"Beatles vs. Stones vs. Mozart" - Sinn und Unsinn von Ranking-Listen und Spekulationen über zukünftige Rezeption klassischer Rockmusik...

  • Es gibt wirklich grausame Libretti, und zwar nicht zu knapp. Ich möchte aber einen Gedanken dazuholen: Die Texte sind zum Singen da. Was sich gelesen schlimm ausnimmt, kann gesungen eine ganz und gar andere Qualität bekommen. Ich habe das ganz besonders an den Texten Wagners bemerkt, wie krass sich der "Weia! Waga! Woge, du Welle!"-Quatsch in der Musik als sehr reizvoll zu erkennen gibt. So wie bei Songtexten auch bin ich irgendwann drauf gekommen, dass es nicht zuletzt auf die klangliche Eignung und Entfaltung ankommt. Damit zusammenhängend: literarisch anspruchsvolle Formulierungen können sich in Musik sehr gestelzt und konstruiert anhören.

    Hier ist ein ähnkiches Beispiel aus der Rockmusik, dem Prog gar: On a sailing ship to nowhere, leaving any place, If the summer change to winter, yours is no disgrace


    Klingt komisch, hört sich aber gut an beim Singen, und man kann ganze threads hindurch drüber diskutieren, ob es etwas Wesentliches bedeutet, und wenn ja - was.

    Ich habe zwar auch den Eindruck, dass Klavierklang einer der großen zeitlosen Klassiker ist, aber der (sehr variable) Klang eines Sinfonieorchesters gehört ebenso noch immer zu den ganz etablierten Klangidealen. Nicht nur weil sinfonische Musik am meisten Klassik-Hörys zieht, sondern auch Bereiche wie Filmmusik belegen das m.E. sehr eindrucksvoll: Da wird u.a. klassikfernem Publikum dann ein ganzer Score untergejubelt, ohne dass dies negativ auffällt. Ich bin auch überzeugt davon, dass man mit Streichorchester viel mehr machen kann, als du es bislang abgespeichert hast.

    Naja, mir kann man die nicht so einfach unterjubeln,obwohl ich vermutlich sogar etwas klassiknäher bin als der Durchschnitt. Ich steige erst mit den folkloristischeren Streichersoundtracks der Italo-Western Western ein. Und ja, ich würde gern mehr frische Herangehensweisen im Umgang mit Sreichorchestern hören. Vielleicht hast Du ja von dem, was es an Neuerem so gibt, ein paar Tipps.


    Dass Davis als einer der größten Jazzmusiker schon jetzt im Museum angekommen ist, ist die eine Sache. Ob seine Aufnahmen und Kompositionen auch für zukünftiges kulturelles Leben eine mehr als nur kleine Rolle spielen werden, wage ich zu bezweifeln. Ich stelle mir so kleine versprengte Jazz-Zirkel vor, in denen man sich über solche Aufnahmen austauschen wird. Ich sehe vor meinem antizipierenden Auge ein paar Davis-Tribut-Nächte in Clubs, vielleicht auch mal in größeren Sälen. Aber natürlich auch: Jazz-Combos, die immer mal den ein und anderen Davis-Titel im Set haben. Edit: Ich sehe bei längerem Nachdenken noch einen großen Davis-Spielfilm, der mal für ein zwei Jahre eine kleine Renaissance nach sich zieht.

    Das kann gut sein. Jazz ist ja jetzt schon iregendwie mindestens in der Stagnation. Zumal es derzeit auch keine Leader mehr gibt, die irgendwie neue Zeichen setzen. Und für die Klassiker fehlt irgendwie eine Aufführungszene.

    Dafür ist der Jazz ja nun auch nicht sonderlich geeignet. Wie will man Miles Davis oder den Coltrane lebenig halten? Alben nachspielen wäre albern, Konzerte voller Original-Improvistionen auch. Die Originalmusik lebt, aber es ist schwer, sie auf den Bühnen weiter zu zelebrieren. Es müssten sich Musiker finden, die in ihrem Geist und mit ihren Themen live spielen und dann eigene Improvisationen dazu liefern. Aber wenn die gut genug dafür sind, können sie auch gleich ihr eigenes starkes Ding machen.


    Ich selbst gehe eher von Vergänglichkeit als Ewigkeit aus. Aber wie gesagt: Selbst die bislang schlappen 200 plus x Jahre "Zauberflöte" sind schon herausragend viel. Zudem scheint es, als ginge das erstmal noch so weiter mit Aufführungen rund um den Globus. In puncto Langlebigkeit würde ich auf "Sgt. Pepper" weiterhin nicht in der Form wetten.

    Ja, gerade der Prog hat ja diese Rückwendung zur tradierten Klassik und ihrem Werkbegriff inne. Da spielt die Bedeutung der Form und des künstlerischen "Gehalts" eine größere Rolle, meine ich.


    Wie oben irgendwo schon vermutet, könnte zumindest auch die ständig weiter wachsende Masse an Populärer Musik verhindern, dass potenziellen Ewigkeitskandidaten überhaupt langfristig Gehör verschafft werden kann.Wer wird sich denn da herauskristallisieren, um ihn vielleicht mit Neuinterpretationen oder/und historischer Aufführungspraxis am Leben zu halten? Wer versammelt da genug Anhänger, um unter Myriaden von Bands und Solokünstlern einen Platz im Olymp zu bekommen?

