SdW [14.02.-20.02.11]: PETER GABRIEL - Wallflower

  • 14 Punkte, ein Song den ich erst in den letzten 3-4 Jahren so richtig schätzen kennen gelernt habe. Ist auf der Security immer irgendwie untergangen, da mit Rhythm, Family Snapshot etc. noch andere richtige Knaller drauf sind.




    Family Snapshot ist aber auf einer anderen Platte, nämlich auf Peter Gabriel 3 (Melt) !!

    No cloud, a sleepy calm
    Sunbaked earth that's cooled by gentle breeze
    And trees with rustling leaves
    Only endless days without a care
    Nothing must be done

  • IV / Security / ?
    ist insgesamt mein absolutes Lieblingsalbum vom Solo Peter, besser war er für mich niemals wieder........
    für Wallflower gibt es von mir 10 Punkte - gut (2-)
    [als Vergleich: San Jacinto hätte 15 Punkte von mir bekommen]

    Einmal editiert, zuletzt von Colonyslipperman ()

  • Auch bei mir führt die (falsche) Panflöte führt zum Punktabzug und die Live Versionen hauen mich alle nicht vom Hocker.
    Schönes Stück von seinem besten Album.
    14P.


  • (sorry, hier stand eine pn)

    I'll never find a better time to be alive than now.

    Peter Hammill (on "X my Heart")

  • Ich finde, hier fehlt noch die Interpretation von Dr. Martinus. Warum hat PG das Stück "Wallflower" genannt?

    I'll never find a better time to be alive than now.

    Peter Hammill (on "X my Heart")

    • Offizieller Beitrag

    Wallflower ist der populäre Name für eine relativ anspruchslose Pflanze, die im deutschen Sprachraum Goldlack heißt. Ihre englische Bezeichnung verdankt sie der Tatsache, dass sie auch auf dem trockenen Mörtel von Ziegelmauern Halt findet. Obwohl wallflower auch das Mauerblümchen beschreibt, das bei Tänzen und Festen uninvolviert am Rande steht, teilen die beiden Bedeutungen nur das Wort, nicht aber die Herkunft. Beide Definitionen haben nichts mit dem eigentlichen Thema des Stückes zu tun; in ihnen sind aber schon Grundmotive des Stückes angelegt: Eine karge Lebensgrundlage, Isoliertheit, Entbehrungen, Mauern – und dennoch auch eine Blüte.


