Wie seid ihr zu GENESIS gekommen?

Also, bei mir war das so: in der Achten Klasse habe ich so das CD-Regal unserer Stadtbibliothek in Schneeberg durchgewühlt und hab mir "We Can't dance" von Genesis und "Serious Hits Live" von Phil Collins geholt. Weil meine Eltern nicht da waren, konnte ich sie auf der großen Anlage im Wohnzimmer anhören. Am Anfang gefiel mir "In the air tonight", "You can't hurry love" und "No son of mine" am besten. Die Live-CD habe ich mir ein paar Tage später in Zwickau gekauft - die Genesis-CD bei einem Freund gebrannt ... äh ... zur Sicherheit kopiert. Dann habe ich mir Face Value gekauft und wirklich gespürt, dass das alles irgendwie MEINE MUSIK war. Viele Sachen von Phil Collins und Genesis haben mich unheimlich inspiriert, wenn ich Gedichte, Kurzgeschichten oder so geschrieben habe. Mit Phil Collins konnte ich erstmals über Freundschaft und Liebe nachdenken - das ging mit Elton John, den ich vorher oft gehört habe - irgendwie nicht mehr so gut. Und je mehr CD's ich hatte, desto mehr und besser wurden die Texte. Ich wuchs regelrecht mit genesis durch meine Pubertät. Ein Meilenstein war wohl das 83er "Genesis", dass ich mit zu meiner "Jugendweihe" bekam - die ich übrigens offiziell nie gemacht habe; nur meiner Familie konnte ich nicht ausreden, eine "feierliche Aufnahme in die Erwachsenenwelt" für mich zu zelebrieren. Na ja, also wurde ich dann doch erwachsen, aber meine Texte spiegelten was anderes wieder. "Mama" war das Titelstück meiner ersten Novelle über jemand, der von seiner verrückten Mutter gefangengehalten wird, dann doch ausbricht, aber selbst wahnsinnig wird. Das Stück hat mir meine düstere Seite geöffnet - und ich habe es genossen, sie auszuleben in Texten, weil ich in der Schule immer nur der lustige, vertrottelte, große, furchtbar schmächtige "bunte Vogel" war. Mit Genesis und Papier und Stift war ich ganz in meinem Element. So kam es also, dass ich immer mehr Texte schrieb, meist kurze Gedichte oder eine komische Mixtur aus Lyrik und Prosa. Besonders inspiriert haben mich auch die Texte, die ich mir alle in der Schule ausgedruckt habe und teilweise auch übersetzte. Mit der Zeit habe ich mich auch an die "alten Genesis" rangetastet. Meine Reihenfolge war: We Cant Dance, Serious Hits Live, Face Value, Invisible Touch, But Seriously, Hello I must be going, No Jacket Required - in der Bibliothek habe ich mir die Kassette And then tere were tree ausgeliehen, habe aber monate gebraucht, um da, "ranzukommen" - Both Sides, The Way we walk II, Genesis, Abacab, Duke, Dance into the light, Mama-Tour-VHS (ein neuer Meilenstein). Hier hatte ich erstmals Kon-Takt mit Liedern aus der Gabriel-Zeit. Und das Cage-Medley fand ich umwerfend. Trotzdem getraute ich mich nicht an die alte Zeit ran, weil ich dachte, die Musik war zu kompliziert, zu verrückt und mir zu fern. Meine erste CD aus der Zeit war die Kompliation "Rock Theatre" - klasse, unheimlich klasse! Das hat mich richtig mitgenommen, diese Farben, diese Landschaften... Traumhaft, einfach nur traumhaft. Dann besorgte ich mir immer mehr Sachen, fast alle Videos von Genesis und Phil Collins und begann auch schnell, mir die Sachen von Peter Gabriel einzuverleiben, was meine Inspiration geradezu potenzierte und auch meinen Charakter langsam wachsen ließ, dass heißt ich wurde, wer ich immer schon sein wollte - ein respektierter, kreativer, mutiger Künstler, dessen Macken akzeptiert werden und vor allem dessen Kunst wahrgenommen wird. Ich habe schon 7 Lesungen gemacht, mal mit eigener Musik, mal "a capella", habe ein erstes Buch geschrieben und eine CD mit meinen Texten und Musik von einem befreundeten Produzenten aufgenommen. Dann, im letzten Schuljahr, kam ich in meine Doors- und Scherben-Phase, mit dem FSJ im Behindertenheim erreichte mich eine tiefgreifende Bewusstseinskrise (Sinn des Daseins, meine Stärken, meine Zukunft), und Genesis vermochten mir nicht mehr so zu helfen. Ich entdeckte Kate Bush, Jimi Hendrix, John Lennon und Beck für mich und dachte, das wäre der Anfang eines neues Lebensabschnittes - der Grund dieser "Krise" war Friedrich Nietzsche, dessen Philosophie, vor allem dessen Art von Philosophie und Schriftstellertum, mich so umgeworfen, so begeistert hat wie nie ein Schriftsteller zu vor. Ich fühlte, wie ich kälter wurde, einsamer, zynischer, "boshafter" und insgesamt meinen Sinn für Lyrik verloren habe und nur noch meine Gedanken durch die Abgründe des Daseins zog. Dann aber habe ich mich verliebt - nicht zum ersten Mal, aber diesmal 100%ig! Lieder von Rio Reiser, Bob Dylan, The Cure und Kate Bush haben mich durch dieses völlig neue Gefühlschaos gebracht - und da entdeckte ich Genesis und Phil Collins für mich wieder. All die Lieder erschienen nun in ganz neuem Licht - ich konnte sie noch besser verstehen. Aber trotzdem stehe ich vor einem Widerspruch: ich fühle mich mit den komplexen Sachen ebenso verbunden wie mit den einfachen. I can't dance und Rythm of the heat, That's all und Squonk, Sledgehammer und Fountain of salmacis stehen alle auf EINER Ebene. Ich kenne Leute, die sagen, nur die komplizierteren Sachen sind toll - versteh ich nicht. Jedenfalls verkörpern alle Lieder, mit denen ich mich verbunden fühle (die Genesis-Familie macht da vielleicht 50 Prozent aus) meinen Charakter. Ich bin quasi das "in too deep" in "Supper's ready" und das "stagnation" in "I can't dance". Kann man da wirklich jemand finden, der ein liebt? Das sind so die Sachen, die in meinem großen Kinderkopf rumschwirren. Ich werde in 10 Tagen 20 Jahre, aber ich fühle mich nicht so und irgendwie sehe ich auch nicht so recht aus wie alle anderen in meinem Alter. Was bin ich also? Wohl die Summe all meiner Lieder, die "meine" sind. Vielleicht bringt mich ja Genesis wieder ein Stück weiter, vielleicht muss ich aber auch was neues suche, um weiter zu wachsen... Wie auch immer, es war eine schöne Zeit.

wow, was für ein Statement @Dunkelheit

kann ich zu großen Teilen nachvollziehen. Herzlichst Willkommen !

Zitat von Dunkelheit

Vielleicht bringt mich ja Genesis wieder ein Stück weiter, vielleicht muss ich aber auch was neues suche, um weiter zu wachsen... Wie auch immer, es war eine schöne Zeit.

...such weiter. Der Weg ist das Ziel.
Grüsse vom Forum-Doctor!