    Ich frage mich, inwieweit beim andauernden Erfolg Mozarts auch immer ein wenig sein schillernder Charakter eine Rolle spielt, und beantworte die Frage aber gleich mit einem Nein. Beethoven und Bach waren langweiliger, und die laufen auch gut. Das spricht eigentlich umso mehr für ihre Musik, also ich meine, die Musik der drei, Mozart würde sicher auch ohne all die Bio-Pics über sein skandalöses Leben gut laufen. Das heißt, man muss kein Pop-Megastar (gewesen) sein, damit die Musik ewig wird. Das ist doch beruhigend.

  • Ich sehe schon, ich bin dieser Diskussion intellektuell leider nicht gewachsen - wie ich auch offenbar der "Klassischen" Musik nicht gewachsen bin. Aber immerhin: ich habe einige dieser Werke gehört und vor allem, wenn man die Musiker:innen dabei beobachten konnte, war das durchaus unterhaltsam. Orchestermusik generell schafft es jedoch nicht, mich emotional auch nur annähern so zu berühren wie ein einziger Akkordwechsel in einem 12-string Instrumental von Anthony Phillips oder wie das geniale Einton-Gitarrensolo von Johnny Ramone in I wanna be sedated.

    Arien finde ich komplett unerträglich - neulich kam wieder "Ziemlich beste Freunde" im TV und ich musste herzlich lachen über Omar Sy in der Oper - so würde es mir da auch ergehen (bestenfalls). ^^

    Ich spekuliere dem Threadtitel entsprechend mal herum, dass sich die meisten Menschen mit nichttonaler Musik ziemlich schwer tun. Mit geräuschhafter Musik auch. Aber das ist natürlich nicht alles, was die Neue Musik an unkonventionellen Merkmalen mitbringt.

    Es sind dennoch Lern- und Gewöhnungsprozesse für das Gehirn möglich, sodass man sich in Neue Musik immer besser "einhören" und diese genießen kann. Beispiele dafür, dass sich auch Neue Musik nach und nach im klassischen Kanon einfindet, gibt es dementsprechend.

    Ich beschäftige mich -rein beruflich- viel mit der sog. "Neuen" Musik - man kann also nicht sagen, dass ich die Werke von Enno Poppe, Hugues Dufourt, Carola Bauckholt, Carolin Widmann und Co. nicht kennen würde. Allein: es ist und bleibt mir ein Graus, das Zeugs anzuhören - unabhängig davon, ob es elektronische Musik ist oder ob es ein Kammermusikensemble interpretiert. "Hurz" kommt mir da immer wieder in den Sinn. :D

    Die Arbeiten von Stockhausen und seinen Kollegen sind für mich reine Klangexperimente, entstanden aus Lust an der Technik. Kreiert von Leuten mit sehr viel Freizeit ... :) Da ich -ebenfalls beruflich- etwas Einblick hatte, streckenweise durchaus faszinierend, aber eher aus historischen Gründen. Die haben ihre Klangerzeuger ja erstmal erfinden müssen, das nötigt einem durchaus Respekt ab ...


  • Ich hatte dich wegen Streichorchestern so verstanden, dass du bislang ein nur ganz begrenztes Ausdrucksspektrum wahrgenommen hast. Zuletzt gelesen hatte ich: "Wucht und Pathos".

    Ich bin da kein großer Repertoire-Kenner, aber es reicht aus, um beurteilen zu können, dass deine Wahrnehmung der Palette, die ein solches Orchester abdecken kann, überhaupt nicht gerecht wird.

    "Frische" Empfehlungen? Schwierig, da könnte Tom noch mehr am aktuellen Geschehen dran sein.

    Aber schon allein Schostakowitsch, op.110a, bietet vom Ausdruck her ein riesiges emotionales Feld voller Unterschiede. Wenn du dir z.B. mal die Sätze 2,3 und 4 nacheinander anhörst, müsste das eigentlich mehr als deutlich werden: Lass mal den ersten Satz besser zunächst weg, nach dem, was du geschrieben hast.

    Und wenn du dann noch ein Mozart-Divertimento (KV136-138) und Henzes "Sonata per archi" dazunimmst, hast du schon mal eine große Bandbreite (auch stilistisch), ohne dass es zu pathoslastig wäre.


    Ich finde übrigens auch, dass die YIND-Zeilen in Verbindung mit der Musik sehr gut funktionieren. Da gibt es bei Yes und Genesis echt viel, was ich als supergelungen, weil ausdrucksstark empfinde.


    Zum Sinfonieorchester-Klang: Ich wollte auf die allgemeine und keine persönliche Ebene hinaus. Wenn das Klangideal solcher Orchester nicht weitestgehend (also über Klassik-Publikum hinaus) akzeptiert wäre, würde es niemals auch bei den ganz kommerziellen Blockbustern so viele rein sinfonische Scores geben.


    Zum Jazz habe ich irgendwie keine rechte Meinung bzw. große Schwierigkeiten, mich da zu äußern. Ähnliches gilt für die "Ewigkeitskandidaten" - ich stehe so einem Ewigkeitsdenken sehr skeptisch gegenüber.


