16.11.2018 FRANKFURT - THE MUSICAL BOX: A Genesis Extravaganza

    • Offizieller Beitrag

    Soeben aus der Jahrhunderthalle zurück, da will ich doch mal meine ersten spontanen Eindrücke loswerden (und weil ich die nächsten 2 Wochen im Urlaub bin und es von dort nicht kann ^^):


    Also es war nicht so schlecht wie beim ersten Durchlesen der von Christian geposteten Setliste befürchtet, aber wirklich vom Hocker gehauen hat es mich leider auch nicht. Ein "durchwachsen" auf hohem Niveau würde ich sagen, oder besser: viele vergebene Chancen...


    Kurz zur Setliste:

    Im Vergleich mit Christian's "Spoiler Setliste" wurde etwas umgebaut, eigentlich nur Act 1: Das Medley wurde gekürzt (All in a mouse's night und One for the vine flogen raus, dafür kam Wot Gorilla rein) und Dance on a volcano ausgespielt und in Act 1 vorgezogen, dafür kam Entangled in den Zugabeblock.

    Act 2 bildete dann nahezu die komplette erste Albumhälfte von The Lamb, quasi das "Best-of" der ersten beiden Plattenseiten.

    Act 3 bestand dann aus Raritäten der Alben Trespass bis Selling England, dafür kam bis auf Cinema Show dort kein einziger "klassischer Straßenfeger" vor (also kein Watcher oder I know what I Like oder Firth of Fifth oder Hogweed oder The Knife), Ausnahme bildete Cinema Show.



    Vielleicht zuerst die mir aufgefallenen positiven Sachen:

    - Der Keyboarder war besser und spielsicherer drauf, als es einige andere Berichte hier haben befürchten lassen. Klar waren einige kleinere Verspieler hier und da drin, aber hey, die hatte Tony Banks im Original auch und es ist nun mal schon schwieriges Zeuch.

    - Der Drummer rockt! Zum einen hält er sich nicht allzu sklavisch an die (zugegeben doch meist eher im Vergleich zu live lahmen und zahmen) Studioversionen, sondern spielt freier und trotzdem "Collins-Copy-like". Und zum anderen hat der Kerl einfach sichtbar die ganze Zeit Spaß gehabt und war ständig am Headbangen, mitsingen, mitwippen. Ein wenig hat er mich an "das Tier" von der Sesamstraße erinnert. Es war eine Freude, ihm beim Spielen zuzuschauen.

    - Die saubere Reproduktion der Genesis-Songs von Trespass bis The Lamb, aber das kennt man von Musical Box ja.

    - Die Slideshow mit originell animierten Figuren und Motiven der Albumcover und natürlich auch die unerwartete Genesis Bilderclip-Show während "After the ordeal".

    - Last but not least: Glücklicherweise wurde die Setliste in kleineren Punkten umgestellt, so wird nun in Act 1 nicht nur "Blood on the rooftops" gesungen, sondern auch "Dance on a volcano" komplett ausgespielt, dafür fehlt nun z.B. "All in a mouse's night".



    So, nun was hat mir eher weniger gefallen:

    - Hauptminus-Punkt war sicherlich "Act 1", also die Songs von Trick und Wind&Wuthering. Den Konzerteinstieg mit einem langen Instrumental-Medley ist schon nicht soooo glücklich, vor allem wenn "The Musical Box" hier gleich sehr stark zeigen, dass sie zwar gute Musiker und "Reproduzanten" sind, aber kein großes Talent in Sachen Komposition und eigener Kreativität haben. So waren die Übergänge zwischen den einzelnen Instrumentalparts doch meist eher ruppig und unellegant, da haben sich Genesis bei ihren originalen Medleys zumeist besser von Part zu Part komponiert. Und ob "Robbery, Assault & Battery" wirklich an "In that quiet earth" dran passt, gefolgt von "Wot Gorilla"... ich lass das mal dahingestellt.


    Insgesamt hat für mich Act 1 so einfach nicht wirklich funktioniert:

    a) zuviel instrumental, zuviel Medley

    b) The Musical Box sind hörbar nicht so in dem Material der Jahre '76-'77 "drinne" wie sie es im Material von Trespass bis The Lamb sind, die Gabriel-Jahre leben sie förmlich, mit dem Material von Trick und Wuthering fremdeln sie noch hörbar

    c) Dadurch, dass im Gegensatz zu den anderen beiden Akten hier viele Songs als Medley "verwurschtelt" wurden, wirkte das ganze seltsam "ungeliebt" und gehetzt. So als wollten sie das Material eigentlich nicht spielen und seien froh, sobald sie diesen Akt abgehakt hätten.

    d) Es fehlten elementare Klassiker dieser Phase, die sich wunderbar mit dem Material der anderen Akten verbunden hätten (z.B. Ripples, One for the vine, All in a mouse's night, Afterglow)

    e) Wie schon von mir angesprochen: Los Endos zu Beginn der Show, also innerhalb der ersten 30 Minuten funktioniert da einfach nicht. Das lässt das gesamte Potential dieses Songs innerhalb einer Show komplett verpuffen.


