Die Politik ist tot, es lebe die Politik! - kleiner politischer Frühschoppen, Live-Ticker, Austicker und was man sonst noch so zur Meinungsbildung braucht - oder auch nicht...

  • Ach ganz ehrlich, wir können immerhin froh sein, dass wir in der Beziehung hier keine amerikanischen Verhältnisse haben. Da nenne ich dir mal ein Beispiel Mutzel, letzte Woche erlebt.


    Ein Bild mit 5 Kindern, alle unterschiedliche Ethnien, die Augen der meisten sind auf ein Mädchen mit asiatischen Zügen gerichtet. Der Text dazu:


    Zitat

    Truth or dare? (Wahrheit oder Pflicht?)
    - Truth. (Wahrheit)
    Where's Amy's dog? (Wo ist Amys Hund?)
    - ...Dare. (Pflicht)


    Das ganze war auf Facebook, markiert wurde ich dort von einem Freund, dessen Eltern Immigranten aus Vietnam sind. Wir haben drüber gelacht, und dann ganz normal unsere Konferenz bei Skype weitergeführt.


    Dann habe ich mir allerdings mal den Spaß gemacht und die Kommentare gelesen.

    Zitat

    RASSISMUS! WER HIER LACHT IST EIN EKELHAFTER RASSIST!!!


    Gefühlte 20.000 Amerikaner, genau zwei davon mit asiatischen Gesichtszügen, und vereinzelt dazwischen ein paar Asiaten, die das mal so überhaupt nicht verstanden haben und meinten "Was wollt ihr eigentlich? Ich komme aus China/Japan/Thailand/Vietnam und musste echt lachen...", ansonsten ein moralischer Entrüstungskrieg, dagegen sah mancher AKP-Anhänger beim Böhmermann-Gedicht wie das eine beleidigte Kind auf einer Geburtstagsparty aus.


    Humor hat sicherlich immer irgendwo seine Grenzen, die sind aber gerade in unserem Land entgegen seines Rufs deutlich weiter gesteckt als zum Beispiel im "Land of the free", der inzwischen vorherrschende Pseudo-Moralismus dort würde dich in die Verzweiflung treiben. Mich übrigens auch.

    • Offizieller Beitrag

    Deshalb noch einmal die Frage: Ab wann ist ein Witz verboten?


    Witze sind nicht verboten. Wann sie unangemessen sind, sollte dem potenziell Erzählenden sein Taktgefühl verraten.
    Wann ein Witz über Taktlosigkeit hinaus beleidigend und diskriminierend wird, beurteilen diejenigen, die den Witz erzählen, und diejenigen, die den Witz hören, unter Umständen sehr unterschiedlich. Die juristische Würdigung im Sinne einer Privatklage und/oder einer Anzeige steht dann wieder auf einem anderen Blatt.


    Aber das hat Ulli ja vorhin schon sehr ähnlich formuliert.

  • Danke für die Rückmeldungen!


    Ich denke, es wird Folgendes klar: Ob etwas witzig ist oder nicht, liegt größtenteils im subjektiven Ermessen von Sender und Empfänger.


    Ähnliches gilt auch für den "guten Geschmack" oder das "Taktgefühl". Ostfriesenwitze werden fast alle als völlig harmlos (vermutlich aber auch wenig witzig) betrachten, während Judenwitze zumindest bei uns fast vollständig tabuisiert sind. Interessant ist hier auch der historische oder gesellschaftliche Kontext. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es außerhalb von Deutschland durchaus akzeptabel ist, auch Witze über Juden zu machen.
    Ich kann mich da ganz entfernt an eine Äußerung von Ray Wilson erinnern, als er andeutete, er könne sich (den Juden) Nir Z nicht mehr leisten, weil dieser so viel Geld verlange.


    Warum führe ich dies aus? Nun ich denke, bei Beleidigungen verhält es sich ganz ähnlich. Ein und dieselbe Äußerung kann den einen Menschen erheitern, einen zweiten gleichgültig lassen und einen dritten mit Zorn erfüllen. Rein objektiv betrachtet gibt es keine Äußerung, die eindeutig beleidigend ist, weil die Emotionen, die Äußerungen hervorrufen, sehr unterschiedlich sein können.


    Wenn man dies einräumt, muss man sich aber fragen, ob es sinnvoll ist, dass sich Gerichte mit dieser Frage beschäftigen. Durfte sich Erdogan durch Böhmermanns Schmähgedicht beleidigt fühlen? Können derartige Witze (und hier ist "Witz" als Gegenstück zu "Ernst" gemeint) überhaupt eine beleidigende Wirkung erzielen? Doch nur, wenn man sie ernst nimmt. Aber darf man das überhaupt?


