SdW [06.-12.09.10]: GENESIS - Dancing With The Moonlit Knight

  • The „Queen of Maybe“ oder auch „Die Gewissheit des Ungewissen“


    Vorweg: Mit dem Text komme ich kaum irgendwie klar. Einen möglichen Ansatzpunkt für einen besseren Zugang habe ich für mich hier gefunden:


    „Absicht war, sichtbar zu machen, inwieweit Teile eines älteren Großbritanniens absorbiert wurden, um in einer modernen Welt zu neuem Leben zu erwachen.“ (Chapter & Verse, S.144)


    …spricht Peter Gabriel und bezieht sich danach konkret auf den doch etwas problematisch zusammengeschusterten Song „The battle of Epping forest“.


    Mindestens genauso relevant erscheint mir das Zitat jedoch für „Dancing with the moonlit knight“. Nicht umsonst erschien Gabriel bei der „Selling(…)“-Tour ja auch als Britannia auf der Bühne (zumindest im Shepperton-Konzert allerdings entledigte er sich des Helms nach dem Vers „Digesting England by the pound“) und bezeichnet seine dargestellte Figur als „Voice of Britain before the ‚Daily Express‘“. Tradition und Moderne sind hier schon (antithetisch?) ins Bewusstsein gerückt.


    „Can you tell me where my country lies?“


    Nicht nur, dass der “unifaun” auf seine Frage keine eindeutige Antwort bekommt – es scheint fast so, als würde das gesamte Stück darauf hinwirken, dass der Rezipient keinen festen Boden unter die Füße bekommen soll. Natürlich werden bruchstückhafte Zusammenhänge geschaffen, die nahelegen, dass (englische) Traditionen absterben und verhökert werden und dass die Gegenwart geprägt ist von Schacherei, Scheinhaftigkeit und (blindem?) Schicksal / Glück. Und eines scheint auch klar zu sein: dass die Macht nicht in der Hand der „Citizens of Hope & Glory“ ist, sondern Gesetzmäßigkeiten unterliegt, die nicht (be?)greifbar sind. Die Menschen können eigentlich nur eins tun: Mit den Mächten mittanzen, ihnen nachfolgen, weitermachen: „join the dance / Follow on!“


    Trotzdem: Der Text ist keine einseitige Abrechnung mit, Warnung vor oder Protest gegen die Moderne. Er ist perspektivisch so mehrdeutig, gedanklich so fragmentarisch, so hybrid, dass hier sicherlich kein Nationalpessimismus als „intendierte Botschaft“ verstanden werden soll.
    Bislang verstehe ich ihn eher als eine poetische Verdichtung bestimmter neuralgischer Punkte zur Thematik und nicht als parteiische Bewertung.



    „O meine Zeit! So namenlos zerrissen,
    So ohne Stern, so daseinsarm im Wissen
    Wie du, will keine, keine mir erscheinen.


    Noch hob ihr Haupt so hoch niemals die Sphinx!
    Du aber siehst am Wege rechts und links
    Furchtlos vor Qual des Wahnsinns Abgrund weinen!“


    (W. Klemm: aus „Meine Zeit“ [1920]


    Die Auseinandersetzung mit Tradition und Moderne findet wohl immer dann besonders intensiv statt, wenn Menschen ihre eigene Zeit als Epoche des Umbruchs begreifen. Die Gegenwart wird dann zur Erfahrung von Unsicherheit, Orientierungslosigkeit, Chaos – und der eigenen Unfähigkeit zur distanzierten Deutung der eigenen Zeit.
    Was m.E. sehr passend ist: Die Sprache und die Art der textlichen Darstellung wird dieser Erfahrung gerecht, da kein einheitliches kausales Prinzip und kein kausaler Gestaltungswille sichtbar wird. (Oder übersehe ich da etwas?)


    „Dancing(…)“ weist diese typischen Merkmale eines solchen Zeitenumbruchs auf – wie sie Klemm auch so ähnlich für die Jahrhundertwende um 1900 empfunden haben mag (und dies allerdings ohne Gabriels entspanntere Art der ironischen Brechung und Mehrdeutigkeit zum Ausdruck brachte).


