SdW [16.-22.05.11]: GENESIS - Stagnation

  • Ja, ein paar nette Momente gibt es in diesem Song. Sie deuten das geniale Potenziel der Gruppe an, das sich so richtig erst ab Foxtrot gezeigt hat.

  • Um noch mal zum Text zurückzukommen, wundert es mich jetzt gar nicht mehr, dass Genesis in eher Italien und Deutschland geliebt wird. Muss sich doch der Nativ Speaker die ganze Zeit den Kopf zerbrechen, was der Dichter ihm wohl damit sagen will, so können die des Englischen weniger Mächtigen in dieser Zeit dem Zauber der Musik und des Gesangs folgen.


    Ich kann leider nur 14 Punkte geben, nicht weil es Besseres gibt (nicht mit Herma anzulegen), nur weil mir andere mehr gefallen (dafür dürfte er Verständnis haben).

  • Stagnation: Ursprung (a.k.a. quasi- Arbeitstitel)

    Armando Gallo, "I Know What I Like", deutsche Ausgabe, Seite 18:

    Tony Banks: "In der ersten Hälfte des Sommers (1969), während wir in Oxford
    durch die Gegend zogen, schrieben wir einen Song "The Movement",
    ein 45-Minuten-Stück; von dem wir seitdem immer wieder Teile
    benutzt haben. "Get 'em Out By Friday" und "Stagnation" waren darin
    enthalten."

    "Chapter & Verse", Seite 56: ... und als Gruppe hatten wir an einem
    Stück mit dem Titel "The Movement" gearbeitet, aus dem später
    "Stagnation" wurde ...


    Seite 79, Tony Banks: ... "Stagnation" hatten wir hingegen alle zusammen
    ausgearbeitet, ... (und es) ist vermutlich das beste Stück des Albums,
    denn es zeigte, in welche Richtung wir uns entwickelten ... Außerdem
    mußte ich für "Stagnation" (sinngemäß) mein erstes Solo überhaupt
    ausarbeiten, was ich eher komponierend, als improvisierend, bewerkstelligte ...


    Stillstand - Stagnation - (Textübersetzung)



    (Für Thomas S. Eiselberg, einem sehr reichen Mann, der klug genug war,
    all sein Vermögen in einen sehr tief gelegenen Bunker zu investieren.
    Als einziger Überlebender der Menschheit erbte er die ganze Welt.)



    Hier und heute erzählt die Rotglut des Himmels ihre Geschichte,
    doch es gibt nur noch meine Ohren und Augen.
    Stille liegt nun über den Hügeln, und die Nacht
    wird meine Narretei bald verhüllen.
    Gepriesen jene, welche, ledig nun ihrer Körper,
    lächeln, wie jede andere Ansammlung;
    harrend ihrer Errettung


    Aber warte, du hast ja noch Zeit, um im Tümpel zu baden,
    um die Vergangenheit abzuwaschen, und der Mond,
    mein mir so lang verborgener Freund, lächelt von
    oben herab, belächelt meine Tränen.
    Komm, wir gehen den Weg, der zu meinem Heim
    führt, um der Nacht zu entfliehen.
    Die eiskalte Klinge ist gekommen, um die Toten
    zu dekorieren - irgendwie.


    Und alle finden eine Heimstatt
    Und dann ist da auch noch Zeit
    für die Liebe, mein Freundin:
    - du bist da -


    Und, werde ich wohl für immer warten,
    da, neben dem stillen Tümpel,
    und nach bitteren Elritzen fischen,
    inmitten von Unkraut und schlammigen Wasser?


    Und ich möchte mich setzen.
    Und ich möchte trinken,
    um mir all den Staub und Schmutz von der Kehle zu spüren.
    Ich möchte trinken; trinken,
    um den Schmutz, der mir tief in den Gedärmen sitzt, abzuwaschen
    Ich möchte trinken.


    Nun lass' uns trinken.
    Nun lass' uns lächeln.
    Nun lass' uns gehen.


    (Kommt mit mir auf Schatzsuche,
    es gibt genug für uns alle.
    Kommt mit mir, wir teilen uns den Schatz,
    nicht anders scheint mir das, als jede gewöhnliche Narretei.)



