Unsere Achtziger: Eine Würdigung des besten Musikjahrzehnts aller Zeiten

  • Here we go again...


    Kapitel 14 Per Anhalter durch die Funkanstalt

    ODER

    Level 42


    Obwohl das Klavier mein erstes Instrument ist (die Blockflöte habe ich bei dieser Betrachtung einmal ausgeklammert), spiele ich jetzt auch schon seit über 30 Jahren Bass. Und mit Blick auf die zahlreichen Bands, in denen ich eben so lange Musik mache, gilt fast uneingeschränkt: Ich habe dort immer Bass gespielt, nie Keyboards. Eine durchaus interessante Feststellung. Bleibt die Frage: Wie bin ich eigentlich auf den Bass gekommen? Die Antwort scheint sehr simpel zu sein. Ohne Bass keine Band!


    Meine ersten Gehversuche als Bandmusiker starte ich in der Tat an den Tasten. Die Bassparts spiele ich dabei mit der linken Hand. Der schwächliche Keyboardamp (made in Klingenthal / DDR) macht jedoch überhaupt keine gute Figur. Irgendwie fehlt den Songs einfach das Fundament. Ein Bass muss her, samt Verstärker. Papa zeigt sich einmal mehr als großzügiger Sponsor meiner musikalischen Ambitionen. Im Musikhaus Horn in Siegen erstehe ich für ca. 600 Mark einen roten Ibanez Roadstar II, welcher mir 30 Jahre lang treu zu Diensten sein wird.


    Aber natürlich ist meine Entscheidung für den Bass nicht nur aus der Notwendigkeit heraus geboren. Die weit verbreitete Annahme, er sei ein langweiliges Instrument (und sein Besitzer ein Langweiler), betrachte ich schon damals als widerlegt. Als Klavierspieler weiß ich um die Macht der tiefen Töne: Die Änderung eines einzigen Basstons kann die Balance eines ganzen harmonischen Imperiums aus dem Gleichgewicht bringen – oder umgekehrt eine Dissonanz begradigen. Bassläufe sind der Kit, der das rhythmische Gefüge aus Akkorden und Beats zusammen hält. Und ein guter Bassist macht stets den Unterschied zwischen einer „netten“ Band und einer supermegaaffengeilen.


    Der Sänger mag haufenweise Mädels aufreißen, der Gitarrist die Zuschauer schwindelig spielen und der Drummer auf dem höchsten Punkt der Bühne thronen – aber sie alle brauchen den Mann am Bass. Für den Groove und zur Erdung ihrer Egos.

    Selbstverständlich benötigt ein junger Nachwuchsbassist Vorbilder. Und dazu taugen nun einmal gerade solche, die sich nicht ausschließlich im Hintergrund bewegen, sondern sich auch als Bandleader und Songwriter hervortun. In den Achtzigern sind dies für mich vor allem Sting, Mike Rutherford, Richard Page (Mr. Mister) und natürlich der König der vier Saiten: Mr. Mark King. King ist Bassist und Frontmann der britischen Band Level 42, die sich einem unwiderstehlichen Mix aus Funk, Fusion und Pop verschrieben hat.


    Meine erste Begegnung mit King und seinen Mitstreitern findet im Wohnzimmer meiner Eltern statt. Im ZDF (oder auf einem der beiden anderen empfangbaren Sender) wird ein Live-Konzert von Level 42 übertragen. Ich erinnere mich noch recht genau an diesen Moment, weil ich nicht verstehe, was King da macht. Anstatt die Saiten „ordentlich“ mit Zeige- oder Mittelfinger zu zupfen, drischt er wie ein Wahnsinniger mit dem Daumen auf sie ein. Sieht ziemlich irre aus. Klingt aber ziemlich genial, denn der dabei entstehende Ton hat einen unglaublich prägnanten und perkussiven Sound, der mich sofort gefangen nimmt. Und King spielt scheinbar mühelos komplizierte, aber immer songdienliche Basslinien. Dieser Mann ist ein Zauberer, dessen Magie ich verstehen und erlernen muss.

    Also ran an die Musik!


