SdW [08.-14.03.10]: GENESIS - Watcher Of The Skies

  • Für mich ist das einer der Songs meiner Lieblingsband.
    Suggestiv ziehen mich die düsteren Mellotronklänge in eine wahnsinnige Welt der Trauer, des Leids, der Zerstörung. Das ist die Hölle, in der die Menschen diese Welt verwandelten. Nun sind sie verschwunden, ausgelöscht. Die Watcher sind zu spät gekommen. Das ist ihre Trauer, ihre Wut über die vertane Chance einer intelligenten Spezies.
    Wie Tony war ich damals, 1978, SF-Fan. Ich habe natürlich Clarke‘s Childhood‘s End gelesen und natürlich viel von Philip K. Dick und James Graham Ballard. Als Westberliner lebte ich mit der Gewissheit, die Bombe würde fallen. Watcher ist der Ausdruck dessen.

    Das stakkatoartige Schlagzeug, gepaart mit wummernden Basslinien zerstört die letzte Hoffnung auf das Überleben wenigstens eines Menschen.
    Dann trifft Peters, des Watchers Gesang tief in das Herz. Es bläst mich noch immer davon.

    Die Kriegsgewissheit ist der um die katastrophalen Folgen des Klimawandels gewichen, die damaligen apokalyptischen Comicwelten Marvels der Welt von „The Last of Us“.
    Mein Herz ruft nach den Watchern,: „Bitte kommt nicht zu spät!“ Ah, die Musik wird ruhiger, eine wunderschöne Gitarreneinlage schluchzt das Lied ins orchestrale Finale. Richard Strauss blitzt auf, oder sogar Gustav Mahler. Oh ja, der Vergleich ist erlaubt. Das ist mehr als U-Musik.
    Die Musik, der Watcher schwebt davon. Die Welt wird wieder real. Wirklich nur ein Traum zur Musik einer fantastischen Band? Wenn ja, bin ich in ihm verfangen, seit 45 Jahren.

    Ich hatte 15 Punkte gegeben und werde es immer wieder tun.

    - Überirdisch -:pete:

  • Richard Strauss blitzt auf, oder sogar Gustav Mahler. Oh ja, der Vergleich ist erlaubt. Das ist mehr als U-Musik.

    Deshalb nennt Bernward Halbscheffel sein Buch ja auch "Progressive Rock - Die Ernste Musik der Popmusik"... :)


    Aber zu Mahler und Strauss: Ich denke, dass nicht speziell diese beiden "aufblitzen", sondern die romantische Sinfonik des 19. Jahrhunderts allgemein. Die Gründe sehe ich darin, dass Banks zu Beginn der 70er den "anhaltenden Ton" (ebenfalls Halbscheffel) für sich entdeckt hat. Also eine "quasi-sinfonische" Klangvorstellung, die er mit Mellotron, Orgel usw. verwirklichen konnte. Edit: Ähnliches passierte ja auch bei E-Gitarristen wie Hackett mit dem verlängerten Sustain. Man hört das gut am Ende von "Watcher", wenn er diese langen, ausdrucksstarken Single-Notes in hoher Lage spielt.

    Hinzu kommt, dass Genesis - und Banks allen voran - in sehr intuitiver Weise auch an die Harmonik des 19. Jahrhunderts angeknüpft und entsprechend komplexere Akkorde und Akkordprogressionen verwendet haben , als dies in der Rockmusik bis dato üblich war. Davon ist in "Watcher" ein bisschen was zu hören, extremer kommt das aber z.B. in "Lover's Leap" zum Tragen.

    Allerdings haben Genesis sich wirklich sehr unbedarft und intuitiv an der klassisch-romantischen Harmonik bedient. Reflektiert war das überhaupt nicht - konnte es auch nicht sein, da sie überhaupt keine Ahnung von der Materie hatten. Hätte Banks das "Watcher"-Intro Mahler zur Begutachtung hingelegt, hätte der ihn sicherlich in keinster Weise für voll genommen. Genesis haben einfach naiv mit ihren musikalischen Einflüssen gespielt, ohne z.B. die Funktionsharmonik des 19.Jh., aber auch ohne ihre eigene Musik in dieser Hinsicht zu durchschauen.


    4 Mal editiert, zuletzt von townman ()

  • Watcher hat schon einen gewissen 'genialen' Aufbau mit seinen Intro dieser melodiösen Melotron-Schwaden, die vom Stakkato der Rhythmus-Sektion abgelöst werden und Peters Gesang, der es fertigbringt diesen unmelodiösen Text auf die Gesangslinie zu tackern. Er hat das so 'unerzwungen' umgesetzt, das es mir das erste Mal erst bewusst geworden, als dies Mike in einem der Videos zum Release der Box-Sets explizit kommentierte.

    Ich habe es nie erlebt, aber ich kann mir gut vorstellen, wie dieser Track live die Zuhörer wortwörtlich abgeholt hat.

    Zy
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    "The music is the true currency. It's more valuable than the accolades or the money. The relationship is with the invisible muse and you know if she's pleased or if she ain't." - Steve Hackett

  • townman : Ja, das ist es! Ich bin in Musiktheorie nicht so bewandert. Ich bediene mich da meiner Intuition, meiner Kenntnis von gehörter Musik und meinen Emotionen. Nur so kann ich Musik "beschreiben". Ich meine daher die Verbindung von Watcher zur Musik der (späten) Romantk und da Mahler (das Adagio der Neunten ist, ja, überirdisch und endet, wie von Mahler notiert: "ersterbend"), oder Strauss zu spüren.

    Zy : Hast Du Pasztors Genesis-Büchlein gelesen? Da ist das spirituelle Erlebnis bei Watcher (live) einfühlsam beschrieben. https://www.genesis-fanclub.de…-BuchRezension-s1008.html