    Mein Empfinden ist allerdings auch, dass der Umbruch, der in „Dancing…“ anklingt, weder bewältigt noch abgeschlossen ist. Ich sehe eher die anklingenden Prozesse mittlerweile deutlich beschleunigt und von immer größerer Wucht und Tragweite. Die Supermarkt- und Börsenorgien, die einen ganz zentralen Vorstellungsbereich des Textes bilden, sind sicherlich kein sonderlich englisches Phänomen und auch kein europäisches – diese Art der Tänze ums goldene Kalb sind international und zunehmend ungebremst.


    Trotzdem: Welche (erhaltenswerten?) Traditionen klingen denn im Text an? Da vermisse ich für mich verstehbare Bezüge.


    Und die Musik?


    Ich halte den Anfang des Songs mit für das Schönste, was Genesis je geschaffen haben. So ein bisschen hat man ja in den ersten Sekunden den Eindruck, dass hier eine Anspielung auf musikalische Vergangenheit vorhanden wäre: Als ob ein Spielmann des ausgehenden Mittelalters ein spartanisch begleitetes Lied zum Besten gäbe.
    Wie die Musik hier melodisch und akkordisch gestaltet ist und dass Gabriel seine erste Zeile – und eben diese Zeile – unbegleitet als Opener für das gesamte Album singt, finde ich unglaublich innig und ganz besonders.


    Sowieso: Die musikalischen Motive und Ideen des Songs sind erste Sahne. Da gibt’s, finde ich, keinen schwachen Part, kein substanzloses Geplänkel (ich zähle den Schlusspart hier bewusst dazu) – und dazu tragen auch alle 5 Musiker sehr ausgewogen bei.


    Meine bleibenden Irritationen betreffen jetzt vor allem das Verhältnis von Text und Musik: Spiegelt sich in der Musik die (von mir angenommene) Mehrdeutigkeit des Textes wider? Der Aufbau des Songs ist zwar auch bunt, kontrastierend, manchmal vielleicht ein wenig überbordend-chaotisch, aber trotzdem gibt es auch mehrere Elemente, die den Laden deutlich zusammenhalten sollen (Steves berühmtes Gitarrenmotiv, das refrainartige „The captain leads his dance(…) Follow on“).


    Ich kann hier nicht weniger als 14 Punkte vergeben – dafür finde ich das Ganze musikalisch zu mitreißend. Aber ganz konsequent gestaltet erlebe ich den Song auch nicht – deshalb bleibt ein Punkt stecken.

  • 15 P.


    Warum?
    Ganz einfach: weil subjektiv betrachtet.


    (Meine Lebensgeschichte hier zu erzählen, würde die Subjektivität beleuchten, würde aber zu lange dauern)


    Gruß


    CM

    "Ich glaube, dass sich mein Standpunkt, nachdem ich die Band verlassen habe, nicht dramatisch geändert hat.(...).

    Aber ich bin immer stolz darauf, was ich tat und was sie taten"

    Peter Gabriel

  • Wenn nicht hier 15 Punkte wo denn dann ? (nein ich meine NICHT Suppers Ready :D )

    The ice-cold Knife has come to decorate the dead ... somehow

  • Ganz klar 15 Punkte. Für mich persönlich sind die ersten 5 Minuten wohl das Beste was Genesis jemals herausgebracht haben. Eines der geilsten Lieder die ich kenne. Beonderes Gänsehautgefühl: Die Passage wo Gabriel ''There's a fat old lady outside the saloon'' singt und vorher diese orchestrale Keyboard kommt. Ahh genial:topp:

  • ...wenn hier jetzt bereits an anderer Stelle "Nachlese" alter SdW betrieben wird, mach ich da gleich mal weiter. (Habe als relativ "Neue" hier, bisher ja auch nur einen Bruchteil der Songs bewertet...).

    Bei "Moonlit Knight" sticht für mich v.a. die Gitarren-Instrumental-Passage im Mittelteil heraus.
    Dazu gibt es eine kleine Geschichte: Hatte ja die längste Zeit geglaubt, dies seien Keyboard-Klänge, bis ich dann auf meinem ersten Steve Hackett-Konzert fast direkt vor dem Meister stand und beinahe hinten-rüber-gefallen wäre, als dieser Part, als Reprise in Los Endos wiederauftauchte und diese Sounds eindeutig von seiner Hand (besser gesagt: Händen + Gitarre) produziert wurden...! :schock2:

    Doch gefällt mir die gesamte Zusammensetzung dieses Songs ziemlich gut: Der Beginn, mit Pete´s fast "vortragsartigem" Gesang und dem daraus entstehenden Spannungsaufbau.
    Genial gemachter Song, mit hoher Einprägsamkeit. Hat schon fast was von "Ohrwurm-Charakter".