    Ich sehe schon, ich bin dieser Diskussion intellektuell leider nicht gewachsen - wie ich auch offenbar der "Klassischen" Musik nicht gewachsen bin.

    Auch mit Blick auf deine Formulierung bin ich ausgesprochen skeptisch. Das "nicht gewachsen" hört sich so leistungsbezogen an für mich. Ich vermute, dass Klassik bei dir wie bei so vielen einfach emotional nicht funzt. Und da du schon alle möglichen Stile und Besetzungen gehört haben wirst, ist es wahrscheinlich unwahrscheinlich :) , dass sich das nochmal grundsätzlich ändert. Und wenn ich dich richtig einschätze, hält sich dein Bedauern darüber sehr in Grenzen. ;)


    Einmal editiert, zuletzt von townman ()

  • Ich hatte dich wegen Streichorchestern so verstanden, dass du bislang ein nur ganz begrenztes Ausdrucksspektrum wahrgenommen hast. Zuletzt gelesen hatte ich: "Wucht und Pathos".

    Ich bin da kein großer Repertoire-Kenner, aber es reicht aus, um beurteilen zu können, dass deine Wahrnehmung der Palette, die ein solches Orchester abdecken kann, überhaupt nicht gerecht wird.

    Hm, ich weiß nicht mehr, in welchem Zusammenhang ich das gesagt habe. Vielleicht in bezug auf Western-Soundtracks. Und keine Frage, Wucht und Pathos sind in meinen Ohren sicherlich Tendenzen der Klassik, die mir in vielen Fällen nicht zusagen. Ganz so pauschal seh ich es allerdings nicht. Mein Lieblingsklassiker ist vermutlich Bach, und den finde ich - vielleicht abgesehen von den Passionen, mit denen ich nicht so viel anfangen kann - eher elegant und vor allem fragil.

    Summa Summarum kann ich sogar sagen, Streichermusik hat auch für mich ihren Reiz. In der Klassik, und nicht zuletzt als Ausdrucksmittel in Rock-, Jazz-, Folk, Welt- und Pop-Musik. Hier ist ein wie ich finde sehr schönes Beispiel von meiner sozusagen Zweitband:


    Externer Inhalt youtu.be
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.


    Aber schon allein Schostakowitsch, op.110a, bietet vom Ausdruck her ein riesiges emotionales Feld voller Unterschiede. Wenn du dir z.B. mal die Sätze 2,3 und 4 nacheinander anhörst, müsste das eigentlich mehr als deutlich werden: Lass mal den ersten Satz besser zunächst weg, nach dem, was du geschrieben hast.

    Und wenn du dann noch ein Mozart-Divertimento (KV136-138) und Henzes "Sonata per archi" dazunimmst, hast du schon mal eine große Bandbreite (auch stilistisch), ohne dass es zu pathoslastig wäre.

    Oh ja, stark der Schostakowitsch. Mir gefallen das furios rasende und wirbelnde Allegro Molto und das nervös-aufgewühlte Allegretto am besten. Die einzelnen Instrumenten-Gruppen sind in sich, aber auch vor allem sozusagen gegeneinander fein abgestimmt, reliefartig, teilweise scharfkantig, für ein quirliges, lebensnahes Miteinander. Mozart höre ich gerade, während ich das schreibe, das ist sicher auch kein Pathos.



    Zum Sinfonieorchester-Klang: Ich wollte auf die allgemeine und keine persönliche Ebene hinaus. Wenn das Klangideal solcher Orchester nicht weitestgehend (also über Klassik-Publikum hinaus) akzeptiert wäre, würde es niemals auch bei den ganz kommerziellen Blockbustern so viele rein sinfonische Scores geben.

    Vielleicht ist es auch umgekehrt, vielleicht wird mancher durch die vielen Streicher in Filmmusiken auch für die Klassik angefixt.

    Ich denke jedenfalls, es ist die "dramatische" - das Wort mal im herkömmlichen, nicht ganz korrekten Sinn verwendet - Atmosphäre von Streichermusik (die ich eben zuweilen als zu pathetisch empfinde), die geeignet ist, Filmen einen Spannungs-Boost zu verpassen.

  • Hm, ich weiß nicht mehr, in welchem Zusammenhang ich das gesagt habe. Vielleicht in bezug auf Western-Soundtracks. Und keine Frage, Wucht und Pathos sind in meinen Ohren sicherlich Tendenzen der Klassik, die mir in vielen Fällen nicht zusagen. Ganz so pauschal seh ich es allerdings nicht.

    Entschuldige, dann habe ich dich nicht ganz richtig verstanden.