    - Act 2 war als "Best of The Lamb" noch der Act, der für mich am besten funktionierte; mit Ausnahme von "The Musical Box" war dies der einzige Act, wo Denis kostümiert war, zudem gab es hier die "aufgebohrte" Lamb-Slideshow. Ich erwähne dies, weil es mich zu zwei weiteren negativen Punkte bringt:


    - Denis verzichtete nahezu komplett auf irgendeine Kostümierung außer in Act 2. Ansonsten gab es noch den Fuchs-Kopf in der Zugabe "Musical Box" am Ende, das war es! Es wurde also auch an dieser Stelle gar nicht erst versucht, eine "Gabriel-Genesis" Show-a-like zu versuchen, sondern hier trat nahezu durchweg "Denis als Denis" auf. Leider zeigte sich bei den Ansagen dann auch, dass Denis - wenn er als Denis auftritt und eben nicht Gabriel "spielt" - als Frontmann noch stark ausbaufähig ist. So war er äußerst wortkarg und machte kaum nennenswerte Ansagen. Also keine Scherzchen und Publikumsspielereien a la Phil und kein Story-Telling a la Gabriel. Ersetzt wurde beides durch... nunja, quasi fast nix.


    - Die Slideshow... hat super angefangen mit den Animationen zu Trick & Wuthering im ersten Act, Act 2 war dann herausragend, aber in Act 3 ist ihnen dann irgendwie nix mehr eingefallen, da blieb der Screen die meiste Zeit schlicht aus.

    Generell fiel hier in Sachen Bühnenshow auch wieder auf, dass ihnen kaum etwas eigenes einfällt, wenn "die Vorlage fehlt". So wurde dann die Lichtshow seltsam "0815" über weite Strecken, der Laser in Los Endos fehlte, usw.


    - Die Songauswahl in Act 3: Ok, ich sehe ein, dass es gewollt war, hier dieses Mal eher "hidden gems" zu bringen (wie Time Table, Seven Stones, After the ordeal"), aber trotzdem fehlten mir hier doch der ein oder andere Klassiker wie eben Firth of Fifth. So wurden eben Alben wie Foxtrot und Selling England nur durch Time Table, Can-Utility, After the Ordeal und Cinema Show repräsentiert.


    - Was mich zum letzten Punkt bringt: Für mich hat die starke Trennung in 3 Akte so irgendwie nicht funktioniert. Dieses Konzept torpedierte einfach die ganze Show über jeden Spannungsbogen, also etwas für das Genesis über ihre ganze Karriere hinweg berühmt waren und es wie kaum eine andere Band beherrschten. So hatte man einen von den Songs her starken ersten Akt, mit einem Los Endos, was viel viel viel zu früh kam um seine Wirkung zu entfalten, einen herausragenden zweiten Akt und dann gegen Ende, wo Genesis immer die Spannung anzogen und Klassiker an Klassiker reihten, verloren sich "Musical Box" in vermehrt leisen akkustischen Kleinoden (wie Time Table, After the Ordeal, Can-Utility) und schlitterten dann quasi mit Cinema Show zu "that's all folks", Konzertende... (Cinema Show ist geil, aber kein Konzertrausschmeißer). Und "Entangled" eignet sich auch nicht für einen Zugabeblock (vor allem, wenn der nur aus 2 Songs besteht). Es hätte klar besser funktioniert, wenn sie alle Songs allein nach Spannungsbogen-Gesichtspunkten frei durcheinandergewürfelt hätten (von mir aus mit einem festen "The Lamb" Block in der Konzertmitte), mit Los Endos als letzten regulären Song.



    Wie an anderer Stelle schon mal geschrieben: Ich hätte es spannend und gut gefunden, wenn "Musical Box" den Mut gehabt hätten, mit "Genesis Extravaganza" eine fiktive Peter-Gabriel-Genesis-1977 Show zu ersinnen. Das ist es aber nicht geworden, sondern eine "The Musical Box" spielt eher seltene, rare Songs der Alben von 1970-77 plus Best-of "The Lamb" und ist dabei stets "The Musical Box" und nicht "Genesis". Also kein Denis Gagné als Gabriel oder Collins, sondern eben Denis Gagné als Denis Gagné.

    Das hat natürlich alles seine Berechtigung, aber für mich ist es nicht das, was man daraus alles hätte machen können.


    Es zeigte für mich einfach, dass rein vom spieltechnischen Musical Box immer noch mit die beste Genesis-Coverband ist und sie herausragend sind, wenn sie die Genesis Shows "reproduzieren", aber irgendwie seltsam verloren und unkreativ bis unbeholfen wirken, wenn sie einfach mal nur sie selbst sind und selbst wirklich kreativ (also über das reproduzierende hinaus) werden wollen.


    Das ist es vielleicht, was mich insgesamt etwas ratlos zurück lässt. Es war zum ersten Mal keine "Genesis"-Show, die ich hier gesehen habe, sondern eine "Musical Box"-Show. Und es fehlte mir diese klassische Magie, dieser Sternenstaub, den eine Genesis-Show im Saal verteilt, selbst wenn sie "nur" reproduziert wird.




