Klassik 03/2013: G. Verdi "Gefangenenchor" aus Nabucco

  • Die Oper, die meine Schwiegermutter in Verona sah, war in der Tat "Nabucco". Sie erzählte gestern mit einer Mischung aus Amüsement und Rührung, dass die Italiener den Gefangenenchor ganz selbstverständlich inbrünstig und laut mitgesungen haben. Scheint so eine Art heimliche Nationalhymne dort zu sein.

  • Guten Abend, liebes Klassik-Forum.
    Leider bin ich zu wenig bewandert, um "Nabucco" in Verdis Gesamtwerk einordnen zu können. Offen gestanden kenne ich nicht mal die ganze Oper. In diesen Bereich der Klassik bin ich nicht allzu oft vorgedrungen. Gleichwohl hatte ich für Chöre immer was übrig, und bei dem Stichwort Gefangenenchor klickte es sofort: auch in meiner Kindheit wurde elternseits ehrfurchtsvoll geraunt, wenn die Rede auf "Nabucco" kam, und auch wenn ich mich an kein Schlüsselerlebnis erinnere, muß das immer mal gelaufen sein.
    Beim Wiederhören stelle ich fest, das ist bewegend und von einer Erhabenheit, die ich in der populären Musik so nicht finde. Schon ist man beim Mitsummen und wird davongetragen.


    Daß die Italiener das sogar voller Inbrunst mitschmettern, ist wohl - wie ich mich gerade belesen habe - dem Umstand geschuldet, daß die Oper schon immer auch als Symbol des Unabhängigkeitskampfes gegen die Habsburger Monarchie verstanden wurde. Von daher dürfte townmans Einschätzung mit der heimlichen Nationalhymne relativ zutreffend sein. (He, psst, wollen wir als subversiver Zirkel die Musik und Politik-Diskussion heimlich hier weiterführen? Liest eh keiner weiter mit. Also, meines Erachtens geht es hier interessanterweise anders als bei der Südtiroler Heimatkapelle um nationale Einigung statt um Ausgrenzung…).

    Ach ja, einmal Nabucco an einem Sommerabend in der Arena di Verona - seufz. Vielleicht kann townie das mal als Klassenfahrt organisieren.

    Ich habe stattdessen was aus der MET rausgesucht. Das scheint mir von Ensemble, Bühnenbild und Ausstattung recht ansprechend, mal sehen, wie sich das so mit Euren Bildern verträgt.

    Nabucco in N.Y. (2002)

    Der Clou ist, daß die Darsteller in dem frenetischen Jubel, der am Ende losbricht, keine Miene verziehen, offenbar um die Spannung zu halten und die Konzentration zu wahren - denn sie bringen es gleich nochmal. Für mich erstaunlich, da Zugaben in der Oper, glaube ich, nicht an der Tagesordnung sind, aber da kenne ich mich nicht so aus.

    Ein letztes noch. Immer, wenn der Chor anhebt, also diese erste kleine Melodielinie (bei pealmus erstem Hörbeispiel ist das z.B. bei 0:59, 1:20, 2:00 usw.), muß ich kurz an die Internationale denken – klingt entfernt verwandt. Wißt Ihr, was ich meine? Naja, jetzt genug politisiert.




  • Ach!:eek: Das mit der "heimlichen Nationalhymne" der Italiener (und dessen Hintergrund) war mir auch noch ncht bekannt. :D

    Davon einmal ganz abgesehen: interessante Aufnahme!

    Die "Akteure" tragen die Leidensmine der "in-den-Kerker-geworfenen" mit eindrücklicher Ausdrucksfähigkeit zur Schau.... :(:heul: und "gefrieren" dann (vorher-und-nachher) jeweils auf eigentümliche Weise zu "Salzsäulen"...:augenrollen:

    Dies hat mich automatisch an ein Stück (besser-gesagt: zwei) eines hier hinreichend bekannten Interpreten "assoziiert"... :rolleyes:
    Zu finden unter: "Was hört ihr gerade und warum?"

    PACKUNGSBEILAGE MIT WARNHINWEISEN:
    Alle hier von mir geposteten Beiträge stellen lediglich meine ganz persönliche und somit subjektive Ansicht dar! ;)


    "...Download love and download war
    Download the shit you didn´t want
    Download the things that make you mad
    Download the live you wish you had..."


    Nordlichter Stargast ´2012 !

  • Ohne mich eingehend mit der Geschichte befasst zu haben:


    Das hört sich überhaupt nicht wie ein Gefangenenchor an !! Eher wie ein Frühlingslied oder eine Saufhymne. Und wenn Gefangenenchor,dann nach der Befreiung. Das klingt so stolz,glücklich,triumphierend.


    Das Stück an sich gefällt mir, aber ohne Gesang, mit fetter Orgel und etws zackiger gespielt wäre es mehr mein Fall.

    Hier steht nichts wichtiges! Trotzdem danke für's Lesen.

  • Das Stück an sich gefällt mir, aber ohne Gesang, mit fetter Orgel und etws zackiger gespielt wäre es mehr mein Fall.


