TotW: [08.01.-14.01.2018]: GENESIS - Since I Lost You

  • Wohl kein Schmerz ist schwerer, tiefer gehender als der Verlust eines Kindes, ob geboren, ungeboren, noch tapsig und jung oder schon erwachsen.


    Dieser SdW trifft mich in einer Zeit der Trauer. Nach so vielen Verlusten in den letzten Jahren ist nun zum ersten Mal ein Freund meines Sohnes verstorben, der fast täglich bei uns war, den wir aufwachsen erleben durften. Er war der einzige Sohn seiner Eltern, über alles geliebt. Sie zu trösten ist nicht möglich. Wir können still an ihre Seite treten.


    Trauerphasen durchstehe ich besser mit Musik. In mir ist alles aufgeweicht, Erinnerungen überschwemmen die Augen. Meine Gefühle spiegeln sich in den Kommentaren anderer, schwingen vorsichtig ein in archaisches, gemeinschaftliches rhythmisches Wiegen und Weinen, heute nacht in den Listen der Songs for grieving parents , zum Beispielhttps://www.youtube.com/watch?v=61ncM07RU_U


    Für meine Art von Traurigkeit wirkt der Since I Lost You leider nicht tröstend oder berührend. Besonders die von CB verlinkte > Daryl No-Text-Version zeigt neben angemessener Intensität viele fast schön fröhlich anmutende auf-und absteigende Tonfolgen, die mich aus der Trance herausziehen. Nur die letzten verklingenden Gitarren- und Keyboard-Sequenzen treffen die richtige Stimmung.


    Eintritt in die vielen Playlist-Ligen der Trauersongs kann man nicht erzwingen. Ripples wird oft auf Beerdigungen gespielt, aber auch PG kam mit seinem I Grieve (zum 1. Jahrestag der 3000 World-Trade-Center-Toten) nicht ganz auf die richtige Wirkung.


    Vielleicht wäre es besser gewesen, der Song wäre nicht mit dieser unfassbaren Hintergrundgeschichte befrachtet in die Vermarktung gegangen. Phil hätte seinem Freund Eric auch still sagen können: Das ist unser Song für Conor, Dich und Deine Frau, aber das annoncieren wir nicht öffentlich.


    Die Kommentare unter den hunderten verschiedenartiger Trauer-Lieder lassen mich verstehen: Es gibt für so viele Arten der Traurigkeit die richtigen Lieder. Überraschend viele amerikanische Mourning-Songs enthalten (für unsere deutschen Ohren weihnachtlich klingende) Glöckchen und Schellen. Offenbar finden sich sehr viele Menschen getröstet und angesprochen von Since I Lost You und das darf so stehen bleiben. Wenn sunrise zum Beispiel hier im allgemeinen bashing aufsteht und in seiner Berührtheit für das Lied einsteht, dann gebührt ihm mein großer Respekt.

  • Zitat

    Das ist unser Song für Conor, Dich und Deine Frau, aber das annoncieren wir nicht öffentlich.


    Das hätte das Stück zwar nicht besser gemacht, hätte aber immerhin von Anstand gezeugt.

    Niveau sieht nur von unten aus wie Arroganz.

  • Ich liebe vieles auf WCD, eigentlich kann ich mir jeden Song gut anhören, aber nicht dieser. Er passt nicht und würde mir auch in keinem anderen Kontext gefallen. Da hätte es viel bessere Songs gegeben aus den WCD-Sessions...
    Bin mir auch sicher, dass es dieser Song nie aufs Album geschafft hätte, ohne den Hintergrund mit EC's Sohn.

    No cloud, a sleepy calm
    Sunbaked earth that's cooled by gentle breeze
    And trees with rustling leaves
    Only endless days without a care
    Nothing must be done

    • Offizieller Beitrag

    Der "Unplugged"-Version, die auch im Eröffnungsbeitrag verknüpft ist und die ich endlich mal zu hören geschafft habe, würde ich fünf oder sechs Punkte geben, und ich überlege gerade, warum. Denn in meiner ersten Bewertung habe ich ja vor allem den Text kritisiert - und der ist ja derselbe. Darum möchte ich noch kurz etwas zur musikalischen Gestaltung des Songs sagen und wie sie meine Bewertung beeinflusst hat.


    Die Punktezahl zeigt: Ich halte von der Albumversion herzlich wenig. (Habe ich eigentlich mal einen Song niedriger bewertet? paulschlunz weiß das bestimmt...), die unplugged-Version gefällt mir deutlich besser. Warum?


    Trauer ist - meinem Erleben, meinem Empfinden nach - eher introvertiert, die Auseinandersetzung des Einzelnen mit seinem Verlust. Ein Stück Popmusik, das Trauer ausdrückt, sollte das widerspiegeln. Tears in Heaven tut das mit einem "kleinen" Sound, kompaktem Arrangement: Nur Gitarre und Gesang. I Grieve schafft es in dem Teil, in dem sich noch nicht "das Leben wieder Bahn bricht", auf andere Weise. Hier sind mehr Instrumente und Effekte am Werk, aber das Stück bleibt "klein", weil die Melodie kaum bewegt ist.
    Die Unplugged-Version von Since I Lost You sagt mir mehr zu als die Albumversion, weil auch sie diesen "kleinen" Sound hat. Die Albumversion dagegen - und dieser Satz ist wahrscheinlich sehr ungerecht - versucht mit der Trauer ein Stadion zu füllen. Der Sound ist "zu groß", zu raumgreifend.



