Mark Bell: "Foxtrot (Genesis 1972-1973): Aufstieg und Apokalypse" erschienen

  • Dass "Dr. Bell" insbesondere musikalisch stärker wertet als in Bd.1, sehe ich wie martinus. Und ich habe den Eindruck, dass er "den Fans" dabei auch intensiv aufs Maul geschaut hat. Letztlich ist es ein Buch für eben diese geworden - und keine sehr kritische Auseinandersetzung: Man darf sich als "Foxtrot"-Höry sehr angenehm bestätigt fühlen.

    Es ist aber nicht so, dass er "einfach" das schreibt, was seiner Wahrnehmung nach am mehrheitsfähigsten ist. Er macht das, finde ich, dann ganz gut, indem er sinngemäß schreibt: Unter Fans gilt x als so und so, aber man muss auch bedenken, dass...

    Das Buch bietet mir also wirklich einen inhaltlichen Mehrwert.

    Der Autor schreibt übrigens für mich sehr plausibel über das psychosoziale Bandgefüge und zeigt dabei einen feinen (und wenn man so will: auch kritischen) Blick. Zudem gelingt es ihm auch in solchen Zusammenhängen, die musikalisch hörbaren Konsequenzen daraus abzuleiten.

  • Moin,

    Ich habe die Stelle nun verzweifelt gesucht, hat jemand ne Idee, welche Version er genau meint? Bei der Real to Reel Version Remastered bei youtube hör ich nix. Oder sollte ich die CD oder gar die Platte raussuchen?


    Also auf "Real To Reel" ist die Passage mit "A Flower?" und dem Gelächter (Publikum/Band) nicht drauf, auch nicht im "Recital of the Script"-Video.

    Angeblich ist dies passiert, als Peter Hammill der Support-Act von Marillion (März/April 1983) war, wie hier nachzulesen (S.151) ist:


    Will Romano, Prog Rock FAQ: All That's Left to Know About Rock's Most Progressive Music:



    Evtl. gibt es ja einen Bootleg davon? (Alle Live-Versionen von Forgotten Sons auf Youtube, die ich bisher fand, haben diese Passage leider nicht!)


    Genesis, 20.06.1987, Maimarktgelände, Mannheim

    Phil Collins, 11.05.1990, Festhalle, Frankfurt

    Genesis, 04.07.1992, Hockenheimring

    The Musical Box, 05.11.2003, Jahrhunderthalle, Frankfurt

    Seconds Out, 25.12.2005, 25.12.2006, Colos-Saal, Aschaffenburg

    Genesis, 13.03.2022, Lanxess Arena, Köln

  • Will Romano, Prog Rock FAQ: All That's Left to Know About Rock's Most Progressive Music:

    Ah, super, danke - dann war mir klar, dass ich es schon mal gelesen habe, tiiief vergraben die Info...

    In meiner 2014 TB Ausgabe von Romanos Buch ist diese Passage auf S. 114 zu finden...


    Das TB habe ich übrigens doppelt, falls jemand Interesse hat - das gehört aber in einen anderen Thread...


    Prog on,


    Kabuki

  • Dann muss ich mal meine Marillion Bootlegs von März /April 83 rauskramen....

    Habe jetzt nicht jedes einzelne Marillion-Konzert mit Peter Hammill als Support-Act recherchiert, aber eine "Schnellsuche" ergab März/April 1983. Es könnten evtl. jedoch auch weitere Daten in Frage kommen.

    Genesis, 20.06.1987, Maimarktgelände, Mannheim

    Phil Collins, 11.05.1990, Festhalle, Frankfurt

    Genesis, 04.07.1992, Hockenheimring

    The Musical Box, 05.11.2003, Jahrhunderthalle, Frankfurt

    Seconds Out, 25.12.2005, 25.12.2006, Colos-Saal, Aschaffenburg

    Genesis, 13.03.2022, Lanxess Arena, Köln

    Einmal editiert, zuletzt von Sweetmeal Sam ()

  • Achtung überlanges Posting, aber ich hatte einfach gerade Lust dazu...


    So, nun bin ich auch durch mit Mark Bells Zweitling. Es war erneut eine gewinnbringende Lektüre, aber irgendwie anders als beim Lamm-Buch. Das hat sicherlich auch mit dem Inhalt der beiden Bücher zu tun. Mit dem Lamm-Buch hat mir Mark Bell ein Album, mit dem ich mich eher etwas schwerer tue, ganz neu erschlossen. Mit foxtrot behandelt er ein Album, zu dem ich bereits eine intensive Liebesbeziehung pflege. Und das macht die Sache natürlich nicht ganz einfach.


