@PS@townman: Denkst Du auch an den Einfluss von Peter Sinfield?
Ich bin da nicht so kundig, was die Person Peter Sinfield angeht. Aber er scheint mir viel von dem ausgefüllt zu haben, was für dieses spürbare "Gesamtkonzept" des Albums nötig war. Ich denke da z.B. auch an das Beispiel Peter Gabriel zu den "Lamb"-Zeiten. Die anderen guckten ihn einigermaßen schief an, als er denen sagte, er wolle die gesamten Texte des Albums schreiben. Das war aber wiederum notwendig für dessen konzeptionelle Geschlossenheit - diese geht einfach (nicht NUR wegen der Texte) in erster Linie auf Gabriels Kappe.
Hattest du an sowas bei deiner Frage gedacht? Oder was findest du an Sinfield bemerkenswert?
townman versucht m. E. KC´s Poesie der Klänge in Worte zu fassen
Freut mich, dass dies bei dir auch so angekommen ist. Genau das war meine Idee bei der Erstellung des Threads, denn das steht bei der Beschäftigung und auch beim Austausch mit Musik für mich an oberster Stelle: Die "Poesie", also der ästhetische Ausdruck von Musik.
Mutzelkönigs erstes Posting offenbarte ein anderes Interesse: Hat das Album "In the court of the crimson king" überhaupt die Ausnahmestellung innerhalb der Progszene verdient, die ihm von mehreren Seiten immer wieder zugesprochen wird? Ja, ist es überhaupt dem Prog zuzurechnen, oder bietet es im Großen und Ganzen nicht einfach konventionelle Rockmusik?
Da steckt man dann natürlich in eher analytischen bis akademischen Zusammenhängen. Ich finde aber für das Forum grundsätzlich wichtig, dass jeder über alles schreiben sollte, was ihn interessiert. Und mich interessieren Fragen zur Stilistik und zu Musikgeschichtlichem auch immer wieder. (Ehrlich gesagt, glaube ich daran, dass auch dies die Genussfähigkeit und das Verständnis für Musik in gewissen Zusammenhängen vergrößern kann.)
Wer also keine Lust hat, meine bisherigen naiven Gedanken ihr Unschuld verlieren zu sehen, wer auf eine theoretische Hintergrunddiskussion keinen Wert legt, der kann sich jetzt einfach ausklinken und sich lieber was Gutes auf die Ohren geben, als noch weiterzulesen.
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Deine Überlegung, Mutzelkönig, in Wirklichkeit böte das Debütalbum von 1969 fast nur konventionelle Kost, könnte man wohl nur fundiert diskutieren, wenn man einen breiten Überblick über die Rockmusik der 60er hätte. Den habe ich aber nicht. Von daher machte es Sinn, wenn du konkret würdest: Welchen konventionellen Bands sollen die frühen Crimsons und welchen konventionellen Alben soll denn "In the court of the crimson king" ästhetisch gleichen? Ich bleibe da ausgesprochen skeptisch und würde ganz laienhaft erwarten, dass es so einen Gesamtentwurf bis dato noch nicht gegeben hatte.
Etwas mutiger gehe ich die Frage an, ob King Crimson progressive Rockmusik im Sinne des Stilbegriffs 'Prog' boten: Ja, natürlich. Du führst zwar an, dass in ihren frühen Songs "rhythmisch, melodisch und harmonisch kaum etwas passiert, das man für gewöhnlich mit progressiver Rockmusik verbindet". Ich halte aber dagegen, dass diese drei Parameter nicht die Kernaspekte dessen treffen, was hier wichtig ist.
Ich habe den Eindruck, dass du den Begriff 'Prog' inhaltlich verengt auffasst, und zähle andere Merkmale auf, die mit King Crimsons erstem Album und Prog in Verbindung gebracht werden können:
1. Betonung der Albumstruktur als Gesamtkonzeption mit "Werkcharakter" durch verschiedene Kohärenz erzeugende Elemente und damit Abkehr von zusammenhangslosen Einzelsongs
2. Ästhetisch-konzeptionell ambitionierte und verhältnismäßig komplexe, durchaus auch vieldeutige oder verrätselte Wort-Ton-Beziehung
3. Eklektizismus: Zu finden sind hier mehrere Einflüsse vor allem aus Jazz und Klassik. Das bezieht sich auf die Formsprache als auch auf das erweiterte Instrumentarium. Damit einhergehend ist auch eine Aufwertung rein instrumentaler Anteile im Gesamten zu hören.
