Supper's Ready - Hui oder pfui?

  • Nee, es schnurrt sich zwar nicht so weg, muß man mehrmals lesen, aber das liegt in der Natur der Sache. Den Villa-Lobos hab' ich ja auch öfter gehört. [Hink].
    Ich habe dieses Epos noch nie derart analytisch betrachtet und gerade ein paar bemerkenswerte Anstöße bekommen.

  • gerade ein paar bemerkenswerte Anstöße bekommen.


    Sag mir bitte, wenn ich zu penetrant nachfrage, aber es interessiert mich halt: In welche Richtung geht das bei dir gerade? Kann man das vielleicht noch weiterspinnen?


    Oh: Glückwunsch! Die 500 Posts haben mir hier echt richtig Freude bereitet.

  • U.a. dies:
    [quote=townman;375526
    [Es mag vielleicht viele oder gar alle hier langweilen, aber gerade die so nachdrückliche Einführung einer stabilen Tonart hat eine kaum zu unterschätzende Auswirkung auf den Hörprozess. An der Stelle „rastet etwas ein“ und bildet eine Art Ausgangsterrain, den Heimatboden hinsichtlich des weiteren Verlauf des Stückes. Und diese Vorgehensweise, zu Beginn des Prologs (also „Lover’s leap“) eben noch nicht mit der Haupttonart ins Haus zu fallen, sondern die Einleitung in einer gewissen Offenheit auf das musikalische Hauptthema („The guaranteed eternal sanctuary man“) zuzuführen, erzeugt die notwendige Spannung, die die Entwicklung auf dieses Hauptthema zu und damit auch dessen Gewichtigkeit erst richtig befördert.]
    [/quote]


    Im Kleingedruckten verbirgt sich ja oft das spannendste. Ich habe das auch deshalb mit Interesse gelesen, weil mir - im Gegensatz zu manch anderem - an diesem Song noch nie ein Baustein zu viel war, oder zuviel Zeit verging, bis sie endlich zu Potte kommen oder die Verbindung der Teile nicht geglückt schien etc.
    Der o.g. Hinweis ist für mich eine Art musikalische Begründung für den Spannungsbogen, die ich vielleicht empfunden habe, aber nie hätte benennen können.

    [FONT=&WCF_AMPERSAND"]Berlins schönste Bibliotheken[/FONT]

    3 Mal editiert, zuletzt von littlewood () aus folgendem Grund: Danke. So fühlt sich also das Leben als Squonk an. Gleich ganz was anderes.

  • Danke danke danke , zunächst und vor allem an townman für die Hauptarbeit, aber auch an townman und Littlewood für die monatelange Nachhilfe in Sachen hör-doch-mal-genau-hin.


    Bei dieser Grundton=festgetackert-Analyse überläuft mich eine Gänsehaut und ja, jetzt hör ichs auch.


    Gibst Du preis, um welchen dicken Wälzer es sich handelt, der Dich zur Analyse antrieb?


    Was mir immer ein winziges Unbehagen bereitet: Die Bearbeitung des Farmer/Fireman-Themas, in allen reviews seit jeher und auch bei Martin vorne. Da ich in England + den Celtics meistens im landwirtschaftlichen oder ländlichen Themenkreis unterwegs war, habe ich den Text im Willow-Farm-/ Guaranteed Eternal Sanctuary- Bereich stets etwas anders empfangen als es urbanere Schreiber (Städter?? :p) tun. Aber das auszubreiten führt wohl hier zu weit (???).


    Jedenfalls Danke für Deine Idee + die musikalische Aufbereitung, gerade jetzt vor Steve Hackett.
    Ich wünsche Euch allen das unglaublichste Supper aller Zeiten!


  • Bei dieser Grundton=festgetackert-Analyse überläuft mich eine Gänsehaut und ja, jetzt hör ichs auch.


    Geteilte Freude...:huhu:



    Gibst Du preis, um welchen dicken Wälzer es sich handelt, der Dich zur Analyse antrieb?


    Bernward Halbscheffel: Progressive Rock - Die Ernste Musik der Popmusik. Leipzig 2012.



    Was mir immer ein winziges Unbehagen bereitet: Die Bearbeitung des Farmer/Fireman-Themas, in allen reviews seit jeher und auch bei Martin vorne. Da ich in England + den Celtics meistens im landwirtschaftlichen oder ländlichen Themenkreis unterwegs war, habe ich den Text im Willow-Farm-/ Guaranteed Eternal Sanctuary- Bereich stets etwas anders empfangen als es urbanere Schreiber (Städter?? :p) tun. Aber das auszubreiten führt wohl hier zu weit (???).