    Reprise (Frühere Version, BBC Nightride 1970)


    (Join with me upon the quest for gold,
    there's enough to make us all feel good.
    Join with me, we'll share the treasure trunk,
    seems to me like any other pride)



    Interpretation:


    Hintergrund des Songs ist natürlich die in den
    Zeiten des Kalten Krieges rapide anwachsende
    Angst vor einem Atomaren Erstschlag.
    Während man in den 50er Jahren noch die
    Empfehlung ausgab, man möge doch die
    Aktentasche vor das Gesicht halten und unter den
    nächsten Tisch kriechen, war der Bau von privaten
    Bunkern ab Mitte der 60er Jahre ein ernsthaftes
    Thema, welches Peter mit diesem Text wohl persiflieren wollte.


    Herr Eiselberg ist klar und eindeutig der einzige Überlebende,
    doch was nützt ihm das? Das Wasser ist verseucht,
    die Ruinen brennen zum Himmel, und nur noch im Mond
    hat er einen Gefährten, der ihm zum Heim begleitet.
    Und dann wir der - zwangsläufig - irre,
    Realität und Wunschbilder vermischen sich,
    er nimmt Abschied von seiner (nunmehr nur noch
    fiktiven) Liebsten und springt in den See,
    um selbigen leer zu trinken (Trink leer, Träumer, bald ist nichts mehr).
    Vielleicht sticht er sich, zur Sicherheit, vorher noch
    die eiskalte Klinge durch die Gurgel, oder ist sie
    nur eine Metapher für die Kälte des Todes?
    Fazit: Bunkerbauen? - Lohnt sich nicht.



    Trespass ist die mir liebste Platte von Genesis,
    knapp vor WIND und LAMB. Was macht diese
    Platte so besonders, einzigartig?


    Es ist die traumhafte, magische Zusammenarbeit
    zwischen Phillips und Rutherford an den 12-saitigen
    Gitarren, die etwas ganz eigenes, geradezu, im wahrsten
    Sinn des Wortes, bislang "Unerhörtes" entstehen lässt.
    Dazu Peters (noch vom Blues und Soul geprägter)
    rauher Gesang, dem oft eine tragische Koloratur innewohnt,
    die hier noch nicht von Phil's albernen Ah's und Oh's ruiniert
    wird. Im Gegensatz zum Erstling passt der backround Gesang
    von Banks, Rutherford und Phillips hier hervorragend zum
    Gesamtbild, welches Peter mit dezenten Flötentönen verziert.


    Besonders auch durch die Art und Weise, mit der Tony Banks
    seine Orgel behandelt: Er spielt sie im Stakkato-Stil, als würde
    er (noch) an (s)einem Klavier sitzen. Was zunächst wie ein
    Manko klingt, ist ebenfalls ein einzigartiges, großartiges
    Novum: Impressionistische Orgel-Klang-Tupfer.


    Anstatt die Platte mit prahlerischen Soli zuzukleistern, wie
    so viele Zeitgenossen, setzen Genesis auf verhaltene
    Stimmungsbilder (natürlich auch daraus resultierend, dass
    sie ihre Instrumente in jenen Tagen noch nicht ganz so virtuos
    beherrschten, wie 2-3 Jahre später.)


    Wir dürfen nicht vergessen, das die Musik den Text illustriert.
    Was hätte ein virtuoses Keyboard- oder Gitarrensolo wohl
    in einem Song, der die Verzweiflung des einzigen Überlebenden
    nach dem Atomaren erstschlag beschreibt, zu suchen? Nichts
    - es sei denn, als finstere Einleitung, komponiert wie vielleicht
    im Stil von "Fly On A Windshield". Aber diese gibt es nun einmal nicht,
    wäre aber eventuell keine schlechte Variante gewesen, auch die
    Atomare Katastrophe (vorher) zu Ton zu bringen ...


