Mikes instrumentale Fähigkeiten

  • Es ist zwar off-topic, aber man könnte Mike m.E. mit David Gilmour oder
    Neil Young vergleichen. Beides keine Heroen oder Virtuosen an ihren
    Instrumenten, aber die Betonung bei ihnen liegt auf jeder einzelnen
    Note, auf dem Gefühl, auf der Art, wie etwas aufgefasst und wiedergegeben
    wird. Natürlich sind Entwistle, Mc Cartney und Chris Squire Bassisten, die
    in einer ganz anderen Liga spielen. Aber auch Mike's Arbeit bei
    "Fountain Of Salmacis" oder bei "In The Cage" kann man durchaus zu
    Lehrzwecken heranziehen ... bei anderen Gelegenheiten plätschert er
    wiederum uninspiriert dahin. Rhythmisch, im Zusammenspiel mit Phil,
    entfalltet er wohl seine ganze Stärke. Und dies sagte mal Anthony Phillips, also ...

  • Ja, passt schon. (Hättest mir aber trotzdem mal die Highlights McCartneys und Entwistles nennen können...interessiert mich schon...könnte ja vielleicht mein Nicht-Verhältnis zu den Beatles und dem kaum noch vorhandenen zu den WER? mal etwas aufpäppeln...)


    Na gut! Also bei John Entwistle könntest Du beispielsweise mal das Intro von "The Real Me" anhören. So etwas gibt es bei Genesis gar nicht und es ist schon fast solistisch. Entwistle war wirklich ein verdammt guter Rockbassist und wird von vielen Bassisten für seine Bassparts sehr geschätzt. Technisch und musikalisch! Es gibt kaum einen vergleichnbaren Rockbassisten, der den Songs mit seinen Bassparts so viel Leben einhauchen konnte. Auch das kurze Solo in "My Generation" ist nicht schlecht. Es gibt eine Menge guter Bass-Parts, die er gespielt hat und die die Musik wirklich bereichern. Die Live-DVD vom Tommy-Konzert 1998 ist basstechnisch auch ziemlich beeindruckend. Generell sieht man vor allem bei den Live-Aufnahmen, was er drauf hatte. Auch "Won't Get Fooled Again" hat geniale Bassparts. The Who sind einige der wenigen Rockbands, in denen der Bass eine wirklich zentrale Rolle spielt und fast genauso viel Drive und Biss hat wie die Gitarre.


    Dass die Beatles eine der wichtigsten Bands in der Geschichte der Rock- und Pop-Musik sind, dürfte eigentlich jedem Menschen klar sein. Die Akkordverbindung in den Stücken sind zum Teil genial und die Bassparts, die McCartney dazu spielt zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie sehr intelligent sind. Er hat es totz seiner Blues- und Rock'n'Roll-Einflüsse geschafft, die Bassläufe von den typischen Grundton-Quint-Verbindungen wegzuentwickeln und die Bassläufe sind auch sehr melodisch. In einigen Stücken doppelt der Bass auch die Gesangslinien. Auch in höheren Lagen des Griffbretts. Und es gibt auch einige Stücke, die so stark vom Basslauf leben, dass sie anders kaum funktioniert hätten. "Come Together" ist so ein Beispiel. Alles nicht schwer, aber definitiv von vielen zu Unrecht unterschätzt. McCartney und die Beatles haben das "Schema X" erfunden und sind stilprägend. Sowohl basstechnisch, als auch allgemein musikalisch. Den Stellenwert der Beatles für die Rockmusik kann man gar nicht hoch genug einschätzten, ob man sie nun mag oder nicht.


