Heute und an den nächsten Tagen bis einschließlich Sonntag möchte ich euch das nächste Kapitel meiner 80er-Kolumne vorstellen. Da es recht umfangreich geworden ist, habe ich es in 7 Abschnitte aufgeteilt.
Ich mache an dieser Stelle einen kleinen Exkurs - weg von der Popmusik, hin ins Kino. Aber keine Angst, die Popmusik wird dabei auch eine Rolle spielen. Viel Spaß!
Kapitel 79 Genial gescheitert
Oder
David Lynchs Dune wird 40
Ein Meisterwerk! Der beste Science-Fiction Film aller Zeiten! Ein atemberaubendes Kino-Erlebnis!
Der neue, zweite DUNE-Film von Denis Villeneuve hat 2024 sowohl Kritiker, als auch Publikum begeistert. Damit übertrifft Villeneuve nicht nur seinen auch hochgelobten ersten DUNE-Film, sondern steht in auffälligem Kontrast zu David Lynchs DUNE-Verfilmung, die in diesem Jahr ihren 40. Geburtstag feiert. Denn Lynchs Werk gilt heute bestensfalls als ambitioniertes, aber ziemlich durchwachsenes Epos. Autor Max Evry hat im letzten Jahr zu Lynchs Film einen dicken Schmöker veröffentlicht. Das mit unglaublich viel Leidenschaft und Liebe zum Detail verfasste Buch lädt unter dem augenzwinkernden Titel A MASTERPIECE IN DISARRAY zu einer Wiederbegegnung mit dem 84er DUNE ein. Und führt zu der Erkenntnis: Vielleicht ist der Film ja doch besser als sein Ruf. Und definitiv sind die Geschichten rund um diesen Film unterhaltsamer als der Streifen selbst.
Ich habe Evrys Wälzer in wochenlanger Lektüre (immerhin über 500 Seiten auf Englisch) akribisch durchgearbeitet und möchte an dieser Stelle die besten dieser Geschichten erzählen und damit den Film und seine Mitwirkenden ein Stück weit rehabilitieren. Und eventuell auch Lust darauf machen, sich Lynchs DUNE “mit anderen Augen” noch einmal anzuschauen. Alle wörtlichen und sinngemäßen Zitate, die auch aus zahlreichen Interviews stammen, die Evry mit Beteiligten des damaligen Films führte, stammen aus seinem Buch. Zusätzliche Informationen aus dem Kapitel über TOTO entnahm ich Lukathers Autobiografie.
79/I - DUNE ZWISCHEN KUNST UND KOMMERZ
Wer sich mit dem DUNE-Film von 1984 beschäftigt, wird sehr schnell auf die Einschätzung stoßen, dass es sich hierbei weder künstlerisch noch kommerziell um ein gelungenes Ergebnis handelt. Diese Einschätzung bedarf meines Erachtens einer näheren Betrachtung. Beginnen wir mit dem kommerziellen Aspekt.
Als DUNE am 14.12.1984 in die Kinos kam, konnte der Film die an sein Einspielergebnis gerichteten Hoffnungen nicht erfüllen. Am Eröffnungswochenende reichte es am amerikanischen Box Office gar nur zum zweiten Platz hinter Eddie Murphy’s BEVERLY HILLS COP (wobei das sicher einer der besten Filme der 80er ist...) Insgesamt werden für den nordamerikanischen Markt innerhalb von ca. sechs Wochen Gesamteinnahmen von etwa 31 Millionen $ angegeben.
Die Produktionskosten beliefen sich aber inklusive des Werbebudgets nach Schätzung der L.A. Times auf 55 Millionen $. Selbst wenn man die Einnahmen außerhalb Nordamerikas mit berücksichtigt – und in Ländern wie Deutschland waren Presse und Publikumsresonanz positiver als in den USA – muss man anhand der Zahlen vermutlich zu dem Ergebnis kommen, dass der Film (kurzfristig) nicht profitabel war. Das ist zumindest die Bilanz von Universal’s Sid Sheinberg: “Bottom line is it’s just not profitable”.
Dem widerspricht Raffaella de Laurentiis. Sie kenne zwar die Wahrnehmung, dass DUNE seine Kosten nicht eingespielt habe. Sie wisse aber, dass Universal mit dem Film Geld verdient habe (“The movie at Universal is in the green. It did make its money back”). Vielleicht hängen diese unterschiedlichen Darstellungen damit zusammen, wie man profitabel definiert. Bedeutet “nicht profitabel”, dass ein Film Minus machen muss? Oder reicht es, dass er nur nicht genug Gewinn macht? Möglicherweise fließen in Raffaellas positivere Bewertung auch langfristigere Einnahmen mit ein, denn natürlich hat der Film in den vergangenen 40 Jahren für Universal regelmäßig weiter Geld abgeworfen, durch z.B. den Verkauf von Fernsehrechten und Medien für das Heimkino (DVD, Blu-ray ...). Wir können diese Diskrepanz an dieser Stelle nicht auflösen. Aber wir können feststellen, dass dem Film auch heute noch das Stigma eines kommerziellen Flops anhaftet, völlig unabhängig davon, wie viel damit noch verdient werden wird.
Und dass DUNE als Film kommerziell gescheitert ist, ist dann doch in mancherlei Hinsicht bemerkenswert. Warum? Nun, zunächst einmal ist das dem Film zugrunde liegende Buch von Frank Herbert zu einem Bestseller geworden. Manch einer glaubt sogar: Das, was Tolkiens HERR DER RINGE für das Fantasy-Genre ist, ist Herberts DUNE für das Genre Science-Fiction. Nämlich eine absolute Referenz!
