TotW: [08.06. - 14.06.2015]: PETER GABRIEL - Mother Of Violence

  • Mit diesem Stück komme ich so wenig klar, dass ich mich dem Voten enthalte. Es ist offenbar Kunst, vielleicht große Kunst, aber mir fehlen hierfür die Synapsen.

  • Ich bin ja ein Fan der ruhigen PG Stücke.


    Mother brauchte einige Anläufe, um sich bei mir einzuschmeicheln. Aber mittlerweile ein wunderbarer Song. Manchmal braucht es einfach nicht viel.


    12 Punkte

  • Ein wunderbares musikalisches Kleinod auf "Scratch". Wenn Peters Stimme schon damals so gewesen wäre wie dann rund 20 Jahre später, so wären es für mich garantiert 15 Punkte wert gewesen. So "nur" 13.

  • Ein wunderbares musikalisches Kleinod auf "Scratch". Wenn Peters Stimme schon damals so gewesen wäre wie dann rund 20 Jahre später, so wären es für mich garantiert 15 Punkte wert gewesen. So "nur" 13.

    Mhm, ich finde gerade Peters Gesang auf PG II wunderbar. So herrlich expressiv (rockig), schräg, noch Rael von Lamb verhaftet. Hier kommt eine verzweifelte Zerbrechlichkeit hinzu, die diesem Stück gerecht wird. Der erdige Peter 20 Jahre später hätte dem Song vielleicht eine (zu) gemütliche(re) Note verliehen. Ich betone vielleicht. Mit dem New Blood - Orchester wäre es möglicherweise, nein, betimmt toll geworden....Ich liebe diese Stück, es ist zeitlos.

    • Offizieller Beitrag

    Eine Frau geht barfuß die Straße entlang. Das klingt im Deutschen nach Sommer, Sonne, Leichtigkeit, nach tänzelnden Schritten „so voller Rhythmus“, nach Sommerkleid und Unbeschwertheit. Die leichte, so entspannt wirkende instrumentale Begleitung der einfachen Gesangslinie unterstützt den Eindruck.

    Aber hier ist allerlei sehr merkwürdig: Die Frau ist voller Rhythmus, aber den Beat kann der Sprecher nicht finden. Ihre Bewegungen sind ebenfalls eigenartig: Sie „knickt ihre Fersen und schnalzt mit den Zehen“ – klingt ziemlich schmerzhaft. Seltsam verdreht ist hier auch die Sprache:„to snap a heel kann bedeuten, dass ihr ein Absatz abbricht – aber das ist schwierig, wenn sie barfuß läuft. Wie man mit den Zehen schnalzt, wüßte ich nicht zu sagen. Schließlich ist hier noch der Ausdruck to click one’s heels (die Hacken militärisch zusammenschlagen) im Wortsinne umgedreht enthalten; und auch das ergibt kaum Sinn hier.

    Englisch-Muttersprachlern wird das Double entendre der ersten Zeile gleich auffallen: to walk the street ist eben nicht nur ein Spazieren, sondern sozusagen ein Geschäftsgang: „auf den Strich gehen“. In diesem Zusammenhang bekommt auch beat eine zusätzliche mögliche Bedeutung, nämlich als der „Bezirk“, das „Revier“ der Dame.

    Hinter der luftig-sommerlichen Fassade braut sich etwas nicht so richtig Fassbares zusammen, der Text verstört in seiner Unbestimmtheit: Sonnendurchflutete Sommerstraßen oder schmuddeliger Straßenstrich? Ist die Frau barfuß oder hat sie Schuhe mit Absätzen an? Woher diese merkwürdige Gangart (die ja wohl nicht auf Monty Pythons Ministry of Silly Walks bezugnimmt)? Wenn sie „voller Rhythmus“ ist, warum kann der Sprecher ihn nicht finden? Wenn „jeder genau weiß, wohin sie geht“, warum kann der Sprecher ihr „Revier“ nicht finden?