    Was ich schlimm finde, ist, dass sich nun Menschen zusammen setzen und darüber ernsthaft nachdenken, was Witz und Satire darf und was nicht. Ich denke, so etwas kann man juristisch kaum entscheiden. Unser Taktgefühl ist da der bessere Kompass.

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

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  • Witze sind nicht verboten. Wann sie unangemessen sind, sollte dem potenziell Erzählenden sein Taktgefühl verraten.
    Wann ein Witz über Taktlosigkeit hinaus beleidigend und diskriminierend wird, beurteilen diejenigen, die den Witz erzählen, und diejenigen, die den Witz hören, unter Umständen sehr unterschiedlich. Die juristische Würdigung im Sinne einer Privatklage und/oder einer Anzeige steht dann wieder auf einem anderen Blatt.


    Aber das hat Ulli ja vorhin schon sehr ähnlich formuliert.


    Keine Ahnung, wie das in Germanien ist, aber hier ist das so:
    Wer einen rassistischen Witz über Schwarze und über die, die nicht ganz so schwarz sind, erzählt, geht in den Knast, und zwar ohne die Möglichkeit einer Kaution, falls das wer anzeigt. Kenne jetzt das Strafmass nicht.
    Auf der anderen Seite passiert nichts, falls ein ¨Schwarzer¨ einen rassistischen Witz über Weisse erzählt.
    Soviel zum Thema, alle sind vor dem Gesetz gleich. Wahrscheinlich hat ein Schwarzer hier das Gesetz durchgepaukt.....:eek:

    Das Leben ist eine Illusion, hervorgerufen durch Alkoholmangel

    Charles Bukowski

  • Mal was anderes, Politik aus den USA. In den letzten Tagen protestieren diverse Musiker und Bands gegen neuere Gesetze in verschiedenen US-Bundesstaaten die gegen Gleichbehandlungsgrundsätze verstoßen (Bruce Springsteen, Bryan Adams, Peal Jam). Religiöser Fanatismus kommt nicht nur von Muslimen, in den USA sind mal wieder die christlichen Fundamentalisten dran, zumindest in North Carolina und Mississippi.


    http://brucespringsteen.net/ne…ngsteen-on-north-carolina
    http://www.pearljam.com/news/0…2_official_band_statement


    Ich kenne den Inhalt dieser neuen Gesetze zu wenig, um mich dazu äußern zu können.
    Jedoch muss ich sagen, dass ich die Absage von Konzerten als Form des Protestes armselig finde, denn sie trifft vor allem die Fans und Musikfreunde und eben nicht diejenigen, die solche Gesetze zu verantworten haben.
    Dies gilt umso mehr, als man durchaus davon ausgehen kann, dass viele Springsteen-Fans seine politische Einstellung teilen. Warum also diese dafür büßen lassen?
    Statt dessen hätte er das Konzert spielen und dann auf der Bühne ein klares Statement abgeben können.


    Ich sehe das auch sehr zwiespältig, insbesondere wenn man Konzerte nur wenige Tage zuvor absagt. Das ist aber keine Aktion von Nachmachern (wobei ich über Bryan Adams zu wenig weiß um da konkret was sagen zu können), es gibt da vor Ort koordinierte Aktionen von Aktivisten.


    Man könnte natürlich anmerken dass man dann auch nicht in Ländern auftreten dürfte wo LGBT Rechte noch weniger geachtet werden als in den USA bzw. den betreffenden Bundesstaaten. Aber hier geht es um konkreten Protest gegen gerade beschlossene Gesetze. Daher denke ich schon dass diese Aktionen auch Aufmerksamkeit erregen, sicher auch bei Menschen denen das Thema bislang nicht bewusst oder wichtig war. Gerade Springsteen oder Adams ziehen ja auch ein konservatives Publikum an.


    Auf der PJ Seite ist übrigens auch der Gesetzestext aus NC verlinkt. (Ob man die Auswirkungen anhand Textes im Amts-Amerikanisch versteht ist 'ne andere Sache.)


    Auf http://equalitync.org/ kann man nachlesen dass nicht nur Musiker/Bands sondern auch Unternehmen beim Protest mitmachen.

  • Und wieder drehen Islam-Vertreter an einem kleinen Schräubchen zu Lasten der Meinungsfreiheit.


    Sineb El Masrars Buch "Emanzipation im Islam" wird geschwärzt - DIE WELT


    Die Schwärzung einer Buchpassage ist ja für sich betrachtet schon ein eher seltenes Ereignis. Wenn das Buch dann noch den Titel "Emanzipation im Islam" trägt, von einer Muslima geschrieben wurde und der Antragsteller für die Schwärzung die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (vertreten durch denselben Anwalt, welcher auch derzeit den türkischen Präsidenten in der Böhmermann-Klage vertritt) ist, dann durfte die Stoßrichtung klar sein.