    Bei Rutherford ist es für mich halt so: Es gibt Songs mit netten Ideen, aber im Vergleich zu den anderen Kollegen bei Genesis, ist das nicht sonderlich beeindruckend. Da hatten Hackett, Banks und Collins als Intrumentalisten schon mehr zu bieten. Auch, wenn die Bassparts bestimmt schon passend sind. Wenn man sich das Gesamtwerk von Mike Rutherford mal ansieht, gibt es meiner Meinung nach nur sehr wenige Stücke, die basstechnisch in irgendeiner Weise auffallen. Und die gab es dann auch wohl wahrscheinlich nur in den 70ern. Man kann sich bestimmt darüber streiten, was einen "ganz hervorragenden" Bassisten ausmacht. Ich für meinen Teil habe so viele beeindruckende Bassisten gesehen und gehört, dass Mike Rutherford für meinen Geschmack im Vergleich dazu nichts Besonderes zu bieten hat. Ob es nun Jack Bruce, John Entwistle, Tony Levin, Darryl Jones, Pino Palladino, TM Stevens, Hellmut Hattler oder auch Leute wie Marcus Miller, Jaco Pastorius oder John Patitucci sind - Wenn man all das kennt und ohne Ende gehört hat, fallen einem die Bassparts von Mike Rutherford nicht als irgendetwas Besonderes ausf. Vor allem dann nicht, wenn man wirklich alles betrachtet, was er so veröffentlicht hat und nicht nur die 70er Jahre sieht. Es ist bestimmt nicht schlecht und musikalisch bestimmt auch sinnvoll und passend. Aber es wird keinen Bassisten wirklich vom Hocker reißen, der schon ein paar Bassstunden hinter sich hat. Steck mal Mike Rutherford als Aushilfsbassist in die King Crimson-Band! Der würde sich ganz schön umgucken! ;)


    Naja, jetzt aber vielleicht wirklich besser zurück zum Thema, bevor uns hier die Diskussion dicht gemacht wird! ;)

    Einmal editiert, zuletzt von Doctone ()

  • Wow! Vielen Dank für die ausführlichen Anregungen! Deine Mühen sollen nicht vergebens gewesen sein, damit werde ich mich betsimmt beschäftigen, auch wenn diese Diskussion hier nicht weiterlaufen wird. (Das OT finde ich allerdings nun wirklich nicht schlimm hier, der Thread ist ja topic-mäßig gerade äußerst tot - wir haben hier sicherlich niemanden gestört.)

    • Offizieller Beitrag

    Auch wenn ein Thread tot sein mag, sollten man ihn nicht kapern... ;)
    Das off-topic ist aber interessant genug für einen eigenen Thread, also bitte hier weiter.


    Ich kenne einen Profi-Bassisten, der nicht müde wird, Mikes Fähigkeiten am Bass zu preisen. Ich habe auch schon oft dagesessen und "WOW" gedacht. Es ist weniger seine Virtuosität, die mag vielleicht wirklich nichts Besonderes sein. Aber was er da spielt(e), ist oft genug einfach nur genial.


    ...man könnte Mike m.E. mit David Gilmour oder
    Neil Young vergleichen. Beides keine Heroen oder Virtuosen an ihren
    Instrumenten, aber die Betonung bei ihnen liegt auf jeder einzelnen
    Note, auf dem Gefühl, auf der Art, wie etwas aufgefasst und wiedergegeben
    wird....


    Einerseits neige ich dazu, dir hier Recht zu geben, andererseits haben Young und insbesondere Gilmour einen eigenen Signature-Sound (David Gilmour braucht nur einen einzigen Ton zu spielen und jeder erkennt ihn). Das haben in der Rockgeschichte nur wenige Gitarristen geschafft. Mikes Rhythmus-Spiel und seine Riffs (Follow You Follow Me, Throwing It All Away, The Living Years) haben zwar durchaus einen Wiedererkennungswert, sind aber noch lange kein Alleinstellungsmerkmal.

  • In meinen Augen kann man als Gitarrist und als Basser (ich zähle mich zu beidem, in dieser Reihenfolge) durchaus was von Rutherford lernen, was vielen der Superfrickelvirtuosen (und ich zähle hier mal Stuermer und Banks dazu) fehlt: songdienliches Spiel ohne Egopolitur. Ein gesundes Maß an Zurückhaltung ist für gute Musik aus meiner Sicht viel wichtiger als unglaubliche Virtuosität. Hackett ist da ein Musterbeispiel - der nimmt sich zurück und gibt einigen von Banks zugekleisterten Momenten dass ein erlösendes Stück brillianter Gitarrenarbeit. Wenn Stuermer das Firth of Fifth - Solo runterleiert, fehlen ihm dafür leider Geschmack und Gefühl. Hauptsache er kann sein Griffbrett ordentlich polieren. Aber egal.


    Rutherford übertreibt es zwar mit seiner Zurückhaltung und oft fragt man sich, wozu da überhaupt einer mit ner Gitarre am Werk war, aber wenn dann doch mal was durchkommt, ist das im Rhytmusbereich oftmals ziemlich interessant und die Solos - naja, die geben dem Amateur wenigstens etwas Mut, dass man es auch damit weit bringen kann (wobei mir solche Solos mit etwas Melodie und ohne Schnörkel oft lieber sind als ewiges Rumgefiesel).
    Ich glaub ich hab meinen Faden verloren. Egal, jedenfalls wollte ich eigentlich nur sagen, dass eine Portion Rutherfordscher Zurückhaltung vielen gut täte.

