Eine Frage des Stils - und der Qualität

  • Das hier ist ein wenig Off-Topic aber ich muss es dennoch mal loswerden:


    Nach dem ganzen Tumult der Genesis Reunion Verrisse von manchen Leuten hier im Forum und meinem insgesamt wahrgenommenen Eindruck merke ich immer mehr, dass ich als Musikkonsument wohl immer weniger in dieses Forum hier passe: ich höre von Jazz über Klassik, Pop bis Rock eine sehr große Bandbreite von Musik. Jedoch höre ich bei manchen Forum-Mitgliedern eine extreme Starre in dem was "gute Musik" ausmacht, und andererseits nehme ich extrem theoretische Ansätze von Musikbewertungen wahr, die sich aber seltenst auf wirkliche Musikanalysen beziehen sondern oft auf Lyrics (ist ja auch leichter zu verstehen als Harmonie oder Akkordfolgen). Manchmal aber reicht natürlich einfach nur das beim Hören empfundene Gefühl aus, um Musik als "gut" oder "interessant" einzustufen.


    Beispielsweise steht das neue Coldplay Album hierfür, dass man ja durchaus als "anders" und "nicht nach dem eigenen Geschmack" bewerten kann, aber irgendwie geht mir auch nicht in den Kopf, dass hier Songs wie Follow You Follow Me als "kein großer Wurf" dargestellt werden. Ich frage mich, ob die Leute welche diese Popsongs nicht so mögen, mitbekommen haben, dass Genesis hauptsächlich Poplieder schreibt, seit immer schon, nur wurden diese in der zeitgenössischen Mode der 70er für ein paar Jahre lang in progressivrockige Kleider gesteckt: damals war der Stil halt in, aber danach war er es nicht mehr.

    Ähnlich bei Coldplay: Ende der 90er Anfang 2000er war noch ein Nachhall von Alternativrock/Britpop in der Musik, diesen Einfluss konnte man übrigens gar auf einem Album wie Crush von BonJovi (ein gutes Album) raushören.

    Klar muss man nicht alles mögen, aber ich wundere mich doch, wie schwer es manchen Forum-User fällt, objektive Qualität einer Melodie/Komposition wahrzunehmen, ohne zuviel des eigenen Geschmacks reinzulegen.

    Beim neuen Coldplay Album wurde sich offenbar extreme Mühe bei der Produktion gegeben, und das Album hat immer noch ein Konzept, und dann stellt jemand in Frage warum sich die Tickets immer noch gut verkaufen? Vielleicht weil sie schon mindestens 7 gute/sehr gute/fantastische Alben vorher komponiert haben und das genug Grund ist, ein Konzert einer solchen Band zu besuchen? Übrigens sieht allmusic das Album auch als überaus gelungen an.

    Ein BMW mag einem vom Stil her nicht gefallen und man tendiert eher zum Design von Mercedes oder Audi, aber diesen Autos die Qualität abzusprechen, wär doch ein bisschen arm oder? Warum fällt es uns bei Musik so schwer, objektiv zu sein?

    Einmal editiert, zuletzt von rivanov ()

  • Ich denke, du versuchst zu sehr, deinen persönlichen Geschmack als Maßstab für objektive Qualität zu nehmen.

    Das kann aber nicht funktionieren.

    Gerade beim neuen Coldplay-Album dürfte es bis auf Coloratura schwer fallen, zu benennen, was daran "objektiv gut" sein soll. Natürlich ist die Produktion professionell.

    Aber sonst?

    Ne, sorry, dir kann diese Musik gerne gefallen, aber "objektiv gut" ist das nicht. Vom objektiven Standpunkt her eher schon einfallslos.

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

    "Von jedem Tag will ich was haben

    Was ich nicht vergesse

    Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne

    Ein Schlag in die Fresse"

    • Offizieller Beitrag

    Ich glaube, rivanov hat einen anderen Punkt - und das fällt auch oft auf. Musik ist einerseits immer Geschmackssache. Andererseits fällt mir bei Prog-Fans oft auf, dass sie sich anderen Stilen gegenüber "überlegen" fühlen, weil sie ja die "bessere" Musik hören. Das ist bei Genesis im Kern auch der Zwist zwischen der Hackett-Ära und dem was danach passierte.

    Ich bin selbst kein Musiker, mir ist das meist völlg Pumpe. Ich halte aber beispielsweise Supper's Ready für total überbewertet, da es aneinandergereihtes (zugegebenermaßen gutes) Stückwerk ist - und ich halte Dreaming While You Sleep für völlig unterbewertet, weil dieses Stück eine perfekte emotionale Dramaturgie hat und edel arrangiert und produziert ist. Beide Meinungen von mir reagieren ja gewissermaßen auf die gängigen "mainstream-Meinungen", von der ich dann abweiche.


