SdW [11.-17.10.10]: TONY BANKS & FISH - Another Murder Of A Day

  • Ich gebe mal 8 Punkte, denn leider Plätschert der Song trotz guten Ideen einfach nur vor sich hin. Aber immerhin ist mal ne Gitarre dabei und die Stimme ist echt net schlecht ;)

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    The rain auditions at my window
    Its symphony echoes in my womb
    My gaze scans the walls of this apartment
    To rectify the confines of my tomb


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  • Mehr als 6 Punkte sind es nicht. Daran kann auch
    Fish nichts ändern, dessen Intonierung mich hier
    eher nervt. Die Dramaturgie des Songs stimmt nicht,
    und überwiegend plätschert er flach dahin -
    wie der Rest dieser schwachen CD.

  • ich kann mich "Genesis" nur anschließen. Einer meiner Lieblingssongs von diesem Album. Einfach klasse. Daher von mir 13 Punkte!

    it is chicken, it is eggs,
    it is in between your legs.

    • Offizieller Beitrag

    Ein Püppchen ist sie. Keine Barbie und schon gar keine der alten, von liebevollen Omas gestrickten, sorgsam bestickten und wattegefüllten Stoffpuppen – diese hier scheint aus kostbarem Material und sehr zerbrechlich zu sein: Ihr Kopf ist porzellanweiß mit porzellanblauen Augen; Samt und warme, weiche Watte umgeben ihn in dieser Strophe. Es zeigen sich jedoch Risse in diesem Bild: Puppen haben keine Zukunft und auch keine Erinnerungen, und spätestens das erste Auftreten des Refrainmotivs verrät, dass sie vielleicht von püppchenhafter Statur, aber jedenfalls eine durchaus lebendige Frau ist.


    Der Text, der das Refrainthema begleitet, ist etwas verrätselt, weil hier zwei Bedeutungsebenen miteinander kombiniert werden. Zunächst einmal haben wir den Kaffeesatz, unter dem etwas im wörtlichen Sinne begraben zu werden scheint. Dann erfolgt der Sprung auf die übertragene Sinnebene, denn begraben werden „die Stunden, die sie totgeschlagen hat“ – womit auch das Begraben auf eine übertragene Ebene gehoben wird. Dann folgt die für Nicht-Muttersprachler rätselhafteste Wendung, nämlich die Titelzeile „in a murder of a day“. Dabei handelt es sich um eine Analogiebildung nach dem Muster „a hell of a day“, die hier jedoch mit den Motiven der beiden vorangehenden Zeilen verschränkt wird. Als Sinn muss man hier wohl annehmen: „Und der Kaffeesatz verdeckt die Stunden, die sie totgeschlagen hat, [nämlich] so [viele,] dass dieser Tag charakterisiert ist durch das Hinmorden [der Stunden].“ Wir schreiben 1991, aber diese Zeilen sind mindestens genauso verklausuliert wie manches, was Peter Gabriel für The Lamb Lies Down On Broadway schrieb.


    Das Porzellanthema bleibt erhalten, denn, wie sich etwas weiter im Text zeigen wird, sind die „coffee grounds“ der Satz in einer Kaffeetasse – aus Porzellan, eventuell mit einem Keks, der genauso zerkrümelt wie ihre Geduld. Wenn das aber genauso lange dauert „wie ein Fels zu Sand zerfällt“, dann hat unsere Dame einen bemerkenswert langen Geduldsfaden. Neben der zerbröselnden Geduld und dem erodierenden Felsen zerfällt auch die Zeit aus großen Einheiten zu kleinen Sekunden, „wenn man“ – ja, was denn? „wenn man auf einen Mann wartet“. Aha. Alles klar. Eine Frau sitzt irgendwo kaffeetrinkenderweise und wartet auf den Mann, der aber nicht kommt. Alles klar?


    Eben nicht. Auf jemanden warten heißt nämlich im britischen Englisch eines Tony Banks „to wait for someone“; „to wait on“ ist entweder örtlich gemeint, was keinen Sinn (außer einem zotigen) ergibt – oder es bedeutet „jemandem aufwarten“ – oder eben doch „auf jemanden warten“, was genauso passend ist.


    Spätestens hier müssen wir uns der Frage zuwenden: Wer ist sie? Wo ist sie? Und wer ist der Mann?


    Bislang können wir als Vermutung nur festhalten, dass sie eine Frau mittleren Alters ist (denn sie hat schon Erinnerungen und noch Zukunft), dass sie irgendetwas mit der Kaffeezubereitung und seit Stunden auf einen Mann wartet – oder ihm aufwartet. Ist sie eine Kellnerin? Warum geht es dann aber nur um einen Mann (oder steht der eine Mann generalisiert für alle?)? Der weitere Verlauf des Liedes wird zeigen, dass sie vermutlich in einem Café sitzt und auf einen Mann wartet.


    Sie beschäftigt sich mit dem, was Wartende im Café so tun: Sie schaut zur Tür oder taxiert die Männer, deren Blicke mit einer wundervollen Zeile beschrieben und besungen sind: sie schaut „auf den Typen, dessen betrunkene Fantasie die Laufmasche auf ihrem seidenbestrumpften Bein hinaufklettert“ (und er ist schon eine Weile dabei, denn „thigh“ ist der Oberschenkel, der in Strumpfhosen mit seidenmattem Glanz – oder wie immer das bei Strumpfhosen heißt – eingehüllt ist).


    Eine weitere typische Wartebeschäftigung: Sie raucht. Mit den Zigaretten verglimmen auch die Stunden, die sie beim Warten totgeschlagen hat. Und dabei sinniert sie darüber, dass „gestern“ so lange her zu sein scheint – wobei gestern wahrscheinlich der Termin der letzten Begegnung war – und dass er immer noch nicht da ist.


