TotW: [08.01.-14.01.2018]: GENESIS - Since I Lost You


  • Collins hat jedes Recht, das zu singen, was er singt.


    Zweifelsohne. Ich denke, dass Prophet ihm dieses künstlerische "Grundrecht" auch nicht absprechen möchte, sondern eher auf die Ebene ästhetischer Angemessenheit abzielte.


    Er besingt eben die Situation, die Clapton seinerzeit widerfahren ist. Das ist weder unpassend noch befremdlich.


    Na ja. Klar, da ist dieser Collins, der Pop-Musik als Vehikel einfachster Herzensdinge versteht. Und das klappt ja mit der hunderttausendfachen Variation des "Rock me Baby right here on the floor"-Mantras seit Jahrzehnten - wenn nicht Jahrhunderten, sofern man Pop-Musik sehr weit fasst - wunderbar.
    Und dann aber der Ansatz, dass Pop-Musik auch für Themen herhält, die dem fluffigen "Sex and Party"-Bereich nicht angehören. Politik, Gesellschaftskritik, Tod...
    Pop funktioniert durch ein Prinzip der Einfachheit und Eingängigkeit. Das gleitet auch gern und schnell ins Naive und Einfältige, ins Klischee ab. Dies kann ich besser verschmerzen, wenn es eh um fiktionale Nichtigkeiten, um einen inhaltslosen Eskapismus geht. Wenn das aber wie hier mit einer realen menschlichen Katastrophe korrespondiert, ist die geschmackliche Fallhöhe m.E. entsprechend groß. Große Vorhaben erfordern großes Gespür und Können. Genesis erlaubten sich als Band zu Gunsten der Bequemlichkeit und des Massenerfolgs eine Abkehr hiervon, und die wird bei keinem anderen Song so offenbar wie bei SILY: Die Katastrophe wurde konsumgerecht glattgebügelt und uns in Hochglanzpapier eingewickelt unter den Weihnachtsbaum gelegt - mit Schlittenglöckchen als stimmungsvoller Beigabe. Wie herzig.

  • .Genesis erlaubten sich als Band zu Gunsten der Bequemlichkeit und des Massenerfolgs eine Abkehr hiervon, und die wird bei keinem anderen Song so offenbar wie bei SILY: Die Katastrophe wurde konsumgerecht glattgebügelt und uns in Hochglanzpapier eingewickelt unter den Weihnachtsbaum gelegt - mit Schlittenglöckchen als stimmungsvoller Beigabe. Wie herzig.


    Ich erlaube mir hier ein wenig zu widersprechen, da auch mein Zweitaccount schon in dieses Trötchen pustete.
    Ein Kalkül würde ich den Herren Banks, Collins, Rutherford nicht unterstellen. Dann schon eher das ehrliche Bedürfnis, ihrer Anteilnahme Ausdruck zu verleihen. Und genau das macht es für mich so schlimm: Mir vor Augen halten zu müssen, dass SINCE I LOST YOU tatsächlich ernst gemeint ist und dem Geschmack der selben Leute entspricht, die auf dem selben Album mit Witz (JESUS HE KNOWS ME) und Gespür für epische Melancholie (FADING LIGHTS) musizieren. Nun ja, abgesehen von einem nervigen Ohrwurm (der sich nur aus der Erinnerung nährt) trage ich keine bleibenden Schäden davon. Glaube ich jedenfalls... :gruebel:

    al's Lebensweisheiten:

    "Man muss sich seiner Arroganz schon bewusst sein, um sie genießen zu können."

    • Offizieller Beitrag

    Große Vorhaben erfordern großes Gespür und Können. Genesis erlaubten sich als Band zu Gunsten der Bequemlichkeit und des Massenerfolgs eine Abkehr hiervon, und die wird bei keinem anderen Song so offenbar wie bei SILY: Die Katastrophe wurde konsumgerecht glattgebügelt und uns in Hochglanzpapier eingewickelt unter den Weihnachtsbaum gelegt - mit Schlittenglöckchen als stimmungsvoller Beigabe. Wie herzig.


    Vielleicht ist es genau das? Dass die drei so betroffen von dem Ereignis waren, dass sie ihr sonst vorhandenes Gespür für "das, was passt", bei SILY verlassen hat. Keine Ahnung, ich finde ja an dem Song auch kaum etwas verteidigens-, geschweige denn lobenswertes.