    Meine erste LP von Level 42 ist TRUE COLOURS (1984), und es avanciert über die Jahre zu meinem Lieblingsalbum. Es ist das vierte Werk der Musiker, eine gelungene Reifeprüfung mit ersten kommerziellen Andeutungen (HOT WATER). Gleichzeitig besticht es durch eine tolle Ausgewogenheit. Kings Bass mag das auffälligste Merkmal sein, aber auch die anderen Musiker bekommen den Raum, der ihnen zusteht und ihre ganze Klasse zeigt. Die Keyboards von Mike Lindup und Dauergast Wally Badarou klingen unglaublich abwechslungsreich. Boon Goulds Gitarre war niemals präsenter, und das Drumming von Phil Gould beweist, warum dieser Mann zu den vielleicht am meisten unterschätzten Schlagzeugern gehört. Dazu acht starke Songs ohne Ausfall. Und dann die gelungene Produktion, dieses differenzierte Klangbild, in dem jedes Instrument klar auszumachen ist. Hut ab!


    Kurze Zeit später setzen die Jungs dann gleich zwei starke Duftmarken. WORLD MACHINE (1985) ist die konsequente Fortsetzung der Studioarbeit von TRUE COLOURS und enthält mit SOMETHING ABOUT YOU und LEAVING ME NOW erstmals auch kleinere Hits. Und A PHYSICAL PRESENCE aus dem gleichen Jahr ist für mich eine Referenz für Live-Alben insgesamt und ein energiegeladener Rückblick auf das musikalische Werk der Band bis zu diesem Zeitpunkt.

    Auf dem Weg nach Österreich, wo die jährliche Skifreizeit der Klasse 10 stattfindet, nötige ich den Busfahrer dazu, meine Klassenkameraden mit dieser Musik zu beschallen. Ich ernte keinerlei Widerspruch, aber jede Menge ratlose Gesichter. Egal, ich habe Spaß.


    Spätestens zu diesem Zeitpunkt hat sich die Band bei mir den Status einer Lieblingsband erspielt. Ich arbeite mich in der Diskografie zurück bis zu ihrem wirklich beeindruckenden Debut (1981) mit so großartigen Songs wie STARCHILD oder dem Fusion-Spektakel HEATHROW.

    Dann kommt das Jahr 1986. Mark King gibt sich nicht länger mit der Bassistenkrone zufrieden, er möchte auch den Popthron erobern. Mit der Single LESSONS IN LOVE (1986) und dem ein Jahr später erscheinenden Longplayer RUNNING IN THE FAMILY (1987) meistert er diese Prüfung. Die ratlosen Gesichter meiner Mitschüler wandeln sich in wissende. Und jeder musikalisch Halbgebildete brüstet sich damit, definieren zu können, was mit „Slapbasstechnik“ gemeint ist.


    Wer RUNNING IN THE FAMILY aufmerksam hört, wird über die anschließende Bandkrise kaum verwundert sein. Der Weg in den Mainstream ist gepflastert mit musikalischen Kompromissen, die Boon und insbesondere Phil Gould mehr und mehr zuwider sind. Beide steigen aus. Jahre später verrät der ehemalige Drummer, dass die Schlagzeugspuren zu LESSONS IN LOVE komplett am Computer programmiert wurden.

    King und Lindup veröffentlichen mit wechselnden Besetzungen noch bis Mitte der 90er weitere Level 42-Alben. Von diesen kann lediglich FOREVER NOW (1994) an alte Glanztaten anknüpfen, was sicher auch der einmaligen Rückkehr von Phil Gould zu verdanken ist.


    Mein eigenes Bassspiel erreicht übrigens nie die Qualität des Königs. Vielleicht fehlt es an Talent, ganz sicher an Fleiß. Ungeachtet dessen beherzige ich heute beim Schreiben und Arrangieren stets die wichtigste Lektion, die mich Herr King gelehrt hat: Auch der Bass ist ein Melodieinstrument.


    Definitives Lineup

    Mark King – bass and vocals

    Mike Lindup – keyboards and vocals

    Boon Gould – guitars

    Phil Gould – drums


    Gegenwart

    Level 42 touren immer noch regelmäßig durch Großbritannien und machen gelegentlich auch Abstecher im benachbarten Ausland.