    Allmählich schlägt ihre Ungeduld in physisch spürbare Sorge um, denn „sie braucht ihn mehr, als sie sich eingestehen mag, und mehr, als es andere was angeht“. Sie erschauert kalt und wählt mit zitternden Fingern seine Nummer in der Hoffnung, dass der Knoten in ihrem Magen nur die sprichwörtlichen Schmetterlinge der Vorfreude und nicht die eiskalte Hand der Angst ist.


    Der Hoffnung, dass niemand auf sie achtet, dass ihre Panik verborgen bleibt, gibt sie sich vergeblich hin, denn wir bzw. der Erzähler sehen, wie sie heftig die Nummer eintippt. Im ungeduldigen Wunsch, dass der Mann schnell auftauchen möge, wünscht sie sich eine grüne Welle für ihn und gut fließenden Verkehr.


    Und dann taucht er auf. Sie nimmt ihren Mantel und geht. Mit ihm? Ohne ihn? Die zwei Zeilen und besonders der Wechsel der Präposition legen nahe: Mit ihm.


    Und dann passiert etwas höchst Verblüffendes: Als nächstes sehen wir sie auf dem Heimweg. Es ist offenkundig spät am Abend (oder früh am Morgen), denn die Gassen sind neonerleuchtet. Sie hält sich im Schatten und vermeidet „die Opfer einer Nacht, die den Tag verschlafen werden, der seine Flüchtlinge verstößt und seinen Unrat wegwirft“.


    Daheim angekommen ist sie allein, umgeben nur von „den Geistern treuer Vertrauter“. Aus Respekt dreht sie die Fotos von Freunden und Familie zur Wand, so dass diese nicht ins Zimmer „hineinsehen“ können, schaltet das Radio ein und – ja, und dann? Was ist passiert zwischen dem Moment, als der Mann im Café auftaucht und ihrem Ankommen zuhause? Was passiert danach? Danach passiert nichts. Dazwischen passiert – auch nichts. Denn die letzte Zeile des Liedes spricht von einem Mann, der jetzt die Zeit totschlägt.


    Warum tut er das? Wartet er auf sie? Sitzt er jetzt dort im Café und schlägt die Zeit tot? Wir erfahren eben nur, dass „der Mann, den sie hat warten lassen, wartet, um einen Tag totzuschlagen.“ Sie scheinen einander nicht unabsichtlich verpasst zu haben. Warum aber erwartet sie ihn voller Ungeduld und geht dann (an ihm vorbei? durch einen anderen Ausgang, um ihn zu umgehen?) heim?


    Es scheint, dass wir als Hörer hier geduldig auf eine Antwort warten müssen.


    Musikalisch ...hat Tony Banks in anderen Stücken gezeigt, dass es langweiliger geht. Fishs Stimme begeistert mich nicht so besonders, aber das mag ich den Song nicht entgelten lassen. Nichts berühmtes, nichts furchtbares. Bonuspunkte für dieses herrliche Bild von der "drunk imagination". Bonuspunkte für einen Songtext, an dem man sich mal wieder abarbeiten kann. In der Summe: 9 Punkte,

  • Hey, martinus; was für eine Textanalyse! Respekt!
    Weiter so!

  • Hey Martinus,


    Super Interpretation. Ich hatte nur immer eine Prostituierte als Profession der Frau im Hinterkopf. Was meinst du dazu?


    Dieses "silk clad thigh" war für mich auch ein Highlight!


    Danke!


    Boris

    it is chicken, it is eggs,
    it is in between your legs.

  • Danke für die Analyse, Martinus. Sehr gut, Du hättest Deutschlehrer im Gymnasium werden sollen. Das meine ich ernst und ist nicht abwertend gemeint.

  • Für mich auf jeden Fall eines der besseren Stücke auf Still, insgesamt vielleicht ein wenig lang geraten, aber alles in allem mit schönen Ideen. Fish paßt als Sänger m.E. eigentlich recht gut.


    Macht unterm Strich 9 Punkte.

    Never overestimate the dreadfulness of the mass market

    • Offizieller Beitrag

    Ich hatte nur immer eine Prostituierte als Profession der Frau im Hinterkopf. Was meinst du dazu?


    Ich weiß nicht so recht. Ich dachte erst, sie hätte keinen Beruf - vielleicht schon früh in Rente oder so. Dann kam das Problem mit dem "waiting on a man". So rein aus dem Bauch raus scheint sie mir keine Prostituierte zu sein. Angesichts des "cold sweat" kam mir jetzt gerade noch der Gedanke, dass sie eventuell drogensüchtig ist und der Mann, auf den sie wartet, ihr Dealer ist. Das würde das Problem lösen, dass sie ihn zwar so dringend erwartet, aber eben überhaupt nichts mit ihm zu machen scheint.


    @CB: Ich wäre beinahe Englisch- und Lateinlehrer geworden. Ich weiß, wer von uns dreien (Schüler, ich und bayerisches Schulsystem) am besten dabei weggekommen ist, dass ich es nicht gemacht habe.

  • Hi,


    Das mit der Drogensucht gefällt mir. Ich hatte bei der Prostituierten daran gedacht, dass sie das Geld sehr dringen braucht. Wofür auch immer. Eine Drogensucht und ein öffentlicher Ort für die Übergabe passt aber noch viel besser. Ich würde das als die beste Interpretation sehen.


    Danke! Das ist echt spitze mit diesem Song der Woche!


    Gruß.
    boris

    it is chicken, it is eggs,
    it is in between your legs.