    Summa Summarum kann ich sogar sagen, Streichermusik hat auch für mich ihren Reiz. In der Klassik, und nicht zuletzt als Ausdrucksmittel in Rock-, Jazz-, Folk, Welt- und Pop-Musik. Hier ist ein wie ich finde sehr schönes Beispiel von meiner sozusagen Zweitband:


    Externer Inhalt youtu.be
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Ist es womöglich bezeichnend, dass du als Positivbeispiel für Streichermusik ein Stück ausgewählt hast, in dem nicht gestrichen, sondern lediglich gezupft wird? ;)

    Aber davon ab: Sehr schöner Song von XTC, gefällt mir sehr gut. Die Band ist ein blinder Fleck für mich, das könnte oder sollte sich sogar mal ändern! :thumbup:


    Oh ja, stark der Schostakowitsch. Mir gefallen das furios rasende und wirbelnde Allegro Molto und das nervös-aufgewühlte Allegretto am besten. Die einzelnen Instrumenten-Gruppen sind in sich, aber auch vor allem sozusagen gegeneinander fein abgestimmt, reliefartig, teilweise scharfkantig, für ein quirliges, lebensnahes Miteinander.

    Interessant für mich, wie du das wahrnimmst - und dass du "lebensnahes" schreibst. Das führt mich wieder auf den Gedanken zurück, warum Musik sich ganz vereinzelt "länger halten" kann. Insbesondere das "furiose", "lebensnah" wirkende Allegro z.B. fasziniert andere Musikys bis heute derart, dass immer wieder neue kreative Prozesse davon angestoßen werden:

    Externer Inhalt youtu.be
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.


    Was ich besonders liebe, ist die Adaption der ersten beiden Sätze auf dem letzten Shamblemaths-Album:

    Externer Inhalt youtu.be
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.


    Das meinte ich z.B. mit Blick auf die Beatles: Wenn deren Kompositionen so wirkmächtig sind, dass sie immer wieder nachfolgende Musiky-Generationen anstoßen, sich ihrer in jeweils zeitgemäßer Form anzunehmen, wird die Musik der Fab4 ein lebendiger Teil nachfolgender Kulturen bleiben.


    Vielleicht ist es auch umgekehrt, vielleicht wird mancher durch die vielen Streicher in Filmmusiken auch für die Klassik angefixt.

    Ich denke jedenfalls, es ist die "dramatische" - das Wort mal im herkömmlichen, nicht ganz korrekten Sinn verwendet - Atmosphäre von Streichermusik (die ich eben zuweilen als zu pathetisch empfinde), die geeignet ist, Filmen einen Spannungs-Boost zu verpassen.

    Ja, und wenn es dann dauerschwülstig oder/und -sentimental wird, bin ich derjenige, der raus ist. Das, was du als unangenehm beschreibst, ist auch für mich ästhetisch schwierig.


    Einmal editiert, zuletzt von townman ()

  • Entschuldige, dann habe ich dich nicht ganz richtig verstanden.

    Ist es womöglich bezeichnend, dass du als Positivbeispiel für Streichermusik ein Stück ausgewählt hast, in dem nicht gestrichen, sondern lediglich gezupft wird? ;)

    Aber davon ab: Sehr schöner Song von XTC, gefällt mir sehr gut. Die Band ist ein blinder Fleck für mich, das könnte oder sollte sich sogar mal ändern! :thumbup:


    Interessante Beobachtung, könnte sein, dass was dran ist ;) Obwohl man auf dem Album zum Beispiel auch schön Gestrichenes hört. So intensiv mit Streichern haben sie nur auf dem Album hier gespielt, aber ich kann das meiste zwischen English Settlement und Apple Venus Vol.1 empfehlen.

    Interessant für mich, wie du das wahrnimmst - und dass du "lebensnahes" schreibst. Das führt mich wieder auf den Gedanken zurück, warum Musik sich ganz vereinzelt "länger halten" kann. Insbesondere das "furiose", "lebensnah" wirkende Allegro z.B. fasziniert andere Musikys bis heute derart, dass immer wieder neue kreative Prozesse davon angestoßen werden:

    Entschuldige, dann habe ich dich nicht ganz richtig verstanden.

    Ja, das scheint dann eine Musik zu sein, die viele ganz unterschiedliche Musik-Rezipienten anspricht, mit Vibes, die sie aus ihrem Erleben irgendwie wiedererkennen. So erreicht sie auch andere musikalische Milieus und kann zeitlos bleiben. Mag sein, es ist auch schon der Unterschied, dass der Shostakovich ein Komponist aus dem 20. Jahrhundert ist und damit dem aktuellen Erleben näher. Ich überlege, was die Lehre daraus sein könnte. Sollte es mehr Streichermusik geben, die aus dem Heute kommt und mehr den aktuellen Geist spiegelt? Schaden könnte das doch nicht. Offensichtlich aber drücken sich Musiker lieber mit dem Instrumentarium unserer Zeit aus, was ja auch verständlich ist. Aber es gibt auch die umgekehrte Variante:

    Externer Inhalt youtu.be
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.


    Was ich besonders liebe, ist die Adaption der ersten beiden Sätze auf dem letzten Shamblemaths-Album:


    Das meinte ich z.B. mit Blick auf die Beatles: Wenn deren Kompositionen so wirkmächtig sind, dass sie immer wieder nachfolgende Musiky-Generationen anstoßen, sich ihrer in jeweils zeitgemäßer Form anzunehmen, wird die Musik der Fab4 ein lebendiger Teil nachfolgender Kulturen bleiben.


    Ja, und wenn es dann dauerschwülstig oder/und -sentimental wird, bin ich derjenige, der raus ist. Das, was du als unangenehm beschreibst, ist auch für mich ästhetisch schwierig.