    Einen "mildernden Umstand" gestehe ich Since I Lost You zu: Dass die Erfahrung, sein Kind zu verlieren, wahrscheinlich un-vorstellbar, un-nachfühlbar ist. Der Text von SILY ist der wackere Versuch, dem nachzuspüren. Deshalb habe ich noch 2 Punkte gegeben. Er scheitert, und die etwas zuckrig-klebrige musikalische Ausgestaltung reißt das Stück vollends hinein. Deshalb habe ich nur 2 Punkte gegeben.


    ps. mutzel, danke für die Erläuterungen zum "Authentischen" des Songs.

  • Ich erlaube mir hier ein wenig zu widersprechen, da auch mein Zweitaccount schon in dieses Trötchen pustete.
    Ein Kalkül würde ich den Herren Banks, Collins, Rutherford nicht unterstellen. Dann schon eher das ehrliche Bedürfnis, ihrer Anteilnahme Ausdruck zu verleihen.


    Für mich ist das gar nicht groß von Belang. Die mögen gedacht haben, was sie wollen - letztendlich wurde der Tod eines Kindes in extremer Weise ästhetisch trivialisiert, für den Massengeschmack zurechtgestutzt sowie hübsch verpackt.
    Aber ich verbessere mich: Genesis haben uns das Ding natürlich nicht selbstlos unter den Weihnachtsbaum, sondern professionell vermarktet und darum lieber in die Weihnachtsregale von Karstadt gelegt.


    Nun ja, abgesehen von einem nervigen Ohrwurm (der sich nur aus der Erinnerung nährt) trage ich keine bleibenden Schäden davon. Glaube ich jedenfalls... :gruebel:


    Bei mir hat das Lied definitiv bleibende Schäden hinterlassen. Aber spar dir deine Kommentare dazu, ich will jetzt nichts hören.

    • Offizieller Beitrag

    zum ersten Statement: keine Ahnung, wie du darauf kommst, aber der SOng ist hinsichtlich Gesang und Produktion meilenweit von ...But Seriously entfernt. Schon die Stimme setzt Collins völlig anders ein.


    Wie ich ja bereits schrieb, so hinkt der Vergleich natürlich stark bei näherer Analyse und speziell für Fans, die genau wissen, welches Stilmittel welcher Genesis-Musiker genau einsetzte oder warum eben auch nicht (siehe Hold on my heart mit für Collins absolut untypischen Harmoniefolgen - und trotzdem klingts zuerst nach ihm).
    Ich bezog mich da also eher auf ein unbestimmtes Bauchgefühl bzw. die Meinung von Max 0815 Mustermann im Freundeskreis, der damals eben nicht sagte "oh Genesis" sondern bei solchen Liedern eher "oh wieder ne Collins Ballade". Wie gesagt, das sollte keine musiktheoretische Analyse sein. ;)


    zum zweiten Statement. Das halte ich nicht für belastbar. Der Logik folgend darf auch niemand über Fahrerflucht schreiben (Dreaming While You Sleep), der das nicht selbst gemacht hat oder sich in einem Song generell in andere Situationen hineinfriemeln.
    Collins hat jedes Recht, das zu singen, was er singt. Er besingt eben die Situation, die Clapton seinerzeit widerfahren ist. Das ist weder unpassend noch befremdlich.


    Wie townman korrekt vermutete, sehe ich das eher vom Ästhetischen her. Natürlich kann Collins, Gabriel, Genesis, whoever singen über was er/sie will. Aber ich finde aus meinem persönlichen "Moral-Empfinden" heraus, dass man das Leid eines guten Freundes (der Clapton ja war) bei Verlust seines Sohnes nicht dazu benutzt, um eine 0815 Herzschmerz-Ballade zu produzieren und noch aus seiner Perspektive in Ich-Form zu singen ("my heart is broken..."). Das finde ich einfach pietätlos angesichts der Geschehnisse (da es auch eben KEINE Fiktion ist worüber gesungen wird), das macht man einfach so nicht. Denkbar wäre eine Geschichtserzählung in dritter Form gewesen (als außenstehender Beobachter) oder eine mehr metaphorische Form über generellen Verlust. Aber eben so diese direkte Form des "aus Claptons Sicht sprechens" obwohl man nicht selbst betroffen ist, verbunden mit der verpackten Form in eine simple Popballade ohne großen künstlerischen Anspruch holt das ganze Drama auf eine derart triviale kitschige kommerzielle Ebene, dass ich das einfach dem Anlass unpassend empfinde. Wie gesagt, sowas macht man vor dem Hintergrund einfach nicht.

