Lieblingscomedian?

  • Lustig, diese selbst-auferlegten Boykotte. Cancel-Culture im eigenen Mini-Universum. Ich kann das ansatzweise nachvollziehen, aber ich käme nicht auf die Idee. Denn wer weiß schon, was wer so alles auf dem Kerbholz hat? Viele Künstler sind ja Eskapisten, hatten ein traumatisches Umfeld, dem sie nur durch ihre Kunst entkommen konnten. Allerdings nicht unbeschadet. Kein Wunder, wenn das dann irgendwann durchschlägt und sich so mancher, oft auch erst im fortgeschrittenen Alter, als Arsch entpuppt. Wir kennen aber sicher nur die Eisbergspitze.

    Die Frage ist auch, wie weit so ein Boykott gehen soll. Beispiel: ich gucke gerade (wieder) die Extended Blu-ray-Edition vom Lord of the Rings. Die hat ein gewisser Harvey Weinstein (mit)produziert, dessen Name groß in jedem der drei Nachspänne leuchtet. Entwertet das diese großartige Verfilmung? Sollte ich die Blu-rays besser vernichten?

    Na ja, Nugend ist in der Tat der einzige. Wenn jemand so offensichtlich die Waffenlobby und Trump unterstützt und glaubt, dass Lehrer in den Schulen bewaffnet zum Unterricht erscheinen sollten, dann muss ich automatisch daran denken. Vielleicht ist er im privaten Gespräch ja ganz nett, keine Ahnung, trotzdem beeinflusst er mit seinem Gedankengut mein Hörverhalten. Mike Oldfield und viele andere sind in der Tat auch schräge Vögel, aber sie unterstützen nicht offensichtlich solch' weit rechtes Gedankengut. Selbst Roger Waters Meinungen sehe ich distanziert und denke, dass er oft falsch interpretiert wird.

    Aber ja, richtig ist, dass sicher so mancher unserer geliebten Künstler die ein oder andere *Leiche* im Keller liegen hat.

    Deswegen möchte ich auch keinen näher kennenlernen, da wäre sicher hinterher nach möglicher Antipathie kein neutraler Musikgenuss mehr möglich.

    Andererseits gibt' es sicher auch bei den Schlagerfritzen paar nette Menschen. Die Wildecker Herzbuben waren ja richtige Humanisten :) und gute, ausgebildete (Jazz-)Musiker.

  • Mir geht es hier überhaupt nicht um Cancel-Culture geht, sondern ist so ein ganz persönliches Ding zwischen mir und Woody Allen. Mit Idolen ist es ja ohnehin immer so eine Sache, wer ist schon wirklich perfekt ?


    Noch mehr als um die Tat selber, geht es mir fast schon darum wie Woody mit den Vorwürfen umgegangen ist. Er hatte sich offenbar vorgenommen, seine Ex zu vernichten, und das mit allen Mitteln die ihm zur Verfügung stehen. Wenn er mit verlegenem Huster vor die Presse tritt, hat er das "Publikum" doch schon von Anfang an auf seiner Seite, so als wäre es die Promotion für einen weiteren seiner lustigen Filme. Dagegen bleibt Mia Farrow nur die dramatische Rolle der vollständig verzweifelten Mutter, ganz ähnlich wie in 'Rosemary's Baby'.

    Was hören die Menschen sich wohl lieber an ? Womit gleichzeitig ein Bezug zu Roman Polanski hergestellt ist, der immerhin bis heute nicht einmal in die USA einreisen darf.