    Von den beiden Versionen gefällt mir vor allem die zweite, von Shamblemath, die noch mehr von der Gefühlswelt des - sozusagen - Originals erhält, aber sie auch noch ein Stück weiter ins industrielle, technisierte 20./21. Jahrhundert hinein holt.

    Da fällt mir aber auch ein, dass der Begriff Originalversion hier schon relativiert wird. Machen nicht die Musiker, die mit den vorgegebenen Noten einfach etwas anderes anfangen als das Norwegische Kammerorchester, die Komposition irgendwie auch zu ihrem Stück?

    Mich erinnert das daran, dass ich bei Bachs Kunst der Fuge gar nicht weiß, wie das anfangs gedacht war. Ich kenne das von so vielen unterschiedlichen Instrumenten - am liebsten ist mir eine bestimmte Klavierversion - dass es da irgendwie in meiner Vorstellung gar kein Original gibt. Die Komposition sucht sich immer wieder neue Spielleute und bleibt so jung.

    Wäre interessant zu wissen, ob sich Beatles-Songs in Zukunft auch verstärkt so etwas trauen, also in einer Art, dass sie es schaffen, sich von den Originalen zu lösen.

  • Da fällt mir aber auch ein, dass der Begriff Originalversion hier schon relativiert wird. Machen nicht die Musiker, die mit den vorgegebenen Noten einfach etwas anderes anfangen als das Norwegische Kammerorchester, die Komposition irgendwie auch zu ihrem Stück?

    Mich erinnert das daran, dass ich bei Bachs Kunst der Fuge gar nicht weiß, wie das anfangs gedacht war. Ich kenne das von so vielen unterschiedlichen Instrumenten - am liebsten ist mir eine bestimmte Klavierversion - dass es da irgendwie in meiner Vorstellung gar kein Original gibt. Die Komposition sucht sich immer wieder neue Spielleute und bleibt so jung.

    Wäre interessant zu wissen, ob sich Beatles-Songs in Zukunft auch verstärkt so etwas trauen, also in einer Art, dass sie es schaffen, sich von den Originalen zu lösen.

    Diese Überlegungen gefallen mir sehr. Du hast ja schon gemerkt, dass ich das aus meiner Sicht überkandidelte Anhimmeln der "Originale" sehr kritisch sehe. Ich glaube, dass dem viel unausgegorenes Denken zugrundeliegt. Das ist allerdings auch ein komplexes Thema.


    Es fängt damit an, dass es in der Klassik in der Regel keine Originale im landläufigen Sinne gibt. Was sollte das "Original" der "Zauberflöte" denn auch sein? Es gibt eine Partitur, aber eine Partitur ist definitiv keine Musik.

    Bei Shostakowitsch op.110 wird es noch schwieriger. Was ich gepostet habe, ist ja op.110a, und das wiederum ist die Fassung eines zuvor existierenden Streichquartetts mit der Opus-Zahl 110, das für Streichorchester bearbeitet wurde. Aber wie gesagt: Eine Partitur ist eh keine Musik, also gibt es in jedem Fall nach unserem Verständnis kein "Original".

    Im Bereich Pop/Rock wird als Original in der Regel die erste Veröffentlichung eines Songs auf einem "offiziellen" Tonträger angesehen. Nun, dann viel Spaß bei der Diskussion darüber, welche der beiden "I/O"-Mixe als das "Original" angesehen werden müsste. Und vor allem: Was daran ist überhaupt wichtig?

    Als Rock-Hörer kann man sich vom Werk Zappas mal anregen lassen, darüber nachzudenken, ob dieser "Original"-Fetisch nicht Blödsinn ist. Der hätte sich gegen ein solches Denken verwehrt: Es gibt für ihn keine "definitiven" Fassungen eines Titels, sondern nur unterschiedliche Einspielungen davon. Eine ganze Reihe von Titeln gibt es noch nicht einmal als Studioeinspielung, sondern lediglich als Mitschnitte aus Konzerten. Man nenne mir mal das "Original" von "Pygmy Twylyte"...

    Und was passiert, wenn ein Künstly mal eine seinerzeit zurückgehaltene Studio-Fassung eines Titels veröffentlicht, die zeitlich früher produziert wurde als die bis dato bekannte "erste Studiofassung"? Ist die frühere Einspielung dann das Original oder die spätere, weil sie zuerst veröffentlicht wurde?

    Für mich bedeutet das in der Konsequenz das, was du über die "Kunst der Fuge" geschrieben hast. Ein Original im eindeutigen Sinne gibt es in vielen Fällen gar nicht. Es ist ein aufgebauschter Fetisch, dem da gehuldigt wird. Stattdessen könnte man lieber das transitorische Wesen von Musik ausdrücklich wertschätzen.


    Ich selbst verwende den Begriff "Original" wohl nur dann, wenn ich mich auf eine Bearbeitung bzw. Adaption von Kompositionen beziehe. ELP haben Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung" adaptiert bzw. für ihre Trio-Besetzung bearbeitet. Die "Bilder" bezeichne ich dann als Original (und beziehe mich dabei auf Mussorgskis Komposition, die KEINE Musik ist) und ELPs "Pictures" sind dann die "Adaption". Das ist aber ein begrifflicher Notbehelf, um darüber verständlich sprechen zu können. Und zudem: Haben sich ELP nicht doch eher auf Ravels Orchesterfassung bezogen? Wäre das dann plötzlich das "Original"? :D


    3 Mal editiert, zuletzt von townman ()

  • Es fängt damit an, dass es in der Klassik in der Regel keine Originale im landläufigen Sinne gibt. Was sollte das "Original" der "Zauberflöte" denn auch sein? Es gibt eine Partitur, aber eine Partitur ist definitiv keine Musik.

