SdW [05.-11.10.09]: GENESIS - White Mountain

Prophet:

Da darf sich nun halt jeder seine Meinung bilden, ob die "neuen" Effekte besser als die alten sind oder nicht.

Selbstverständlich. Mehr habe ich auch nicht getan, und dies auf Deine Anfrage.

Entangled: Prophet:

Zitat

aber ein "ausfaden" findet da definitiv nicht statt.

einigen wir uns auf eine radikale plötzliche Lautstärkenabsenkung - und zwar genau da-
wo bislang Lautstärke aufgebaut wurde, um den Mellotron-Chor in Szene
zu setzen. So, wie es jetzt ist, verändert es den ursprünglichen Charakter.
Ich sage - in Erstnennung - nicht: etwas ist besser oder schlechter; ich sage lediglich:
es ist nicht mehr so, wie es war. Sein Charakter ist verändert, und zwar so,
dass es für mich nicht mehr authentisch ist. Dann erst kommt meine Wertung:
technisch und künstlerisch: totaler Murks.

Diese Effekte gab es an diesen Stellen schon in den Originalabmischungen

das umherwirbeln der Stimme nicht; Effekte, ja, aber nicht so
"hascherisch", nicht so übertrieben. Und genau das ist der Punkt.

Ich find Trespass heute wesentlich anhörbarer als im Original.

Ich nicht. Einige Titel sind ihrer Authentizität beraubt. Darum haben sich
die noch lebenden Beatles, George Martin und Yoko Ono gegen einen
neuen Mix entschieden. Natürlich auch, weil eine Summe aus 4 Spuren
nicht mehr trennbar ist, wenn die einzelnen Zuspielungen nicht mehr existieren
bzw. einige Dinge (zusätlicher Gesang, Shaker usw,) beim Abmischen
sozusagen live im Studio dazukamen.

mussten sie mit dem heutigen Equipment reproduziert werden

darum haben die Beatles respekt. George Martin ihr altes, dereinst
nach Australien (oder war es Neuseeland?) versteigertes Mischpult
aus den Abbey Road Studios eigens für die Anthologie-Serie
zurückgeliehen - Authentizität, statt: All Change, als wären wir
bei Orwells Big Brother.
Darüber hinaus wirst Du mir aber zustimmen, dass ein Effekt
von damals heute mit Leichtigkeit reproduziert werden kann, wenn man
nur will. Das ist technisch ohne weiteres auch auf den modernen
Mischpulten möglich, die Kinderstube zu reproduzieren.
Es ist vielmehr die Frage: Will man das überhaupt - oder will man
vielmehr manche Effekte gnadenlos auf die Spitze treiben?

TRESPASS hatte früher, im Klang, immer eine gewisse Tiefe.
Das hatte dereinst Steve Hackett in's Schwärmen gebracht,
sinngemäß: es war eine akustische Gitarre, sie klang sehr
ätherisch, ich sah Wald, Farben usw.
Heute sind einfach nur die Bässe aufgemotzt und die Höhen
raufgezogen, alles scheppert und klirrt, vor allem bei den
Schlagzeug-Becken, nicht nur bei TRESPASS. Das hat auch
etwas zu tun mit der Zeit, in der ein Werk entstand; nicht nur
mit den technischen Möglichkeiten, sondern mit dem Zeitgeist.
Damals war noch nicht alles so auf vordergründige Sensationen
gerichtet; sondern auf ein verinnerlichendes Betrachten,
auf ein Eindringen in die Struktur; nicht am Klebenbleiben
an Oberflächen. Heute ist alles Sensation, Betäubung der
Sinne. Vorgaukelung.

Christian:

Tony Banks hat das deswegen "erlaubt", weil die Songs endlich so klingen  sollten, wie Genesis es seinerzeit eigentlich wollten, mangels Zeit und  Technik aber nicht hinbekommen konnten.

Ich habe die reissue-interviews
auch gehört, keine Sorge. Peter stimmt
ihm ja bei. Nur: war es wirklich so, oder hat da bei beiden die Lust am
technischen Herumspielen die Oberhand gewonnen? Peter gibt das
ja beinah zu ... Steve Hackett hätte ja am liebsten alles neu
eingespielt ... Darum kann ich auch "The Lamb" live auf Archive
1 nicht hören: Peters junge Stimme, Peters heutige Stimme,
Steves alte Gitarre, neue Gitarre ... grauenvoll. Ein drop-out
zu ersetzen, ist okay. Aber ganze Passagen? Lieber authentisch
und unvollkommen, als so. Mit anderen Worten: So, wie Genesis
heute an ihr altes Werk herangehen, wird der Remix für mich
zur Katastrophe.

