MIKE RUTHERFORD - The Living Years - Buch (15.01.2014)

  • Stellen wir uns mal vor, Jon Anderson würde eine Biografie schreiben. Der große Illusionist, der uns etwa vor drei Jahren im eclipsed-Interview ein YesF-Album versprach, nach dem die Geschichte der Musik des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts in Teilen neu hätte geschrieben werden müssen - dann aber uns tatsächlich nur an einem Song namens Fragile (gar nicht so übel, aber dennoch, ihr wisst, was ich meine) teilhaben ließ... Stellen wir uns vor, dieser JA würde eine Autobiografie schreiben... würden wir uns wundern, wenn ein Teil der Daten und anderes, was prüfbar ist, nicht stimmen würden? Wir würden sagen, achwas, er hat sich schon immer seine eigene Wirklichkeit und Wichtigkeiten geschaffen. Und widerspricht er sich nicht dauernd? So richtig toll ist das nicht, vor allem, wenn es zu Enttäuschungen wie beim Great Rock 'n' Rolle Swindle mit dem YesF-Album führt. Aber das Buch wäre authentisch, und ich bin sicher, dass es so ähnlich sein würde.


    Bei MIke Rutherford sind wir etwas überraschter, aber wir wissen jetzt, dass wir eventuell bei vermeintlichen Fakten, die uns etwas komisch vorkommen, vielleicht besser mal misstrauisch sind. Vielleicht ist er vergesslich, schludrig, vielleicht interessieren ihn auch nur die wirklich wichtigen Dinge, oder das, was er dafür hält. Was wir auf jeden Fall jetzt wissen, ist, dass er es bei Biografien nicht so gewissenhaft ist wie andere, jedenfalls, was Fakten betrifft. Das macht das Buch am Ende nicht wirklich schlechter. Vielleicht sollten wir nun aber auch misstrauisch sein, was gewisse Aussagen und Einschätzungden betrifft.


    Oder uns einfach nicht jeck machen lassen. Autobiografien sind, denkich, immer so eine Sache für sich - und immer subjektiv, und immer mehr oder weniger wahr. Als Gesamtkunstwerk aber stets wertvoll, mehr oder weniger...

    • Offizieller Beitrag

    Wer wünscht sich denn bewusst solche Recherchefehler?

    Die Recherche für Mikes Erinnerungen findet primär in Mikes Gedächtnis statt. Da gibt es nichts zu recherchieren und nichts mit "den Tatsachen" abzugleichen.


    Das Buch enthält eine Darstellung von Mikes Erinnerungen. Wenn Mike sich so und so erinnert, dann will ich das auch genau so lesen. Der Leser ist in aller Regel verständig genug, dass ich dies oder jenes in Frage stellen, nachprüfen und für mich richtigstellen kann (manche Leute notieren in ihren Büchern das Entsprechende mit Bleistift am Rand). Vor allem bei einem so relativ spezifischen Thema bringen die Leser meistens Vorwissen aus anderen Quellen mit


    Egal aus welchem Grund: Wenn ein Ereignis in Mike Autobiographie anders dargestellt wird als Mike sich daran erinnert, dann sind es nicht mehr seine Erinnerungen.




    Naja, wir kommen da nicht zusammen, diesen - für mich überzogenen - Anspruch hast du ja auch schon bei der Collins-Autobiographie erhoben. Machst du dann eigentlich auch wieder einen Faden "MIKE RUTHERFORD: Fehler/Unstimmigkeiten in der Autobiographie 'Living Years'" auf? (analog zum Collins-Fehler-Faden?)

  • Das subjektive Verbrämen mag charmant sein, aber für die Teilhabe an Mikes greifenden oder nicht-greifenden Synapsen und daraus resultierenden großflächigen Fehlinformationen (oder sollte man sagen: fake news) gebe ich kein Geld aus. Andererseits könnte man das Buch als Bastell-Anleitung zur Selbstvervollständigung sehen. Alles wäre in Ordnung, wenn es Korrektur-gelesen und auf die Stimmigkeit von Fakten überprüft worden wäre. Das könnte dann in einer Fußleiste stehen, ungefähr so: Hier irrt Mike, weil ... Mike irrt ein weiteres Mal, weil ... Und Mike irrt auch hier, daher ... usw. usf. Und jetzt lese ich wieder Grimms Märchen, und dann verbräme ich meine eigene Historie (darin bin ich schon geübt).

  • Auch dem Verfasser einer Autobiographie ist gestattet und zu empfehlen, nachzuschaun ob die Erinnerung an gewisse Daten so stimmt, und gegebenenfalls zu korrigieren. Wenn ihm egal war, wer Vorgruppe war, dann braucht er sie auch gar nicht zu erwähnen. Und selbstverständlich hätte ein aufmerksames Lektorat Mike das angestrichen. Da gehts ja nicht um eine persönliche Einschätzung von irgendwas sondern um letztlich irrelevante Trivia.

    you're the ones we've been waiting for...
    Genesis - 98 München - 07 Linz, Düsseldorf x 2, Berlin, München - 22 Berlin x 2, London x 2

  • Auch die subjektive Wertung, was dem einen seine Trivia sei, sei dem anderen sein Herzblut, unter Bestimmung durch einen Dritten, ist subjektiv verbrämt. Schönes Beispiel: Wir qualmen uns die Birnen heiß um die Stücke von 1967-1971, die nie veröffentlicht wurden, und Tony Banks führt das im Vorwort von Archive Volume 1 (bei seinen Kommentaren zu CD 4) unter "Trivia", und wirft uns eine hölzeren Maske ins jamaikanische Langboot. ;)

  • Vielleicht sollte man auch so ehrlich sein und sagen: Das Grundsätzliche und Wichtige hat Mike völlig korrekt erinnert.