    Zuweilen habe ich sogar richtiggehend Widerstände gegen seine Interpretation gehabt, insbesondere beim "Heiligen Gral" SR. Da habe ich ein paar Mal beim Lesen den Kopf geschüttelt. Nicht recht nachvollziehen konnte ich etwa Bells Entscheid, dem "Beipackzettel" zu den Konzerten ein solches Gewicht als Schlüssel zum Song einzuräumen. Ich hätte dieses Handout eher unter der Kategorie "augenzwinkernde Spielerei" eingeordnet, welche die Zuhörer noch eine Runde mehr an der Nase herumführt (so wie auch Gabriels Ansagen zu diversen Song).


    Überhaupt scheint mir Bell der ironischen Linie, die sich meiner Meinung nach durch den Song zieht, zu wenig Beachtung zu schenken. Ich sehe das so: Gabriel und die Band schreiben und Komponieren einen Song, der sich, ausgelöst durch ein intensives "übernatürliches" Erlebnis des Sängers, den ganz grossen Themen und Sinnfragen zuwendet und dabei reichlich auf biblische Quellen zurückgreift. Aber weder PG noch der Rest der Band möchten am Ende als fromme Chorknaben dastehen. Deshalb wird die Geschichte mit einer gehörigen Portion augenzwinkernder Ironie unterfüttert, als wollte man der Zuhörerschaft immer wieder sagen "Bitte nehmt das nicht als Predigt, es ist einfach ein pfiffiger Song, der etwas gross geworden ist."


    Das beginnt für mich bereits bei der Benennung der einzelnen Abschnitte und endet etwa bei den sieben apokayptischen Posaunen, die "sweet rock'n'roll" blasen (der ja in frommen Kreisen als Teufelsmusik verschrieen war). Diese Ironie, die die Schwere des Textes immer wieder aufbricht, ist für mich ein ganz wichtiger Bestandteil des Songs, der ihn erst zu dem grossartigen Kunstwerk macht, das er nun mal (jedenfalls für mich) ist.


    Richtig schwierig wurde es für mich bei Bells Interpretation von Willow farm, obwohl er sich dabei stark auf Aussagen von Gabriel und Hackett abstützt. Bell scheint diesen Abschnitt als durchaus positive Utopie zu lesen und bringt gar die Weidenfarm mit der Gelassenheit des Zen-Buddhismus in Verbindung. Da kann ich nur gar nicht mitgehen. Die hysterische Pseudofröhlichkeit dieser Farmtruppe steht für mich im absoluten Gegensatz zu einem in sich ruhenden Zen-Buddhisten.


    Ich höre und interpretiere diesen Abschnitt des Songs immer als die Karikatur einer pseudo "Heile-Welt-Gesellschaft" die mit aufgesetztem Grinsen mitten in die Katastrophe (Apokalypse) schlittert. Vielleicht sehe ich da auch gewisse Ähnlichkeiten mit anderen grossen Würfen jener Jahre, die sich kritisch mit der Utopie der 68er auseinandersetzen (American Pie, Hotel California). Die aufgesetzte Fröhlichkeit ("we're wonderfull clean in the morning" klingt ja wie direkt aus einem Werbespot für Duschmittel oder Babywindeln") kann immer weniger verbergen, was als nächstes kommt. "the real stars are still to appear" lese ich als unheimliche Vorhersage auf die, welche tatsächlich im nächsten Abschnitt erscheinen werden (Guards of Magog, Pied Piper, Dragon, 666 etc.). Dies spiegelt sich für mich auch in der Musik, die einen zunehmend bedrohlichen und militärischen Unterton annimmt. Die Fröhlichkeit wirkt aufgezwungen, Befehle werden gebellt uns am Ende folgt der grosse Knall ("So we'll end with a whistle and end with a bang").


