Beim Digitalisieren meiner Audio-Kassetten bin ich auf ein kleines Schätzgen gestossen, nämlich ein sehr ausführliches Radiointerview des Deutschlandfunks mit Tony, Mike und Phil im Londoner Mayfair Hotel. Wahrscheinlich ist es dort im Rahmen der Pressekonferenz im November 2006 entstanden. Ausgezeichnet gelaunt und sehr persönlich, sprechen sie darin über ihre Bewegründe, nochmals zusammen auf Tour zu gehen (auch wenn Phil es nicht so nennen mag).
Da ich das Interview für recht interessant halte, habe ich mir die Mühe gemacht, es einmal Wort für Wort aufzuschreiben. Es klingt immer noch sehr aktuell, gerade jetzt, da es einige Anzeichen gibt, dass wir wieder kurz vor einem ähnlichen Ereignis stehen könnten. Wenn man nicht wüsste, dass es bereits 13 Jahre her ist, könnte man fast meinen, das Interview wurde gerade gestern geführt.
Hier also der erste Teil meiner Niederschrift, insgesamt wird es mindestens doppelt so lang sein:
1. Teil
London, Mayfair Hotel. Der Genesis-Keyboarder Tony Banks und der Bassist Mike Rutherford haben sich als erstes zum Interview eingefunden und stellvertretend für beide erklärt Tony Banks wie sehr sie sich freuen, dass die Band diesen Sommer endlich wieder mit der erfolgreichen Luxus-Besetzung mit Phil Collins auf Tournee geht. Der letzte Versuch, ohne Phil, mit dem Stiltskin-Sänger Ray Wilson war wohl nicht das gewesen, was sich die beiden erhofft hatten.
Tony: Wir sind sehr froh, wieder zusammen auftreten zu können. Es ist etwas , über das wir über die Jahre immer wieder miteinander gesprochen hatten, immer wenn wir uns getroffen haben. Und jetzt ist die Zeit gekommen, jetzt klappt es endlich, Phil war ja immer derjenige der am wenigsten Zeit hatte, aber seit wir die letzte Genesis-Tournee mit Ray Wilson hinter uns hatten, haben wir drüber diskutiert, ob wir uns nicht wieder zusammen tun und auf Tournee gehen sollten und gucken was sich so tut.
Inzwischen hat auch Phil Collins den Interview-Raum gefunden und sich zu uns gesetzt, eine gute Gelegenheit ihn mit seinen alten Zitaten aus unserem Interview von vor 3 1/2 Jahren zu konfrontieren. "Wenn mein kleiner Sohn Nicholas 2006 in die Schule kommt, dann wird sich mein Leben drastisch verändern", sagte er damals. Keine Tourneen mehr und seine Musical-Projekte werden bis dahin auch durch sein. Lediglich ein paar Solo-Konzerte hatte er damals noch geplant, die nachfolgende Tournee nannte er dann schon ironisch "The First and Final Farewell Tour" und jetzt also wieder eine komplette Genesis-Tournee, wie erklärt er das ?
Phil: Ich nenne das nicht Tournee, ich nenne das eine "Selection of Shows", nein im Ernst, auf eine richtige Tour würde ich nicht mehr gehen, deswegen habe wir das Limit auf 20 Shows angesetzt, das kann man noch ganz gut in den Griff kriegen und sich dabei auch noch amüsieren. So kommt man gar nicht erst dazu, irgendwann genervt seine Koffer anzustarren. Insofern habe ich also mein Wort gehalten, wir werden eine Menge Spaß haben. 20 Shows sind eine Reihe von Shows, eine Reihe einzelner Shows. Mike Rutherford assistiert:
Mike Rutherford: Eine Serie von einzelnen Shows, das finde ich gut, weil die Shows dann etwas besonderes sind. Wenn man einmal anfängt mehr zu machen, dann muss man wieder überall spielen.