    Es gibt ein paar falsche Details bei Nebensächlichkeiten, die ihm vermutlich gar nicht als falsch aufgefallen sind.

    Und es gibt ja die Bandbiografien von externer Seite, in denen dann alles akribisch abgeglichen wird. Wenn Mike hier und da ein wenig irrt, nimmt uns das nichts weg. Entweder wissen wir es schon besser oder auch nicht.

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

    "Von jedem Tag will ich was haben

    Was ich nicht vergesse

    Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne

    Ein Schlag in die Fresse"

  • Finde es völlig legitim eine Autobiographie subjektiv anhand seiner eigenen Erinnerungen zu verfassen. Jedoch sollte man historische Fakten schon besser nachrecherchieren, zudem diese ja meistens einfach zu erlangen sind, auch für den "kritischen" Leser. Das hat für mich mit Glaubwürdigkeit zu tun. Stimmen die historischen Fakten, nehme ich dem Autor den Rest seiner Schilderungen eher ab.

    Bestes Beispiel für solche Erinnerungen: Das "angebliche" Vorspielen/Vorstellen von "In The Air Tonight" bei der Band. Phil schreibt: JA, Tony sagt: NEIN, Mike schreibt: Vielleicht. Hätte z.B. Phil die Fakten in seinem Buch perfekt recherchiert, würde ich ihm das glauben. Aber so habe ich meine Zweifel.

    Genesis, 20.06.1987, Maimarktgelände, Mannheim

    Phil Collins, 11.05.1990, Festhalle, Frankfurt

    Genesis, 04.07.1992, Hockenheimring

    The Musical Box, 05.11.2003, Jahrhunderthalle, Frankfurt

    Seconds Out, 25.12.2005, 25.12.2006, Colos-Saal, Aschaffenburg

    Genesis, 13.03.2022, Lanxess Arena, Köln

  • An den vielen Schreibfehlern zumindest in den deutschen Ausgaben von Collins und Rutherford sieht man ja auch, dass schlampig gearbeitet wurde. Da haben die Lektoren ja auch gepennt. Beim Abgleich der Tourdaten haben sie sich einfach die Mühe gänzlich erspart. Die bekamen ihr Geld ja auch so, ich vermute mal nicht allzu viel. Für mehr Arbeit hätten sie jedenfalls nicht mehr Geld bekommen. Die Fehlinformationen von Mike Rutherford scheinen ja bis jetzt eher unerhebliche Dinge zu betreffen, und ihr Ausmaß dürfte viel geringer sein als es bei einer Autobiografie von Trump wäre. Ja stimmt, die Glaubwürdigkeit leidet darunter. Wenn sich Mike schon nicht die Mühe der Überprüfung seiner Erinnerungen bzgl. sehr leicht nachprüfbarer Ereignisse machte, wieviel darf man ihm denn dann überhaupt glauben, fragt man sich dann. Aber um Mike kennen zu lernen, die Welt seiner Gedanken und (subjektiven) Erfahrungen, ist das Buch durchaus geeignet! Ich habe es gerne gelesen, es war kurzweilig, humorvoll, unterhaltsam, wenn auch etwas zu oberflächlich für meinen Geschmack. Aber seine Persönlichkeit kommt zum Ausdruck, auf jeder Seite, ob man die nun mag oder nicht. Und darum geht es ja eigentlich in erster Linie bei einer Autobiografie.

    “It doesn`t have to be like this. All we need to do is make sure we keep talking"

    Stephen Hawking

    (Zitat aus dem Song "Keep Talking" von Pink Floyd, mit Stephen Hawking`s Stimme)

  • Zitat

    Phil schreibt: JA, Tony sagt: NEIN, Mike schreibt: Vielleicht. Hätte z.B. Phil die Fakten in seinem Buch perfekt recherchiert, würde ich ihm das glauben. Aber so habe ich meine Zweifel.

    Jetzt hast Du es geschafft. Ich glaube dem Mike sein "vielleicht" nicht mehr.8);)

  • Jetzt hast Du es geschafft. Ich glaube dem Mike sein "vielleicht" nicht mehr.8);)

    Ja, sehr witzig eigentlich. So müssen wir uns entscheiden, wem wir glauben wollen. Ich vertraue (auch) am ehesten Tony, nicht nur weil er der einzige von den dreien ist, der nie etwas mit Drogen zu tun hatte (was ich ihm absolut abnehme ^^), sondern auch weil er was seinen an Zwanghaftigkeit angrenzenden akribischen Perfektionismus angeht wohl kaum zu übertreffen ist. Er ist meines Wissens der einzige Keyboarder in der gesamten Rockgeschichte, der noch nie bei einem Konzert ein improvisiertes Solo hingelegt hat. Ich schätze, bei einer Autobiografie würde er ebenso wenig von der historischen Realität abweichen und improvisieren ;)

    “It doesn`t have to be like this. All we need to do is make sure we keep talking"

    Stephen Hawking

    (Zitat aus dem Song "Keep Talking" von Pink Floyd, mit Stephen Hawking`s Stimme)