    Bei Shostakowitsch op.110 wird es noch schwieriger. Was ich gepostet habe, ist ja op.110a, und das wiederum ist die Fassung eines zuvor existierenden Streichquartetts mit der Opus-Zahl 110, das für Streichorchester bearbeitet wurde. Aber wie gesagt: Eine Partitur ist eh keine Musik, also gibt es in jedem Fall nach unserem Verständnis kein "Original".

    Im Bereich Pop/Rock wird als Original in der Regel die erste Veröffentlichung eines Songs auf einem "offiziellen" Tonträger angesehen. Nun, dann viel Spaß bei der Diskussion darüber, welche der beiden "I/O"-Mixe als das "Original" angesehen werden müsste. Und vor allem: Was daran ist überhaupt wichtig?...


    ... Ich selbst verwende den Begriff "Original" wohl nur dann, wenn ich mich auf eine Bearbeitung bzw. Adaption von Kompositionen beziehe. ELP haben Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung" adaptiert bzw. für ihre Trio-Besetzung bearbeitet. Die "Bilder" bezeichne ich dann als Original (und beziehe mich dabei auf Mussorgskis Komposition, die KEINE Musik ist) und ELPs "Pictures" sind dann die "Adaption". Das ist aber ein begrifflicher Notbehelf, um darüber verständlich sprechen zu können. Und zudem: Haben sich ELP nicht doch eher auf Ravels Orchesterfassung bezogen? Wäre das dann plötzlich das "Original"? :D

    Ja, man müsste häufiger über den Begriff Orignal in der Musik reden. Peter Gabriels i/o ist ja nur das deutlichste Beispiel. Da gibt es von jedem Song mindestens drei Ur-Versionen und ja auch noch diese frühen Skelett-Varianten, wenn ich es richtig verstanden habe. Das zeigt, wie trügerisch die Vorstellung vom Original als definitiver Version ist.

    Es gibt wahrscheinlich von den meisten Musikstücken, die seit Jahrzehnten Tag für Tag veröffentlicht werden, alternative Versionen. Was davon veröffentlicht wird, ist sicher oft dem Zufall geschuldet, auf jeden Fall ist es eine subjektive Entscheidung, allein schon, weil jede Entscheidung ja letzten Endes subjektiv ist. Oft sind es einfach auch Zeitvorgaben. Das U2-Album Pop wurde 1997 in dem Zustand veröffentlicht, wie wir es kennen, weil die Band fertig werden musste, eine Tour stand an. Eigentlich fanden U2, das Allbum sei noch nicht perfekt.

    Das ist dann doch - fast - schonj die zeitlich früher liegende Version vor der - zumindest gedachten, geplanten - Originalversion. Mir indes ist es eines der liebsten Alben der Band und das letzte, das mich interessiert. Ich finde sogar, U2 hätten danach vielleicht besser ihre Alben allesamt in einem "unfertigen" Zustand veröffentlicht, dann wären die nicht so belanglos glatt. Andere Alben von anderen Künstlern hingegen wurden vielleicht zu früh veröffentlicht. Aber natürlich ist das immer subjektiv. Es gibt auch Fans, die U2's Pop als unausgegoren kritisieren, es ist eben relativ...

    Das bringt mich zu einer anderen Frage. Würde es eigentlich funktionieren, wenn Werke/Stücke/Songs der Popular-Musik einfach mal im Originalzustand bis in kleinste Deteil notiert würden und damit zu einer Blaupause, zur freien Verfügung nachfolgender Künstler. So wie die Notenblätter von Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung" und Schostakowitschs Werken, die Du angeführt hast. Würde die Notation dem, was wir als Original kennen, überhaupt gerecht? So wie der Gitarrist und das Ensemble, die Du in Youtube-Clips vorgestellt hast, dem Original doch irgendwie gerecht werden, jedenfalls auch nach meiner Einschätzung.

    Spielt nicht in der Populären Musik die Studiopropduktion, der Sound, das Nachhallen eines Tons etwa, die Klangfarbe von Instrumenten und der ganz persönliche Stil der Ausführenden eine größere Rolle für den Charakter dessen,was man Original nennen könnte. Kann man sowas auch notieren? Welchen Synthesizer man benutzen muss, mit welcher genauen Klangfarbe, welche Saiten man an der Gitarre aufziehen muss? Könnte es sein, ließe man all das weg, dass ein Stück sein Wesen verliert? iIcht, dass es automatisch schlechter würde, keineswegs, aber ist es durch reine Notation vollumfänglich erfasst?

    Klar, man kann jeden Beatles- oder Genesis-Song, wahrscheinlich überhaupt so ziemlich jeden Song mit einer akustischen Gitarre am Lagerfeuer spielen und singen. Das geht sicher irgendwie auch mit Mussorgsky und Schostakowitsch und mit der Zauberflöte, ganz sicher mit dem Vogelfänger, aber ist das dann noch eine echte Interpretation?