    Sehr geil. Hätte Verdi doch mal bloß den Chor beim Gefangenenchor weggelassen! :D
    Ich kann deinen Kommentar mühelos nachvollziehen. Bislang ist es mir auch noch nicht gelungen, diese schöne Musik mit dem dramaturgischen Punkt des Geschehens emotional in Verbindung zu bringen. Unwahrscheinlich reizvoll kommt dieser Zwiespalt der Empfindungsebene in littlewoods MET-Link heraus. Aber da ist dann auch wieder etwas Stimmiges dabei. Schwer zu beschreiben. Aber ich habe die Oper auch noch nie gesehen.


    Irgendwie passend dazu auch dieser Hinweis:



    Ein letztes noch. Immer, wenn der Chor anhebt, also diese erste kleine Melodielinie (bei pealmus erstem Hörbeispiel ist das z.B. bei 0:59, 1:20, 2:00 usw.), muß ich kurz an die Internationale denken – klingt entfernt verwandt. Wißt Ihr, was ich meine? Naja, jetzt genug politisiert.


    Das ist für mich überraschenderweise nicht nur entfernt verwandt, sondern bezüglich der ersten vier Töne quasi identisch. Da hat aber einer ein gutes Ohr.:topp:
    Tja, der Gefangenenchor als Anfangszitat in der Internationale...Zufälle gibt's...;)


  • Das hört sich überhaupt nicht wie ein Gefangenenchor an !! Eher wie ein Frühlingslied oder eine Saufhymne. [...]
    Das Stück an sich gefällt mir, aber ohne Gesang, mit fetter Orgel und etws zackiger gespielt wäre es mehr mein Fall.


    Banause. Wir sind hier nich beim Jailhouse Rock.
    Das Wesen der Oper scheint mir die Überhöhung, vielleicht von ähnlicher Deutlichkeit wie weiland die Darstellung im Stummfilm. Bisweilen geht das nach meinem Verständnis bis zur Karikatur, ob freiwillig oder nicht, sei mal dahingestellt.
    Es stimmt schon, im vorliegenden Fall steckt überraschend viel Kraft in der Klage, aber vielleicht ist das fehlende Elend, das wir mit Gefangenschaft assoziieren, dem Umstand geschuldet, daß die Musik Sammlung, Würde und Hoffnung, stillen Überlebenswillen transportieren soll. So höre ich das, (und so verkörpern es auch die zerlumpten Gesellen in der MET), und daher funktioniert es für mich ganz außerordentlich. Das mag eine Projektion der Kunst sein, aber diese Rolle erfüllt sie durchaus mit Berechtigung.
    Und so realitätsfern ist das womöglich gar nicht, wenn wir an Gitgos Geschichte denken. Mein Vater berichtete mir von Gedichten, die er und seine Leidensgenossen sich in Gefangenschaft erzählten und ihnen beim Überleben halfen. Das scheint mir alles irgendwie in die selbe in Richtung zu gehen.

    Nachfolgend mal die erste Strophe des Chorgesangs von Solera, die die Stimmung vorgibt:

    "Flieg, Gedanke, von Sehnsucht getragen,
    laß Dich nieder in jenen Gefilden,
    wo in Freiheit wir glücklich einst lebten,
    wo die Heimat uns'rer Seele ist."


    Vielleicht ist die Sehnsucht ein entscheidendes Stichwort für die Klangfarbe des Stückes.


    Das ist für mich überraschenderweise nicht nur entfernt verwandt, sondern bezüglich der ersten vier Töne quasi identisch. [...]
    Tja, der Gefangenenchor als Anfangszitat in der Internationale...Zufälle gibt's...;)


    Wie sieht man das als Musiker - bei vier Tönen, die Du gezählt hast: spricht man da von Inspiration, Zitat, Plagiat, oder kann das auch Zufall sein?


  • Wie sieht man das als Musiker - bei vier Tönen, die Du gezählt hast: spricht man da von Inspiration, Zitat, Plagiat, oder kann das auch Zufall sein?


    Musiker hin oder her - ich fühle mich hier angesprochen: Die Frage nach dem Zufall ist ja Spekulation. Sicher ist wohl, dass die Melodie der "Internationale" Jahrzehnte später als der Gefangenenchor komponiert wurde. Und dieser müsste so ziemlich jedem Berufsmusiker bekannt gewesen sein.
    Und diese Abfolge von vier Tönen... - hm, da es keine in sich abgeschlossene melodische Gestalt, sondern eher ein Bruchstück ist, käme mir das Wort "Zitat" dann doch eher etwas übertrieben vor. Vielleicht war es einfach eine unbewusste, fragmentarische Reminiszenz des Komponisten. (Kleine Korrektur: Ich meine natürlich nicht den Anfang der "Internationale", sondern die bekannte Passage "Völker, hört die Signale" daraus.)
    Übrigens beginnt auch "So ein Tag, so wunderschön wie heute" mit genau der gleichen Tonabfolge. Und auch der rhythmische Unterschied ist nur gering. Dieser Intervallstruktur scheint einfach ein mitreißender Gestus eigen zu sein...