Peter Gabriel: Neues Album "i/o" (2023) - Infos und Diskussion

  • Schweizer ZEIT-Redakteur, *1991. Kaufmännische Lehre, Studium Deutsch, Geschichte und Geschlechterforschung.


    Bin auch entsetzt von seinem minderfundierten Geschreibsel. Aber dass er keinen Bezug zu Peter Gabriel hat ...

    Nun ja, Peter hat 24 Jahre vor der Geburt des Autors begonnen, halbwegs professionell Musik zu machen. Man rechne mal vom eigenen Geburtsjahr 24 Jahre zurück: Ich habe auch nicht so viel Bezug zu Musikern, die 1949 Ihre Karriere starteten.

    Andererseits ist Peter, zumindest nach unserer Lesart, ein lebender Klassiker. Bei einem solchen sollten auch 300 Jahre Distanz (etwa im Fall von J. S. Bach) nichts ausmachen.

    Ich verstehe den Zusammenhang um den Herrn Posselt wohl nicht richtig. Hat der denn überhaupt sowas wie eine fundierte Alben-Kritik schreiben wollen?

    Hätte die "Zeit" dafür sonst nicht eher einen Musikjournalisten ausgewählt?

  • Mir gefällt i/o gut. Ein gelungenes Album, mit Highlights, aber auch schwächeren Songs.

    Besser als Up, aber herausragend ist es nicht.


    Sehe ich ähnlich. Außer die Stelle "Besser als UP". UP fand ich wesentlich düsterer. Wenn ich nur daran denke, in welch schaurig-schöne Stimmung mich damals allein Darkness versetzt hat. i/o hat solche (Gänsehaut-)Momente für mich nicht.


    UP ist was für Anhänger des "Mystery-Gabriel", i/o mehr was für Alters-Melancholiker.

  • Sehe ich ähnlich. Außer die Stelle "Besser als UP". UP fand ich wesentlich düsterer. Wenn ich nur daran denke, in welch schaurig-schöne Stimmung mich damals allein Darkness versetzt hat. i/o hat solche (Gänsehaut-)Momente für mich nicht.


    UP ist was für Anhänger des "Mystery-Gabriel", i/o mehr was für Alters-Melancholiker.

    Da bin ich absolut Team "Alters-Melancholiker". Die "Up" empfinde ich als ziemlichen emotionalen Bremsklotz. Nicht richtig spannend oder "mysteriös", sondern tendenziell behäbig und distanziert.

    Auf "i/o" hingegen öffnet Peter den Raum für intimere, unverstelltere musikalische Nähe und direkte Berührung. Sein musikalischer Ausdruck ist für meine Ohren feiner und lebendiger. Das gilt auch, aber nicht nur für seinen Gesang.

  • Schön gesagt.

    Axel hatte in der Presseschau vorn auf Seite 2 den Guardian zitiert. Die Guardian UK-Version hatte dann noch eine "Album of the week" nachgeschoben i/o - a beautiful comeback three decades in the making (by Alexis Petridis) eben, drei Dekaden. Auch wenn wir an ganz vielen Stellen uns an bekannte Linien und Elemente erinnert fühlen, so stecken uns doch 3 Jahrzehnte in den Knochen. Einige von uns Altfans wurden bitter, andere enttäuscht, manche sind abgestumpft, andere innerlich zerbrechlich geworden und Rentner wollen ihre Ruhe ... aber Peter hat einen ganz neuen Weg gefunden und zeigt ihn uns, bildet ihn auch musikalisch ab. Keine Riesen- Aufreger mehr, kein supermegafetziger Opener, nichts was uns sofort aus dem Fenster fegt. Nein, ein täuschend-harmlos camoufliertes Schlagerintro öffnet ein - so sagt es Petridis sinngemäß - echtes Album, das wunderbar ebbt und fliesst, wenn man es am Stück anhört.

    (clearly been conceived as an album: listened to in one sitting, it ebbs and flows beautifully).


  • Die "Up" empfinde ich als ziemlichen emotionalen Bremsklotz.