    Passend zum "guaranteed eternal sanctuary man" könnte man die Willow farm auch als sektenhafte Kommune lesen, die in die selbstgemachte Apokalypse läuft (Beispiele dafür gibt es genug: Sonnentempler, Davidianer etc.). Oder aber die willow farm ist "old england", das britische Empire, das sich selber feiert und alter Grösse nachtrauert (Churchill dressed in drag, used to be a brithis flag...). Das passt dann wieder zur Ansage mit dem "Jerusalem Boogie", wo sich Gabriel über eine der grossen patriotischen Hymnen des Empire lustig macht. Auf jeden Fall lese und höre ich die Willow farm als einen "falschen" Ort, der falsche Sicherheit und ein falsches Paradies vorgaukelt und letztlich geradewegs ins Verderben der Apokalypse führt. So macht er für mich an dieser Stelle der grossen Erzählung auch Sinn.


    Soweit meine Ergüsse zur Willow farm. Aber jetzt merkte ich natürlich, dass ein Buch gerade auch in der kritischen Auseinandersetzung sehr anregend sein kann und deshalb war die Lektüre für mich eben doch ein grosser Gewinn. Am liebsten würde ich ja mal mit Herrn Bell bei einem Glas Rotwein intensiver über unsere Interpretationsansätze von SR diskutieren. Das würde bestimmt Spass machen. :prost:

    "Don't get up gentlemen, I'm only passing through"

    • Offizieller Beitrag

    In seinem Buch über The Lamb stellt Bell ja sehr stark auf Peter Gabriel und sein Erleben und seine Seelenwelt usw. ab, und das hat auch bei der Textanalyse durchaus seine Berechtigung. Es hat mir sehr gefallen, dass Bell das als Ariadnefaden benutzt, um im Labyrinth der Lamb-Geschichte Orientierung zu gewinnen. Dass ich den vorgeschlagenen Auslegungen nicht überall folgen mag, steht auf einem anderen Blatt, denn das hat nichts mit Bell zu tun.

    Im Buch über Foxtrot bleibt er bei diesem Blickwinkel. Das ist auf jeden Fall konsequent, und es offenbart sich darin gewissermaßen, wie Bell auf die gesamte Phase der Gabriel-Ära zu schauen scheint. Allerdings bin ich dieses Mal deutlich weniger bereit, der Argumentation zu folgen - oder vielleicht sollte ich besser sagen: Ich habe den Eindruck, dass andere Interpretationsstränge von Foxtrot als Gesamtwerk und auch bei den einzelnen Titeln in diesem Buch nicht zur Sprache kommen, weil sie "nicht zur Bellschen Fokussierung auf Gabriel" passen. Das darf nun aber bitte nicht so verstanden werden, dass ich Bell hier die "Unterdrückung" von Ausdeutungen vorwürfe! Das liegt mir fern! Es fällt mir gerade schwer, hinreichend zu verdeutlichen, was ich meine. Vielleicht so herum: Beim Lamb-Buch hatte ich den Eindruck: Das Album ist mit diesem Buch weitgehend erschöpfend diskutiert; weitere Bücher liefern hier allenfalls Ergänzungen. Beim Foxtrot-Buch hatte ich das Gefühl: Dieses Buch ist ein Beitrag zum Thema, ein sehr umfangreicher, gewichtiger und unbedingt lesenswerter - aber nur ein Beitrag, noch nicht der definitive Wurf.




    Beim Beitrag von thepriest ist mir klargeworden: Songtexte sind mir wichtig - aber während ich mich für die Wortspielereien und die Anspielungen in Supper's Ready begeistern kann, ist mir die Ausdeutung des Gesamttextes von SR schnurzpiepegal. (Höchstens würde ich grundsätzlich in Frage stellen wollen, ob es sinnvoll oder überhaupt legitim ist, die Texte der hierfür "zusammengepappten" Stücke als zusammenhängenden, durchgängigen Text aufzufassen und entsprechend zu interpretieren). Insofern vielen Dank für den Input, Hochwürden ;)

  • Am liebsten würde ich ja mal mit Herrn Bell bei einem Glas Rotwein intensiver über unsere Interpretationsansätze von SR diskutieren. Das würde bestimmt Spass machen. :prost:

    Ich bin dabei!
    Ich sehe SR auch als ironische Kapitalismuskritik. Ist aber auch nur ein Aspekt. Ich bin immer wieder gefangen in den spirituellen Erfahrungen, die dieser Gral mir bereit.
    Ich besitze das Handout zu SR. Es lässt mich auch eher verwirrt zurück. Aber, ist das nicht schön, wieviel Interpretationsmöglichkeiten uns nicht nur SR, sondern Foxtrot insgesamt gibt? Bell‘s Ansatz ist nur einer von vielen. Was für ein Album! Was für Musik!