Guter Rat? Wenn mitdenkende Mitmenschen nerven

  • Die Waffen sind limitiert: Man darf nicht in den Magen boxen, in's Gesicht springen, das Knie in den Schritt rammen, Kopfnüsse verteilen. Nicht mal Anranzen, denn in der Öffentlichkeit fällt einem auch das meist wieder auf die Füße. Was tun gegen ungebetene oder nervige Ratschläge?


    Jeder hat so seine eigenen Empfindlichkeiten. Mein Cousin dreht ab, wenn er DIY handwerkert und aus der Küche Anweisungen bekommt. Bei mir geht mein Karma-Konto öfter mal ins Minus, weil ich jemanden anraunze, der es eigentlich doch nur "gut gemeint" hatte. Meistens, wenn ich vollbepackt in einen Bus steige oder wenn die Elektronik der komplizierten Zugtoiletten streikt. Sofort stellen sich meine Nackenhaare auf, denn eines ist sicher - unweigerlich prasseln im selben Moment von schräg hinten "gute Ratschläge" auf mich ein wie "drücken Sie doch mal den grünen Knopf".


    Abhängig vom angestauten Stresslevel dreht sich gelegentlich der Hulk in mir um (ich bin da machtlos, verziehe mich ins Unterholz) und faucht die Ratschläger an: Denken Sie ernsthaft, ich WEISS DAS NICHT? (Naja, in etwas anderen Worten.)


    Gestern nacht - Sylvester - war es wieder mal so weit. Wir wollten per Bahn von einem Feuerwerk wieder heim. Während des Events hatten wir alle Spaß, während sich zwei unserer Begleiter in eine Debatte über Verbesserungsvorschläge vertieften. Die Rückfahrt im Gedränge mit den üblichen stressigen Randproblemen. Dann ruckelt in der Bahn die stark frequentierte Toilettentür verdächtig. Als meine Freundin endlich drankommen soll, streikt die Elektronik. Unsere Verbesserer sofort aktiv, mit (völlig nutzlosen) Standards wie "drück mal den grünen Knopf..." und - NEEEIIIN - einer zieht sogar an der elektronischen Tür (was sie noch mehr kaputt macht). Schnaub. Zum Glück reagiert meine Freundin ganz süß und löst alles mit einem lockeren Spruch und Lachen auf, weil sie sieht, dass mir grad wieder unsichtbare Dampfwolken aus den Ohren schiessen.


    Wäre sie nicht dabeigewesen, wäre mein Hulk explodiert. Mitunter reagiere ich über. Das liegt an Erfahrungen: (1) Die Ratschläger haben oft nicht kapiert, wo das Problem liegt. Sie plappern sofort los, nehmen sich nicht die Zeit, die Ausgangslage zu checken oder ihren Ratschlag zu Ende zu denken (2) Die Anpacker haben oft nicht die skills/Fähigkeiten, die in dem Moment erforderlich wären. Unabgesprochenes Zupacken verursacht oft Folgeprobleme. Da wird mechanisch an elektronischen Türen gezogen, tausendmal auf Fahrstuhlknöpfe gedrückt. (3) Die Ratschläger wollen gelobt werden für ihr Mitdenken. Ich finde Hilfsbereitschaft wundervoll und unterstützenswert. Fragwürdig nur, wenn sie zum Selbstzweck wird. Solche "ach ich bin so hilfsbereit"-Leute können auf Jahre stockbeleidigt sind nach unwirschen Reaktionen.


    Mein diplomatischer Sohn ist mit integrierter Display-Schutzfolie ausgestattet und quittiert jeden Ratschlag (ob von mir oder Kunden) mit einem freundlichen, super zuvorkommenden "oh danke, das ist eine tolle Idee, werd ich ausprobieren" (uuund ab..). Alle sind glücklich und die Welt dreht sich weiter ohne zu knirschen.


    (Haha, anscheinend besteht meine eigene innere Rache darin, im Gegenzug anderen Leuten Ratschläge zu erteilen in vermeintlichen Problemen, die ich selbst nicht ganz durchblicke :P Aktuell hab ich völliges Verständnis dafür, wenn meine Ratschläge z.B. manchmal dem Admin die Wutwolken aus der Nase fauchen lassen.)


    Genesis bekam 1968 von vielen Seiten Ratschläge wie "versucht's doch mal mit Musik, zu der man tanzen kann" oder "wie wäre es mit BeeGees?" Diplomatisch nutzten sie die am wenigsten tödlichen Teile der Tipps und bauten Silent Sun. Hat ihren Seelen nicht geschadet und der Karriere genützt.


    Welche Art der Ratschlags-Erteilung nervt Euch? Wie geht Ihr damit um?


    ...

    9 Mal editiert, zuletzt von Get-in-to-get-Out () aus folgendem Grund: ... ein frohes neues Jahr an alle Freunde, die meine Temperamentsausbrüche und/oder meine Undankbarkeit freundlich wegstecken

  • Das kenne ich sehr gut.
    Für mich gibt es da 2 generelle Situationen. Ein Ratschlag ins Blaue hinein oder einer beim Erkennen oder der Bitte, verbal oder non-verbal, um Beistand.


    Vor allem Punkt 2 ist häufig doch sehr nervig, da es meist damit endet, dass man das Gefühl, wenn auch gut gemeint, bekommt selber schuld und dumm zu sein. Der Punkt ernstnehmen oder einfühlsam sein entfällt vollständig. Es wird nur mitgeteilt warum das kein Problem ist und es eine ganz einfach Lösung gibt. Ich habe einen Menschen der das perfekt macht. Er sagt dann immer den entwaffnenden Satz „mach es doch einfach richtig!“. Damit ist alles superkonzentriert und zusammengefasst. Weh tun solche Dinge erst mal bei den Freunden und Beknnten oder der Familie, dort wo die Schutzschilde meist unten oder auf Low sind. Aber die Jahre lassen das auch in der freien Natur zu Verletzungen führen. Irgendwann ist dann entweder Hulk oder das „ich bin halt schlecht“ angesagt.


    Ich versuche immer wenn jemand Hilfe möchte oder ich das Gefühl bekomme diese wäre nötig den anderen zu akzeptieren wie er gerade ist und ihm einen sicheren Hafen zu geben. Wo alles sein darf, es keine Beurteilung von wegen „schlimmes Problem oder empfindlich“ gibt. Bei Menschen die negativ sauer sind muss man oft etwas warten und dann werden sie nach dem ersten Frust oft wieder konstruktiv kritisch. Ich mag es für mich selber auch nicht wenn ich bei einem emotionalen oder auch handfesten Problem gleich mit Wertungen und Lösungen bombardiert werde, sondern zuerst mal emotional oder physisch in den Arm genommen werde.


    ME