"Hold on my heart" - Warum provoziert dieser Song so sehr?

  • ...dem muss ich stark widersprechen...es ist eben das äußerst beschissene Arrangement von "Hold On My Heart", welches den Song trotz vielleicht tatsächlich kompositorisch garnicht so unpfiffiger Akkordfolge dennoch als unerträgliches Schleim-Liedchen erscheinen lässt...mit anständiger Instrumentierung hätte man da deutlich mehr raus machen können!


    ...meiner Ansicht nach zeichnen sich Genesis ganz im Gegensatz zu manch anderer Prog-, Neoprog- oder Retroprog-Band dadurch aus, dass sie eben nicht eine Menge unpassender Akkorde zwecks musikalischer Selbstbefriedigung anneinanderreihen...so sehr ich den Genesis-Pop der Collins-Ära schätze...kompositorisch ist das meiner Auffassung nach im Vergleich zu den "künstlerischen Versuchen" denn doch eher Schmalspur...


    hmm das ist natürlich Geschmackssache. Ich finde Hold on my Heart nicht schmalzig. in diesem Sinne hat ein Arrangement ja nicht direkt nur etwas mit anderer Instrumentierung zu tun. Ich meinte eher die Stimmführung und Voicings, wie sich Akkorde auflösen und wie Spannungsbögen damit erzeugt werden. Klar ist ein Song wie Dancing with the Moonlight geil, aber im Genesis der Anfangsjahre sind einfach noch harmonische Fehler zu finden, ganz normal auch für Kinder die um die 21 Jahre sind.

    Einmal editiert, zuletzt von rivanov ()

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    Ich meinte eher die Stimmführung und Voicings, wie sich Akkorde auflösen und wie Spannungsbögen damit erzeugt werden. Klar ist ein Song wie Dancing with the Moonlight geil, aber im Genesis der Anfangsjahre sind einfach noch harmonische Fehler zu finden, ganz normal auch für Kinder die um die 21 Jahre sind.

    Was meinst du mit "harmonische Fehler"? Mich interessiert das, kannst du das bitte näher erklären?

  • hmm das ist natürlich Geschmackssache. Ich finde Hold on my Heart nicht schmalzig. in diesem Sinne hat ein Arrangement ja nicht direkt nur etwas mit anderer Instrumentierung zu tun. Ich meinte eher die Stimmführung und Voicings, wie sich Akkorde auflösen und wie Spannungsbögen damit erzeugt werden. Klar ist ein Song wie Dancing with the Moonlight geil, aber im Genesis der Anfangsjahre sind einfach noch harmonische Fehler zu finden, ganz normal auch für Kinder die um die 21 Jahre sind.


    Verstehe ich auch nicht. Harmonische Fehler? Dann würde Jazz, Bossa Nova oder Samba aus einer Menge dieser Fehler bestehen, was ich beim Hören aber nicht merke.....:gruebel:

    Das Leben ist eine Illusion, hervorgerufen durch Alkoholmangel

    Charles Bukowski

  • hmm das ist natürlich Geschmackssache. Ich finde Hold on my Heart nicht schmalzig. in diesem Sinne hat ein Arrangement ja nicht direkt nur etwas mit anderer Instrumentierung zu tun. Ich meinte eher die Stimmführung und Voicings, wie sich Akkorde auflösen und wie Spannungsbögen damit erzeugt werden. Klar ist ein Song wie Dancing with the Moonlight geil, aber im Genesis der Anfangsjahre sind einfach noch harmonische Fehler zu finden, ganz normal auch für Kinder die um die 21 Jahre sind.


    Nicht jeder ist perfekt.

    "There are crawlers under my lambswool feet..."
    (Quelle)

  • Verstehe ich auch nicht. Harmonische Fehler? Dann würde Jazz, Bossa Nova oder Samba aus einer Menge dieser Fehler bestehen, was ich beim Hören aber nicht merke.....:gruebel:


    das hat nichts mit der Stilrichtung zu tun, sondern damit, wie Akkorde mit einander verbunden werden. Wie gesagt: Stimmführung

  • Was meinst du mit "harmonische Fehler"? Mich interessiert das, kannst du das bitte näher erklären?