    "Stagnation" ist für mich auf einem durch und durch gelugenem
    Album (dessen schwächsten Teil für mich eher noch die große
    Hymne "The Knife" darstellt), einer von allen guten Songs, aber
    nicht der beste. Da kämen eher "Visions Of Angels" (der Song, den
    viele Künstler, vor allem Maler, spontan am meisten liebten, und in
    welchem sie eine große spirituelle Kraft enthalten sahen), Dusk,
    und vor allem das großartige "White Mountain" eher in Frage.


    Die Reprise der BBC-Version gefällt mir durchaus, das ganze
    macht textlich (bei meiner Interpretation) natürlich dann keinen
    Sinn; musikalisch wäre sie aber nur schwer mit der Coda (die
    wir ja nicht missen wollen) in Einklang zu bringen gewesen.
    Trotzdem glaube ich eher, dass dieser Schnitt (wie auch der
    Wegfall der Flöten-Coda bei "Dusk" eher der Rücksicht auf die
    limitierte Spielzeit des Vinyls geschuldet ist, als es künstlerische
    Gründe dafür geben mag.


    Das da Lied später nur noch kurz zitiert wird, - ein Jammer.
    Oder ein Segen, weil uns Phil's Version erspart blieb?


    15 Punkte.

    21 Mal editiert, zuletzt von Der Teemeister ()

  • Natürlich hätte man daraus mehrere Stücke machen können. Eigentlich auch müssen. Ich empfinde es allerdings irgendwie auch nun ja, beschämend wäre übertrieben, sagen wir unglücklich, dass man das auch hört.


    Ich find´s nicht unglücklich, dass man das auch hört. Schließlich ist Supper´s Ready ja auch namentlich in 7 Stücke unterteilt, soll also auch garkein einheitliches Songgebilde wie Stagnation darstellen. Vielleicht sollte man Supper´s Ready eher im Sinne eines kleinen Konzept-Albums verstehen, bei dem die Stücke ineinander übergehen.

  • Ich gebe Stagnation15 Punkte, da es sowohl auf dem Album Trespass als auch bei I Know What I Like "Medley" aussgesprochen gut klingt! (Das reicht als Begründung! s.Teemeister ;) )
    Vor allem bei der DVD When In Rome, wenn das Publikum mitsingt, bekomme ich immer Gänsehaut!

    Eric Clapton: Hamburg Phil Collins: Köln (5x) , Hannover (2x) , Köln (2x) Genesis:15.06.2007 - Hamburg (AOL Arena) Peter Gabriel:18.10.2013 - Hamburg; 03.05.2014 - Hannover Steve Hackett:11.09.2015 - Hamburg, 23.04.2019 - Hamburg The Musical Box: 31.10.2014 - Bremen, 23.11.2018 Bremen Australian Pink Floyd Show: 5x (seit 2015) Roger Waters:14.05.2018 - Hamburg Nick Mason's A Saucerful of Secrets:13.09.2018 - Hamburg Queen+ Adam Lambert: 20.06.2018 - Hamburg Robbie Williams:11.07.2017 - Hannover

  • @ Der Teemeister: Danke!!!!


    Die - eher sinngemäße als wörtliche (bevor sich hier jemand beschweren will!) - Übersetzung finde ich sehr überzeugend, und deine Interpretation spricht in etwa aus, wie ich den Song ebenfalls verstanden habe (nur hätte ich es nicht so schön wie du ausdrücken können :-)!).


    Um noch auf die hier z.T. angebrachte Kritik an Symbolik/Metaphorik einzugehen: Lest mal hochgelobte Dichter wie Ted Hughes oder Sylvia Plath, da fass ich mich eher schon mal an den Kopf. Ich finde, Peter bewegt sich durchaus im Bereich des Nachvollziehbaren, wenn man sich mal moderne und erst recht postmoderne Literatur ansieht. Das fängt schon bei Joyce oder D.H. Lawerence an, wenn die versuchen, irgendwelche Seelengefühle auszudrücken.


