Hallo
Genial, was manchen bei den Konzerten musikalisch so auffällt. Ich kann leider nicht einmal Blockflöte spielen und bin deswegen als Konzertkritiker völlig ungeeignet...
Habe allerdings einen Bericht über das Konzert in der AWD-Hall in Hannover gefunden (Quelle: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 05.02.2007).
ZitatAlles anzeigen9/8-Takt im Märchenwald
Denn alle Lust will Ewigkeit: „The Musical Box“ spielt Genesis in der AWD-Hall Hannover
Von Matthias Schmidt
Wenn Genesis am 23. Juni wieder vereint als Trio in Hannover auf der Bühne stehen wird, weiß man nicht genau, was da kommt. Phil Collins, Tony Banks und Mike Rutherford werden sich eine stadiontaugliche Show ausdenken, es wird schon fett werden, sicher, und sie werden alle Hits bringen, die man aus dem Radio kennt. Im Radio war die Band aber erst, nachdem Peter Gabriel längst ausgestiegen war und die zum Trio geschrumpfte Prog-Rock-Combo bereits beim Pomp-Pop angekommen war. Man kann also sicher sein, dass die epischen, skurrilen, komplexen Genesis-Werke von Anfang bis Mitte der Siebziger im Sommer 2007 keine Rolle mehr spielen werden.
Genau dafür gibt es „The Musical Box“. Die Band aus Kanada rekonstruiert seit 15 Jahren die Musik von Genesis der damaligen Zeit. Akribisch wurden Fotos, Filme und Zeitzeugen ausgewertet, authentische Instrumente zusammengetragen, Masken und Requisiten nachgebaut – und natürlich die Musik, wie man sie von den Schallplatten kennt, exakt einstudiert. Die Band hat dazu sogar die Autorisierung der Genesis-Mitglieder, die mit kopfschüttelnder Bewunderung von ihren Klonen sprechen.
Und so ist es in der AWD-Hall, als wären Peter Gabriel, Steve Hackett, Tony Banks, Michael Rutherford und Phil Collins der Zeitmaschine entstiegen und befänden sich inmitten des märchenwaldartigen Bühnenaufbaus der damaligen „Selling England by the Pound“-Tour. „Watcher of the Skies“ mit seinem mächtigen Orgelintro eröffnet die Show, bevor „Dancing with the Moonlit Knight“ den folgenden Reigen durch das „Selling England by the Pound“-Album eröffnet, abgerundet von der „Musical Box“ (1971), der epischen, furiosen Suite „Supper's Ready“ mit seinem 9/8-Takt (1972) und der Zugabe „The Knife“ (1970).
Denis Gagné gibt den Peter Gabriel des Jahres 1973, einen in bunten Umhängen, engen Kostümen und in phantasievollen Masken steckenden schauspielernden Geschichtenerzähler, der ab und zu auch zur Querflöte greift. Gagné trifft das Timbre Gabriels sehr gut; er steht mal steif am Mikro, mal stakst er exaltiert wie ein Operndarsteller über die Bühne – sicherlich aufführungshistorisch alles in Ordnung. Aber ist das „Hello!“ zum Publikum auch verbürgt? Wird schon.
Sébastien Lamonthe (Rutherford), David Myers (Banks), Denis Champoux (Hackett) und Martin Levac (Collins) zaubern mit Mellotron, Hammondorgel, Rickenbacker-Gitarren, Basspedalen, Leslie-Kabinetten und anderen authentischen Instrumenten die alten Songs ins Hier und Jetzt, dass dem Nachgeborenen, der das alles nur von Platten kennt, schwindelig wird. Das klingt – bis auf allerkleinste Abstriche – wie zu Hause!
Aber das alleine ist es nicht, was die Magie dieses Abends ausmacht und in der AWD-Hall frenetisch bejubelt wird. Es sind die ausgetüftelten Lichteffekte, die projizierten Bühnenbilder, die surrealen Masken und Kostüme, die aus einem Konzert ein synästhetisches Musiktheater machen. Schwer durchgeknallt, very british, psychedelische Fantasy. Als gäbe Terry Gilliam ein Konzert.
Aber warum nur lässt man die Toten nicht ruhen? Warum zieht eine Truppe historisierender Berufsmusiker durch die Welt und lässt Vergangenes wieder auferstehen? Weil alle Lust Ewigkeit will. Weil sich damit Geld verdienen lässt. Und weil diese Musik immer noch der kompositorische und konzeptionelle Höhepunkt der (Prog-)Rockgeschichte ist. Das ist der kleine, große Unterschied zu Genesis 2007.