    Vom Titel her denkt man zunächst ehestens an ein menschliches Mauerblümchen. Immerhin erforscht Peter Gabriels viertes Album ja in mehreren Stücken (I Have The Touch, San Jacinto) die soziale Eingebundenheit des Einzelnen. Die ersten drei Verse zerstören diese falsche Vorstellung , indem sie das beklemmende Bild einer Zelle zeichnen – und was für einer Zelle! Nicht einmal 3 ½ Quadratmeter misst dieses feuchte Loch, sie ist (dank Fensterläden) als Dunkelzelle ausgelegt – die meisten von uns müssten sich diagonal hineinlegen, um Platz zum Schlafen zu haben. Der Zweck eines solchen Verlieses wird auch benannt: Der Insasse soll durchdrehen. Isolationsfolter nennt sich das. Entsetzlicher jedoch ist dies: Es gibt offenbar wirklich jemanden, der dort vor sich hin vegetiert; der Sprecher redet ihn direkt an. Aber warum? Der Gefangene weiß doch, dass die Zelle beengt, duster und nass ist – das muss er nicht extra gesagt bekommen.
    An dieser Stelle müssen wir uns daran erinnern, dass dieser Liedtext Fiktion ist. Er ist plausibel, er basiert auf Berichten aus den Gefängnissen der Pinochet-Diktatur und anderer Unrechtssysteme, er ist in sich und auch in bezug auf die Realität bestürzend realistisch, nachvollziehbar und erschütternd – und ist zunächst einmal Fiktion. Im Theater gibt es den sogenannten „expositorischen Dialog“. In ihm besprechen zwei Charaktere den Hintergrund der Handlung und geben einander Informationen, die sie an sich gar nicht benötigen, ohne die das Publikum jedoch das Stück nicht verstehen kann. Der größte Teil dieses Stückes hat solchen expositorischen Charakter, und das hat einen ganz raffinierten Effekt. Zunächst einmal spricht hier ja nur einer in diesem Dialog – der andere ist nicht zu hören und nicht zu sehen, was ja die Sachlage trifft: Der Angesprochene befindet sich in dem Gefängnis. Seine Rolle im Dialog bleibt unbesetzt – und kann vom Hörer ausgefüllt werden, der auf diese Weise persönlich und direkt angesprochen wird, der sich so ganz natürlich mit dem Gefangenen identifiziert. Die Grenzen zwischen der Kommunikation innerhalb des Textes und der des Autoren mit dem Leser/Hörer werden fließend; der Hörer nimmt den Songtext nicht mehr nur als Ansprache an einen imaginären Gefangenen wahr, sondern wird durch die Kommunikation auf mehreren Ebenen herangeführt, sich in die Rolle eines Gefangenen in einer dunklen, schmierigen Einzelzelle hineinzuversetzen und hineinzufühlen.
    Insgesamt ist damit fast das gesamte Lied expositorisch, als stünde vor der ersten Textzeile ein „Stell Dir mal folgendes vor:“. Die Verse beschreiben die Zelle, aber auch, wie die Gefängniswärter den Häftling mit schlechter Nahrung und falschen Informationen manipulieren, um seinen Widerstand in der Einzelhaft zu brechen. Damit kontrastieren die Verhöre: Suggestive Fragen und zynische Bemerkungen („Verhalten Sie sich wie ein Gast“) von sonnenbebrillten Weißkitteln. Bezeichnend für die Un-Menschlichkeit dieser mutmaßlichen Ärzte ist ihre Darstellung: Kittel und Sonnenbrille ohne Erwähnung des darin steckenden Menschen. Die Verhöre gehen, wie die nachfolgende Strophe andeutet, mit Foltermaßnahmen einher: „Sie bringen dich an deine Grenze – und darüber hinaus. Für alles, was sie tun, gibt es keine (richtige) Reaktion“.
    Eingestreut und anfangs noch isoliert stehen einige Rufe, die dem Gefangenen Mut machen sollen: „Hold on, hold on“ – „halte durch, halte durch! Lass Dich nicht brechen, mögest Du nicht abgeschreckt werden“. Auf diese Ermunterungen folgen jedoch sogleich wieder entmutigende Bilder und Vergleiche: Du steckst in einer Kiste, damit dich keiner hört. Du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt (anscheinend vergeblich) und stehst der Nacht jetzt allein gegenüber, während die Erbauer der Käfige gut geschützt schlafen. Und doch ist hier eine subversive Botschaft: „bullets, bars and stones“ sind den Mächtigen zugeordnet, die umgeben davon schlafen, nicht die Gefangenen. Es sind also die Mächtigen, die sich mit „Geschosse, Gitterstäbe und Steine“ aus Angst vor anderen schützen zu müssen glauben. Der Gefangene dagegen erringt mit dem Einsatz seines Lebens einen Weg zur Freiheit - nicht zur körperlichen Freiheit, jedenfalls vorerst nicht; wenn sich die Mächtigen jedoch mit Mauern und Waffen selbst schützen und Andersdenkende ebenfalls mit Mauern und Waffen gefangenhalten, erweisen sie sich als angreifbar – das ist der Ansatzpunkt zum Sturz eines Regimes und zum Übergang zur Freiheit.
    Die wichtigste und mutmachendste Botschaft folgt aber am Ende. Mehrfache Wiederholung intensiviert das: Auch wenn Du (im Gefängnis oder aus dem Gefängnis) verschwinden solltest, wirst Du hier nicht vergessen werden: Um Dich herauszuholen, um Dich zu befreien, um mich für Deine Freiheit (nicht nur aus der Haft) einzusetzen, werde ich alles tun, was ich kann. Mit anderen Worten: The eyes of the world are watching now. Die Botschaft an den Hörer ist dieselbe, mit der Peter Gabriel bis 1991 jedes einzelne Konzert beendete: Jetzt liegt es bei euch – „The rest, as always, is up to you“.

  • Von mir "nur" 11P.
    Der Schlußteil bleibt für mich musikalisch (nicht textlich) inkonsequent. Hier scheint sich dynamisch etwas aufzubauen, hört dann aber halbherzig auf. Hier hatte ich mir immer vorgestellt, wenn ein Chor mit immer mehr Stimmen die einzelne von Peter verstärkt, um damit die wiederholte Textzeile zu betonen.

    Einmal editiert, zuletzt von Igel ()

  • Gerade der ersten Sätze haben es mir angetan (sechs mal sechs, von Wand zu Wand; draussen vor dem Fenster...;Nichts kannst du tun ...).
    Bewertung: Zwei plus (12 Punkte).

  • mit wachsender Begeisterung hab ich nun schon mehrere der beeindruckenden Textinterpretationen unseres lieben Martinus gelesen und sehe dadurch die Songs in ganz neuem Licht -


    @ Martinus: meine Anregung, ob Du diese Werke nicht mal in einem eigenen Thread sammeln möchtest, erstens damit diese Kleinode in der Fülle hier nicht untergehen und zweitens wärs dann soviel leichter, sich in ner ruhigen Stunde mal Text und Musik gemeinsam vorzunehmen
    fänd ich ne tolle Sache