TotW: [18.05.-24.05.2015]: GENESIS - Heathaze

  • Damals im DUKE Thread bewertete ich den Song wie folgt: 6. Heathaze (8) Beruhigend... bei möglichen 10 Punkten obwohl damals DUKE mein Zweitlieblingsalbum nach WCD war. Heute hat DUKE etwas verloren weil ich mittlerweile den ganzen GENESIS Kosmos kenne. Kurioserweise bewerte ich heute HH besser.
    Die Melodie und den Song habe ich eigentlich NIE aus dem Gedächtnis verloren, doch HH wirkt unscheinbarer. Warum eigentlich? Schön beruhigend und melancholisch kommt das Lied daher. Tony's Keyboardspiel per excellence, ein traumhaft schöner Refrain, Phil's Stimme klar, verspielt, verliebt... Fast wie in einem verkappten Liebeslied... Ein sanftes Schlagzeugspiel und die nähe zu ATTWT, jedoch alles klarer und poppiger gemacht. Gerade noch einmal 5 x am Stück gehört. Toll, schön, dem Weinen nahe. Ich bewerte höher als damals. Och, der Anfang so schön Collins und dann die wirklich tolle Melodie... Der Song trägt einen so schön. Hmm Back zur Punktzahl, 14 oder 15 Punkte... Hmm, okay 15, weil HH es verdient hat.

  • Es war 1981 und Phil Collins gab Interviews zu seinem ersten Solo-Album. Bevor irgendjemand das Album gehört hatte, rechtfertigte er sich schon im Voraus für den Einsatz der Bläser, denn er sei ja immer mit schwarzer Musik aufgewachsen und fühle sich wohl mit schwarzer Musik, wogegen Genesis ja sehr weiße Musik machen würden und speziell Tony Banks immer sehr weiß schreibe und ihn das auf dem letzten Album "gestört" (hat er anders formuliert) habe. Damit meinte er wohl vor allem Cul-De-Sac und Heathaze.


    Im Vergleich finde ich Heathaze nicht so weiß wie Cul-De-Sac und liegt mir auch näher. Es hätte das Mad Man Moon von DUKE werden können. Warum ist es das für mich nicht so geworden?


    Die Gitarre habe ich kaum wahrgenommen, der Bass ist auch nicht auf den Punkt. Es sind zu viel Keyboards übereinandergestapelt und alles klingt etwas verwaschen, selbst im neuen Mix. Nicht umsonst wurde es bei ABACAB mit Hugh Padgham knackiger. Das CP70 Piano ist mir ebenfalls zu weichgespült. Das klingt vielleicht etwas komisch, aber durch den undefinierten Gesamtsound verliert das Stück bei mir zwei Punkte, so das ich 10 Punkte vergebe.


    Interessant für mich war, dass Phil auf DUKE und speziell Heathaze das erste Mal so richtig die Kraft seiner Stimme auslotete, um so vorbereitet In The Air Tonight erst richtig gut singen zu können. Das ist mir natürlich erst später aufgefallen. Auch interessant: Trotz der von mir kritisierten vielen Keyboards gefällt mir die Mellotron-Version etwas besser. Komische Sache, dieses Empfinden ...

    Gedankenrauschen – Da geht noch was!

  • Gibt es eine alternative Version (und wenn ja, wo)
    oder habe ich da jetzt was falsch verstanden?


    Es geht um diese Version :-):


    Und weils hier schon angesprochen wurde, die (in meinen Ohren) ultimative "Alt-Genesis"-Version von Heathaze (also wie der Song vielleicht auf Wind&Wuthering geklungen hätte):
    https://youtu.be/v_UQFNgwaFE


    Es ist aber keine offizielle alternative Version.

    The girl from all those songs
    Who made everything feel right
    She came in like an angel, into your lonely life
    And filling your world with light
    Oh, and everybody told you "you're oh so lucky"
    ___
    Mein Iona-Thread: Iona

    Meine Musiksammlung: Discogs

    Mein Blog: http://earl-of-mar.blogspot.de/

  • Erstaunlich viele "Perlen"fischer in diesem Thread. Was soll man da noch schreiben? Am besten meine eigene Sicht des Songs. Duke ist ja nun nicht gerade mein Favorit des Genesis-OEvres. Der ganze Sound gefällt mir nicht so. Auch Heathaze klingt mir zu steril und irgendwie unfertig. Einige haben Collins' Gesang gelobt. Er singt bestimmt nicht schlecht, aber seine Stimme klingt dünn und bei den "rauen" Tönen angestrengt. Danke für die Bereitstellung der Mellotronfassung. Da ist dann doch mehr Wumms dahinter.
    Abgesehen von meinem Gemecker (bei Genesis auf gewohnt hohem Niveau) kann ich der Idee, der Komposition und dem Text doch einiges abgewinnen, was sich in der Punktzahl = 10 widerspiegelt. Für die Mellotron-Version wäre ich bereit, noch ein, zwei Punkte mehr rauszurücken.

