• Ja, ich war mit einem Bekannten zusammen auf dem Gig, ein Auftritt, der bei mir sehr gemischte Gefühle hinterlassen hat. Ich finde Grace For Drowning wirklich sehr gut, mit himmelweitem Abstand zu Insurgentes. Von daher war ich schon mal positiv grundeingestimmt. Allerdings ging es uns schon beim Betreten des Saals so, dass man dachte, au weia, der Allgegenwärtigkeit dieser Lasse-Hoile-Ästhetik entkommt man als PT/SW-Rezipient an keiner Stelle. Es war dann auch ein wenig diese Unentrinnbarkeit von SWs über jedes Maß ernsten, melancholischen, eindimensionalen Gefühlswelt, die mich über weite Strecken bei diesem Konzert kalt gelassen hat. Ich wurde beeindruckt, aber selten berührt.
    Die Musiker sind über fast jeden Zweifel erhaben. Womit SW im Gegensatz zu einem selbst noch mittelmäßig gelungenen PT-Abend nicht klar kam, war die Gestaltung der Konzertdramaturgie. Der jazzige Grundton vieler Stücke war ja erstmal ein willkommener Gegensatz, muss man sagen. Das waren für mich auch die Highlights neben so verträumten Momenten mit Entrückungspotenzial wie Deform... und Konsorten, aber auch mein persönliches Highlight, Remainder... zeigte, dass der GFD-Wilson ganz andere Seiten auch live zu bieten hat. Die Co-Musiker waren interessant, und es machte Spaß, da mal ein anderes Bandgefüge zu erleben. SW als "Dirigent" war allerdings etwas am Rande des Lächerlichen, als ob Musiker dieses Kalibers die Musik nicht auch ohne seine Handzeichen zu takten wüssten.
    Die Bandbreite des Materials ist auch die Crux der Setlistgestaltung. Die Kontraste sind stellenweise einfach zu stark, auf dem Album und beim privaten Hörerlebnis geht manches, was dann als Setlist krepiert. Der absolute Griff ins Klo war die Zugabe, die über weite Strecken den häufiger an diesem Abend zu erlebenden Klangbrei und schwer verdauliche und sinnlose Brachialität verbreitete und mit SWs finalem Auftritt mit Gasmaske in sinn- und gefühlsentleerter reiner Ästhetisierung endete.
    Was mich und meinen Begleiter in der Auswertung im Nachhinein grandios nervte, war auch die zunehmende Guruisierung des Steven Wilson. Ein sich selber immer weiter vom Publikum distanzierendes, von diesem aber umso unkritischer und frenetischer gefeiertes "nicht-in-Frage-zu-stellendes" Genie. So kam es rüber.


    Bei dem tollen Material, was die neue Platte bietet, ist das aus meiner Sicht schade. Ungeachtet dessen bleibt ein musikalisch über weite Strecken sehr anspruchsvoller und für mich auch befriedigender Abend. Da gab es viel ganz großes Kino. Aber SW droht, auf Dauer immer weiter in eine Falle zu laufen, indem er eine thematisch-stimmungsmäßig-ästhetische Verengung vornimmt, die auf Dauer ermüdend ist. Da der Stellenwert des Design und der visuellen Untermalung so stark ist (und das ist ja an sich eine sehr begrüßenswerte Sache), täte es aber wirklich mal Not, da mal neue Wege zu gehen.


    Ich bin von daher umso gespannter, welche Entwicklung Wilson mit seinen nächsten Projekten gehen wird. Bis dahin werde ich in tollen Erinnerungen an diesen Abend schwelgen - denn bei aller hier geäußerter Kritik ist das immer noch ein Konzerterlebnis, dass sich wohltuend von vielem Durchschnittskram abgehoben hat, und die GFD hat bei mir in kürzester Zeit einen hohen Stellenwert erreicht und läuft momentan in Dauerschleife.


    Von daher - es überwogen hier die kritischen Äußerungen, aber es waren gemischte Gefühle, keine einseitigen. Es war insgesamt ein großes Erlebnis.

