Banjo, die jedoch nach 30 Sekunden vom üblichen Springsteen-Power-Rock ersetzt werden. Völlig misslungen auch hier wieder die Damenchöre und auch Springsteen selbst verfällt hier wieder in sein übliches unverständliches Geknödel.


    Hunter of Invisible Game scheint ein Tribute an Bob Dylan zu sein, ein netter akustischer Walzer, dem man eine Weile durchaus gern zuhören mag. Vielleicht nicht über 4:42, aber egal. Will auch mal was loben.


    The Ghost Of Tom Joad - hieß so nicht schon mal ein ganzes Album von ihm? Egal, scheint noch so ein Klischee-Klassiker zu sein, ich verstehe "campfire under the bridge" und "sleeping in the car", alles klar. Und dann gibts auch bald schon die lärmenden High-Pitch-Gitarrensoli, die nach einer kurzen Zäsur nochmal umso heftiger zurückkommen, dann noch mit einem Solo-Synthie als Unterstützung und ab Minute 6 gehen dem Gitarristen endgültig alle Gäule durch. Unerträglicher Krach.


    The Wall lässt es dann wieder ruhig angehen. Netter Kontrapunkt zum vorhergehenden Gewitter, aber für sich allein leider total langweilig, da ändert auch die nette Trompete am Schluss nichts daran.


    Bei Dream Baby Dream passiert praktisch gar nichts. Ein Akkordeon spielt drei (!) Akkorde, eine Gitarre macht im Hintergund Krach und Springsteen singt jede Zeile des dürftigen Texts mindestens dreimal. Schon nach zwei Minuten hat man den Papp dann auf und mag einfach nicht nochmal "come on baby keep on dreaming" hören. Leider ist der Song über 5 min lang. Ein Ärgernis.



    Fazit: Diese Platte schwankt beständig zwischen nervig und langweilig. Die Musik ist über weite Strecken völlig konservativ und überraschungsarm, die Texte - soweit ohne Lyricsheet beurteilbar - voll von einfältigsten US-Klischees. Wenn das ein gutes Springsteen-Album sein soll, möchte ich wirklich nicht die Schlechten hören...