    Weil sie gesichtslos ist. Weil sie körperlos ist. Die Beschreibung ihrer Gestalt, soweit man davon überhaupt sprechen kann, hört bei den Fußknöcheln auf.


    Angst. Angst ist die Mutter der Gewalt. Angst ist offenbar die Frau, die in der ersten Strophe geschildert wird. Angst ist gesichtslos, körperlos, geht wie eine Bordsteinschwalbe mit jedem mal mit. Und der Sprecher wird ganz angespannt, wenn er sieht, wie sie sich fortpflanzt.

    Die zentrale Botschaft steht dann in der nächsten Zeile: „Du weißt, du musst dich nur dagegen wehren können.“ Und doch: Man bekommt keine Luft mehr, und es wird so schwer, an etwas, an irgendetwas noch zu glauben, wenn die Angst einen im Griff hat.


    Die zweite Strophe ist noch kryptischer: Die erste Zeile lässt sich noch als Angstreaktion beschreiben. Wie der Rest der Strophe sich in den Kontext des Liedes einfügt, ist rätselhaft. Sind es Dinge, die Angst auslösen? Dinge, vor denen man Angst hat? Interessanterweise ist auch diese Strophe “körperlos”: Während in der ersten Strophe noch “ihre Füße” genannt werden, enthält diese nur noch “meine Schuhe” – der Sprecher ist (im Griff der Angst?) noch weniger sichtbar als sie selbst.


    Der Refrain ändert sich um eine Kleinigkeit: Es ergibt keinen Sinn, sich anzuschauen, wie Angst sich fortpflanzt – aber es macht den Sprecher ganz angespannt zu sehen, wie sie sich nährt.


    Die Angst ist unsichtbar – wir sehen sie nicht, wir können nur kaum wie in der ersten Strophe wahrnehmen, wie sie sich einschleicht. Wir sehen sie nicht, aber wenn sie da ist, dann liegt etwas Unbestimmtes in der Luft, ein feines, kaum wahrnehmbares Aroma. Nicht nur Hunde riechen, wenn jemand Angst hat. Man bekommt keine Luft mehr, und wenn die Angst einen im Griff hat, wird es so schwer, an etwas zu glauben, an irgendetwas noch zu glauben, außer an Angst.


    Mother Of Violence ist eines meiner liebsten Stücke von PG2. Die Gitarre tänzelt täuschend schlicht durch die Melodie, die Gesangslinie ist ebenfalls so simpel gestaltet, dass man sie fast ohne weiteres mitsingen könnte. Das ganze Stück schleicht sich ganz unauffällig ins Ohr und plötzlich bekommt man die Melodie nicht mehr aus dem Sinn – genau wie die Angst. Die Melodie setzt den Inhalt des Liedes mustergültig um. Ein fantastischer Effekt ist der sägende Gitarrenklang gegen Ende des Stückes, der, wie die Angst, plötzlich da ist und den scheinbaren Charakter des Stücks kippen lässt.


    Das Stück verdeutlicht aber nicht nur in treffenden Metaphern und einer perfekt stimmigen Musik, wie sich Angst einschleicht und ausbreitet und wie ohnmächtig man sich ihr ausgeliefert fühlen mag. Peter Gabriel hat immer wieder von Liedern als device gesprochen, als einem Werkzeug zur Überwindung eines Zustandes (Depression/Arbeitslosigkeit in Don’t Give Up, Trauer in I Grieve, Phobien in Darkness). Mother Of Violence, möchte ich behaupten, ist ein früher Prototyp des songs as a device, denn das Stück gibt Handreichungen gegen die Angst. Das geschieht hier viel niederschwelliger und viel generischer als bei den genannten Stücken, nämlich in einer einzelnen Zeile: You know self-defense is all you need. Will heißen, das Entscheidende ist laut Songtext, dass man beherzt bleibt und sich wappnet gegen Leute/Dinge/Ereignisse, die einem Angst einflößen wollen. Sonst fühlt man sich ausgeliefert wie ein Käfer auf dem Rücken liegend (und strampelt mit den beschuhten Füßen hilflos in der Luft herum).


    14 Punkte.