    Weiterhören und Ansehen

    Starchild

    https://www.youtube.com/watch?v=mcAcnp6d9wM

    Heathrow (live)

    https://www.youtube.com/watch?v=O5DbELKpX_s

    Hot water

    https://www.youtube.com/watch?v=0Phxpws87WE

    Something about you

    https://www.youtube.com/watch?v=zpdQQoc-gkk


    Lieblingsalbum

    True Colours


    Demnächst

    Kapitel 15 von „Meine Achtziger“ heißt Der Schatten des Erfolgs

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

    "Von jedem Tag will ich was haben

    Was ich nicht vergesse

    Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne

    Ein Schlag in die Fresse"

    Einmal editiert, zuletzt von mutzelkönig ()

  • aaah... Level 42, endlich eine Band aus dem von mir verhassten Jahrzent, die ich immer noch fast uneingeschränkt mit Genuss hören kann.
    Mit den bisher besprochenen Artisten kann ich nichts mehr anfangen, mit Ausnahme von Gary Moore, aber der ist auch kein typischer Vertreter der 80er.

  • Here we go again...


    [FONT=Arial, sans-serif]Kapitel 14 Per Anhalter durch die Funkanstalt[/FONT]
    [FONT=Arial, sans-serif] ODER[/FONT]
    [FONT=Arial, sans-serif] Level 42[/FONT]
    (...) Bleibt die Frage: Wie bin ich eigentlich auf den Bass gekommen? Die Antwort scheint sehr simpel zu sein. Ohne Bass keine Band!(...)
    Die weit verbreitete Annahme, er sei ein langweiliges Instrument (und sein Besitzer ein Langweiler), betrachte ich schon damals als widerlegt. Als Klavierspieler weiß ich um die Macht der tiefen Töne: Die Änderung eines einzigen Basstons kann die Balance eines ganzen harmonischen Imperiums aus dem Gleichgewicht bringen – oder umgekehrt eine Dissonanz begradigen. Bassläufe sind der Kit, der das rhythmische Gefüge aus Akkorden und Beats zusammen hält. Und ein guter Bassist macht stets den Unterschied zwischen einer „netten“ Band und einer supermegaaffengeilen. [/FONT](...)


    Irgendwann in den 80ern hörte ich im Radio "Dune Tune"
    https://www.youtube.com/watch?v=5fK3AzA3YbI
    und es war eines der wenigen Stücke, die ich außer "The Fish" (YES) kannte, mit dem Bass als Haupt- und Melodieinstrument. Toll! Ich habe es versucht nachzuspielen, war aber nicht konsequent dabei. Damals waren Level 42 noch nicht bekannt. Die LP habe ich immer noch. Mit zunehmendem Erfolg verschwanden diese kleinen instrumentalen Fingerübungen wie "Dune Tune" leider, aber der Pop von Level 42 war für mich auch in Ordnung.


    Was die Begründung für das Für und Wider bei Bassisten angeht, empfehle ich:
    Patrick Süßkind - Der Kontrabass
    https://www.amazon.de/Kontraba…s=s%C3%BCskind+kontrabass


    Ansonsten bin ich nicht ganz deiner Meinung, was den Kit im Bandgefüge ausmacht. Ein guter Bassist (w/m) hebt die Qualität, aber ein schlechter Bassist kann im Bandgefüge kaschiert werden. Für mich ist ein guter Drummer (w/m) aber viel wichtiger, weil sein Timing und Arrangements die gesamte Band beeinflussen. Eine Band ist nur so gut wie der Drummer.

    Gedankenrauschen – Da geht noch was!

    2 Mal editiert, zuletzt von pealmu () aus folgendem Grund: Bass vs. Drums

  • Irgendwann in den 80ern hörte ich im Radio "Dune Tune"
    https://www.youtube.com/watch?v=5fK3AzA3YbI
    und es war eines der wenigen Stücke, die ich außer "The Fish" (YES) kannte, mit dem Bass als Haupt- und Melodieinstrument. Toll!


    Vielleicht waren die Achtziger sogar das beste Jahrzehnt für den Bass.
    Es gab nämlich im Pop zahlreiche Versuche, das Instrument aus seinem Hintergrunddasein zu führen. Bei Spliff durfte der leider zu früh verstorbene Manne Praeker gleich bei mehreren Singles (!) ein kurzes Basssolo einstreuen. Wo gibt es das heute noch?


