Literaturklassiker in der Schule

  • Du verstehst es falsch. Ich halte es für sehr wichtig, dass Schüler mit Klassikern der Literatur (wie immer man das fassen will!) in Berührung kommen.

    Alles klar, ich danke dir. In deinem Posting #134 hattest du Wert auf dieses "Brunnenbild" gelegt, aus dem der Schüler wählend schöpfen kann. Ich also dachte, du wolltest darauf hinaus, dass man Schüler eben NICHT zu einer Reihe von "Klassikern" verpflichten sollte.

    Wenn ich jetzt mal annehme, die Methodik läuft so, wie du es dir vorstellst: Fändest du es dann gut, wenn die Länder auch durchaus verpflichtende Einzellektüren vorschreiben, oder würdest du sagen, dass ein Schüler grundsätzlich aus einem bestimmten Pool von "Klassikern" auswählen dürfen soll? Es geht mir also jetzt um die Verbindlichkeit, den "Zwang", der da eine Rolle spielt. Oder ist dir das egal, weil es dir einfach nur wichtig ist, DASS von jedem Schüler meinetwegen 3-6 Literaturklassiker in der Oberstufe gelesen werden?


    Und mein Interesse geht noch weiter, merke ich: Ich würde auch gerne wissen, warum du es richtig findest, Schülern eine solche Verpflichtung zuzumuten. Warum muss ein Schüler "Literaturklassiker" in der Schule lesen? Was daran ist für ihn wichtig?


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    • Offizieller Beitrag

    Fändest du es dann gut, wenn die Länder auch durchaus verpflichtende Einzellektüren vorschreiben, oder würdest du sagen, dass ein Schüler grundsätzlich aus einem bestimmten Pool von "Klassikern" auswählen dürfen soll?

    Diese Frage finde ich überaus schwierig zu beantworten, denn für beides gibt es gute und stichhaltige Argumente.


    Eigentlich bin ich für die Pool-Variante, denn sie gibt dem Schüler etwas wichtiges und motivierendes: die Möglichkeit, selbst zu entscheiden. Andererseits gibt der Pool dem Schüler auch die Möglichkeit, "unbequeme", aber meiner Ansicht nach literaturwissenschaftlich äußerst wichtige Texte komplett außen vor zu lassen*). Das wiederum spricht für einen Kanon, oder zumindest einen Kanonnukleus. Der Motivationsschub der Pool-Variante muss bei einer Pflichtlektüre anderweitig erzeugt werden. Richtig guten Lehrern traue ich es zu, das zu schaffen, aber nicht jeder Lehrer ist richtig gut und kann und will das.


    Ein Pflichtkanon an Lektüre, der nur die wichtigsten Texte versammelt ... ja, welche sind denn die wichtigsten? Diejenigen, die literarisches Neuland erschlossen haben? Die in späteren Texten anderer Autoren am häufigsten aufgegriffen werden? Diejenigen, die am besten die universellen Erlebnisse des Menschseins behandeln? Lassen wir das mal außen vor.

    Ein Pflichtkanon an Lektüre, der nur die wichtigsten Texte versammelt, lässt unumgänglich weitere äußerst wichtige Texte außen vor. Das ist numerisch so vorgegeben. Wenn die Liste 20 Texte umfasst, ist Text Nr. 21 nicht plötzlich irrelevant. Außerdem fehlt in garantiert jeder Lektüreliste der "wichtigsten Texte" ein extrem langer, der immer und immer in fast jedes Buch auf die eine oder andere Art hineinspielt, die Sprache beeinflusst und deshalb literaturwissenschaftlich vollkommen unverzichtbar ist: die Bibel.


    In der Summe neige ich deshalb zur Pool-Variante. Schülern, die zu einem gewissen Lesepensum und -stoff kraft gemeinsamer Beackerung genötigt werden, treibt man damit die Freude am Lesen eher aus. Wer sich über Fünf Freunde und Harry Potter eine Freude am Lesen bewahrt oder erworben hat, wird eher mal Siegfried Lenz oder Schiller lesen als die andere Gruppe. Dann lesen sie sie vielleicht erst später im Leben, aber sie lesen sie - und womöglich in einem Lebensabschnitt, in dem dieser Text ihnen dann etwas zu sagen hat.





    *) Eine Kommilitonin war stolz darauf, ihr komplettes Anglistikstudium absolviert zu haben, ohne dass sie eine einzige Veranstaltung zu Shakespeare besucht hatte. Meiner Meinung nach hätte man ihr den Magistertitel postwendend aberkennen sollen.