    I'll never find a better time to be alive than now.

    Peter Hammill (on "X my Heart")

  • "Beware the Fisherman, who's casting out his line, into a dried up riverbed...but don't try to tell him, cause he won't believe you". Keine Ahnung was diese Textstelle genau im Gesamtsong zu suchen hat, aber ich liebe diesen Text einfach. Da schwingen eine ganze Menge Bedeutungen mit.


    Nochmal eine Textsinn-Spurensuche. Vielleicht geht die Übersetzung so: Nimm Dich in acht und meide so Typen, so Spinner und Träumer, die ihr Glück dort suchen, wo sie es nicht finden können (im ausgetrockneten Flussbett, wo keine Fische sind). Und die das Glück auch noch auf falsche Weise suchen, nämlich rumsitzend und wartend (angelnd). So passiert gar nichts. So wird das Leben nicht gut. So kommst Du nie raus aus der Hitzeglocke und hinein in die richtige Welt. Da ist es doch besser, sich kleinen, echten, nützlichen und tröstlichen Dingen zuzuwenden. Enten zu füttern. Sich mit Dingen zu befassen, die zwar nicht viel versprechend schillernd sind wie die Drogen, das Poison in der Strophe davor, dafür aber handfest und praktisch. Das ist schonmal ein guter Anfang. Ein guter, erster Akt, um die Lethargie zu überwinden. Und es ist allemal besser, als sich mit den Unglücksrittern anzulegen und ihnen zu sagen, dass sie auf dem falschen Trip sind. Das führt sowieso zu nix.


    Vielleicht hatte sich der Protagonist abends nach einem Hitzetag immer mit einem Glas Wein zu viel betäubt? Und gedacht: So finde ich mein Glück? Und gleichzeitig sagte ihm eine Stimme: Das ist der falsche Weg. Mach das nicht. Und wende Dich auch sonst keinen Leuten zu, die nur groß rumlallen, ohne wirklich etwas auf die Beine zu stellen. ???

  • Über das Album "Duke" ist sehr viel geschrieben worden, u. a. hier: Deutscher Genesis Fanclub it: Genesis - Duke - CD Rezension. Über den Song "Heathaze" hingegen findet man kaum mehr Informationen, als dass er von Tony Banks geschrieben und mehrheitlich für gut befunden wurde. Sebastian Wilken schreibt dazu ebenso treffend wie schön im o.g. Link:


    "Nach dem kurzen Ausflug in die Welt der seichteren Popmusik folgt nun eine ganz besondere Banks-Perle. Es beginnt verhalten mit einem kurzen Piano-Vorspiel, dann setzt Phil mit seinem zaghaften Gesang ein. Bald gesellen sich ein paar Gitarrenzupfer dazu. Ab 1:41 wird der Track dann richtig druckvoll und emotional. Phils wehmütiger Gesang ist ungemein berührend und Zeilen wie "Oh I feel like an alien, a stranger in an alien place" zeigen an, dass wir es wieder mit den Themen Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit zu tun haben. Besonders erwähnenswert ist noch das Outro ab 4:28, welches eine wunderschön perlende Gitarrenlinie beinhaltet, die mal wieder beweist, was für ein guter und geschmackvoller Rhythmus-Gitarrist Mike Rutherford doch ist. Heathaze ist insgesamt ein emotionaler Höhepunkt des Albums und reißt den Hörer mit in seinen durch verschiedene Naturbilder ausgedrückten, kargen und wehleidigen Kosmos."
    Durch die Musik wird die textliche Atmosphäre untermalt. Bereits in der ersten Strophe kann man sich in den Sänger hinein versetzen:

    No cloud, a sleepy calm
    Keine Wolke, eine schläfrige Stille
    Sun baked earth that's cooled by gentle breeze

    Von der Sonne gebackene Erde, die von einer sanften Brise gekühlt wird
    And trees with rustling leaves

    Und Bäume mit raschelndem Laub
    Only endless days without a care

    Nur endlose Tage ohne Sorge
    Nothing must be done

    Nichts, was getan werden müsste


    Das erinnert mich, nebenbei erwähnt, an das Stück "Time" auf Pink Floyds "Dark Side of the Moon", in der eine ebenso schläfrige Stimmung beschrieben wird. Doch während der Floyd-Protagonist einfach nur dekadent abzuhängen scheint, lässt sich bei Duke eine ganze Vorgeschichte fantasieren. Ach was, wir wissen ja, was Phil mit Andrea erlebt hat. Das Kapitel Ehe ist also unwiderruflich abgeschlossen. Phil will sich von dem Stress erholen - an endlosen Tagen ohne Sorge. Es gibt nichts mehr, was er noch tun kann, um die Verletzungen zu heilen, und noch nichts, worin er einen Sinn entdecken kann. "Hanging on in quiet desperation..." singen Pink Floyd. Ist es das, was sich unter dem Hitzeschleier abspielt?

