Am Hofe des karminroten Königs

  • First of all: Lillywhitelillith, dass du hier gepostet hast, freut mich sehr.:huhu:


    Na bei so 'nem spannenden Thema mit so guten Erläuterungen werden meine "Ohren" groß.:topp:



    Hast du denn die Ozzy-Werkschau? Falls ja: Wie empfindest du seinen Zugriff auf den "21st century man"?


    Nee, dafür ist mir der Ozzy nicht kompartibel genug. Will heißen, sein Stil gefällt mir nicht. Ich kann mit Heavy allgemein nichts anfangen. Das spricht in mir nichts an. Was nicht heißen soll, dass ich mit aggressiver Musik gar nichts anfangen kann. Ich fand den Grunge z.B. seinerzeit sehr gut. Für mich muss aber noch ein Spannungsmoment vorhanden sein. Es muss ein Gegensatz da sein, in dem sich für mich eine persönliche Resonanz entfalten kann. Beim Heavy kommt mir der Rhythmus wie eine Fliegenklatsche vor, die nur blind vor sich herstampft ohne jegliche Chance, mich zu treffen.
    Es gibt eine sehr kurze Passage in seiner Interpretation, die mich anspricht. Aber wirklich kurz.


    Wer reinhören will: https://www.youtube.com/watch?v=ilzFWeG27YQ


    Ich habe in den Kommentaren einen Tumb gesetzt, um den Song zu finden.


    Die Stelle, die mich anspricht ist wohlwollend bemessen etwa von 56:07 - 56:50.


    Ich habe ihn nur in diesen Tread zitiert, um eine Blüte der Progression anzusprechen, die diese Progression "Under Cover" nachzeichnet.


    Wie siehst du denn persönlich das "Go now"? Was daran empfindest du als "skurril", was wiederum als "progressiv"? (Jetzt, wo ich's schreibe: Das schließt sich ja gar nicht aus...)


    Ich schrieb "skurril aus heutiger Sicht". Damit meine ich den beherzten Vortrag eines souligen Covers (ist ja keine Eigenkomposition, also gar nichts Neues) in dieser steifen englischen Umgebung von 1964. Mit Anzügen, ordentlicher Frisur und Sitzreihen für die Zuschauer. Der Song beginnt auch vergleichsweise verhalten, erinnert in den ersten Takten noch an bis dato Bekanntes, nimmt dann aber recht schnell eine Wende und richtig Fahrt auf. Denny Laine und die anderen Musiker steigern sich da regelrecht rein. Man beachte z.B. den "Tamburineman", der manchmal eingeblendet wird oder die Einblendung des weiblichen Publikums, das das hysterische Kreischen ganz vergessen zu haben scheint. Das dürfte doch damals ein neuer Wind gewesen sein. Ein Joe Cocker muss gedacht haben: Das kann ich auch oder besser.


    Und danke an TM für das geschichtliche Intermezzo.

  • Als King Crimson und Ozzy-Fan sei mir der kleine anekdotische Einwurf gestattet:


    Zitat

    MTV: Welche aktuellen CDs hörst du noch?
    Ozzy: Wir haben keine Wahl, wir müssen Tool hören, Tag und Nacht. Es ist schon witzig. Neulich meinte mein Sohn zu mir: "Gestern habe ich Tool live gesehen und die hatten eine großartige Vorband namens King Crimson. Kennst du die?" Und ich meinte: "Ja, von denen hab ich schon mal gehört. Wenn dir solche Musik gefällt, hör dir doch auch mal Yes oder Gentle Giant an." Und am nächsten Tag kommt Jack an und meint: "Ich hab mir das Gentle Giant Album angehört. Es ist verdammt gut. Woher kennst du die, Dad?"
    Ach, ich bin ja erst seit 35 Jahren in diesem verdammten Geschäft!