    Aber zurück zu Rock und Pop. Inwieweit braucht man eine bestimmte Einstellung, einen bestimmten Sound des Schlagzeugs, um Squonk gerecht zu werden? Müsste da auf dem Notenblatt stehen: "Es muss schwer krachen, aber dabei auch noch Swing haben." Oder: "Im John-Bonham-Style-spielen?" Oder kann man das auch in einem ganz anderen Schlagzeugstil bringen, ohne dass es ein anderes Stück wird?


    Dazu habe ich gerade dann auch eine interessante Erfahrung gemacht, dei so gar nicht geplant war. Ich habe ELP's Pictures At An Exhibition in teilen zumindest mit der von Dir erwähnten Ravel-Version

    verglichen. Das beschauliche Alte Schloss wird bei ELP zu kakophonischen, hektischen Großstadt-Impression. Das ist eigentlich gar nicht wiederzuerkennen. Ich liebe ja den freien Umgang mit Material, nicht zuletzt bei KünstlerInnen, die ihre eigenen Stoffe immer wieder neu interpretieren, aber hier ist das Original eigentlich beinahe unkenntlich. Es ist allerdings aus etwas Altem etwas Neues entstanden, und Mussorgski nur noch der Ausgangspunkt, oder besser - eine Inspiration.

  • Das zeigt, wie trügerisch die Vorstellung vom Original als definitiver Version ist.

    Rahme ich mir ein. :thumbup:


    Das bringt mich zu einer anderen Frage. Würde es eigentlich funktionieren, wenn Werke/Stücke/Songs der Popular-Musik einfach mal im Originalzustand bis in kleinste Deteil notiert würden und damit zu einer Blaupause, zur freien Verfügung nachfolgender Künstler. So wie die Notenblätter von Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung" und Schostakowitschs Werken, die Du angeführt hast. Würde die Notation dem, was wir als Original kennen, überhaupt gerecht? So wie der Gitarrist und das Ensemble, die Du in Youtube-Clips vorgestellt hast, dem Original doch irgendwie gerecht werden, jedenfalls auch nach meiner Einschätzung.

    Spielt nicht in der Populären Musik die Studiopropduktion, der Sound, das Nachhallen eines Tons etwa, die Klangfarbe von Instrumenten und der ganz persönliche Stil der Ausführenden eine größere Rolle für den Charakter dessen,was man Original nennen könnte. Kann man sowas auch notieren? Welchen Synthesizer man benutzen muss, mit welcher genauen Klangfarbe, welche Saiten man an der Gitarre aufziehen muss? Könnte es sein, ließe man all das weg, dass ein Stück sein Wesen verliert? iIcht, dass es automatisch schlechter würde, keineswegs, aber ist es durch reine Notation vollumfänglich erfasst?

    Klar, man kann jeden Beatles- oder Genesis-Song, wahrscheinlich überhaupt so ziemlich jeden Song mit einer akustischen Gitarre am Lagerfeuer spielen und singen. Das geht sicher irgendwie auch mit Mussorgsky und Schostakowitsch und mit der Zauberflöte, ganz sicher mit dem Vogelfänger, aber ist das dann noch eine echte Interpretation?

    Ich weiß nicht, wie genau man die gespielten Töne, das Equipment und alle relevanten Daten rekonstruieren bzw. notieren könnte. Aber z.B. "The Musical Box" haben ja gezeigt, dass der Gedanke einer möglichst präzisen Orientierung an bestimmten Referenzaufnahmen ein legitimer Interpretationsansatz ist. Und Tom schrieb ja, dass bald eine Aufführung von Beethoven IX stattfinden wird, die sich maximal detailgetreu an den Bedingungen der UA orientiert - warum nicht? Ich würde mir das mit großem Interesse anhören. Wenn man überzeugt von einem Interpretationskonzept ist: machen! Ob das "Wesen" einer Komposition damit getroffen oder verfehlt wurde, darüber kann im Anschluss gestritten werden. Unter einer "unechten" Interpretation könnte ich mir gar nichts vorstellen, aber unter einer überzeugenden oder nicht überzeugenden.

    Aber zurück zu Rock und Pop. Inwieweit braucht man eine bestimmte Einstellung, einen bestimmten Sound des Schlagzeugs, um Squonk gerecht zu werden? Müsste da auf dem Notenblatt stehen: "Es muss schwer krachen, aber dabei auch noch Swing haben." Oder: "Im John-Bonham-Style-spielen?" Oder kann man das auch in einem ganz anderen Schlagzeugstil bringen, ohne dass es ein anderes Stück wird?

    Ich würde es wie oben ausdrücken: Egal wie frei die Interpretation ist, egal ob sie auf einer detailgenauen Analyse aller Faktoren einer Referenzfassung beruht oder auf einem Leadsheet oder auf dem bloßen Hören, kann sie überzeugend sein oder nicht. Aber um das zu beurteilen, muss man es erstmal machen.