  • TM:


    Zitat

    Einerseits neige ich dazu, dir hier Recht zu geben, andererseits haben Young und insbesondere Gilmour einen eigenen Signature-Sound (David Gilmour braucht nur einen einzigen Ton zu spielen und jeder erkennt ihn). Das haben in der Rockgeschichte nur wenige Gitarristen geschafft. Mikes Rhythmus-Spiel und seine Riffs (Follow You Follow Me, Throwing It All Away, The Living Years) haben zwar durchaus einen Wiedererkennungswert, sind aber noch lange kein Alleinstellungsmerkmal.

    Da hast Du natürlich recht. Das "Follow You, Follow Me"-Riff hat einen
    gewissen Rutherfordschen Wiederekennungswert, aber das war's dann
    auch schon. Man könnte noch über Chuck Berry reden, und seinem Epigonen
    Keith. Pete Townshend ist der wohl schlechteste Gitarrist - mit dem
    grüßten Wiederekennungswert (nach Keith).


    Brext: Nun ja, sicher hat Zurückhaltung etwas für sich. Nur - der gute
    Steve (ich liebe ihn, also darf ich das sagen) könnte in diesem Leben
    nie das spielen, was Daryl schafft; rein von der Schnelligkeit gesehen.
    Daryl wiederum hätte niemals das Solo von "Firth Of Fith" schreiben
    können. Man kann also nicht sagen, Steve wäre zurückhaltender
    aus musikalischer Einsicht - er ist einfach langsamer. Fakt.
    Wir wissen nicht, was er würde, wenn er (schneller) könnte.
    Obwohl Steve in den letzten 10 Jahren sehr viel schneller geworden ist.
    Jeder Melodie-Gitarrist will so schnell sein, als möglich; darum geht es
    doch erst mal - kennt man doch. Der Virtuose kann sich dann wieder
    Beschränkung leisten - wenn er es noch kann. Das ist meistens das
    Problem. Hast Du erst einmal alle vier Finger der Greifhand gelockert,
    Lagenspiel in allen Lagen geübt - können die Finger kaum noch anders,
    als die Melodie zu umspielen, auszuschmücken, hier noch was, da noch
    was - siehe John Mc Laughlin (den liebe ich auch). Vielleicht der schnellste
    von allen klassischen, großen Gitarristen ... Die Finger leben ihr Eigenleben,
    der Kopf vollzieht es nach. Richtiges Kompionieren wäre aber genau umgekehrt.
    Beziehungsweise sollte man beides können: Was im Kopf entsteht, in die
    Finger bekommen; was die Finger improvisieren, zur Komposition gestalten.

    3 Mal editiert, zuletzt von Der Teemeister ()

  • Ich möchte übrigens noch einen Bassisten erwähnen, der leider oft verkannt wird aber meines Erachtens auch sensationelle Bassparts abgeliefert hat: JOHN DEACON. Ein guter Komponist noch dazu und er hat immer songdienlich gespielt.

  • Ich möchte übrigens noch einen Bassisten erwähnen, der leider oft verkannt wird aber meines Erachtens auch sensationelle Bassparts abgeliefert hat: JOHN DEACON. Ein guter Komponist noch dazu und er hat immer songdienlich gespielt.



    Letzteres: klare Zustimmung. Ob Deacon aber so ein herausragender Bassist ist (oder war), ich weiss nicht. Sein Bass bei "Another One Bites the Dust" (natürlich auch seine Komposition) und "Under Pressure" - klasse. Und es gibt noch einige andere schöne Sachen. Aber i. d. R. war er einfach songdienlich und eher unauffällig unterwegs.

    Wenn ich an herausragende Bassisten denke dann denke ich an Nick Beggs. Der Mann hat flinke Finger.

    Allerdings bin ich auch kein Fachmann.

  • TM:
    Man kann also nicht sagen, Steve wäre zurückhaltender
    aus musikalischer Einsicht - er ist einfach langsamer. Fakt.
    Wir wissen nicht, was er würde, wenn er (schneller) könnte.


