Textmeister - Ahnen schöner Rocktexte und Inspirationsquellen für Gruppen-Namen

  • Hackers Rilke-Interpretation trifft nicht so recht meinen Nerv, aber nun hat brecher auch ausgerechnet das Gedicht mit einer meiner Lieblingsstellen erwischt:

    "Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
    so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
    Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
    und hinter tausend Stäben keine Welt."



    Wahnsinn, die Zeilen. Davon habe ich nun im Laufe der Zeit schon so viele Interpretationen gehört und war selten angetan.
    Otto Sanders Stimme kommt meiner Vorstellung schon recht nahe, aber die musikalische Untermalung kann man sicher auch diskutieren.

    Rilke Projekt mit Otto Sander – Der Panther

    But now for sth. completely different.

    Auf eine weitere Anregung Frostis hin habe ich mich kürzlich mal durch Achim Reichels Album "Regenballade" gehört, auch wenn sich das bei diesem Wetter keiner vorstellen kann. Darauf hat dieser 1978 einige Werke deutscher Lyrik vertont. Gemeinsam ist ihnen allen das Element Wasser, und mit der See hat Reichel es ja wohl schon immer gehabt.
    Das funktioniert - sieht man mal vom albernen Baßspiel ab - sehr schön bei dem traurigen Nachruf [FONT=&quot]"Een Boot is noch buten"[/FONT] (Arno Holz), über den Fischer, der aus dem Sturm nicht zurückkehrt, oder bei der bildmächtigen Beschwörung der Naturgewalt der Nordsee in [FONT=&quot]"Trutz, Blanke Hans" [/FONT](Detlev von Liliencron) über den Untergang der Stadt Rungholt und scheitert komplett, wenn aus Fontanes dramatischem Seenot-Report "John Maynard" (mußten wir in der Schule noch auswendig lernen) eine flotte Country-Nummer wird, (die allerdings erst für die CD-Wiederveröffentlichung 1990 angefügt wurde). Also Licht und Schatten, dazwischen einiges dämmrig.

    Ein Lied hat mich dann aber dann doch länger beschäftigt, und das ist das Titelstück:

    Achim Reichel - Regenballade

    Was mit den Worten beginnt "Ich kam von meinem Wege ab...", ist schon mal immer verheißungsvoll.
    Und tatsächlich gewinnt die phantastische Geschichte der mir bisher unbekannten Ina Seidel über die unfreiwillige Begegnung mit einem glitschigen Wesen im Zusammenklang mit der düsteren Musik eine unheimliche Dichte. Da kriecht der Sumpf, in den sich der Wanderer verirrt, förmlich feucht und modrig in die Gehörgange.

    Und richtig watschelt er voraus, patsch, patsch am Uferrand entlang.
    Und wie im Traume heb ich auf und schleppe hinterdrein den Fang.
    Und krieche durch den Weidenhag, der eng den Rasenhang umschmiegt,
    wo, tief verborgen selbst am Tag, die schilfgebaute Hütte liegt.

    Da drinnen ist nicht Stuhl, nicht Tisch, der Alte sitzt am Boden platt,
    es riecht nach Aas und totem Fisch, mir wird vom bloßen Atmen satt.
    Er aber greift frisch in den Topf und frißt die Fische kalt und roh,
    packt sie beim Schwanz, beißt ab den Kopf und knirscht und schmatzt im Dunkeln froh.

    "Ihr eßt ja nicht! Das ist nicht recht!" Die Schwimmhand klatscht mich fett aufs Knie.
    "Ihr seid vom trockenen Geschlecht, ich weiß, die Kerle essen nie!
    Ihr seid bekümmert? Sprecht doch aus, womit ich Euch erfreuen kann!"
    "Ja", klappre ich: "Ich will nach Haus, aus dem verfluchten Schnatermann."

    Reizend, oder?
    Nachdem ich dann ein bißchen recherchierte, mußte ich zur Kenntnis nehmen, daß die Erwärmung für die Kunst nicht immer mit einer Sympathie für den Menschen dahinter einhergehen muß.
    Seidel war NS-Hofschreiberin, die es dennoch auch im Nachkriegsdeutschland zu Ansehen und Auflage brachte und sogar 1966 mit dem Bundeverdienstkreuz ausgezeichnet wurde.

    Warum Reichel ausgerechnet sie als einzige zeitgenössische Autorin und dann noch für den Titel ausgesucht hat, weiß ich nicht, aber das Stück paßt schon zu ihm, und ich verstehe auch seine Begeisterung für die saftige Lyrik, aus der so'n bißchen der Geist von E.T.A. Hoffmann hinüberweht.

    Es geht nicht immer rund zu im Leben. Trotzdem interessantes Album.

  • Kleines OT in eigener Sache. Ich verstecke das mal heimlich im Poesie-Sled, weil sich hierher wohl die wenigsten Umpfnasen verirren und, sobald er abgesunken sein wird, kein HAHN mehr danach kräht. Allerdings muss ich ihn demnächst selbst nochmal herausholen, weil ich Euch schon mehr als 100 Tage schulde, auf die wunderbaren Anregungen einzugehen.