    Ozzys Cover-Version ist ganz brav gemacht find ich. Skurril dagegen: Kayne West - Power (durchhalten bis zum Sample)
    https://www.youtube.com/watch?v=WLHU3w1nwdY


    Ich halte ja den Einfluß von Red für noch viel bedeutender und größer: Nirvana, Radiohead (hört mal den Beginn von Airbag an), der gesamte Prog-Metal... Aber hoffe mal, dazu erscheint hier auch noch ene Menge fettgedrucktes :)

    you're the ones we've been waiting for...
    Genesis - 98 München - 07 Linz, Düsseldorf x 2, Berlin, München - 22 Berlin x 2, London x 2

    2 Mal editiert, zuletzt von duke77 ()


  • Sollte ich chronologisch bleiben, würde das natürlich noch ein Weilchen dauern. Allerdings werde ich natürlich nicht jeden Song von allen Alben abgrasen, es wird wohl "Sprünge" geben. Aber mal sehen, ob mir zu "Red" dann überhaupt was einfällt.


    Danke für die Ozzy-Anekdote. Und cool, dass Gentle Giant da dann auch gleich 'ne Rolle spielt. Irgendwie habe ich den Eindruck, die haben viel mehr Ausstrahlung und Einfluss auf die Nachwelt gehabt als seinerzeit auf ihre Mitwelt.


    Der Kayne West - Tube ist leider gesperrt. Was passiert denn da?


  • Der Kayne West - Tube ist leider gesperrt. Was passiert denn da?


    In dem Song wird mehrmals "das" Riff und Greg Lakes's "21st century Schizoid Man" als Sample verwendet.

    you're the ones we've been waiting for...
    Genesis - 98 München - 07 Linz, Düsseldorf x 2, Berlin, München - 22 Berlin x 2, London x 2

  • Ich habe das Gefühl, ich könnte das Album lieben wenn einige Sachen etwas anders wären. Es gibt einfach nicht viele Bands, wo ich dieses seltsame Gefühl habe.


    Zusammenfassung: Der Opener dieses verdammten Albums hat wohl meine Existenz im Voraus erahnt :D :D


    Ja, und so ging's mir Anfang der 90er mit Tool. Irgendwie hatten die was, was Genesis auch hat. Aber dieses ewige "alles sch... hier" ging mir auf den Senkel. Da sage ich auch: "Irgendwann ist genug."


    Wenn ich's aussuchen kann, dann hätte ich's heute lieber so:


    21st Century Schizoid Man - Crimson Jazz Trio


    Red - Crimson Jazz Trio


    Hier löst sich die Schwere in Details auf, die eine "scheinbare" Erhöhung der Geschwindigkeit suggerieren, in der die Stücke anfangen zu fliegen.


    Ich kann mir vorstellen, dass sich das auch in einer symphonischen Version gut auflösen lässt.

  • Die Crimso/Moody Blues-Parallelen kommen nicht von ungefähr, wenn man weiß, dass Fripp und Co. eine Zeit lang mit dem langjährigen Moody Blues-Produzenten Tony Clarke, der aus ihnen wohl tatsächlich so etwas wie die neuen Moody Blues machen wollte, zusammengearbeitet haben, dann aber letztendlich doch getrennte Wege gingen. Clarke wollte KC sogar auf dem Moody Blues-eigenen Label "Threshold Records" unter Vertrag nehmen, diese entschieden sich dann jedoch für "Island Records". Früchte dieser Zusammenarbeit dürften jedenfalls die flöten- und mellotronlastigen Songs "I Talk To The Wind", "Epitaph" und "The Court Of The Crimson King", sowie auf dem zweiten Album "In The Wake Of Poseidon" das Stück "Cadence And Cascade" und der Titelsong sein.


    Damit es hier allerdings nicht zu off topic wird, werde ich den Moodies mal einen eigenen Bandthread widmen.


    Übrigens klasse Dossier bis jetzt, townman! Habe es mit großem Interesse gelesen. Respekt!!!