Außerdem waren Science-Fiction-Filme Mitte der 80er Jahre unglaublich populär, seit George Lucas 1977 mit dem Start seiner STAR WARS-Reihe nicht nur eine wahre Gelddruckmaschine, sondern quasi einen “Gold Standard” für dieses Genre geschaffen hatte. Und wenn man weiter bedenkt, dass Lucas seine STAR WARS Welt in vielerlei Hinsicht nicht alleine erfand, sondern statt dessen dreisten Ideenklau aus dem Werk Frank Herberts betrieb (Herbert erwog damals sogar eine Klage gegen Lucas und 20th Century Fox), die Ideen aus DUNE also auch kommerziell funktionieren konnten, dann bleibt schon die Frage, wie ein DUNE-Film scheitern konnte.
Last but not least hat Denis Villeneuve 2021 (und noch einmal 2024) grundsätzlich bewiesen, dass man aus DUNE einen Blockbuster fürs Kino machen kann. 400 Millionen $ weltweite Kinoeinnahmen (bezogen auf Teil 1) sprechen da eine klare Sprache.
Wo also genau liegt das Problem des DUNE-Films von David Lynch? Die einfache und etwas unfaire Antwort lautet: Bei David Lynch. Lynch wollte und konnte keinen Film machen, der die Massen in die Kinos lockt. Aber er wäre ganz sicher in der Lage gewesen, einen guten DUNE-Film zu machen. Das wäre natürlich kein Pendant zu STAR WARS geworden, sondern eher ein “Sci-Fi goes Arthouse” Film. Der Film hätte eine ganz eigene Handschrift gehabt, und er wäre als künstlerisch ambitionierte Umsetzung auch vermarktbar gewesen. So sieht es immerhin Paul M. Sammon von Universal: “The biggest missed opportunity? To market the film as a sweeping, serious, slightly psychedelic science-fiction epic, not as a pop fantasy shoot-‘em-up.” Denn eigentlich sei dafür alles vorhanden gewesen: das Buch, eine Zielgruppe und David Lynchs Vision für die Umsetzung.
Okay, vielleicht ist es dann doch nicht so einfach. Hätte man Lynch alleine entscheiden lassen, dann hätte er eine 4-Stunden-Fassung von DUNE in die Kinos gebracht. So lang war nämlich die erste Fassung, die er herstellte. Aber wer guckt sich schon einen so langen Film an? Es war also notwendig, dass gekürzt wurde. Als nächstes entstand eine Fassung, die bei ca. 3 Stunden lag. Aber auch das war Dino de Laurentiis und Universal zu viel. An diesem Punkt hatte Lynch dann nicht länger die Kontrolle. Production Office Assistant Craig Campobasso erinnert sich: “I remember Dino coming in ... Dino is standing there looking at it going, “Good ... cutta cutta cutta ...” I would see David’s face ... like, “Oh my God, he’s just chopping my thing to pieces.”
Was letztlich im Kino landelte, ist eine arg verstümmelte Version der Lynchen Fassung. Und dass diese Fassung dann für den Zuschauer schwer verständlich ist, weil sie Handlungen teilweise stark zusammenrafft oder bestimmte Handlungsstränge komplett rausschneidet, liegt auf der Hand. Ebenso ist verständlich, dass Lynch diese Fassung verabscheut. Ja, seine Verachtung könnte kaum größer sein, wenn er sagt, dass er auf alles, was er gemacht hat, stolz ist – außer auf DUNE. Und sein Leid könnte kaum größer sein, wenn man erfährt, dass er nach der Beendigung des DUNE-Fiaskos kurz vor einem Selbstmord stand (“Towards the end of Dune, I probably would have ... eh, I might have committed suicide if it weren’t for Transcedental Meditation.”). Es war aus künstlerischer Sicht unverzeihlich, dass man David Lynch nicht die Möglichkeit gab, einen Director’s Cut zu machen. Da ist es fast schon eine Ironie des Schicksals, dass DUNE David Lynchs erfolgreichster Film ist und wohl auch bleiben wird.
Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Wir müssen also bejahen, dass DUNE in seiner 84er-Kinofassung nicht nur kommerziell (mit Blick auf die Profiterwartungen der Kinomacher), sondern auch künstlerisch (mit Blick auf die klare Distanzierung von David Lynch) irgendwie gescheitert ist. Ein kleines Trostpflaster gibt es: “I know it’s become kind of a cult movie here in the United States”, meint David Paich. Ein Kultfilm also immerhin. Das ist doch auch etwas.
Die Frage ist: Lässt sich aus diesem Ergebnis wenigstens etwas lernen? Zumindest Denis Villeneuve hat eine Menge gelernt, indem er zwar seine Bewunderung für David Lynch äußerte (“one of the best filmmakers, I have massive respect for him”), aber auch klar kundtat, mit seinen Filmen etwas Eigenes schaffen zu wollen (“It will not have any link with the David Lynch movie”). Und vielleicht war der Plural im letzten Satz die wichtigste Lehre aus Lynchs DUNE-Desaster. Denn Villeneuve verteilte die Erzählung, die Lynch in 137 Minuten quetschen musste, auf zwei Filme mit insgesamt mehr als doppelt so langer Laufzeit. Das Ergebnis scheint ihm – kommerziell und künstlerisch – recht zu geben.
Regisseur Robert Eggers (THE WITCH, THE NORTHMAN) machte daraus gleich eine goldene Regel für alle Filmemacher, damit sie Herr über die eigenen Entscheidungen bleiben mögen: “I’m not going to be DUNED!”
Fortsetzung folgt...