    Dazu habe ich gerade dann auch eine interessante Erfahrung gemacht, dei so gar nicht geplant war. Ich habe ELP's Pictures At An Exhibition in teilen zumindest mit der von Dir erwähnten Ravel-Version

    verglichen. Das beschauliche Alte Schloss wird bei ELP zu kakophonischen, hektischen Großstadt-Impression. Das ist eigentlich gar nicht wiederzuerkennen. Ich liebe ja den freien Umgang mit Material, nicht zuletzt bei KünstlerInnen, die ihre eigenen Stoffe immer wieder neu interpretieren, aber hier ist das Original eigentlich beinahe unkenntlich. Es ist allerdings aus etwas Altem etwas Neues entstanden, und Mussorgski nur noch der Ausgangspunkt, oder besser - eine Inspiration.

    Du kannst dir wahrscheinlich jetzt denken, was ich dazu schreiben werde. Ob nun eine Partitur detailgetreu interpretiert wird oder als Ausgangspunkt für eine die Substanz rigoros verändernde Adaption dient: Lieber machen als nicht machen, wenn man von seiner Vorstellung überzeugt ist. Alles ist erlaubt, alles ist möglich: auch ein Scheitern.


    Edit: Sorry, ich habe zu deinen konkreten Eindrücken zu den "Pictures" nur sehr allgemein geantwortet. Deshalb verlinke ich mal eine Rezi, die ich zum 50. Geburtstag des Albums geschrieben habe: So denke ich über ELPs "Pictures".


    Einmal editiert, zuletzt von townman ()

  • Ich weiß nicht, wie genau man die gespielten Töne, das Equipment und alle relevanten Daten rekonstruieren bzw. notieren könnte. Aber z.B. "The Musical Box" haben ja gezeigt, dass der Gedanke einer möglichst präzisen Orientierung an bestimmten Referenzaufnahmen ein legitimer Interpretationsansatz ist. Und Tom schrieb ja, dass bald eine Aufführung von Beethoven IX stattfinden wird, die sich maximal detailgetreu an den Bedingungen der UA orientiert - warum nicht? Ich würde mir das mit großem Interesse anhören. Wenn man überzeugt von einem Interpretationskonzept ist: machen! Ob das "Wesen" einer Komposition damit getroffen oder verfehlt wurde, darüber kann im Anschluss gestritten werden. Unter einer "unechten" Interpretation könnte ich mir gar nichts vorstellen, aber unter einer überzeugenden oder nicht überzeugenden.


    Ich würde es wie oben ausdrücken: Egal wie frei die Interpretation ist, egal ob sie auf einer detailgenauen Analyse aller Faktoren einer Referenzfassung beruht oder auf einem Leadsheet oder auf dem bloßen Hören, kann sie überzeugend sein oder nicht. Aber um das zu beurteilen, muss man es erstmal machen.


    Du kannst dir wahrscheinlich jetzt denken, was ich dazu schreiben werde. Ob nun eine Partitur detailgetreu interpretiert wird oder als Ausgangspunkt für eine die Substanz rigoros verändernde Adaption dient: Lieber machen als nicht machen, wenn man von seiner Vorstellung überzeugt ist. Alles ist erlaubt, alles ist möglich: auch ein Scheitern.

    Im Grunde würde ich das alles so unterschreiben. Man man kann und muss eigentlich sagen - alles geht! Und dann mal gucken, ob es geht. Und jeder kann dann für sich entscheiden... Aber dann hätten wir auch schon bei Post #2 oder so hier abbrechen können ;)

    Da wir aber ja offensichtlich die Populäre Musik mit Ratschlägen für eine sorgenfreie Zukunft ausstatten und - jeder auf seine Art - auch am Zustand der klassischen Musik interessiert sind, haben wir ein paar Posts mehr erreicht. Und Deine Musikbeispiele führten mich zu der Frage - inwieweit bleibt bei Interpretationen das Interesse an den Komponisten, Bands, Solomusikernin Rock, Pop... erhalten? Inwieweit würden die Beatles als Phänomen überleben, wenn sie in 100, 200 Jahren ähnlich radikal interpretiert werden wie Schostakowtisch vom E-Gitarristen oder Mussorgski von Emerson. Lake and Palmer?

    Die Klassiker selbst brauchen solche extremen, aktualisierten Neuaufnahmen doch gar nicht so sehr. Sie werden seit Jahrhunderten dadurch am Leben gehalten, dass man ihre Musik nah an der originalen Auführungspraxis - mehr oder eniger - pflegt, also Beethovens Symphonien vor allem mit Symphonieorchestern und so weiter...

    Du aber bezweifelst sehr stark, dass die Beatles und andere ihre Bedeutung erhalten, wenn sie nicht mehr oder weniger radikal aktualisiert werden in Zukunft. Ich bin da vielleicht nicht ganz so entschieden, aber auch alles andere als überzeugt, dass man die Beatles im Jahr 2500 noch so schätzt und hört wie heute. Mir scheint es allerdings weit schwerer, ihren Kanon ohne Schaden zu modernisieren, was dann natürlich - wieder mehr oder weniger - für den Rest der Popularmusiker auch gilt. Fehlt dem Populären eben die, ich wage mal zu sagen - Unverbindlichkeit der Partitur in der Klassik als Garant für ewiges, zumindest mehrhunderjähriges Leben?