    EDIT: Oh, wir haben ja schon einen:


    http://www.genesis-fanclub.de/…es/12043-moody-blues.html

    31.10.1997 PHIL COLLINS (Hannover)
    11.06.2004 PHIL COLLINS (Berlin)
    15.06.2007 GENESIS (Hamburg)
    15.06.2012 ROACHFORD (Kiel)
    24.06.2012 MIKE & THE MECHANICS (Kiel)
    18.05.2014 STEVE HACKETT (Hamburg)

    Einmal editiert, zuletzt von sussudio ()

  • King Crimson - Moonchild: https://www.youtube.com/watch?v=jh6ENfEDmWE (zum Link siehe auch die Anmerkung ganz unten)


    Wollte man eine Gegenfigur zum "21st Century Schizoid Man" erfinden, könnte man auf kaum etwas Treffenderes kommen als das liebliche "Moonchild" in seinem weißen Kleidchen. Tänzelnd, träumend, mit der Natur sprechend und spielend, befindet es sich ganz im Einklang mit seiner arkadischen Umgebung voll von seichten Flüssen, Bäumen, Blumenwiesen und singenden Nachtvögeln.
    Man darf in diesem Zusammenhang daran erinnern: "In the court of the crimson king" ist seinerzeit auf dem Medium 'Schallplatte' erschienen. War der "21st Century Schizoid Man" die äußerst aggressive Eröffnung der einen Seite, musste der Hörer nun sinnfälligerweise die andere Seite nach oben kehren, um sich vom 'Mondkind' zur Begrüßung freundlich zuwinken zu lassen.
    Es verkörpert so ziemlich alles, was der hässlichen Fratze des modernen Wahnsinns entgegengesetzt ist: (weibliche) Kindlichkeit, Unschuld, örtliche und zeitliche Entrücktheit, Freiheit, Ungebundenheit, Naturverbundenheit / Natürlichkeit, Friedlichkeit, Zartheit, Leichtigkeit. Die Figur bildet auf dem Album ganz deutlich die romantizistische Möglichkeit des anderen Lebens ab, eines Lebens von immensem Reichtum, aber eben gänzlich ohne Gier und Machtstreben. Und so mag man sich denn also dieses Kind von unschuldiger Reinheit bis in alle Zeiten vorstellen, wie es in vollkommener äußerer und innerer Erfüllung und Ausgeglichenheit ... - Moment, da stört doch etwas. Wie heißt es da am Ende, im letzten Vers? "Waiting for a smile from a sun child." Aha. Moonchild wartet. Da ist also in bester romantischer Tradition noch diese Sehnsucht nach etwas. Wohl doch nicht so vollkommen, dieses Leben in der arkadisch verklärten Mondlandschaft. So richtig einsam ist das Kind dort zwar nicht, da gibt es z.B. immerhin die "ghosts of dawn", mit denen es verstecken spielt. Jedoch hier ist wohl dann das "Aber" zu finden: Es sind eben nur die Geister der Morgenröte. Die Sonne selbst, auf die das Mondkind als sein im Gegensatz zum "Schizoid Man" entsprechendes Gegenstück sehnsüchtig wartet, wird es nie erblicken. Weil es dies per se nicht kann. Das Versteckspiel ist hier kein freiwilliges, es liegt in der Natur begründet. Man könnte das Schicksal nennen.
    "Moonchild" feiert nicht die Abkehr, das Einsiedlerdasein. Der Text bildet zwar eine inhaltliche Gegenwelt zum Vorherigen - man könnte das auf alle drei Songs der ersten Plattenseite münzen - und zeichnet unzweifelhaft schöne, positive Dinge, jedoch ist dies eben nicht der Weisheit und Erfüllung letzter Schluss. Liegt dies womöglich daran, dass auch Weltflucht in die Vereinzelung führt?