Nur weil ich große Teile ihrer Musik liebe, gefällt mir nicht automatisch und
zwangsweise alles; und die Herren stehen auch nicht außerhalb meiner Kritik.
Bei anderen habe ich allerdings schon dieses Gefühl.

Der Anspruch war, es endlich "richtig" zu machen, so, wie sich genesis das damals eigentlich gedacht haben.

Das habe ich da nicht gehört, sondern vielmehr: Wir hatten früher kaum Zeit,
über dieses Dinge nachzudenken.

Was sich ein Künstler jedoch fragen muß, ist, ob es wirklich sinnvoll ist, etwas,
dass er vor 40 Jahren erschaffen hat, mit der heutigen Draufsicht radikal zu verändern.
Und da wären wir wieder bei Orwells Big Brother.

Mittlerweile hat aber auch jeder verstanden, dass du (Teemeister) alles  
Frühe grandios findest und alles was danach kam immer schlechter.

So ist es nun einmal. Glaub mir, ich wünschte, ich hätte auch nur einmal
Grund, dass anders zu sehen. Mal schauen: "THRAK" von King Crimson
1995 war ganz gut; die Platte von David Sylvian mit Robert Fripp "The First
Day" (1993); "Spiritchaser" von Dead Can Dance, die Cocteau Twins,
Portishead und Massive Attack, "Sketches of Satie" von John und Steve
... das erste Album von Travis, aber sonst?
Selbst Transatlantic und Coldplay, - überflüssig- , für mich.
Du musst es den Leuten, die eine große Ecke der 60er Jahre und
die gesamten 70er miterlebt haben, es schon gestatten, wenn sie
beklagen, dass seither vieles den Bach runter ging, was einmal
als Anspruch erreicht war. Natürlich haben die jungen Menschen von
heute das Recht, ihre Idole zu lieben und das alte Zeug als
langweilig zu bezeichnen. Alles der normale Lauf der Dinge.
Das wirklich tragische ist: die alten Mixe verschwinden vom Markt.
Die Musik, so wie sie war, ist am Aussterben. Und das könnte man
als Geschichtslüge bezeichnen - philosophisch gesehen. Eine
ganz neue Interpretation des Wortes Archäologie wird da dereinst
geschaffen werden; in 200 Jahren: Musik-Authentizitäts-Ausgräber.

Ach ja: Den 5.1 Remix von "Blood Of Eden" auf "Play The Videos"
finde ich absolut grandios. So kann es sein, wenn man sensibel
remixt, ohne den Charakter des Originals zu zerstören.

Und was den Denkmalschutz anbelangt: Den sollte es sehr wohl
geben. Trotzdem kann man -alternativ dazu, und nicht das
ursprüngliche, bestehende gleich noch mit
auslöschend, - das Colosseum in Texas zusätzlich neu aufbauen ---

Gerade, weil ich beruflich lange hinter die Kulissen der
Medien-Industrie geschaut habe, stehe ich ihnen sehr
kritisch gegenüber und lasse mir nicht aller 3 Jahre Bedürfnisse
vormachen, die ich in Wahrheit garnicht habe.
Es ist heutzutage sehr leicht, sich an den neuen Medien
"auzugeilen" (bewußte Übertreibung) - das geht mir
doch nicht anders. Aber meine objektive Betrachtung
verliert sich nicht sabbernd in der plötzlichen Aufteilung auf
5 Lautsprecher; sondern die Frage ist doch immer: WIE
wurde etwas gemacht - bringt mir das mehr- oder reduziert
es gar das vorhandene Niveau? Das muß jeder für sich
allein entscheiden; keine Frage. Das ist mit dem
Handy nicht anders: Die Meisten interpretieren es
als Freiheit; aber vielen bringt es überwiegend Kontrolle
durch andere.

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Wir mussten hinein, um heraus zu finden

Eric:

Ich persönlich besitze einige Genesis-Alben fünffach: die ursprüngliche  
CD-Fassung, die DER-Version, die neuen Davis-Mixw und dann auch noch  
zweimal auf Vinyl

ich doch auch Eric; das Vinyl - und wäre es nur
wegen des großen Covers und der Archivierung der damaligen Sinneseindrücke,
die auch immer wieder hochkommen, wenn man es nur anschaut.
Bei WIND & WUTHERING ist die Ausgabe zwischen der ersten,
häßlich weisrandigen CD und dem "Definitive" Edition Remaster
klanglich sogar die mit Abstand beste.
NOCH findet man alles; aber die jungen Leute, denke ich, kaufen natürlich die
neuen Mixe.

Meine Meinung hierzu ist auch immer etwas philosophisch: Ist es wirklich
uneingeschränkt legitim, den ursprünglichen Charakter eines Originals
so stark zu verändern? Und was bedeutet das - hinter die Kulissen
geschaut - für uns, für spätere Generationen, für den Erhalt von
Werten ...