    Da könnte ich jetzt 'n halben hobbypsychologischen Roman zu schreiben. Mensch GitgO. Ich muss dir noch unbedingt was in den "Peters Stimme"-Thread schreiben. Und du dein Zeug hier. Liegt dir doch quasi auf der Zunge. Raus damit, ich will das wissen. Ich meine: Würdest du bitte deine Gedanken mit anderen Interessierten und mir teilen?:)

  • Townman, toll, dass Du nochmal wieder das Hauptwerk hervorgekramt hast.
    Ich habe bei Dir wie auch bei anderen ein Unverständnis zur Figur des Fireman gefunden. Zu dieser Facette kann ich vielleicht etwas Erhellendes beitragen. Allerdings wieder viele Worte für eine unwesentliche Nebensache.


    Vorab: Wie entsetzlich alt unsereiner ist, fällt mir häufig beim Lesen von Interpretationen zu Supper's Ready auf. (Es ist das Wählscheiben-Problem: Nur noch Alte erinnern sich an das Rattern am Telefon). Die Jugend, also alle unter 45, sehen heute ganz andere Bilder bei Supper's Ready als meinereiner, heute liegt der Focus praktisch nur noch auf Atombomben, einer irgendwie Counterstrikigen Apokalyse fast schon GTA I-V.


    Beim Erscheinen des Tracks war natürlich auch der Kampf zwischen Gut und Böse das Hauptthema, aber weniger Cyborgig, eher im menschlichen Bereich, realer. Der Text flashte nicht durch extreme Brutalität, sondern erzeugt zunächst Bilder unserer damaligen Kindheit: Fliegende Madenschwärme, Blumen, Frösche, Ziegelsteine, Pfade durch wogende Felder, Eier einsammeln, Schmetterlinge, Gras, Bäume, Gärten und merkwürdigen Gestalten nachts im Mondlicht, Kinderspiele mit Schießen und Feinden. Helle Stimmen mit Kinderreimen und Kinderliedern waren überall zu hören (Bei uns: Aaane , Banane, Zuckerbrot mit Sahne..:p) Kalle Blomquist und der Großmummerich. Nach dem großen Stress und dem Kampf auf den Feldern flieht man erschöpft heim zu Mom and Dad, wo es feste Regeln gibt: Türen sind geschlossen zu halten, der Fußboden hat zu glänzen, Mom wäscht und man erhält Applaus, wenn man alles richtig macht. Zuhause: überall englischer Drag-Kitsch, Winston Churchill und der Union Jack auf Plastiktüten, Tassen und überall.
    Ganz am Ende wird das übliche, vertraute Kirchenlied gesungen - Jerusalem - so wie jeden Sonntag und jeden Feiertag und zu jeder Hochzeitsfeier oder Beerdigung. Viele kleinere Sequenzen des Keyboards erinnern an ländliche Kirchenmusik.

    Diese Bilder sind das Bett, in dem die Geschichte fließt. Vom Essens-Tisch mit den beunruhigenden Mondschein-Kreuzlern im Lovers Leap führt eine plätschernde Melodie, ein kleiner Bach und wogende Graswiesen, der Wind in den Weiden, hinüber zum Teil 2. Es war ein Gefühl der Vertrautheit, der allseits bekannte ländliche Alltag, nichts musste erklärt werden.


    Aber genau hier lauert das Grauen, an unerwarteten Stellen.


    Der guaranteed eternal sanctuary man ist eine Institution in der Countryside. Bei uns sagt man "dei is watt" - der stellt was dar. Er ist der Vertrauen erweckende Schlipsträger, der Landwirtschaftsberater, der Subventionsverteiler, der Versicherungsmann, den fast jeder in seiner Verwandtschaft hat, der in allen Vereinsvorständen und Clubs zuhause ist. Zu ihm gehen die Männer mit dem Hut in der Hand, wenn sie Rat suchen. Er ist Friedensrichter, er vermittelt Landpachten, er kennt jeden Farmer und jeden Feuerwehrmann. Der Regler. Man kann ihm vertrauen, nicht wahr?
    Nur ganz unten im Bewußtsein jedes Landbewohners lauert das Misstrauen: Hält der Anzugträger, was er verspricht? Oder ist es wieder nur einer dieser Weißkragen, die nach Außen den Ehrlichen und Anständigen geben, aber heimlich ihre Schäfchen ins Trockene bringen und sonstwas treiben ?


    Farmer und Feuerwehrmann sind ebensolch schillernde Figuren. Um diese beiden herum baut sich das gesamte Landleben und die Struktur der Jahrespläne auf. (Der Begriff Harvest steht auf dem Land nicht nur für den Erntevorgang an sich, sondern für den gesamten Prozess der Fruchtgewinnung, in den das ganze Dorf vom März bis November einbezogen ist.) Man braucht sie, sie sind von zentraler Bedeutung. Beides sind fürsorgliche und aufmerksame Gemeindemitglieder. Man muss Ihnen vertrauen. Gleichzeitig ist man ihnen ausgeliefert.
    Das Wasser, das sie ausgießen (wie in der plätschernden Melodie) kann auch ganz andere Wirkungen haben.