    • Offizieller Beitrag

    Es ist bekannt, dass Genesis den Song damals Clapton vorspielten und erst dann entschieden, dass es auf dem Album ein soll, weil Clapton sich sehr gerührt zeigte und er wollte, dass man dies veröffentlicht.
    "so was macht man einfach nicht" ist in dem Fall deine sehr persönliche Meinung, die ich nicht nachvollziehen kann. Und Clapton vermutlich auch nicht.

  • Ich möchte nicht wissen, was Clapton heute darüber denken würde...
    Ansonsten ist fast alles über den Wert dieser Veröffentlichung gesagt, unterste Kanone!
    Ich ringe mich mal zu 2 Punkten auf, es gibt ja immer noch viel schlechteres, obwohl von Genesis eigentlich nicht.


    Naja, Platze 5 hier ist eigentlich zu gut...
    http://www.genesis-fanclub.de/…is-hits-aller-zeiten.html

    Tippspiel Statistiker :thumbup: - Abbuzze !

    Einmal editiert, zuletzt von paulschlunz ()

  • das Lied ist für mich mehr als nur der Song.
    Es ist auch die Geschichte dazu und das gehört für mich zusammen.


    Da ich nicht sehr lange davor meinen besten Freund begleiten musste als ein naher Angehörgiger beschlossen hat sein Leben zu beenden ist meine subjektive Wahrnehmung auch davon beeinflusst.
    Ich hatte wenige am Anfang keine Worte für ihn was ich damals belastend empfand. Er hat nach Jahren zwar gesagt die Worte sind egal, das da sein war wichtig, aber ein wenig Ratlosigkeit blieb


    Deshalb werte ich den Song hoch, weil ich nicht das Gefühl hatte/habe es ging um den schnellen Hit mit billiger Mitleidstour. Das hat Storytellers und die Erzählung dass Clapton ihn sehr gemocht hat und er die Freigabe für Release gab und es auch wollte untermauert. An dem Abend hat Phil Tears of heaven gehört und meinte wohl "naja eher kein Hit". Auch da kann man sagen Clapton vermarktet sein Leid, sehe ich nicht so. Ich war 1992 in München als er das Live unter Tränen gespielt hat, das wäre schon arg berechnend gewesen.


    Ich empfinde das nicht als Mitleid oder Geldmacherei sondern als Geschenk für einen Freund und das ist mir einige Punkte wert.


    ME

  • Für mich die furchbarste, peinlichste Geschmacksentgleisung der Bandgeschichte - und auch darüber hinaus fällt mir spontan nichts ein, was ich ähnlich verabscheue wie diesen Totalausfall. Es hagelt Minuspunkte in Hülle und Fülle. Ich hör jetzt die Neue von Hansi Hinterseer und freue mich über die steigende ästhetische Qualität des Abends.


    Ich hatte eigentlich keine Lust mein Gehirn(schmalz) für diesen Schmalz anzustrengen. Ein Grund, warum ich mir WCD nie gekauft habe....Danke, townie und martinus, dass ihr mir den Verriss abgenommen habt.

  • Sicher gut gemeint, denn Phil und Eric sind ja befreundet. Ich kann mich auch an Phils Erzählung in seinem Buch erinnern, wo er genau diese Geschichte beschreibt. Ich glaube, damals habe ich diesen Song zumindest zum ersten Mal wirklich bewusst gehört.
    Leider ist hier musikalisch nicht viel dran. Auch für mich eher ein Phil- als ein Genesis-Song.
    Für mich gibt es hier nichts, was irgendwie speziell positiv auffällt.
    4 Punkte

    Zy
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    "The music is the true currency. It's more valuable than the accolades or the money. The relationship is with the invisible muse and you know if she's pleased or if she ain't." - Steve Hackett