    Also hier nun, in der Umgebung von Father Tiresias und Yeats und Dichtern mein erstes offizielles Outing: Jaa, ich bin weiblich. Hab eben nochmal gegoogelt, was das Netz unter dem Stichwort Hermaphrodite an Infos bereitstellt und ich kann sagen - nein, definitiv weiblich. Also genetisch. Kein Körperteil zuviel und keine zuwenig. Und nein, ich bin auch nicht paranoid. Oder paranormal. Okay, etwas Ektoplasma hinterm Ohr...


    Auch nach dem Outing sind mir im Forum neutrale Ansprachen angenehmer.
    Eine Bitte: keine Klarnamen, okay? Ich bin GitgO.


    Ich danke Euch für Eure liebevolle Solidarität und Loyalität. Das war unglaublich berührend und hat mich beschämt, weil ich Euch unnötigen Verdruß bereitet habe. Hiermit seid Ihr sozusagen aus der Verantwortung entlassen und könnt Euch wieder frei bewegen.

    13 Mal editiert, zuletzt von Get-in-to-get-Out () aus folgendem Grund: Ich hab nie behauptet, ich wär ein Mann.

  • Also dann: nochmal herzlich willkommen, Fräulein GitgO!

    :huhu:

    Dein Hotte

    I know a farmer who looks after the farm.
    With water clear, he cares for all his harvest.
    I know a fireman who looks after the fire.

  • Ts ts ts - GitgO weiblich. Wer hätte das gedacht?! ;)


    Einmal Meer Grüße von
    Frostie

    I'll never find a better time to be alive than now.

    Peter Hammill (on "X my Heart")

  • :ot:
    @Gitgo: Niemand ist vollkommen! :)
    (Für diejenigen die klassikercineastisch nicht so vollkommen sind wie unsereiner Dotterbärte und -bärtinnen ein weiterer Tip zum Zitatfinden für Ratefüche und -füchsinnen:
    Hessisches Staatstheater Wiesbaden


    noch meer Grüße von
    Ploddie :teufelgrins:
    :ot: OFF!


    Übrigens, um wieder zum Topic zurückzukommen: Sehr schön, sehr gut das hier, Ihr seid sehr belesen,ich bin tief beeindruckt, Helm ab!
    Aber um da noch mithalten zu können, ich der nur das kleine Lunatium auf Tasche hat, da muß ich noch tief in meinem Bauchladen kramen, aber, nur Geduld, mein Beitrag kommet!


    Dabei ist von Jethro Tull, soviel ich weiß, nichts Textliches überliefert. Der hatte andere Interessen. Das Schreiben hat er seinem Kollegen John Worlidge überlassen. Dessen Standardwerk "Systema Agriculturae or the Mystery of Husbandry" wurde aber meines Wissens nicht vertont. I


    Gehe ich also recht in der Annnahme, daß die "Erklärungen" der Radio-DJs im ganzen Lande falsch liegen, er habe dieses lange Zeit gültige Standardwerk selbst verfaßt?

    We can help You

    5 Mal editiert, zuletzt von Mr. Plod () aus folgendem Grund: gehe ich recht in der Annahme, daß Sie jetzt suchen werden?

  • Hi GitgO, das hat mich überrascht. Aber was soll´s, das ist für dich wichtig, dass du dich outest, für mich nicht so. Also, da sich alle User hier fast nie persönlich kennenlernen werden - ausser auf Stammtischtreffen oder Events, würde auch gerne mal ein paar User hier persönlich kennenlernen, - ist es für mich nicht wichtig, ob du ein männlicher oder weiblicher User bist.
    Wichtig ist, wie die Posts rüberkommen. Deine sind (fast;)) immer informativ und unterhaltsam. Lese ich gerne. Weiter so, und dann ist es mir scheissegal, ob diese Posts aus einer männlichen oder weiblichen Feder kommen.
    Na ja, ab und zu finde ich sie etwas langatmig, aber egal. Jeder hat seinen eigenen Schreibstil, und meiner lässt aus deiner und der Sicht von RoC manchmal etwas zu wünschen übrig:);).
    Also erst mal herzliche Grüsse von mir aus einem heute angenehmen Rio. 25 Grad und Sonne.

    Das Leben ist eine Illusion, hervorgerufen durch Alkoholmangel

    Charles Bukowski

  • Gehe ich also recht in der Annnehme, daß die "Erklärungen" der Radio-DJs im ganzen Lande falsch liegen, er [Jethro Tull] habe dieses lange Zeit gültige Standardwerk selbst verfaßt?


    Ich fürchte, dem ist so. Du weißt ja, wie das ist: einer setzt was in die Welt, und schon läuft ein ganzes Rudel damit los. Wenig später ist es common sense. Auch Zitate werden ja häufig irgendwem ungeprüft zugeschrieben.
    Ach übrigens: wusstet Ihr, dass sich ein Stück Rindfleisch komplett auflöst, wenn man es über Nacht in einem Glas Cola stehen lässt? (Hab ich selbst häufig gehört.)

    I'll never find a better time to be alive than now.