    Jede Tonart hat eine logische Schwester-Tonart, zB die von C Dur ist A Moll.
    Wenn man von einer Tonart in die nächste modulieren möchte, geht das über gewisse Prozesse, bspw Kadenzen. Diese Vorgänge sind in gewisser Weise von der Physik vordefiniert, da die Töne ja gewisse Schwingungen sind (Herzfrequenzen). Verschiedene Übergänge kommen dem menschlichen Gehör dabei eben sehr natürlich und logisch vor, werden die nicht berücksichtigt, klingt es seltsam und eben tatsächlich nicht schön. Würde man zB einen Eb Moll Akkord nehmen und direkt danach C Dur spielen, klingt dies sehr fremd da es keine gemeinsame Töne gibt.
    Das Ganze ist jetzt ein wenig zu kompliziert, um Tonsatzlehre in einen Forum-Beitrag zu erklären 😉Aber auch im Jazz werden Regeln eingehalten, auch wenn das für Laien draussen vll klingt als ob alles erlaubt sei.

  • rivanov:


    Ich erinnere mich aus dem Musikunterricht, dass in der "klassischen" Musiklehre im weiteren Sinn gewisse Dinge verboten waren/sind. Da geht es wohl um die Einhaltung der Regeln.


    Jetzt weiß ich auch, was Mike Rutherford meinte, warum Rockmusik in Charterhouse verpönt war: diese langhaarigen Jugendlichen haben einfach die harmonischen Regeln nicht eingehalten ;)


    Aber jetzt mal ernsthaft:
    Du hattest vorher von zahlreichen Hinweisen auf Nichteinhaltung harmonischer Regeln im Frühwerk von Genesis gesprochen. Hättest du da evtl. ein paar (Hör-)Beispiele? Wäre jetzt echt interessant!

    Can you tell me where my country lies
    said the unifaun to her true love's eyes

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    Jede Tonart hat eine logische Schwester-Tonart, zB die von C Dur ist A Moll.
    Wenn man von einer Tonart in die nächste modulieren möchte, geht das über gewisse Prozesse, bspw Kadenzen. Diese Vorgänge sind in gewisser Weise von der Physik vordefiniert, da die Töne ja gewisse Schwingungen sind (Herzfrequenzen). Verschiedene Übergänge kommen dem menschlichen Gehör dabei eben sehr natürlich und logisch vor, werden die nicht berücksichtigt, klingt es seltsam und eben tatsächlich nicht schön.
    Würde man zB einen Eb Moll Akkord nehmen und direkt danach C Dur spielen, klingt dies sehr fremd da es keine gemeinsame Töne gibt. Das Ganze ist jetzt ein wenig zu kompliziert, um Tonsatzlehre in einen Forum-Beitrag zu erklären 😉
    Aber auch im Jazz werden Regeln eingehalten, auch wenn das für Laien draussen vll klingt als ob alles erlaubt sei.

    Danke - die Musiktheorie und speziell die Harmonielehre sind mir einigermaßen geläufig, allerdings neige ich eher zu der Ansicht, dass nicht die Physik/Schwingungslehre entscheidet, was der Hörer "fremd", "natürlich" oder "logisch" empfindet, sondern ausschließlich seine kulturelle Prägung - mithin seine Hörgewohnheiten. Das zeigt ja bereits die Wahrnehmung von Dissonanzen, die sich im Laufe der Jahrhunderte ja stark verändert hat. Im Jazz verlangt ein Septimakkord ja schon lange keine zwingende Auflösung mehr.


    Ich denke, als Jazz- oder auch Prog-Hörer ist man inzwischen so einiges Schräges gewohnt. Daher würde ich einen sicherlich schrägen Akkordwechsel von Eb Moll nach C Dur nicht unbedingt als kompositorischen "Fehler" verstehen wollen, sondern eher als Effekt, der eben dieses Gefühl der Fremdartigkeit erzeugen soll. Mich würden daher auch Beispiele interessieren.


    Und um die Topic-Kurve noch zu kriegen: Hold on my heart ist harmonisch gesehen sicherlich mehr als das übliche I-IV-V, also alles andere als ein simples Pop-Liedchen, aber vielleicht ist es gerade die elegante Geschmeidigkeit der Akkordwechsel, dieses Erwachsene, Regelkonforme, das die Prog-Fans abstößt?


  • Spätestens jetzt juckt es mich in den Fingern: In der Musik ist schlichtweg nichts "verboten" - das wäre ja noch schöner. Es gibt - selbst von Musikern - aber immer noch irgendwelche Märchen von Verboten, weil man irgendwann mal im Tonsatzunterricht gelernt hat, dass z.B. in der klassischen Funktionsharmonik Oktav- und Quintparallelen zu vermeiden sind (es gibt aber prominente Gegenbeispiele), dass die Septime eines D7-Akkords bitteschön sekundweise abwärts geführt werden muss usw. usw.
    In Wahrheit ist das aber dann eine historisch verortbare Praxis, deren ästhetische Tendenzen beschreibbar sind, aber keinesfalls einfach so als allgemeingültig oder - noch schlimmer - als einzuhaltende Norm deklariert werden können.