    Spricht man mit Musikern, dann sind auch spätere Sachen von Collins oder Genesis gar nicht mehr so "einfach" oder "seicht", wie sie gern beschrieben werden. Trotzdem weiß ich nicht, ob es bei Musik eine "objektive Meinung" gibt. Allerdings würde es allen helfen, wenn man Musik, die man nicht mag oder zu der man keinen Zugang hat, nicht pauschal als unterlegen oder schlecht bezeichnet.

  • Musik ist zu einem grossen Teil Geschmackssache. Der Geschmack ist abhängig davon, was man kennt, womit man sich auseinandersetzt, zum Teil sicher auch Bildung und Intellekt einer Person, das Umfeld und von den Leuten , die einem etwas nähergebracht haben (Eltern, Vorbilder, Lehrer, usw.).


    Aber wer bestimmt jetzt was 'objektiv' gut ist. Wir sind doch alle subjektiv.

    Zy
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    "The music is the true currency. It's more valuable than the accolades or the money. The relationship is with the invisible muse and you know if she's pleased or if she ain't." - Steve Hackett

  • Ich gehe mit Christian und Zy mit. Ich möchte noch den Faktor Zeit hinzufügen. Zeit als Zeitalter und Lebenszeit. Als ich mit Musik hören begann, neigten sich die 70er Jahre dem Ende entgegen. Ich wurde vom Geschmack, Wissen von Freunden geprägt. Das war dann Prog, Krautrock und AOR, oder Mainstream. Meine Liebe zu ABBA hab ich versteckt. Dann kam New Wave und meine Kumpels verteidigten die Ehre des Progs. Meine Güte haben wir Diskussionen geführt. Genesis goes Pop, Yes goes Mainstream, und PG goes Wave. Verräter allesamt! Nein, es war eine notwendige Entwicklung. Ich löste mich von stagnierenden musikalischen Formen (wer hat das doch gleich geäußert?), blieb aber meiner Heimat treu. Genesis! Mit deren Entwicklung konnte ich mich jedoch damals nicht so anfreunden, konnte die Allgegewart von PC Solo und dann Trio kaum noch ertragen. Die Band und ihre Musiker sind jedoch viel mehr als das. Sie gehören zu meiner Lebenszeit, auf die ich fast sechzigjährig zurückblicke. Milde geworden gefallen mir nun auch die Veränderungen der Band. Ich habe Kinder, die ihre Musik hören und mich zum Glück bewegen, immer noch über den Horizont zu gucken. Aktuell heißt das z. B. Billie Eilish und 21 Pilots. Musik ist die Kunstform, die uns Menschen am meisten berührt, trotz Kommerzialisierung, trotz Digitalisierung. Das heißt aber auch, das sie extrem subjektiv wahrgenommen wird. So streiten wir dann eben hier im Forum. Gut so! Nur, bitte nicht den Geschmack anderer User, oder die Musiker diffamieren. Ich weiß, die Grenze der Frotzelei zu Beleidigung ist sehr durchlässig, aber auch die von belustigt zu beleidigt sein. Da müssen wir darauf achten. Haben dafür ja auch die Mods und Admins. Was wollte ich sagen? Ach, nehmt die Kiste nicht so ernst und steckt nicht alles in deren Schubladen.

    P. S. Also, Christian, aber das mit Supper´s Ready klären wir mal bei einem Bier, oder zwei…Diese Traummusik dauert ja recht lang.;)

  • Musik zu bewerten ist immer schwierig. Man kann hunderte von Kriterien auswählen ,wenn man will. Aber man kann das auch lassen. Man kann nach Kopf oder Bauch entscheiden, sagen beide ja dann ist es wohl " objektiv" gute Musik. Das wäre schön wenn es so einfach wäre. Ist jetzt ein komplexes Stück gute Musik ? Nein muss es nicht, nur weil es komplexe Musik darstellen will ( darin unterscheiden sich mMn Genesis von vielen New prog- Bands...und die gefallen mir oft dann nicht).

    Vielleicht sind die technisch super produziert worden, aber sprechen einen nicht an. Technisch ist eben technische Qualität, das sagt noch lange nichts darüber aus ob sie ," inhaltlich" einen " hohen" Standard geschmacklich bietet. Denn oft ist auch eben weniger mehr.