    Peter Hammill (on "X my Heart")


  • Ach übrigens: wusstet Ihr, dass sich ein Stück Rindfleisch komplett auflöst, wenn man es über Nacht in einem Glas Cola stehen lässt? (Hab ich selbst häufig gehört.)


    Wer macht sowas ekliges? :schock2:
    Oder ist es wie dieses Problem aus der Philosophie: Der Elephant ist immer nur dann im Kühlschrank, wenn man die Tür zuläßt...


    Ehe mir der Bart vor Grübeley wächst zumindest eine Skizze von Ahnen schöner Rocktexte:
    Meine Entdeckung dereinst war, daß es eine ANDERE DDR-Nationalhymne, eine alternative Hymne gibt und die ist von der im Westen sicher völlig unbeachteten Autorin Hildegard Maria Rauchfuß um 1970 geschrieben worden. Den Text bzw. die musikalische Umsetzung davon kennt eigentlich jede(r), die/der ein Herz für schöne deutschsprachige Musik haben:


    Am Fenster
    Text: Hildegard Maria Rauchfuß


    Einmal wissen dieses bleibt für immer
    Ist nicht Rausch der schon die Nach verklagt
    Ist nicht Farbenschmelz noch Kerzenschimmer
    Von dem Grau des Morgens längst verjagt
    Einmal fassen tief im Blute fühlen
    Dies ist mein und es ist nur durch dich
    Nicht die Stirne mehr am Fenster kühlen
    Dran ein Nebel schwer vorüber strich
    Einmal wirklich fassen und nie wieder
    alles geben müssen, was man hält
    Klagt ein Vogel? Ach, auch mein Gefieder
    Näßt der Regen flieg ich durch die Welt
    Einmal fassen tief im Blute fühlen
    Dies ist mein und es ist nur durch dich
    Klagt ein Vogel? Ach, auch mein Gefieder
    Näßt der Regen flieg ich durch die Welt


    Die musikalische Umsetzung ist von der (damals ost-)berliner Band City ~1975 komponiert worden.

    We can help You

  • Geschlechtszugehörigkeiten werden überbewertet.
    Insofern schließe ich mich dem Hinweis von Mr.Plod sehr gerne an, mit dem Verweis auf die berühmte Original-Filmszene des unverwüstlichen Wilder-Streifens:

    nobody’s perfect

    So also ein neuerliches Willkommen an unsere Fee der Kommunikation und lagerübergreifenden Verständigung und Vernetzung.

    Tja, wie kriegt man jetzt noch halbwegs die topic-Kurve? Vielleicht mit Patti Smith, der GitgO, wie ich meine verstanden zu haben, eine gewisse Verehrung zuteil werden läßt. (Und der die Waterboys mal den schönen Song "A Girl Called Johnny" gewidmet haben).
    Smiths gesamtes Werk ist nicht gerade arm an literarischen Bezügen. Weiter oben wurde bereits ihre Wertschätzung für William Blake erwähnt.
    Ihr letztjähriges Album heißt "Banga", und das ist der Name des Hundes in Michail Bulgakows epochalem Roman
    "Der Meister und Margarita" (1940).


    [Blockierte Grafik: http://images.zeit.de/kultur/musik/2010-03/patti-smith-4/patti-smith-4-220x124.jpg][Blockierte Grafik: http://www.peterkrueger.net/s/cc_images/cache_2439893469.jpg?t=1372937793]


    Smith begab sich mit ihrer Band auf Spurensuche in Moskau und ließ sich von Bulgakows Universum zu dem gleichnamigen Stück inspirieren.
    Für sie steht dieser Hund für Liebe und Loyalität, denn er wartet seit Jahrtausenden neben Pilatus an der Himmelspforte, wo dieser seiner Vergebung harrt.

    Patti Smith – Banga

    Der Titelsong zählt m.E. musikalisch nicht zu den Höhepunkten des Albums, wenn man aber die Hintergründe kennt, verdient er durchaus Aufmerksamkeit. Und Patti Smiths Lyrik ist eigentlich fast immer eine Reise wert.

    Loyalty rests in the heart of a dog
    Don't set all your eggs on the back of a frog
    You can lick it twice but it won't lick you
    And salivating salvation gone so long so


    Loyalty lifts and we don't know why
    And the paw is pressed against the nerve of the sky
    You can leave him behind but he won't leave you
    And the road to Heaven is true - true blue


    Banga
    Say Banga
    Say


    Loyalty lives and we don't know why
    And his paws are pressed to the spine of the sky
    You can leave him twice, but he won't leave you
    And the way to Heaven is true - true blue


    Say - Banga
    Say - Banga
    Say - Banga
    Say - Banga


    Loneliness lifts when you open the night
    Pilate awaits, as Jesus Christ
    Forget him not - won't forget about you
    The way to Heaven is blue - boo hoo


    Say - Banga
    Say - Banga


    Loyalty shifts if you carry a load
    Ah, don't shit it out in a golden commode
    You can kick him twice - it'll erode
    Night is a mongrel - believe or explode


    On the lonely night
    On a golden road
    Night is a mongrel
    Believe or explode


    [FONT=&quot]

    [/FONT]