    UP ein "emotionaler Bremsklotz"? Kommt wahrscheinlich drauf an, was man unter "Emotionen" versteht. Ein Album ist für mich dann emotional gelungen, wenn es ihm gelingt, Stimmungen zu transportieren. Gut, das kann i/o. Aber genauso gut UP. Nur dominiert auf UP eben eine düsterere Stimmung. Der Opener "Darkness" hat mich anfangs sogar richtig "erschreckt". Das nenne ich eine richtige "Emotion". 8)


    Nicht richtig spannend oder "mysteriös", sondern tendenziell behäbig und distanziert.


    UP klingt bewusst "distanziert", weil es kühl und distanziert klingen soll, der "Düsternis" wegen. i/o kann und soll das wohl auch gar nicht. "Behäbig" sind beide Alben, allein schon aufgrund des hohen Anteils an langsameren Songs. Beiden Alben ist außerdem gemeinsam, dass sie erstklassig produziert sind.


    Auf "i/o" hingegen öffnet Peter den Raum für intimere, unverstelltere musikalische Nähe und direkte Berührung. Sein musikalischer Ausdruck ist für meine Ohren feiner und lebendiger. Das gilt auch, aber nicht nur für seinen Gesang.


    Ich würde es anders nennen: i/o ist das "warmherzigere Album", weil es oft ganz andere Themen (z.B. das Altern, Vergänglichkeit usw.) aufgreift und deshalb möglicherweise emotionaler rüberkommt. Bin aber nun mal musikalisch weniger ein Fan von "Herzenswärme" und "direkter Berührung", sondern mehr von Spannung und Finsternis. Dass Peter Gabriel diese "dunkle Seite" vortrefflich beherrscht, hat er bereits auf früheren Solo-Alben eindrucksvoll bewiesen (z.B. bei "Intruder"). Eigentlich schon lange vorher, zu seiner Zeit bei Genesis.


    i/o ist das bessere "Weiser Mann-Album", UP das bessere "Thriller-Album". Musikalisch enthalten beide Alben sehr starke, mittelstarke, mitunter aber auch etwas schwächere Stücke. Welche einzelnen Songs dies sind, liegt im Auge des Betrachters. Aber das ist ja bei allen Gabriel-Alben (und auch bei den Alben anderer Künstler) so.

  • Ich verstehe den Zusammenhang um den Herrn Posselt wohl nicht richtig. Hat der denn überhaupt sowas wie eine fundierte Alben-Kritik schreiben wollen?

    Hätte die "Zeit" dafür sonst nicht eher einen Musikjournalisten ausgewählt?

    Genau! Er hatte anscheinend nicht vor, eine fundierte Alben-Kritik zu schreiben, weil er so etwas - wenn man seine Kompetenzen anschaut - wohl gar nicht kann. Und die ZEIT hätte ja durchaus einen kompetenteren Autor, ja z.B. einen Musikwissenschaftler oder "Musikjournalisten" beauftragen können, wenn sie das gewollt hätte. Aber ich schätze, die Wahrscheinlichkeit wäre dann sehr groß geworden, dass da ein überwiegend anerkennender, würdigender, zumindest fairer Artikel bei herausgekommen wäre. Also schließe ich daraus, dass da jemand in der Führungsriege der Zeit einen nicht so ernsten, albernen, verballhornenden Artikel über Gabriel schreiben lassen wollte. Fantasie: So, als ob er (s)eine Ex-Partnerin, die Gabriel-Fan war, ein wenig ärgern wollte.

    Aber egal, für mich rangiert das Album momentan ziemlich weit oben in meinen Gabriel-Charts. Es gehört in die spezielle Selektion für mein Auto, wenn ich nach Weihnachten in die Berge fahre. Es erreicht mich tatsächlich ausnahmslos mit allen Stücken, vielleicht wegen den verschiedenen, abwechslungsreichen Stimmungen (nicht so einseitig wie der Vorgänger), auch wegen den Themen, auch wegen den Rhythmen, der Ausgewogenheit und den klanglichen Details, der klanglichen Transparenz. Dann kann ich auch mal alle Dark-Side-Mixe und alle Bright-Side-Mixe hintereinander hören, weil die Zeit da ist. Das wird eine "Road to Joy" sondergleichen. Ich finde es zudem erstaunlich, dass sie mir noch nicht zum Halse heraushängen, trotz vielfachem Hören. Und dass es Teil des Plans war, sich hier im Forum so ausgiebig immer einen Monat lang über ein einziges Stück ab Vollmond-Nacht differenziert auszutauschen, fand ich klasse und weiß es nun noch mehr zu schätzen. So etwas vergisst man nicht. Das ganze Jahr wurde dadurch enorm bereichert, ganz anders, als wenn einfach nur wieder so ein neues Album an einem Tag X erschienen wäre, kurze Zeit zu Diskussionen führt und dann wäre es das wieder gewesen. Diese Veröffentlichungsstrategie der Langsamkeit, der Entschleunigung unserer Zeit, wird für mich nachhaltig und bleibend sein.