    "Whenever sort of Spinal Tap is on or something, and you see these moments, you think, 'I've been in a band like that'...that's Genesis!'"
    Phil Collins in "Sum Of The Parts", 2014

  • Ist Steven Wilson denn kein Genie? :)

    I am the other half
    And you are what I am for
    I won't lie to you or hurt you
    I'm not like that anymore

    I am with you all the time now
    One soul. One mind. One heart.
    The other half cannot be parted
    From the other half

  • Steven Wilsons Album ist für mich der größte Langweiler seit langem. Das klingt völlig belanglos und unaufregend. Ich frag mich seit Tagen, was daran so toll sein soll?


    Nun habe ich das Album zwar schon zum großen Teil, aber immer noch nicht gänzlich angehört. Trotzdem möchte jetzt schon einmal sagen, dass ich Christians Eindrücke zumindest nachvollziehen kann. An dieses Posting musste ich beim ersten Durchlauf von CD 1 (und auch bei einigen Passagen von CD 2) öfter denken - mit auf Grund meiner hohen Erwartungen etwas mulmigem Gefühl ging mir wiederholt durch den Kopf, dass Christian Recht haben und dies der erste Wilson-Output sein könnte, über den ich mich hier nicht oder nur mit deutlichen Abstrichen positiv äußern würde.


    Wie gesagt - beim ersten Hören (!) - fand ich die Musik an vielen Stellen vom Gehalt her zu flach, obwohl Wilson atmosphärisch auf seinem bevorzugten Gebiet unterwegs ist. Ist dieses Gebiet eventuell langsam abgegrast? Es klingt - finde ich - zunächst nach: Die Musik soll Tiefe bekommen, aber es wurde vergessen, dass hierfür auch das musikalische Material zupackend genug sein muss. Wilson produziert auf klanglicher Ebene wieder ganz toll und auch stimmungstechnisch ganz geschmackvoll, aber mir fehlt da hinsichtlich der Kompositionen einfach Substanz, ohne die auch die ausgetüftelste Produktion wenig echte Tiefe erzeugt.


    Earls Posting finde ich fantastisch. Die Schilderung und Reflexion der Konzerteindrücke sind für mich als Daheimgebliebenen, aber eben Steven-Wilson-Interessierten, ausgesprochen interessant und nachvollziehbar.
    Zwar teile ich bislang nicht die Einschätzung, "Insurgentes" sei schwächer als GFD (Ersteres wirkt auf mich zündender und auch geschlossener - vielleicht tut sich da ja noch was bei mir nach mehrmaligem Hören), aber Earls Überlegungen hinsichtlich der künstlerischen Ausrichtung und des Selbstverständnisses Wilsons kreuzen sich möglichweise eben doch auch mit Gedanken, die mir zu GFD kamen.

  • Ist Steven Wilson denn kein Genie? :)


    nun ob Steven in sagen wir mal 50 Jahren als Genie bezeichnet wird bleibt abzuwarten, jedenfalls gehört sein Output in seinen vielen Projekten zu den besseren Sachen, definitiv ist er einer der kreativsten Musiker der letzten 20 Jahre.
    Am Donnerstag werde ich mir dann die Umsetzung seines neuen Album in Köln genehmigen.

  • Hmhhh, jetzt bin ich also zur Gänze durch Wilsons Klanglandschaften gewandert und werde das Gefühl nicht los, er hätte eine ganz gute CD mit seinem Material hingekriegt - für zwei recht's irgendwie nicht. Da ist zu viel Leerlauf.
    Da werde ich in nächster Zeit eventuell mal die Spreu vom Hefeweizen trennen und mir meine Privat-CD brennen.

  • Das gestrige Köln-Konzert war große Klasse (auch wenn Wilsons "video guitar" defekt war), aber der heimliche Star des Abends war Nick Beggs am Bass/Stick. Nicht nur, dass er das Klangbild dominiert hat, ganz allgemein ist sein Auftreten und sein Spiel wirklich sehr, sehr gut.


