Alles anzeigenWarum es mir nicht gefällt? Es ist mir viel zu monoton, zu schwermütig, zu depri - diese Harmonien (die den Namen eigentlich nicht verdienen;)) ziehen mich runter und machen mich beim Anhören sogar leicht aggressiv. Im Grunde passt es einfach überhaupt nicht in mein musikalisches Weltbild, ja es ist vermutlich das Gegenteil von dem, was für mich Musik hörenswert macht.
Freude, Schönheit, Wut, Aggression, Witz, Sarkasmus, Trauer, Melancholie - ja, ich mag durchaus verschiedene musikalische Facetten. Aber auf Depression kann ich verzichten.
Für mich steckt in diesem Stück unglaublich viel Energie drin, aber leider negative Energie. Brauche ich nicht! Vorsichtige Frage: Wer braucht die überhaupt?
Ach ja, ich habe es bis heute nicht geschafft, mir das bis zum Ende anzuhören.
Dieser (unvollständigen...) Hörerfahrung möchte ich etwas entgegensetzen:
Sicherlich gehört der Song zu den ernsten und wenig leicht verdaulichen. Mit Depression hat er aber m.E. herzlich wenig zu tun.
Textlich wie auch musikalisch wird deutlich, dass da jemand leidet. Und dieses Leiden manifestiert sich zugegebenermaßen zunächst einmal in einer Art Kreisen - gedanklich sieht man das an den vielen Wiederholungen von Textzeilen, musikalisch am Zirkulieren in rhythmisch schwerfällig gestalteten akkordischen Schleifen. Hier, im ersten Stadium des Songs bis zu 2:30, könnte man wirklich das Gefühl haben, nicht wegzukommen, den resignativen Stimmen des Geistes und der trägen Schwere seiner Physis ausgeliefert zu sein. Im Text gibt es darüber hinaus noch Hinweise darauf, dass der Sprecher nicht nur an sich selbst, sondern auch an seiner Zeit / seinen Zeitgenossen leidet - und es nicht schafft, sich als Persönlichkeit innerhalb dieser Komponenten in eine ausgeglichene Balance zu bringen.
Später wird dann jedoch vor allem in der Musik deutlich, dass sich etwas extrem auflädt, dass da eine dramatische Auflehnung gegen den ursprünglichen Zustand stattfindet: Ab 2:30 erhebt sich das Orchester mit großer Mächtigkeit, nach und nach konterkarieren einzelne Streicherstimmen die bisherige Bewegungsunfähigkeit, setzen gegen die dumpfen und erschreckend fatalistischen Akkordstrukturen motivische Ausbrüche, schnellen aus der dunklen Tiefe in die Höhe, gewinnen hörbar auch an rhythmischer Dynamik und scheinen fast schon eine Befreiung verwirklicht zu haben...
Dann bei 3:30 aber ein Moment tiefer Frustration: Die Soloklarinette macht deutlich (indem sie melodisch erneut das Moment des verharrenden Kreisens um einen tonalen Punkt aufgreift), dass Befreiung nicht stattgefunden hat. Kurz darauf schreit Gabriel diese Frustration als große, furchtbare Klage heraus - im Gegensatz zum Anfang, als die Klage noch schwach und resignativ klang. Depression ist das für meine Begriffe nicht, eher seelischer Kampf und Dramatik.
Aber damit ist es ja nicht zu Ende.
Bei 4:20 glaubt man fast, nun würde die Stimme und der Song wirklich in depressiver Resignation versinken. Dies ist aber nur ein scheinbarer "Rückfall". Wer genau hinhört, wittert schon nach wenigen Sekunden, dass das Ganze zunächst fast unmerklich in ein anderes Licht getaucht wird...
Es folgt die große Wendung, die mutzelkönig womöglich gar nicht kennt und mit welcher der Song m.E. in der Gesamtschau das repräsentiert und bewirkt, was Musik / Kunst so unglaublich gut kann: Trost geben, Gegenwelten und Räume schaffen, welche die vordergründig unveränderbaren Zwänge der Realität plötzlich aus einer unerwarteten Perspektive heraus als veränderbar erscheinen lassen.
Die Befreiung vom Anfangszustand wird zwar nicht als Faktum - und damit als unglaubwürdig konstruiertes "Happy End" - dargestellt, aber als Möglichkeit, als Vision projiziert: "Set my spirit free / Set my body free" heißt es nun - und es geht von dieser Vision, von dieser Hoffnung, eine Kraft aus, die eine Versöhnung mit sich selbst und dem geschilderten Leiden in Sichtweite rücken lässt.
Die Musik beginnt hier in höheren Regionen zu schweben, die Last des Anfangs ist nun gar nicht mehr zu spüren, man hört Engelsstimmen (was mir ein bisschen zu dicke vorkommt...), da ist überall Licht und Zuversicht...
Das Ganze ist für mich eine Art inneres Drama. Da gibt es emotionale und gedankliche Facetten, Entwicklungen, Brüche und eine Wendung ins Unerwartete - Monotonie kann ich da hinsichtlich der Gesamtstruktur nicht erkennen.
Zudem ist es letztlich das Gegenteil von Resignation, da der Song das menschliche Leiden hier hoffnungsvoll in ein anderes Licht taucht.