    From the pain comes the dream. From the dream comes the vision. From the vision come the people. From the people comes the power. From this power come the change.”

    Peter Gabriel

  • Genau! Er hatte anscheinend nicht vor, eine fundierte Alben-Kritik zu schreiben, weil er so etwas - wenn man seine Kompetenzen anschaut - wohl gar nicht kann. Und die ZEIT hätte ja durchaus einen kompetenteren Autor, ja z.B. einen Musikwissenschaftler oder "Musikjournalisten" beauftragen können, wenn sie das gewollt hätte. Aber ich schätze, die Wahrscheinlichkeit wäre dann sehr groß geworden, dass da ein überwiegend anerkennender, würdigender, zumindest fairer Artikel bei herausgekommen wäre. Also schließe ich daraus, dass da jemand in der Führungsriege der Zeit einen nicht so ernsten, albernen, verballhornenden Artikel über Gabriel schreiben lassen wollte. Fantasie: So, als ob er (s)eine Ex-Partnerin, die Gabriel-Fan war, ein wenig ärgern wollte.

    Ich weiß nicht, was das mit Fairness zu tun hat, was der Herr geschrieben hat. Es wirkte auf mich wie ein ganz offenherzig subjektivistischer Text, der ein bisschen unterhaltsam die Alben des Jahres abarbeitet. Dass sich hier einige darüber ärgern, muss m.E. überhaupt nicht bedeuten, dass der Verfasser jemanden ärgern wollte.

  • Ich weiß nicht, was das mit Fairness zu tun hat, was der Herr geschrieben hat. Es wirkte auf mich wie ein ganz offenherzig subjektivistischer Text, der ein bisschen unterhaltsam die Alben des Jahres abarbeitet. Dass sich hier einige darüber ärgern, muss m.E. überhaupt nicht bedeuten, dass der Verfasser jemanden ärgern wollte.

    Mit fair meine ich sachlich und differenziert. Es würde natürlich einen Unterschied machen, wenn dieser Text in einer satirischen Rubrik stehen würde. Das scheint mir aber nicht der Fall zu sein.

    From the pain comes the dream. From the dream comes the vision. From the vision come the people. From the people comes the power. From this power come the change.”

    Peter Gabriel

  • Ich weiß nicht, was das mit Fairness zu tun hat, was der Herr geschrieben hat. Es wirkte auf mich wie ein ganz offenherzig subjektivistischer Text, der ein bisschen unterhaltsam die Alben des Jahres abarbeitet. Dass sich hier einige darüber ärgern, muss m.E. überhaupt nicht bedeuten, dass der Verfasser jemanden ärgern wollte.

    Ich versteh die Aufregung auch nicht. Ich bin eher ein bisschen betrübt darüber, mit wieviel Aggression da teilweise darauf reagiert wird. Fast meint man, Timo Posselt müsste Angst davor haben, von einem PG-Fundamentalisten tätlich angegriffen zu. werden.


    PS: Ich finde Posselts Text auch keine Jahrhundertrezension. Ein bisschen infantil und oberflächlich. Aber irgendwie ganz amüsant.

  • Ich versteh die Aufregung auch nicht. Ich bin eher ein bisschen betrübt darüber, mit wieviel Aggression da teilweise darauf reagiert wird. Fast meint man, Timo Posselt müsste Angst davor haben, von einem PG-Fundamentalisten tätlich angegriffen zu. werden.


    Nun ja, so mancher, auch hier im Forum, sieht's vielleicht auch etwas stärker durch die Fanboy-Brille. 8);)