    Highlights... Der Opener "Twilight..." und "Index" waren wirklich großartig, genau wie "Remainder The Black Dog" und "Raider II". :)

    "Da hab ich mich gefragt, was dieses Hotel wohl vorher gewesen ist. Es muss etwas ziemlich unglaubliches gewesen sein. Wahrscheinlich Peter Gabriels Haus. Das ist fantastisch..." - Rick Wakeman, Keyboarder von Yes, über den Ort dieses Interviews

  • War gestern zum Konzert von Wilson in Hamburg.Die Soundabmischung hat mir hier etwas besser gefallen im Vergleich zum Berliner Auftritt.Der Bass von Beggs war zwar immer noch sehr dominant und hat immer noch an manchen Stellen alles Andere einfach"weggebrummt",vom Spiel des Flötisten hat man trotz großer Anstrengungen fast nicht mitbekommen.Insgesamt fand ich den Sound aber in Hamburg etwas struktuierter und stimmiger.Wilson war gut drauf und hat sich viel mehr auf der Bühne bewegt als das in Berlin der Fall war.Manchmal aber des Guten fast zu viel ,fand ich.An die ständigen Bewegungen mit den Fingern ,sonst bei PT sparsam eingesetzt,muß man sich erst gewöhnen.Übrigens war Wilson sehr angetan von den fast frenetischen Beifallsbekunden der Fans in Hamburg und meinte das er das in dieser Form wohl in Köln nicht erlebt hätte.
    Na,ja vielleicht hat er in Köln Ähnliches über die Berliner Fans gesagt ?!

    "Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist,kommt keine Klugheit auf"

    Theodor Fontane

  • Auch wenn der Vergleich hinkt: Im Vergleich zu Ray Wilson & Stiltskin in Dresden, war das Publikum in Köln müde. Allein in meiner unmittelbaren Umgebung am FOH-Platz waren 3 Spaßbremsen, die ich nicht ein einziges Mal hab klatschen sehen.


    Warum gehen solche Leute auf ein Konzert? :(

  • Das Konzert gestern in Hamburg fand ich klasse. Bin spontan hingegangen, hatte nur durch Zufall erfahren, dass er gestern in Hamburg ist.

    Genervt war ich anfangs von dem lauten Rumgedröhne vor Beginn der Show. Was soll der Mist, erst eine halbe Stunde lang das Publikum mit diesen Wabersounds zuzuballern? Mich hat das richtig agressiv gemacht. Alle denken, es geht los, aber es kommt nichts, nur dass das Gebrumme noch lauter wird und sich das Bild auf dem Vorhang nochmals verändert. Sorry, Geisterbahn fand ich schon als Kind öde, aber das war schon bald peinlich.

    Dieser Vorhang war auch dumm. Was soll denn der Quatsch? Ein schlüssiges künstlerisches Konzept konnte ich darin nicht erkennen. Man hatte so nur Schwierigkeiten, das Spiel der Band zu beobachten durch den Schleier. Als der dann endlich fiel, war das wie eine Befreiung.

    Der Sound war sehr gut (ich stand in der Nähe vom Mischpult). Die Flöte war doch klar und deutlich rauszuhören? Nick Beggs war richtig klasse. Hat Spaß gemacht, ihm zuzuschauen. Er selbst hatte wohl auch große Freude, jedenfalls seinem Dauergrinsen nach zu urteilen.

    Live war die Musik vom neuen Album noch deutlich eindrucksvoller. Die Band war insgesamt klasse. Die Show mit den Horro-Videoclips war ganz nett, aber eigentlich albern. Naja, es geht ja um die Musik ;) - und die war klasse!

    “THE NIGHT WE TRACKED DOWN PHIL COLLINS, BECAME BEST FRIENDS WITH HIM, AND TALKED HIM INTO REUNITING WITH PETER GABRIEL, AND THEN WE GOT TO SING BACKUP ON THE NEW GENESIS ALBUM AND IT WAS AWESOME!”

    — Barney Stinson, How I Met Your Mother, Season 7, Episode 21 ‘Now We’re Even’