    Der erste, deutlich kürzere Teil des Songs beinhaltet neben Vor- und Zwischenspiel jeweils zwei Strophen und Gegenstrophen. Klanglich als auch vor allem harmonisch führen die Musiker den Hörer durchaus in eine recht ferne, eigentümlich schimmernde Welt. Das erste Gitarrenmotiv vollführt schon einmal eine fast senkrecht anmutende Bewegung und bleibt auf dem oberen Ton lange Zeit stehen: Da ist man dem Erdboden dann schon schnell entrückt, bevor der Gesang das Motiv mit den Worten "Call her moonchild" wiederholt.
    Der zweite Teil des Songs ist eine fast zehnminütige Gruppenimprovisation in freier Form, Rhythmik und Melodik, welche die exotische Mondlandschaft in aller Ruhe abtastet und zu durchschreiten scheint.
    Jörg Schumann von den "Babyblauen Seiten" mutmaßt, man brauche eventuell einen gewissen Alkoholpegel, um das gut zu finden. Und ich selbst habe vor einiger Zeit im RS-Forum geschrieben, das Ganze sei einfach zu lang(weilig). Da kam dann eine schlichte Antwort vom User "Irrlicht" (schöner Name in diesem Zusammenhang), die mich persönlich in besonders guter Weise getroffen und angesprochen hat: "Für mich ist 'Moonchild' eben nicht langatmig, sondern feinstes Garn, dessen Musterungen ich mit jedem Jahr etwas mehr auf die Schliche komme." Seitdem höre ich das Stück mit anderen Ohren und lasse den Alkohol dabei lieber weg, um den traumtänzerisch hin und her gespielten Bällen der Musiker wach und aufmerksam folgen zu können.
    Die Improvisation besteht aus mehreren Phasen, die einerseits ineinanderfließen, andererseits aber eine wahrnehmbare Gesamtstruktur bilden. Geprägt ist diese Struktur von Zu- und Abnahme, von einer Art Bogen: Nachdem sanfte, metallisch schimmernde und sehr eng beieinander liegende Töne in die Improvisation hineinführen, gesellen sich kurz danach die unverzerrte Gitarre und weitere Percussioninstrumente hinzu. Nach einer Weile werden die Klänge etwas greller, und auffällige Dissonanzen - besonders von der Gitarre z.T. in insistierenden Wiederholungen gespielt - schaffen Reibungspunkte. Irgendwann merkt man, dass ein Wechsel aus stärkeren Bewegungen und Pausen entsteht, die Tonfolgen werden expressiver, weiträumiger, rhythmisch zupackender. Ein Snaredrum-Crescendo sorgt für Dynamik. Dann lässt ein Vibraphon das anfängliche Schimmern zurückkehren, ein Becken antwortet signalartig, und die Musiker finden wieder in eine konsonantere, unaufgeregtere Melodik und ruhigere Klangwelt zurück.
    Am Schluss gibt es ein besonderes Schmankerl: Fast elf Minuten lang fühlte sich das 'Moonchild' der Grundtonart a-Moll verpflichtet. Selbst die melodisch wagemutigsten Improvisationslinien fanden immer wieder recht schnell zu dieser Tonart zurück. Aber plötzlich, kurz vor Ende des Stückes, hellt die Gitarre die Szenerie durch einen A-Dur-Akkord unwiderruflich auf, denn ab da wird das freundliche A-Dur (pentatonisch ausgespielt) bis zum Schluss nicht wieder losgelassen.
    Im musikalischen Fachjargon würde man sagen: "A-Dur ist die Variante von a-Moll." Das Stück wird also in der sogenannten 'Variante' seiner Ausgangstonart beschlossen. Mit wieder anderen Worten: Der Beginn findet im Schluss sein tonal entsprechendes Gegenstück: Die Mondnacht endet hier auf musikalischer Ebene in einem Sonnenaufgang. Und es wäre zu schön, sich dabei vorzustellen, wie das Mondkind vielleicht doch noch einen winzigen, aber goldenen Moment lang das Lächeln des Sonnenkindes erhaschen könnte.


    King Crimson - Moonchild: https://www.youtube.com/watch?v=jh6ENfEDmWE


    Nachtrag: Der YT-Link ist ein "Not-Link", denn dem Song fehlt hier ein Teil der Improvisation. Trotzdem kann man die Strophenteile und letztlich auch den Bogen, den die Gruppenimprovisation bis hin zum "Sonnenaufgang" schlägt, gut mitverfolgen.