    Woody Allen nimmt in dieser Reihe (Harvey Weinstein wurde schon genannt) allerdings schon deswegen für mich eine ganz besondere Stellung ein, weil insbesondere seine frühen Filme so eng mit seiner Persönlichkeit verknüpft waren, vom Drehbuch, über die Regie, bis hin zur Hauptrolle, alles aus einer Hand. Aber man sollte wohl nicht den großen Fehler machen, zu glauben, deshalb wüsste man bereits wer er wirklich ist. An seiner absoluten Genialität ändert das aber überhaupt nichts, die ist authentisch und kann man schließlich auch nicht vortäuschen. Jedem Filmliebhaber würden da wahrscheinlich auf Anhieb unzählige Szenen einfallen, mit denen er uns alle immer wieder mit seiner gespielt tolpatschigen Art zum Lachen gebracht hat. Dazu passte dann in seinen Rollen auch die Koketterie mit der wichtigsten Person in seinem Leben, nämlich dem Therapeuten. Scheint ja in New York fast schon zum guten Ton zu gehören, jedenfalls so wie er es immer wieder dargestellt hat.


    Ohnehin war er ja spätestens seit seinem Film 'Manhattan' und dem Appartement am Central Park so etwas wie das Aushängeschild schlechthin, für diese eigentlich nicht wirklich zu begreifende Metropole. Alleine für das Intro mit der wundervollen Musik von Gershwin wird man ihn in seiner Stadt geliebt haben. Auf der anderen Seite dann die etwas fragwürdige Geschichte mit ihm als Liebhaber einer Minderjährigen (Mariel Hemingway), die er eigentlich gar nicht wirklich möchte, sondern nur ihr zu Liebe aufrecht erhält. Ist mir auch erst nach dieser Doku wirklich bewusst geworden, ein immer wiederkehrendes Thema in einigen seiner Filme: blutjunge Frau und älterer Mann. Recherchen in Archiven haben gezeigt, dass er viele seiner ersten Drehbuchentwürfe mehrfach wieder verworfen hat, anschließend waren die Frauen dann nicht mehr ganz so jung.


    Gibt ja zum Glück noch andere großartige Filme die in New York spielen, insbesondere denke ich da an 'Das Appartement' mit Jack Lemmon und Shirley MacLaine. Trotz der eher tragischen Story, in diesmal nicht so schönen s/w-Bildern, von mir wegen seiner großen Menschlichkeit immer wieder gerne zu Weihnachten oder Silvester gesehen.


    Wer jedoch noch mehr über Allen vs. Farrow wissen möchte, sollte sich dann aber wirklich besagte Doku ansehen. Wer sich zumindest seine heile Filmwelt bewahren möchte, sollte es vielleicht lieber nicht tun. Es war, glaube ich, der Chefredakteur der New York Times, der in einer der Folgen interviewt wurde und nicht sehr glücklich darüber war, sich jetzt keine Filme von Woody Allen mehr ansehen zu können.


    Habe ja bereits sein Filmschaffen der letzten Jahre kaum noch verfolgt, gerade weil er sich selber kaum noch vor die Kamera gestellt hat, jetzt ist jedoch genau das zum Problem geworden. Eigentlich schadet man sich mit jeder Art von Verweigerung ja nur selber, denn natürlich gehören viele seiner Filme immer noch zum Komischsten was jemals gedreht wurde. Ich hoffe nur, dass demnächst nicht auch noch alles über die dunkle Seite von Christoph Maria Herbst bekannt wird ... hat er das Arschloch wirklich nur gespielt ? ;)


    Auch wenn Woody Allen nicht juristisch belangt wurde, ist er natürlich lebenslang bestraft. Selbst bei seinem Konzert in der Elbphilharmonie (vor einigen Jahren) wurde er von Aktivist*innen ausgebuht. So schlecht spielt er nun auch wieder nicht Klarinette ...

    "Before Elvis, there were nothing ..."