    Ich versetehe immer nicht, warum Schnelligkeit das Hauptkriterium für nen guten Gitarristen sein soll. das ist ein Punkt unter vielen, mehr nicht.
    Ich glaube nicht, dass Hackett sich zurückgehalten hat, weil er langsam spielt (was ich gar nicht so empfinde bzw. wenn dann für sehr angenehm halte). Wenn er gewollt hätte, hätte er sich sicher mehr nach vorn gespielt, er hatte aber, wie ich meine, das Gesamte im Sinn (und das ist eben seine Stärke). Sonst hätte er ja sicherlich auf seinem Soloalbum (ich kenn nur das erste genauer) mehr an der Klampfe losgelegt.


    Stuermer im Gegensatz dazu ist zwar unheimlich schnell, aber so kreativ wie ne Sichtbetonwand (hast du ja im Grunde auch geschrieben). Der ist in meinen Augen vielleicht ein grandioser Gitarrist, aber kein sonderlich guter Musiker (als Gesamtkonzept sozusagen), weil dazu mehr gehört als pures Instrumentenhandwerk.


    Ist natürlich alles auch Ansichtssache, ich finde halt bloß, dass man Schnelligkeit nicht überschätzen darf, obwohl das oft geschieht.

  • Ich habe allerdings noch nie einen Bassisten getroffen, der Mike Rutherford als großes Vorbild sehen würde.


    Laut Jim Yukich im roten Boxset ist Steve Harris von Iron Maiden großer Rutherford Fan. Allerdings ist der ja generell großer Prog-Fan und hat das auch bei Maiden z.T. eingebracht (z.B. Ancient Mariner).


    Ich kann Bassisten vielleicht nicht so gut einschätzen, und Mike ist sicher nicht so virtuos wie Myung und vielleicht auch nicht so einfallsreich wie andere Bassisten (ich finde z.B. Colin Edwin von Porcupine Tree klasse, obwohl der auch nicht sonderlich virtuos ist), aber ich muss schon widersprechen, wenn gesagt wird "wie in jeder Rockband auch". Es gibt echt haufenweise Bassisten in gar nicht mal unbekannten Bands, die echt nur 08-15 einen Ton pro Akkord auf 1 und 3 betonen. Wenn wir jetzt mal von halbwegs professionellen Bands mit Alben und Touren ausgehen, scheint mir das Niveau von Rockgitarristen (wenn man mal von Grunge und Punk absieht) im Durchschnitt doch größer als das von Rockbassisten. Insofern liegt Mike - wie auch immer man seine Fähigkeiten einschätzt - definitiv über dem Durchschnitt.


    Als Gitarrist bekommt er das, was er so spielt, normalerweise locker hin, und warum sollte er am Rand seiner Fähigkeiten spielen? Ich sehe das genauso - ich will als Gitarrist auch lieber Spaß an der Gesamtmusik haben, als mich die ganze Zeit nur auf meine Linie konzentrieren zu müssen. Andererseits scheint es mir, als ob Mike seit einiger Zeit zumindest spielerisch nur "mit dabei" ist. Andere Gitarristen übernehmen die interessanteren Teile, er selbst spielt lieber nur die grundlegendsten Teile. Seine Soli auf der 2007er Tour fand ich schlicht uninspiriert - er hätte ja auch den Bass übernehmen und sie Daryl übergeben können (vielleicht mit dem Hinwies, nicht mehr als zehn zusätzliche Noten pro Takt einzufügen), und auch bei sonstigen Liveauftritten hat er lieber als einer von drei Rhythmusgitarristen im Hintergrund geschrubbelt.


    Ich dachte ja, das wäre früher anders gewesen - gerade bei den Mechanics gibt es einige - vielleicht nicht virtuose - aber einfallsreiche und melodische Gitarrensoli, aber anscheinend haben die auch hauptsächlich Gastmusiker fabriziert (wie z.B. bei Silent Running). Im "A History"-Video stellt Mike seine Lieblingssongs mit der Begründung vor, sie hätten nur drei Akkorde. Früher hielt ich das für einen Scherz - inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher. Von dem Ideenreichtum seiner Beiträge aus den 70ern ist er jedenfalls schon lange meilenweit entfernt, und da er ja schon ewig nicht mehr allein komponiert, sind seine kompositorischen Fähigkeiten ebenfalls schwer einzuschätzen.

    FolkProg bei www.favni.de oder fauns.bandcamp.com und favni.bandcamp.com