Die 3 sehen ein bisschen aus wie die Orgelpfeifen, wie sie da nebeneinander sitzen. Der große, etwas schlaksige Mike Rutherford, der kleine glatzköpfige Phil Collins und dazwischen, quais als Bindeglied, Tony Banks. Anfang der 90er Jahre hatte Phil das Weite gesucht und sehr erfolgreich allein Karriere gemacht. Die andern dackelten? <unverständlich> mit unterschiedlichen Sängern weiter und Phil hatte stets klar gemacht, dass er an Genesis nicht mehr so viel Interesse hätte. Und dann die Meldung, die 3 treten wieder gemeinsam auf. Weil gerade auch Phils 3. Ehe auseinander gegangen war, hatte die Boulevard-Presse gemunkelt, ihm sei das Geld ausgegangen. Das sei der wirkliche Beweggrund, aber Collins hatte dem in einer Pressekonferenz wiedersprochen, "Geld haben wir genug" sagte er. Die Konzertreihe, wie er das nennt, mit Genesis, sei eine Geschichte gewesen, die aus dem Bauch heraus geplant wurde, erklärt er jetzt.
Phil: Wir haben nicht groß darüber nachgedacht, wir hatten einfach Lust es zu tun. Auf eine Art habe ich immer das Gefühl, dass dieses Teufelchen auf meiner Schulter sitzt, das hetzt "Hey Junge, das mit dem Show-Man ist vorbei". Ich meine, wir waren sehr gut. Wir sind immer noch sehr gut und wir werden da raus gehen und ein paar Shows spielen. Und wir werden die Leute daran erinnern, dass es damals eine gute Zeit war, dass wir ein paar tolle Songs hatten und das ist auch eine Gelegenheit für die Leute die uns nie gesehen haben. Und für die Leute die uns ganz früher gesehen haben, vor langer Zeit, für die ist es eine Chance das noch einmal durchzuleben. Das hier ist keine nostalgische Tournee, wir tun's einfach, warum nicht ?
Immerhin werden die 3 wieder mit ihren alten Wegbegleitern Daryl Stuermer und Chester Thompson auftreten, das begrüßt auch Mike:
Mike: Wir haben so viele Jahre zusammen gespielt, auch mit Daryl und Chester und es wird ein Vergnügen sein, wieder mit allen zusammen zu arbeiten. Wir haben gute Platten gemacht und auf der Bühne klingen wir einfach einzigartig und keine der anderen Genesis-Versionen war so gut wie die Kombination in der wir jetzt wieder auftreten.
Dass die Karten so schnell verkauft wurden, führt Mike Rutherford darauf zurück, dass die Musik aus der Anfangszeit der Band etwas einzigartiges hatte.
Mike: Wir hatten mit Genesis immer auch etwas Dunkles , Bedrücktes in der Musik, das es so woanders nicht gab.
Tony Banks stimmt zu.
Tony: Unsere Musik klingt immer noch zeitgemäß, was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass gerade die alten Songs so oft etwas Launisches, Bedrücktes hatten. Es ist nunmal leichter, über Dinge zu schreiben, die nicht so fantastisch laufen. Unser einziger richtig fröhlicher Song war wohl "Follow You Follow Me", alles andere war eher traurig. Die Leute können sich damit besser identifizieren, da kann man richtig schön drin baden. Ich höre auch lieber traurige Musik und lese traurige Bücher.
Phil: Hahaha <lacht lauthals>. Wir sind wirklich traurige Typen.
Phil Collins sieht die derzeitige Situation im Musikbusiness mit einer gewissen Skepsis, aber gerade die schwierige Lage sei eine Chance für Genesis, meint er.