    Eine 14 von mir, da es im Gesamtwerk auch noch Steigerungen gab (....nein, ich sag´s jetzt nicht auch noch!). ;)

    PACKUNGSBEILAGE MIT WARNHINWEISEN:
    Alle hier von mir geposteten Beiträge stellen lediglich meine ganz persönliche und somit subjektive Ansicht dar! ;)


    "...Download love and download war
    Download the shit you didn´t want
    Download the things that make you mad
    Download the live you wish you had..."


    Nordlichter Stargast ´2012 !

  • Für mich eines der wichtigsten Lieder die Genesis je schrieben!
    Es hat eine sehr große politische Bedeutung und zeigt den Kapitalismus und die somitige Zerstörung Englands (Krass gesehen betrachtet).


    Es war eines bzw. DAS Lieblingslied als ich in die Gabriel-Ära eingetaucht bin. Ich habe wirklich Stunden und Tage mit dem Lied verbracht. Jedoch ist es nicht das Beste Lied von Genesis, das ist klar. Jedoch finde ich Gabriels Gesangsleistung wahnsinn. Er singt es voller Emotion und bringt das Lied auch so rüber wie es rüber kommen muss: Aus eigener Perspektive in Metaphern gesprochen.


    Von mir bekommt es 13 Punkte. Man hätte mehr daraus machen können. Ich hätte so einen Schluss wie bei "The Musical Box" mehr gemocht. Wirklich das Ohr rausgebrüllt!


    Aber so ist das auch OK :)

    It requires that you leave behind everything of human ways, human behaviour, human ignorance, human disinformation.


    Last Chance to evacuate Planet Earth before it is recycled


  • Jedoch ist es nicht das Beste Lied von Genesis, das ist klar. Jedoch finde ich Gabriels Gesangsleistung wahnsinn. Er singt es voller Emotion und bringt das Lied auch so rüber wie es rüber kommen muss: Aus eigener Perspektive in Metaphern gesprochen.


    Von mir bekommt es 13 Punkte. Man hätte mehr daraus machen können. Ich hätte so einen Schluss wie bei "The Musical Box" mehr gemocht. Wirklich das Ohr rausgebrüllt!


    Aber so ist das auch OK :)


    Hm, sehr schön. Ich empfinde den Song auch als sehr "Gabriel-like". Was mich interessieren würde: Was hätte er textlich oder auch rein ausdrucksmäßig deiner Meinung nach noch reinbrigen sollen? Ich hatte hier zuvor schon einmal geschrieben, dass auch mir bei dem Song noch ein klitzekleines bisschen fehlt: Was könnte das sein?




  • "...it´s the time of your life...".
    Ja, der Text geht auch mir jedes einzelne Mal "unter-die-Haut". :augenrollen:

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    "...Download love and download war
    Download the shit you didn´t want
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  • Hm, sehr schön. Ich empfinde den Song auch als sehr "Gabriel-like". Was mich interessieren würde: Was hätte er textlich oder auch rein ausdrucksmäßig deiner Meinung nach noch reinbrigen sollen? Ich hatte hier zuvor schon einmal geschrieben, dass auch mir bei dem Song noch ein klitzekleines bisschen fehlt: Was könnte das sein?


    Textlich ist der Song wirklich 1A und kaum verbesserungswürdig. Vllt. ETWAS verständlicher wäre nett gewesen :D


    Hmm, gerade als die Jungs ihre Instrumente auspacken und mächtig drauf rumhämmern hört es auch schon wieder auf. Der Endschluss mit Hackets Gitarre ist fantastisch. Aber gerade am Ende Ende-Anfang, Ende-Mitte und Ende-Schluss muss ich sagen, dass man die Mitte hätte weglassen können oder mehr mit Lyric oder weiteren rockigen Einlagen hätte fortsetzen können.


    Jaja, Ente gut, alles gut :)

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