    P.S.: Einen besonderen Dank geht an die Herren in der Reihe hinter mir, die über 60 EUR für die Karten ausgegeben haben um nahezu das komplette Konzert über durchzuplaudern. Und dann noch zu blöd dazu sind, bei Fotos den Blitz auszumachen (bei der Entfernung zur Bühne bringt kein Blitz der Welt was, nervt aber alle Zuschauer). Die Krönung war dann noch, das Gitarrensolo am Ende von Musical Box lauthals und völlig schief mitzugröhlen. So kann man wirklich jedem anderen Zuschauer den Moment zerstören. Vielen Dank für nix, ihr Vollidioten!

  • In vielen Punkten stimme ich den Wahrnehmungen und Einschätzungen von Prophet zu - mich selbst aber hat die Setlist nicht so sehr befremdet.


    Mehr jedoch stimmt mich die Spielfreude der Band - ausgenommen dem Drummer - nachdenklich. Ich hatte mehrmals das Gefühl dass ihnen das Herzblut verloren gegangen ist... manche Songs klangen für mich - ich finde leider keine bessere Umschreibung - seltsam muffig und angestaubt. Der Glanz und Enthusiasmus der vergangenen Jahre scheint verloren.

    Nach nunmehr 19 Konzerten in den letzten 12 Jahren empfand ich das gestrige Konzert als ihre bislang schwächste Darbietung. Ich hoffe sehr sie finden zu alter Stärke und Freude zurück.

    Einmal editiert, zuletzt von olli () aus folgendem Grund: Es war Prophet :- ) mea culpa

    • Offizieller Beitrag

    Das mit dem "muffigen" könnte aber auch am Sound gelegen haben, den der war gerade zu Beginn - also gerade wo sie den Spätsiebziger-Bombastsound ausgepackt haben - teils eher suboptimal. So war speziell der Bass viel zu leise. Das Bass-Pedal hat zwar ordentlich gedrückt aber sobald das mal Pause hatte fiel der gesamte Sound zu Beginn in ein Soundloch. Aber das hatten sie im Verlauf in den Griff bekommen. Und es gab keine "Knackser"... ^^

    • Offizieller Beitrag

    Das macht mir jetzt für heute Abend kein gutes Gefühl...

    Vorfreude weg und Hoffnung es einfach hinter mich bringen zu können.

    ME

    Naja mal den Ball flach halten, oder?

    Die Eindrücke hier sind ja äußerst selektiv und wir haben in fast allen Shows bisher Spione gehabt. Und Udo (der udo hier aus dem Forum) war in Essen und vorgestern in Utrecht und berichtete von einer erstklassigen Show in Utrecht, nachdem es in Essen noch Probleme gab (die überall und bei jeder Show passieren können). Gestern standing ovations und begeistertes Publikum, vorgestern auch.


    Ich sehe das so: The Musical Box haben sich erstmals mit ihrem Showkonzept angreifbar gemacht. Über die Show an sich konnte man vorher schlicht nicht meckern, jetzt bauen sie ihren Set selbst zusammen (und variieren ihn auch). Es ist kein Wunder, dass darüber dann an diesen und jenen Stellen "gemeckert" wird.


    Daraus aber nun abzuleiten, dass die Vorfreude weg ist, weil die Show Mist ist (was sie augenscheinlich nicht ist), halte ich doch für ziemlich übertrieben (auch wenn es ggf satirisch gemeint ist).


    ich selbst sehe die Show in Dresden und bin gespannt.


    Übrigens, damit das nicht allzu off topic wird. Helmut Janisch, der alles andere als übereuphorisch ist und eher die Dinge sehr kritisch sieht, schrieb mir gestern noch eine SMS: "TMB waren sehr geil!"


    Das ist ungefähr so, als würde ich eine 12seitige Rezension schreiben und keinen einzigen Kritikpunkt finden.


    Also, viel Spaß allen!

    • Offizieller Beitrag

    who_dunnit????: Also damit das richtig rüberkommt: Ich hatte gestern wirklich meinen Spaß, es war ein schöner Abend und insgesamt eine schöne Show (und ja es gab zu Recht "standing ovations", nachden das Publikum zu Beginn noch sehr frostig war - "Hallo Frankfurt" gefolgt von nur wenigen müden Klatschern). Ich finde es auch toll und auch überfällig, dass Musical Box hier endlich Mal eine eigene Herangehensweise an das Genesis Material der 70er versuchen. Und sie sind mit dem Ergebnis immer noch besser und professioneller als die meisten anderen Genesis Coverbands.


    Nur: Mit ihrer Erfahrung und Können hätten sie es recht einfach soviel besser machen können, deswegen schrieb ich ja auch "vergebene Chancen" und "durchwachsen auf hohem Niveau". Das Ergebnis kann auf hohem Niveau eben nicht den bisherigen gewohnten Show-Standard halten.

  • Danke Prophet,

    für die Relativierung. Das stimmt mich doch wieder etwas freudiger für heute Abend in Stuttgart.

    Also alles auf Anfang und einfach genießen! Ich lass mich überraschen.

    MF