    Silent as a day can be

    Still wie ein Tag nur sein kann
    Far off sounds of others on their chosen run

    Entfernte Geräusche von anderen auf ihrer selbst gewählten Flucht / Lauf / Gerenne
    As they do all those things they feel give life some meaning

    Wie sie all diese Dinge tun, bei denen sie fühlen, dass sie ihrem Leben einen Sinn geben
    Even if they're dull

    Sogar wenn sie (die Dinge) langweilig sind

    Warum sollte dieser Zustand der Untätigkeit nicht einfach anhalten? Wenn man die anderen Menschen in ihrer persönlichen Tretmühle betrachtet, erscheint deren Leben nicht besonders attraktiv. Was diese "Dinge" sein könnten, ist vielfältig: unbefriedigende Arbeit, sinnloses Freizeitverhalten, auseinander gelebte Partnerschaften ...

    Time to stop this dreaming, must rejoin the real world
    Zeit diesen Traum anzuhalten, (ich) muss (mich) wieder der realen Welt anschließen
    As revealed by orange lights and a smoky atmosphere

    Wie es von orangenen Lichtern und einer dunstigen Atmosphäre enthüllt wird

    Trotzdem kann der Lebenssinn nicht im Nichtstun liegen. Ein Traum ist ein Traum und nicht das Leben. Er will zurück in die reale Welt (zurück ins Studio?). Was mit den orange lights und der smoky atmosphere gemeint ist, habe ich noch nicht herausgefunden. Vielleicht eine dunstige Abenddämmerung, als Symbol der fortgeschrittenene Zeit?

    The trees and I are shaken by the same winds but whereas

    Die Bäume und ich werden von denselben Winden geschüttelt, aber während
    The trees will lose their withered leaves

    Die Bäume ihre verwelkten Blätter verlieren
    I just can't seem to let them loose

    Scheine ich sie nicht loslassen zu können


    "Welkes Laub" - eine wunderschöne Metapher für eine beendete Phase im Leben. Es ist eine gängige Redensart, dass Menschen aufblühen können. Von verwelken ist nie die Rede. Ich denke, die Zeit mit Andrea ist das hier gemeinte welke Laub. Phil kann es nicht einfach abschütteln. Es geht auch nicht einfach nur um verlieren, vergessen. Gemeint ist ein Loslassen, was eine bewusste Entscheidung impliziert. Die Winde, die ihn schütteln, dürften die aktuellen Ereignisse sein: Pläne, Kompositionen, Kontakt zu Mike und Tony und wohl noch so manches, was nicht direkt mit Genesis zu tun hat.


    And they can't refresh me those hot winds of the south
    Und sie können mich nicht erfrischen, diese heißen Winde des Südens
    Feel like an alien, a stranger in an alien place

    Ich fühle mich wie ein Fremder, ein Fremder an einem fremden Ort

    Doch noch ist er nicht so weit. Er findet noch keine Befreiung von der Last der Vergangenheit. Er ist noch nicht wieder er selbst. Er fühlt sich fremd. Das liegt sicher auch am Ortswechsel von den USA zurück nach Groß Britannien. Der alte / neue Ort ist ihm fremd.

    Now the light is fading fast

    Nun schwindet schnell das Licht
    Chances slip away, a time will come to pass

    Chancen entgleiten,
    eine Zeit wird kommen, die herum gebracht werden muss
    When there'll be none

    Wenn keine (Chance) da sein wird


    Hier haben wir wieder ein Rael-Thema. In "The Light dies down on Broadway" steht der Protagonist vor einer Entscheidung: raus aus der Unterwelt oder für immer dort bleiben. (Das lässt sich dort nachlesen.) Und auf "We can't dance" soll es ein weiteres Mal auftauchen (Fading Lights). Der Sänger erkennt, dass er jetzt seine Chance ergreifen muss, weil sie so schnell nicht wiederkommt.


    Then addicted to a perfumed poison
    Denn, einem wohlriechenden Gift verfallen
    Betrayed by its aftertaste
    Betrogen von seinem Beigeschmack
    We shall lose the wonder and find nothing in return
    Werden wir das Wunder verlieren und im Gegenzug nichts bekommen
    Many are the substitutes but they're powerless on their own

    Es gibt viele Ersatzmittel, aber für sich allein sind sie kraftlos

    Ob hier reale Drogen gemeint sind, tut eigentlich nichts zur Sache. Alles, was uns den augenblicklichen Zustand als so attraktiv erscheinen lässt, dass wir ihn festhalten wollen, lähmt uns letztlich. Das Wunder des Lebens geht uns verloren. Wir können uns betäuben, aber gewinnen tun wir dadurch nichts, gar nichts.