    Um über Follow you follow me zu reden...war ich sehr überrascht,daß Genesis so einen beschwingt schönen mit Leichtigkeit versehenen Song schreiben konnten. Das hatte ich Ihnen nicht zugetraut. Ich dachte damals als die Platte rauskam die könnten nur Prog Artrock oder Rock spielen.

    Ich dachte: Cool..die können auch einen tollen Popsong " aus dem Ärmel schütteln". Er ist aber nicht aus dem Ärmel geschüttelt sondern raffiniert und sprach viele Leute an. Also hatte er etwas.

    Erst war ich auch enttäuscht so einen Song auf der Platte zu finden. Aber dann dachte ich mir, cool...warum nicht, er macht mir Spaß.

    Als er dann tausendfach im Radio lief, nervte mich diese Tatsache und ich hörte ihn jahrelang nicht mehr. So war es auch bei Peter mit Solsbury Hill.


    Lieber @ rivanov ( don't worry) du bist hier genau richtig. Wir brauchen Meinungsvielfalt und verschiedene Ansichten. Das macht ja gerade den Spaß aus. Es wäre uns allgemein geholfen, wenn der eine nicht dem anderen vorschreibt wie er Musik begreifen soll. Denn keiner ist hier Gott. Auch ich nicht. Amen.

    Dam di dam di dam dam.......:huhu:

  • Hi Rivanov,


    klar bist du hier richtig, wahrscheinlich fehlt nur der entsprechende Thread. Mir ist etwas in der Richtung noch nicht aufgefallen.

    Bewertung unter kompositorischen Gesichtspunkten oder ähnliches.


    Mach einen Thread auf...so wie du es gerne haben würdest, fände ich gut, auch wenn ich selber da nicht viel mitreden könnte.


    Stay tuned


    Gruß


    CM


    P.S. Kennst du "the Daily Doug" (classical composer reacts to...)

    "Ich glaube, dass sich mein Standpunkt, nachdem ich die Band verlassen habe, nicht dramatisch geändert hat.(...).

    Aber ich bin immer stolz darauf, was ich tat und was sie taten"

    Peter Gabriel

  • Na klar gehörst Du in dieses Forum, rivanov !
    Gerade wegen dem, was Du hier geschrieben hast, gehörst Du dazu.

    Musik ist nicht nur Geschmackssache, sondern - zumindest bei mir - auch abhängig von Tagesform und Stimmung. Bis auf Schlager, Free Jazz und 12-Ton-Musik höre ich fast alles.

    Ich habe die Kommentare von Christian, Zy, Chandelier und justplay gelikt (off topic: gruseliges Wort) und das weil ich es nicht besser ausdrücken kann.

    Ok, der Bemerkung von Christian wegen Supper's ready kann ich nicht zustimmen. Für mich kann das Stück gar nicht überbewertet sein, aber auch das ist natürlich nur meine Meinung und die muss von niemand geteilt werden.

    it's one o'clock and time for lunch ...:kaffee:

    Einmal editiert, zuletzt von many2many ()

  • Zitat von Rivanov

    Ein BMW mag einem vom Stil her nicht gefallen und man tendiert eher zum Design von Mercedes oder Audi, aber diesen Autos die Qualität abzusprechen, wär doch ein bisschen arm oder?

    Ich entsinne mich noch gut an den 316er Kombi meines alten Herren. Da gehörten die Rücklichter nicht mit zur Heckklappe, sondern blieben frohgemut unten, wenn man die Klappe öffnete. Resultat: Lächerlich hohe Ladekante und damit als Kombi eine Fehlkonstruktion.


    Zum Thema: Mir war schon immer sehr egal, was andere von der von mir präferierten Musik halten. Ich käme wohl auch nicht auf die Idee solche Gedanken wie „Das ist eine objektiv tolle Melodie bzw. Komposition, aber sie gefällt mir nicht“ zu backen. Ich arbeite nicht beim TÜV. ;)


    Zitat von Christian

    Ich halte aber beispielsweise Supper's Ready für total überbewertet, da es aneinandergereihtes (zugegebenermaßen gutes) Stückwerk ist

    Für diese Aussage allein gehört der Musikgeschmacknobelpreis eingeführt. :mrgreen:

    Niveau sieht nur von unten aus wie Arroganz.

  • :nanana: Herma! Habe schon eine gemütliche Diskussion mit Dir und Christian bei gutem sächsischen Bier vor Augen. Vielleicht kommt noch der Charlie dazu, aber da landen wir wohl zu schnell beim Fußball und da könnte es hoch her gehen, oder?