    3 Mal editiert, zuletzt von townman ()

  • Das Leben ist eine Illusion, hervorgerufen durch Alkoholmangel

    Charles Bukowski

    Einmal editiert, zuletzt von charles bukowski ()

  • https://www.youtube.com/watch?v=6vW_O-NwK-w


    "I am the ocean
    Lit by the flame
    I am the mountain
    Peace is my name"


    "Peace -A Beginning" - mit diesem Prolog in Miniaturform beginnen King Crimson ihr zweites Album. Und der hier metaphorisch aufgeladene Begriff des 'Friedens' ist dessen Leitmotiv. In der Mitte und am Ende des Werks erscheint es in zwei Variationen erneut und bildet damit Rahmen und roten Faden zugleich.


    Dabei hatten King Crimson in den Monaten vor Veröffentlichung von "In the wake of Poseidon" eine alles andere als friedliche Zeit hinter sich. Während die Band nach ihrem Erstling "In the court of the crimson king" auf Tournee ging, knirschte es schon ganz gewaltig im Gebälk. Vielleicht krachte es zwischendurch auch mal richtig, denn es gab (nur künstlerischen?) Dissenz und Frustration der Bandmitglieder.
    Die Folge: Im Release-Monat Mai 1970 - kein Dreivierteljahr nach dem Debüt - befand sich im Schloss des karminroten Königs fast kein Stein mehr auf dem anderen. Mit Ian McDonald hatte sich nicht nur der "Mann für alle Instrumente" verabschiedet, der ganz entscheidend für den Farbenreichtum des ersten Albums gesorgt hatte, sondern auch dessen Hauptkomponist. McDonald war neben Texter Peter Sinfield der Einzige, der Credits zu allen Songs vorzuweisen hatte.
    Auch der Verlust von Schlagzeuger Michael Giles bedeutete eine beträchtliche Lücke - sein Stil hatte sich äußerst songdienlich, aber dennoch eigenwillig und ausdrucksstark der Crimson-Philosophie starker Kontrastwirkungen angepasst.
    Und nicht genug damit: Auch Greg Lake verließ King Crimson, um Emerson, Lake & Palmer zu gründen, die schon kurz darauf ihrem Status als "Supergroup" gerecht werden sollten. Äußerst ungünstige Umstände also für das vermeintlich generell so "schwierige" zweite Album.


    Jeder aber, der "In the wake of Poseidon" kennt, weiß: Der Nachfolger knüpfte in frappierender Weise genau dort an, wo "In the court of the crimson king" zuvor aufgehört hatte. Vergleicht man beide erste LP-Seiten miteinander, sind deutlichste Parallelen sowohl hinsichtlich der musikalischen Mittel als auch des dramaturgischen Aufbaus zu hören. Der Zersplitterung der Band folgte zunächst eine bemerkenswerte künstlerische Kontinuität.
    Eine einfache Erklärung dafür ist, dass Greg Lake noch fast alle Vocals eingesungen hatte. Lediglich bei einem Song ("Cadence and cascade") wurde der Leadgesang von Neuling Gordon Haskell übernommen.
    Aber auch Michael Giles konnte trotz seines Austritts aus der Band zumindest für das Einspielen des Schlagzeugs nochmalig gewonnen werden. Es spricht sicherlich auch für eine gewisse menschliche Stärke der Beteiligten, dass dies nicht nur möglich war, sondern auch zu einem sehr achtbaren Ergebnis führte.
    Als weiterer Glücksfall erwies sich der neue Saxophon- und Flötenspieler Mel Collins, denn die frühen Crimsons bezogen einen großen Teil ihres soundmäßigen Profils aus dem Einbezug von Blasinstrumenten, die u.a. ein klanglich feineres Gegengewicht zum mächtigen und dazu streicherähnlichen Mellotron bedeuteten.