    In der Musik gibt es praktisch nichts, was nicht schon überzeugend umgesetzt und auch außer Kraft gesetzt wurde. Es gibt nichts (!!!) per se "Falsches".


    Natürlich lernen auch Jazz-Studenten gewisse ästhetische Tendenzen und Praktiken kennen - und je nachdem gibt es eben auch Dozenten, die solche Tendenzen als "Ideale" oder sogar verbindliche Standards vermitteln. Ich halte es aber für ausgeschlossen, dass derlei akademische Irreführung der empirischen Wirklichkeit entspricht. Es gibt auch im Jazz z.B. Autodidakten, die nichts oder wenig von Stimmführungsregeln wissen oder halten, die ihren Stil und ihre Ausdrucksmöglichkeiten schlicht in den eigenen Klangvorstellungen finden, die natürlich nicht einfach im luftleeren Raum entstehen, sondern auch aus den Überlieferungen der Vergangenheit (= mehr oder weniger bewusst auch aus gewissen in der Praxis etablierten Vorgehensweisen wie Akkord- und Stimmführung usw.) resultieren.
    Natürlich wäre es also falsch zu verleugnen, dass Klassik und Jazz auch jeweils auf verifizierbaren ästhetischen Grundlagen beruhen können, die sich als "wohlklingend" herausgestellt haben. All diese Grundlagen aber wurden auch schon auf ganz ernsthafte Weise außer Kraft gesetzt - ich wüsste keinen einzigen musikalischen Parameter, keine einzige klangliche Grundlage von Musik, die nicht schon in bestimmten Entwicklungsstadien oder Stilen pulverisiert worden wäre. Verbote? Never ever, das gibt es grundsätzlich nicht in der Kunst.


    Gänzlich lächerlich aber wird es, wenn wir nun bei "Hold on my heart" mit Stimmführungsregeln kämen. Stimmführungsregeln im Rock? Beileibe nicht. Sollte es den ein oder anderen "gebildeten" Rockmusiker geben, der sich allen Ernstes bewusst um Quintparallelen schert (ich kenne kein Beispiel), würde das nichts daran ändern, dass Rockmusik nun gerade eine Richtung ist, die einer sublimeren Harmonie"lehre" einfach nur den autodidaktischen Stinkefinger zeigen würde.
    Dennoch kann man es natürlich so erleben, dass man Akkordverbindungen in HOMH findet, deren Eigenheiten mit tradierten harmonischen Idealvorstellungen Schnittmengen ergeben. Nur: Das entspricht nicht dem empirisch belegbaren Wesen von Rockmusik. (Hat sich irgendwer von euch jemals beim Songwriting Gedanken um eine "korrekte" Stimmführung gemacht?) Rockmusik unterliegt in aller Regel keiner polyphonen oder meinetwegen auch streng vierstimmigen homophonen Satzweise - es fehlen damit einfach die Voraussetzungen dafür, dass Stimmführungsregeln, die sich in solchen Traditionen gebildet haben, überhaupt wesenhaft relevant sein können.


    Konkret nochmal zu rivanov: Es gibt eben keine Klänge und Klangverbindungen, die per se als "schön" hingestellt werden könnten. Natürlich ist es auch mir nicht verborgen geblieben, dass es weiterhin populär ist, Akkordverbindungen zu konstruieren, die tendenziell tonal nähere Verwandtschaften zeigen (also dem "Prinzip der gemeinsamen Töne" entsprechen). Das aber sind bloße Konventionen, keine ästhetisch normierten "Wahrheiten". Zum einen gibt es Beispiele zuhauf, die diesem Prinzip entgegenstehen (ab dem Impressionismus spätestens wird's ja richtig wild, wenn es darum geht, nur entfernt verwandte Akkorde miteinander zu kombinieren - und da sind wir erst am Anfang der klassischen Moderne). Zum anderen habe z.B. ich überhaupt keinen Bock darauf, nur diese elend ausgelutschten Standardverbindungen immer und immer wieder zu hören. Was für eine Befreiung waren der modale Jazz und der Free-Jazz. Und welche aus einer falsch verstandenen akademischen Sicht "schrulligen" Akkordverbindungen gibt es nicht in der Rockmusik verstärkt ab ca. 1970 - unter anderem bei Genesis. Hä? Die sollen "falsch" sein? Pah. Gibt es nicht.


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