    Ganz abgesehen davon, dass ich einige Metaphern recht gelungen finde - z.B. "the red sky tells his tale, but the only listening eyes are mine" - natürlich können Augen nicht hören, aber Himmel auch nicht erzählen, und da der Himmel mit Hilfe seine Farbe erzählt, sind die Augen das Medium, über das der Protagonist "hört". Das finde ich, sofern man nicht schon die "tells his tale"-Personifizierung ablehnt, durchaus passend.


    Insgesamt hat Stagnation dennoch sicher keinen nobelpreisverdächtigen Text, aber welches Genesis-Lied (und, wenn man schon dabei ist, Poplied überhaupt) hat schon einen? Es gibt nur ganz wenige Rock-/Popsongs, die mich tatsächlich durch ihren Text begeistern, aber wenn der Text nicht so blöde ist, dass er nervt oder provoziert, dann interessiert mich in erster Linie die Musik, und die ist bei Stagnation - subjektiv betrachtet - ganz große Klasse.


    PS: Nochmal zu "pride", den martinus etwas unvorhergesehen fand - "Stolz" hängt natürlich immer davon ab, was man darunter versteht ("man kann doch nicht auf sein Land/sein Fußballteam stolz sein, sondern nur darauf, was man erreicht hat" - sowas sehen Leute z.T. unterschiedlich), gerade hier kann man mit herkömmlichen Konzepten aber weit kommen: Möglicherweise ist Herr Eiselberg stolz, dass er so klug ("who was wise enough...") oder reich ("spend all his fortunes") war, den Krieg zu überleben (das passt gut zum direkt vorangegangenen Einleitungstext), oder er empfindet eine Art unangemessenen Siegerstolz, dass er überhaupt überlebt hat ("ICH hab's geschafft" - bzw. mit Porcupine Trees "A Smart Kid": "I tell them I'm the only one - there was a war but I must have won"). Vielleicht kann man hier "pride" auch einfach als "Hochmut, Arroganz" verstehen, was im Englischen ja durchaus eine starke weitere Bedeutung des Wortes ist; das würde in Vorausahnung der Sinnlosigkeit vielleicht noch sinnvoller erscheinen.

    FolkProg bei www.favni.de oder fauns.bandcamp.com und favni.bandcamp.com

    2 Mal editiert, zuletzt von March Hare () aus folgendem Grund: Konnte mich nicht kurz fassen...

  • Leider habe ich weder Musik, Musikwissenschaften, (englische) Philologie, Linguistik o.ä. studiert.
    So kann ich auch keine 15P. geben.


    Der Song lebt für mich durch Anth und Tony.
    Über den Rest, insbesondere dem Schlagzeugspiel- und Sound hülle ich den Mantel des Schweigens.
    Gekürzt wäre er bei mir besser weggekommen.


    Gibt einen berechneten (guten) Durschschnitt von 9 P



    CM

    "Ich glaube, dass sich mein Standpunkt, nachdem ich die Band verlassen habe, nicht dramatisch geändert hat.(...).

    Aber ich bin immer stolz darauf, was ich tat und was sie taten"

    Peter Gabriel

  • Fand den song am anfang echt seltsam...Der song heisst stagnation und es geht wohl um die welt nach einem atomkrieg, ich erwarte etwas richtig finsteres, dunkles. Stattdessen ist das erste was hoere Akustikgitarren die feinste Fruehlingsathmosphaere vermitteln. Hat mich Anfang wahnsinnig gestoert. Und nun? Ich geb dem song mal 13 punkte, finde Stagnation mittlerweile wahnsinnig stimmig, allerdings hier und da etwas langatmig. Was es fuer mich wirklich macht ist der moment ab dem peter mit 'and will I wait forever...' einsetzt. Die Melodie, die dazu von ant und mike gespielt wird, hat mich schon oft auf die rewind-taste druecken lassen :) Insgesamt ein toller, stimmiger song mit ein paar laengen, der vor allem davon profitiert, dass er natuerlich von einem zum anderen moment uebergeht ohne so dermassen mit taktwechseln und Peters Text vollgestopft zu sein.

  • Ganz klar 15 Punkte von mir, weil es so viele Stimmungen transportiert, so traurig und doch hoffnungsvoll. Eine Atmosphäre die man mit nem messer schneiden könnte.