    Aus unserer heutigen Sicht lässt sich rückblickend sagen, dass die bemerkenswerte Fluktuation des Bandpersonals, die hier schon sehr früh ihren Lauf nahm, symptomatisch für die Historie der Band ist. Es dauerte nicht mehr lange, da war Gitarrist Robert Fripp Ende 1971 noch das letzte Mitglied der ersten Stunde. Er war spätestens ab dieser Zeit dann auch deutlich als das "Schaltzentrum" King Crimsons wahrzunehmen, der sämtliche Neuformierungen der Band initiierte und damit auch die jeweils neuen künstlerischen Ausrichtungen anbahnte. Was gab es mittlerweile nicht schon für Formationen: Trio, Quartett, Quintett, Doppeltrio und dann sogar noch die "ProjeKcts", bei welchen unter dem Dach 'King Crimson' verschiedene Besetzungen parallel Musik entwickelten.


    Von einer neuen Ausrichtung kann, wie gesagt, bezüglich "In the wake of Poseidon" grundsätzlich nicht die Rede sein. Das Songmaterial z.B. stammte zu einem guten Teil noch aus den Anfangszeiten der Band. Es mag durchaus sein, dass nicht alle Songs die pointierte Wirkungsschärfe zeigen, die vom ersten Album ausgeht. Der Nachfolger blieb wohl von Anfang an etwas im Schatten des älteren Bruders. Dennoch: Wer das eine großartig findet, wird wohl kaum den Reiz des anderen überhören.


    Das Album bietet aber durchaus nicht einfach nur weitere königliche Weisen nach bewährter Art, sondern gibt bei näherer Betrachtung auch Neuerungen und Entwicklungen preis: Die rhythmische Ebene z.B. ist von einer größeren Experimentierfreude des Monarchen an unterschiedlichen Taktmustern / -arten geprägt. Dies sollte in späteren Jahren in besonders auffälliger Weise weiter intensiviert werden.
    Des Weiteren findet sich mit dem Song "Cat food" schon ein Fingerzeig auf die Ausdrucksmittel des dritten Albums "Lizard", auf welchem eher surrealistische und groteske Verfremdungen eine prägende Rolle spielen sollten.
    Und nicht zuletzt ist da noch der mit über elf Minuten Spieldauer längste Track: "The devil's triangle" ist nicht nur das erste reine Instrumentalstück auf einem Crimson-Album, sondern auch ein unverstellter Rückgriff auf die klassische Musik des beginnenden 20. Jahrhunderts: Die Band adaptierte hier einen Satz aus Gustav Holsts bekannter Orchestersuite "Die Planeten" und machte auch damit deutlich, dass die progressive Rockmusik sich in dieser Zeit verstärkt einem klassisch-tradierten Werkgedanken zuwandte.


    Dass "The devil's triangle" auch den dramaturgischen Höhepunkt des Ganzen bildet, ist mit dem abschließenden Blick auf das zuvor erwähnte Leitmotiv des Friedens sicherlich bedeutsam. Das Stück nämlich verkörpert in aller Monstrosität dessen hässliches Gegenstück: die Fratze des Krieges. Interessanterweise muss der im Titel bemühte Teufel dabei die Funktion einer Maske erfüllen. King Crimson mussten das Stück aus urheberrechtlichen Gründen für die Veröffentlichung des Albums umbenennen und den eigentlichen Kriegstreiber namentlich verstecken. Wessen allegorisches Antlitz die Teufelsmaske verbirgt - dazu später mehr.


    Einmal editiert, zuletzt von townman ()

  • townman,ich kann mich nicht sattlesen an deinen poetischen und zugleich sachlich vertiefenden Fripperstorries.


    Schade eigentlich,dass ich kürzlich bereits alle Crimson-5.1-DVDs aufgekauft habe und nichts anderes (außer lateinamerikanischer Orchestermusik - aber dazu später mehr...) mehr hören mag. Ich würde es ansonsten nochmals tun.
    Wieder einmal hast du einen entscheidenden Anstoß zu einer großen musikalischen Leidenschaft gegeben. Wenn dir das eines Tages noch mit Yes gelänge,wäre ich zwar erstaunt,aber wahrscheinlich auch dankbar.

    Hier steht nichts wichtiges! Trotzdem danke für's Lesen.