    - John Lennon

  • Ich denke hier hat jeder seine eigene Meinung, die sollte man einfach respektieren. Wir haben ja das Glück in einem Staat zu leben, in welchem man sich seine Komödianten aussuchen kann. Das war sicher in den 30er und bis Mitte der 40er Jahre deutlich schwieriger :)

    Da fällt mir als sehr bekannter Star nur Heinz Rühmann ein. Aber dieser war nur auf den Film bezogen und war im eigentlich Sinne auch kein Comedian. Wäre auch schwierig gewesen ... Rühmann hatte auch zwei Seiten, auf der einen Seite ein guter, auch komöidiantischer Schauspieler, auf der anderen Seite jemand, der sich mit Goebbels einließ, auch wenn er nie offen zur NSDAP Stellung bezog. Aber er konnte seine erste Frau, die Jüdin war, vor der Verfolgung retten und pflegte auch später noch gute Beziehungen zu ihr. Da war er sicher im Herzen kein Nationalsozialist, auch wenn er mit diesen gutes Geld verdiente. Egal, ich finde ihn trotz seiner Geschichte einen bemerkenswerten Schauspieler, der im privaten Leben wohl unnahbar und alles andere als komödiantisch war.


    So, alles so halb Off-Topic, zurück zu den Comedians.

    Der größte ist m.E. ob seiner hervorragenden Beobachtungsgabe Loriot, welcher so manchen, die nach ihm kamen, die Tür geöffnet hat. Aber wer sich 'mal mit seinen frühen Zeichnungen und seinem Humor befasst hat, da ist auch nicht alles on top. Jeder muss eben lernen ...

  • An Rühmann musste ich bei dieser Diskussion auch schon denken, aber aus heutiger Sicht können wir ja ganz leicht den Stab über derartig involvierte Schauspieler (siehe George, Gründgens) brechen. Ging für ihn zwar "nur" um seine berufliche Existenz, für seine Frau jedoch um alles. Aber das mit dem niedlichen Heim-Movie für die Wochenschau, mitten in Goebbels Familie, hätte er vielleicht sein lassen können. Seine späteren Weihnachtslesungen im Hamburger Michel waren dagegen immer etwas ganz besonderes, sehr bewegend ...


    Ist Loriot dir nicht manchmal auch etwas zu Deutsch, aber es soll ja schließlich etwas weh tun. :zerschlagen:

    "Before Elvis, there were nothing ..."

    - John Lennon

    Einmal editiert, zuletzt von Spongebob ()

  • (...) Ist Loriot dir nicht manchmal auch etwas zu Deutsch, aber es soll ja schließlich etwas weh tun. :zerschlagen:

    Deswegen ist er auch nur in Deutschland ein Unsterblicher und bekannt. Schon in der Schweiz und Österreich versteht man seinen odrr diesen Humor weniger. Schließlich erfindet er ja nicht, sondern stellt nur den Deutschen überspitzt dar, dies aber unübertrefflich. Und manchmal erkennt man durchaus eigene Charakterzüge.

    • Offizieller Beitrag

    Lustig, diese selbst-auferlegten Boykotte. Cancel-Culture im eigenen Mini-Universum. Ich kann das ansatzweise nachvollziehen, aber ich käme nicht auf die Idee.

    An diesem Punkt hätte dein Beitrag vielleicht enden sollen: Du hältst es so, andere halten es anders, wofür du kein Verständnis hast. Das ist völlig in Ordnung.


    Alles weitere? Man kann Positionen hinterfragen. Man kann sie ändern. Sogar die eigenen. Aber nicht anderen aufdrängen.

    Die Frage ist auch, wie weit so ein Boykott gehen soll. ... Sollte ich die Blu-rays besser vernichten?

    Merkwürdig, dass jemand, der so viel Wert auf sein eigenes Urteil legt, eine so unselbständige, im kantschen Sinne unaufgeklärte, Frage stellt.

  • Womit gleichzeitig ein Bezug zu Roman Polanski hergestellt ist, der immerhin bis heute nicht einmal in die USA einreisen darf.

    Polanski hat übrigens auch einen neuen Film, der im Januar in die Kinos kommen soll. Die Kritiken waren da eher mau, aber da der Film wohl in eine komische Richtung geht, ist er hier im Thread nicht völlig deplatziert.

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

    "Von jedem Tag will ich was haben

    Was ich nicht vergesse

    Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne

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