    Beware the fisherman who's casting out his line

    Hüte Dich vor dem Fischer, der seine Leine in
    Into a dried up river bed
    ein ausgetrocknetes Flussbett wirft
    But don't try to tell him 'cause he won't believe you
    Aber versuche nicht es ihm zu erzählen, weil er dir nicht glauben wird
    Throw some bread to the ducks instead, it's easier that way

    Wirf statt dessen den Enten etwas Brot hin, das ist einfacher
    Feel like an alien, a stranger in an alien place

    Fühle dich wie ein Fremder, ein Fremder an einem fremden Ort


    Nun wird (mir) auch die Aussage der letzten, poetischen Strophe klar. Das ausgetrocknete Flussbett ist eben der Zustand, der zu Anfang beschrieben wird. Das Wort calm bedeutet nicht nur Stille, sondern auch Flaute. Man dümpelt so vor sich hin und kommt kein Stück voran - wie in einem trockenen Flussbett, in dem man die Leinen ausgeworfen (von Angel ist hier nicht die Rede), sein Schiff festgemacht hat. Der Fisherman ist die innere Stimme, die dir sagt, dass es für dich nichts weiter zu tun gibt, als in diesem Zustand zu bleiben. Mit logischen Argumenten kommt man aus diesem Dilemma nicht heraus. (Im Grunde weiß man ja, dass es einem nicht gut tut.) Tu statt dessen etwas Sinnvolles, und wenn es nur eine Kleinigkeit ist (Enten füttern). Die letzte Zeile, wie zuvor ohne Pronomen, ist dann, wie die ganze Strophe, eine Aufforderung: Fühl dich wie ein Fremder! Sonst wirst Du im "Heathaze" gefangen bleiben.


    Es geht in dem Song also nicht nur um Einsamkeit, Verletzung und Depression, sondern auch um einen Richtungswechsel, Nachdenken über das eigene Leben und am Ende sogar um Aufbruch. Wenn man will, kann man sogar darüber nachdenken, ob und was das mit dem eigenen Leben zu tun hat.
    Noch eine Anmerkung zum Albumtitel: Das Wort "duke" bedeutet in der Umgangssprache "Faust" und "to duke it out": "es untereinander austragen". Eine weitere Anspielung auf Phils Trennung von Andrea?

    I'll never find a better time to be alive than now.

    Peter Hammill (on "X my Heart")

    Einmal editiert, zuletzt von Aprilfrost () aus folgendem Grund: nur ne Kleinigkeit vergessen ...

  • Mensch Frosti, dafür daß Du den Song gar nicht soo über die Maßen schätzt, hast Du Dich ganz schön reingekniet. Sehr inspirierende Arbeit, dankeschön!
    Nachdem ich da nun nochmals eingetaucht bin, frage ich mich, warum ich eigentlich mit diesem einen letzten Punkt gegeizt habe. Bin geneigt, auf 15 zu erhöhen. Naja, die Abstimmung sollte ja eh wiederholt werden, wenn ich die Regie richtig verstanden habe...

  • Time to stop this dreaming, must rejoin the real world
    As revealed by orange lights and a smoky atmosphere


    Ich interpretiere das so:
    Die reale Welt zeigt sich (reveal heißt ja u.a. auch einfach "zeigen/offenbaren") dem Protagonisten noch wie hinter einem Dunstschleier gelegen. Er sieht sie noch nicht ganz klar. Er weiß noch nicht genau, wie es konkret aussehen wird dort, wo er hinmuss.
    Obwohl die richtige Welt jenseits des Traums sich noch etwas nebelhaft und nur schemenhaft zeigt, sendet sie bereits grelle Signale aus, Alarmsignale: "Stop! Beende Deinen Traum! Du darfst mich nicht übergehen!"


    Dazu passt für mich dann auch ein paar Zeilen später:
    Now the light is fading fast,
    Chances slip away


    Die Alarmsignale, die Appelle werden wieder schwächer, und damit schwinden die Chancen, das Leben anzugehen und das Glück zu finden. Die Gefahr besteht, in der Traumwelt stecken zu bleiben.


    ...und stimmt: Von einer Angel ist nicht die Rede, aber "line" kann auch Angelschnur bedeuten... :gruebel:


    Auf jeden Fall: Wahnsinn, Aprilfrost! Ich bin extrem angetan und beglückt über Deine tolle, wohlformulierte, sorgsam aufbereitete Analyse! Fantastisch!

    2 Mal editiert, zuletzt von svenchris ()