4. Sonderfall 'Mellotron': Natürlich stimmt die Gleichung Mellotron = Prog überhaupt nicht. Das wäre ja Quatsch. Es ist vielmehr so, dass das Mellotron (als durchaus damals 'fortschrittliches' Instrument!) auf Grund seiner klanglichen Möglichkeiten bestens für den Prog geeignet war und damit auch eines seiner neuartigen Merkmale eindrucksvoll unterstrich: die klassisch-sinfonische Klangästhetik (siehe Eklektizismus)
5. Absage an flüchtige Konsumierbarkeit durch ausladendere, komplexere und z.T. auch weniger "gefällige" Mittel der Gestaltung; damit einhergehend möchte ich festhalten, dass jedes einzelne Stück auch eine individuelle Gesamtstruktur aufweist und keinem stereotypen Formverlauf entspricht. Da bin ich sehr nahe bei duke77.
Ich hatte ja zwei Songs vorgestellt, und da gibt es eben auch konkretere Prog-Indizien, z.T. sogar auch in harmonisch-melodischer oder rhythmischer Hinsicht:
Bei "I talk to the wind" z.B. wird eine schlichte Dur-Moll-Harmonik deutlich überboten, es finden sich vorwiegend komplexere Septakkordfolgen, die noch dazu z.T. nur sehr entfernte Verwandtschaften haben (E-Cmaj7 usw.). Damit einhergehend entstehen auch einige ungewöhnliche Dissonanzen. Zudem gibt es eine kontrapunktisch orientierte Verfahrensweise bei den Klarinetten in den Strophen als klassisch-eklektizistisches Mittel. Auch die nachgeschobene Flötenimprovisation ist von der Form her sicherlich nicht konventionell. Zudem geht das Stück dann per Überblendung fließend in "Epitaph" über.
Bei "Epitaph" z.B. gibt es eine asymmetrische Phrase beim Intro. Das konventionell ja wohl eher repetitive Element des Schlagzeugbeats wird mehrfach ge- und unterbrochen. Stattdessen zeichnet sich die Rhythmik durch eine gewisse strukturelle Varianz im Dienste der ästhetischen Wirkung aus. Der gesamte Mittelteil ist mit Sicherheit per se unkonventionell auf mehreren Ebenen (Rhythmik, Instrumentierung, Form, Satztechnik, Ausdehnung, Wirkung). Und die insgesamt ausladenderen Grob- sowie Feinstrukturen muss ich nicht noch extra hervorheben.
Ich denke grundsätzlich, es macht weniger Sinn festzuhalten, welche Progelemente nicht vorhanden sind, als darauf zu gucken, welche da sind. Gibt es überhaupt Progstücke, welche die entsprechenden möglichen Merkmale komplett aufweisen?
Und zuletzt: Was ist nun mit der "Geburtsstunde des Prog"? Vielleicht hast du es im hiesigen Prolog gelesen. Ich selbst bin da auch skeptisch. Und unter den Babyblauen Rezensenten gibt es diesbezüglich keinesfalls nur einhellige Meinungen.
Mein bisheriger Eindruck ist: "In the court of the crimson king" war diejenige Veröffentlichung, die zum ersten Mal von Presse und einem breiteren Publikum als stilprägendes " Prog-Gesamtkunstwerk" wahrgenommen wurde. (Ich halte es auch für möglich, dass die Marketingabteilung der Plattenfirma entsprechend mitgeholfen hat.) King Crimson hatten die Tendenzen der Zeit hier offenbar musterhaft auf den Punkt gebracht. Und wer das vor den anderen schafft, hat sich seinen Platz in den Geschichtsbüchern halt gesichert.
Auch hier nun abschließend eine Gegenfrage: Welches Album sonst sollte als erstes Progalbum gelten? (Nach meinen Ausführungen wird es dich nicht wundern, dass ich auf die Zeit VORHER gucken würde.)