    Es besteht immer eine winzige Möglichkeit, dass der Farmer kein sauberes Wasser auf seine Pflanzen gießt. Und dass der Feuerwehrmann ungute Interessen am Feuer hat. Unsere Kindheit war geprägt von regelmäßigen Feuerteufel-Serien - alle Jahre wieder gingen Höfe und Häuser reihenweise in Flammen auf. Könnte der Feuerwehrmann Schuld sein? Und der Farmer, was tun, wenn er versehentlich Boden und die Früchte vergiftet? Wem kann man vertrauen und wem nicht? Gute (Verläßliche) und andere, denen man nicht trauen kann > später heißt es: Open your eyes!-schau genau hin!
    Das Erwachsenwerden verlangt, Techniken zu entwickeln, um das eine vom anderen unterscheiden zu lernen.
    Viele Worte für diese 3 Figuren, aber ähnlich heutigen Begriffen "Bank-Mann" oder "Politiker" musste man damals nichts erklären, jeder kannte diese Figuren, die ambivalente Gefühle wachrufen. Avatare mit doppeltem Boden, zwiespältige Typen unserer Zeit.


    Im 2. Teil baut sich vor dieser Vertrauensfrage der Konflikt auf: Hört auf mich, fordert der Schlipsträger, der jeden kennt und für jedes Problem eine Lösung hat! Er quasselt die Jugend in ein konventionelles "Vertraut den Instanzen"-Leben hinein. (Vielleicht auch in anderes, in Sekten oder die Armee oder Parteien.) Egal auf welchem Pfad ihr eigentliches Glück gelegen hätte, das interessiert ihn nicht, ER lockt sie in die Irre, schnackt sie mit: Hier entlang, und mit einem Löffelchen voll Glück seid Ihr bald gemachte Leute. Wer nicht mitmacht, wird ausgesondert, gebrandmarkt und kommt auf den Haufen gescheiterter Körper, um die sich die Sozialhilfe kümmern wird.

    Von diesem Punkt startet der Kampf um das Erwachsenwerden, die Auseinandersetzung mit dem Establishment, mit den Konventionen, aber auch mit den Widrigkeiten des ganz normalen Lebens. Und das letzte, was sie hören, als sie wie auf dem Schulausflug Hand-in-Hand mitgehen, ist ein in der Ferne verklingender Kinderreim. Das Rattenfänger-Thema


    ***

  • Für mich ist "Supper's Ready" ganz klar "Hui!" und einer meiner vier persönlichen "Genesis-Erkennung-Songs". Die anderen drei sind übrigens "Watcher of the Sky", "Carpet Crawlers" und - leider - "Follow you, fallow me" ("leider", weil gefühlt mindestens 10.000 Male gehört).


    Bin mal gefragt worden, welchen Genesis-Song ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde, wenn ich nur einen mitnehmen dürfte. Meine Antwort: "Supper's Ready". Warum?


    Weil SR a) der längste Genesis-Song ist, und b) quasi aus mehreren Einzelsongs besteht. Gewiss, besagte Einzelsongs haben nicht alle dieselbe Wucht, aber gegen Ende, ab "666 is no longer alone..." ist das Stück einfach phänomenal. Wie überhaupt weite Teile des Albums super sind. Auch wenn ich "das Lamm" wesentlich häufiger gehört habe, bin ich der Meinung, dass Genesis mit Foxtrot den Zenit ihres musikalischen Schaffens bereits damals (1972) erreicht hatten. Steigerungen kamen danach eigentlich nur noch aus dem produktionstechnischen Bereich.


    :pete: 8):thumbup:


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  • ...einer meiner vier persönlichen "Genesis-Erkennung-Songs". Die anderen drei sind übrigens "Watcher of the Sky", "Carpet Crawlers" und - leider - "Follow you, fallow me"

    Rubrik "Schmunzeln zur Nacht": Also, ich erkenne von den genannten anderen nur zwei Genesis-Songs. 😏


    Ansonsten ist "Supper's Ready" natürlich ein großartiger Song und ein Meilenstein des Prog-Rocks. Einige werden die "Zerstückelung" monieren und diese zu sehr heraushören wollen, aber mich hat das noch nie gestört, so dass ich alles wunderbar in einem Stück genießen kann. Und "Apokcalypse in 9/8" wird immer eines meiner absoluten Highlights bleiben (vor allem live)

  • Ihre Medleys mit The Cage, Cinema Show und dem grandiosen Afterglow am Ende, kamen SR in ihrer Wirkung schon ziemlich nahe. Allerdings wurde Phils Stimme dabei etwas geschont, sonst hätten sie es ja auch gleich spielen können. :/

    "Before Elvis, there were nothing ..."

    - John Lennon