    Selbst der Bassist von Nena stand zeitweilig mehr im Fokus als Keyboarder und Gitarrist.
    Man überzeuge sich selbst:


    https://www.youtube.com/watch?v=itqTWqu7pLA


    Die damals verbreitete (und vielleicht in Teilen überstrapazierte) Slapbasstechnik sorgte ebenfalls dafür, den Bass hörbarer werden zu lassen. Hört man heutzutage in Pop und Rock auch nur noch selten.


    Heute, 30 Jahre später, ist der Bass eines der Instrumente, die vermutlich im musikalischen Aufnahmeprozess zunehmend verschwinden werden. Kann man mittlerweile alles ziemlich authentisch am Keyboard imitieren. Steve Hackett lässt grüßen...:rolleyes:

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

    "Von jedem Tag will ich was haben

    Was ich nicht vergesse

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    Ein Schlag in die Fresse"

  • Ansonsten bin ich nicht ganz deiner Meinung, was den Kit im Bandgefüge ausmacht. Ein guter Bassist (w/m) hebt die Qualität, aber ein schlechter Bassist kann im Bandgefüge kaschiert werden. Für mich ist ein guter Drummer (w/m) aber viel wichtiger, weil sein Timing und Arrangements die gesamte Band beeinflussen. Eine Band ist nur so gut wie der Drummer.


    Nun gut, mein Artikel war da aus einer etwas "basslastigen" Perspektive heraus verfasst.
    Du hast recht: Ein schlechter Drummer fällt sofort deutlich negativer auf als ein schlechter Bassist.


    Zur Regel "Eine Band ist nur so gut wie der Drummer". Stimmt in sehr vielen Fällen, aber mir fallen auch spontan zwei Ausnahmen ein: The Beatles und Queen. Die waren m.E. beide deutlich besser als ihre Drummer.

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  • Zur Regel "Eine Band ist nur so gut wie der Drummer". Stimmt in sehr vielen Fällen, aber mir fallen auch spontan zwei Ausnahmen ein: The Beatles und Queen. Die waren m.E. beide deutlich besser als ihre Drummer.


    Mooooooment - im Falle von Queen möchte ich dir gar nicht so sehr widersprechen, aber Ringo Starr ... ein wirklich außergewöhnlicher Drummer


    https://youtu.be/D56aA2kXwJs

  • WAASSS ??? Ach Du liebe Zeit. Wer schreibt denn so etwas ? Roger Taylor war in den 70'er Jahren so ziemlich das Beste was es an der Schießbude gab. Mit einigen Anderen natürlich. Da wäre mir bald fast das Brötchen aus dem Mund gefallen... Mann , Mann . Nicht zu fassen... Ringo Starr ?
    Er behaupet selber von sich nur durchschnittlich spielen zu können. Gesunde Selbsteinschätzung würde ich sagen:-)

  • Gemach, gemach... ist ja alles Ansichtssache.:)
    Roger Taylor ist sicher kein schlechter Drummer, aber während z.B. Mercury und May in ihren Bereichen echte Referenzen sind, fehlt mir bei Taylor eine gewisse Filigranität.
    Und Ringo Starr mag ein für die Beatles passender Drummer sein, aber sein Beitrag zum Legendenstatus dieser Band ist doch sehr überschaubar.

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  • Habe mich wieder erholt von diesem Schock..:-) Aber bzgl. Starr sind wir uns ja einig. Das ist wirklich überschaubar. Bei Taylor bleibe ich dabei. Er war in den 70'ern einer der ganz Großen im Rockgeschäft . Man höre sich nur It's Late von der News Of The World an. Ein Genuss für jeden Rockdrummer . Es gab aber auch darüber hinaus keinen Stil den er nicht beherrschte. Alles andere als ein Könner allererster Güte hätte in einer solch vielseitigen Band auch gar nichts verloren gehabt. Na ja, wie dem auch sei.


    Ach so, ich finde es übrigens absolut klasse ,dass du dich den guten 80 Jahren widmest. Hochinteressant und erstklassig geschrieben. Macht sehr viel Spaß , zumal auch ich sehr schöne Erinnerungen an dieses Jahrzehnt habe. Danke dir für die Mühe .

  • Wie gut Roger Taylor als Schlagzeuger ist kann ich als Laie schwer beurteilen. Für mich ist in Bezug auf ihn aber das Songschreiben am wichtigsten. Er ist da von den Queens am wenigsten Genre-mäßig festgelegt.