Phil: Die Musik ist ganz anders, als alles was man heutzutage hört. Wenn du heute das Radio anmachst, vor allem in den USA, aber für Europa gilt das sicherlich genau so, dann hört man da hauptsächlich dieses formatierte Zeug. Selbst als wir "Invisble Touch" rausbrachten und "We Can't Dance", diese längeren Takes, dann liefen die Telefonleitungen in den amerikanischen Radiosendern heiß, nachdem wir dort Interviews gegeben hatten. Die Sender durften damals schon nur 4 Minuten unserer 8- oder 9-Minuten Songs spielen, aber die Leute riefen begeistert an und fragten: "Oh, Klasse ... was war das denn ?". Das klingt ja gar nicht so wie das, was wir sonst gewohnt sind. Und jetzt unterscheiden wir uns sicher noch mehr von dem, was normalerweise im Radio läuft, als es vor 20 Jahren der Fall war.
Altmodisch sein ist schon wieder richtig hip, hat er festgestellt. Die Berührungsängste der Kollegen scheinen jedenfalls zurückgegangen zu sein.
Phil: Es gibt ja auch eine Menge Kollegen, die unsere Songs kopieren oder covern, das ist sehr schmeichelhaft. Es gibt eine Menge HipHop-Bands, die sich aus unseren Songs was rausgenommen haben und was RnB-mäßiges daraus gemacht haben. Die Band Disturb hat sich unser Lied "Land Of Confusion" vorgenommen, es gibt so viele Bands bei denen man merkt, dass sie von uns beeinflusst wurden. Warum sollen wir dann unsere Musik nicht gleich selbst spielen und dabei Spaß haben ?
Was haben Tony Banks, Mike Rutherford und Phil Collins in den letzten Jahren am meisten an dieser 3er-Besetzung vermisst ? "Die engen Hosen der andern beiden" sagt Phil, "in denen kannst du wirklich alles deutlich sehen". Und Tony meint, Phil habe die Beleidigungen der andern vermisst. Phil widerspricht:
Phil: Ich habe oft diese Kameradschaft vermisst und es ist schön, da wieder eintauchen zu können. Es ist gut, dass wir diesen Zusammenhalt haben, dass wir dann aber auch wieder weggehen können und unser eigenes Ding machen. Ich habe den Humor vermisst. Das beste an unserer Zusammenarbeit war immer, wieviel wir miteinander gelacht haben. Um ehrlich zu sein, das war mir immer genau so wichtig wie unsere Musik. es ist ja nicht so, dass Sie hier mit den Musikern von "The Police" sprechen, die mochten sich nicht. Deshalb trennten sie sich damals, so haben sie es jedenfalls dargestellt. Wir dagegen haben uns immer gut verstanden, wir haben nur nicht immer im selben Büro gearbeitet.
Welches waren denn die besten Beleidigungen, die sich Tony einfallen liess ?
Tony: Ich bin nicht so gut in guten Beleidigungen, ich bleibe immer bei den alten: ... so klein und dann noch die Glatze !
Phil: <lacht>
"Falls das jemand nicht kapiert hat, er meint mich ..." erklärt Phil und Tony führt weiter aus:
Tony: Es ist gut, ihn mal wieder auf seinen Platz zu verweisen, er ist lange genug die Nummer 1 gewesen. Zu lange !
Phil: HoHoHoHoHoHo <lacht entrüstet>
Tony: Was die Musik betrifft, ist Genesis ja vor allem durch Songs wie "I Can't Dance" und "Turn It On Again" bekannt geworden. Hits die die Leute aus dem Radio kennen. Aber die andere Seite von Genesis, das sind die ausgedehnten Instrumental-Parts, die wir vor allem am Anfang auch immer auf unseren Alben hatten. Das ist eines der Elemente die uns einzigartig machen und es ist schön, dass wir jetzt auf die Bühne gehen können und wieder diese alten Sachen spielen. Das finde ich aufregend, weil wir dann fast wie ein Orchester spielen. Das klingt dann so wunderbar straff und fliessend, wie ein Orchester das so richtig in Fahrt ist.
Quelle: Deutschlandfunk 'Rock et cetera' , Christiane Rebmann