    ...



    Mir kommt gerade der Gedanke, SILY mit diesem Text sei der Song, den Genesis besser nicht hätte aufnehmen sollen. Weil das kleine Arrangement, das dem Text angemessen wäre, bedeutet hätte, dass Tony seine Finger vom Keyboard lässt - und ein Genesis-Song ohne Keyboard ist eben kein Genesis-Song.

  • Interessante Diskussion hier!
    Da möchte ich auch noch etwas ergänzen..


    Die X-Mas-Assoziation
    Seltsam! Ich habe das Stück nie in einem weihnachtlichen Kontext gehört.
    Dafür ist es doch viel zu melancholisch.
    Für eine weihnachtliche Stimmung braucht es für mich auch mehr als ein paar Rasseln.


    Die Produktion
    Das Stück ist in meinen Ohren nicht über-arrangiert, sicher geht auch weniger,
    die Unplugged-Version gefällt mir aber nicht besser als die Album-Version.
    Das Stück ist irgendwie schwermütig und schleppend gestaltet,
    so, als wäre man gelähmt, nach einer solchen (oder ähnlichen) Nachricht vielleicht nicht ungewöhnlich.
    Das Stück ist meiner Meinung nach so angemessen produziert.


    Der Text
    Ich hielt das Stück zunächst für eins der üblichen Trennungs-Lieder,
    da mir die Entstehungsgeschichte seiner Zeit entgangen ist.
    Das hätte sicher auch gepasst, wird aber im tatsächlichen Kontext aufgewertet.
    Die Passagen könnten auch in Trauerkarten Verwendung finden.
    Der Versuch die Situation mit Gleichnissen zu beschreiben, das Ringen nach Worten, passt auch!
    Wie denn sonst? "Tod, schade, Beileid"?


    Die Veröffentlichung
    Kann man einem Künstler eine Veröffentlichung vorwerfen?
    Kunst ist seine Ausdrucksform, natürlich will er, das sie gesehen oder gehört wird.
    Es gibt ja immer mal Beispiele, wo Interpreten sich weigern, ihre Songs zu singen,
    z.B. weil sie mit zu viel Schmerz verbunden sind oder auf diese Weise einer Person gewidmet werden sollen (siehe Elton Johns Candle in the Wind).
    So weit ich weiß, wurde SILY nie live gespielt, also auch nicht im Stadion "gegröhlt", oder?
    Und die Frage, ob es auch andere Wege der Anteilnahme gegeben hätte?
    Das Stück wird sicher nicht die einzige Beileidsbekundung der Band / von PC gewesen sein.


    Der Erfolg
    SILY war keine Single und lässt sich schon deshalb (bzgl. des Erfolges) nur bedingt mit Tears in Heaven vergleichen. Das die vermeintlich mangelnde Qualität des Songs der Grund für seinen Misserfolg (woran das auch hier immer festgemacht wird) sein soll, ist ja angesichts des bekannten "Hitparadenmaterials" auch eine recht gewagte These.


    Zitat

    Wenn sunrise zum Beispiel hier im allgemeinen bashing aufsteht und in seiner Berührtheit für das Lied einsteht, dann gebührt ihm mein großer Respekt.


    Danke, ich bin ja aber nicht allein. ;)

  • Weil das kleine Arrangement, das dem Text angemessen wäre, bedeutet hätte, dass Tony seine Finger vom Keyboard lässt - und ein Genesis-Song ohne Keyboard ist eben kein Genesis-Song.


    Wie z.B. Horizons. ;)


  • Stark geschrieben SUNRISE. Sehe ich genauso.
    Habe SILY auch NIE mit Weihnachten assoziert, eher als trauriges Trennungslied.


    Muss aber auch sagen, dass ich es toll finde, dass hier echt mal wieder sehr kontrovers diskutiert wird.
    Mit großer Resonanz. Das gefällt mir.
    Im Übrigen fand ich Claptons "TEARS IN HEAVEN" immer etwas überbewertet.
    Ein schöner und trauriger Song, ja aber dieser Megaerfolg? Hmm, eher nicht...

  • oder More Fool Me


    Aber schön zu sehen, dass auch nach 150 Jahren TotW mal wieder einer zu größeren Diskussionen taugt :)


    Finde ich auch. Liegt aber am entsprechenden Stück.
    Bei Supper´s Ready oder The Cinema Show gibt es ja nichts grossartig zu diskutieren.

    Das Leben ist eine Illusion, hervorgerufen durch Alkoholmangel

    Charles Bukowski

  • Der für mich schlechteste Song auf We can´t Dance. Obwohl ich das Album liebe. Aber das muss ich zugeben. Keine Qualität von Genesis und auch von Phil.

    Einmal editiert, zuletzt von ABCOE ()