    Ich kenne die beanstandete Passage nicht, kann somit nicht mal ansatzweise sagen, ob das dort Behauptete unwahr oder verleumderisch ist. Darum geht es aber nicht in erster Linie. In in Deutschland herausgegebenen Schriften, Zeitungen und Büchern stehen sicher tausendfach Dinge, über die man streiten kann. Manche unwahr, andere halbwahr, Vieles diskutabel. In einer offenen Gesellschaft sollte vor einem Verbot einer Äußerung zunächst immer die Diskussion darüber stehen. Dafür ist es aber unabdingbar, dass man diese auch lesen kann.
    Eine offensichtlich und nachweisbar falsche Behauptung in einem Buch fällt immer auf den Autor selbst zurück. Dieser wird durch sie unglaubwürdig. Und die Diskussion über diese Aussage entlarvt ihn als Lügner und unseriösen Schreiber.
    Wer aber etwas schwärzen lässt, mag zwar im Einklang mit geltendem Recht handeln, erweckt aber den Eindruck, er habe etwas zu verbergen.


    Wer sich die Positionen von Milli Görus zum Islam durchliest, kann diese ohne Schwierigkeiten als eher konservative Interpretation einordnen. Vieles, was dort gefordert wird, ist - sachlich formuliert - nicht unbedingt ein förderlicher Nährboden für eine gelungene Integration.


    Die im Moment wieder aufkeimende und notwendige Debatte über den Islam wird leider durch allzu schrille und pauschale Töne (Afd) auf der einen und nichtssagende Platitüden (Merkel & Co) auf der anderen Seite bestimmt.


    Die Aussage "Der Islam gehört zu Deutschland" ist weder richtig noch falsch, vor allem aber eines: Nichtssagend. Die Bundesregierung verweist gerne auf die Religionsfreiheit, scheut aber eine Diskussion über die Grenzen derselben. Nicht so sehr aus Angst vor dem Islam, sondern weil eine Beschränkung der Religionsfreiheit vor allem auf den Widerstand der christlichen Kirchen stoßen wird.


    Die nächsten Monate werden zeigen, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft bewegen wird. Bleiben wir so frei und unabhängig, wie wir sind? Oder werden unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit Tendenzen gestärkt, die vor allem auf Trennung und Unterschiede abheben? Wird ein Gesetz wie das Berliner Neutralitätsgesetz weiter Bestand haben oder vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden?


    Man sollte versuchen, Optimist zu bleiben, auch wenn es einem manchmal schwer gemacht wird.

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    • Offizieller Beitrag

    Ich denke, es wird Folgendes klar: Ob etwas witzig ist oder nicht, liegt größtenteils im subjektiven Ermessen von Sender und Empfänger.
    Ähnliches gilt auch für den "guten Geschmack" oder das "Taktgefühl".


    Zitat

    Warum führe ich dies aus? Nun ich denke, bei Beleidigungen verhält es sich ganz ähnlich. Ein und dieselbe Äußerung kann den einen Menschen erheitern, einen zweiten gleichgültig lassen und einen dritten mit Zorn erfüllen.


    Zitat

    Rein objektiv betrachtet gibt es keine Äußerung, die eindeutig beleidigend ist, weil die Emotionen, die Äußerungen hervorrufen, sehr unterschiedlich sein können. Wenn man dies einräumt, muss man sich aber fragen, ob es sinnvoll ist, dass sich Gerichte mit dieser Frage beschäftigen.


    Das unterstellt aber, dass Gerichte sich nur mit reinen "An/Aus"-Fragen beschäftigen dürfen: Hat X dem Y Geld gestohlen, ja oder nein? Hat Y dem Z eine Beule in den Kofferraum gefahren, ja oder nein?
    Aber es gibt eben nicht diese rein binären Geschichten, sondern das Recht verlangt oft eine Abwägung widerstreitender Rechte und Interessen. Familienrichter wären dankbar, wenn die Frage, ob im Scheidungsfall die Mutter oder der Vater das Sorgerecht für das Kind bekommen sollen, nach einem einfachen "Ja/Nein"-Katalog entschieden werden könnten.


    Dieses Beispiel zeigt aber auch: Es ist sinnvoll, dass sich Gerichte mit solchen Abwägungs-Fragen befassen. Es ist womöglich sogar nötig, wenn sich zwei Parteien unversöhnlich und unvereinbar gegenüberstehen, denn dann braucht es einen neutralen Makler, der auf der Basis eines Regelwerks, das feste Grenzen und Orientierungslinien bietet, den Streit schlichtet.


    Zitat

    Durfte sich Erdogan durch Böhmermanns Schmähgedicht beleidigt fühlen?


    Diese Frage finde ich einzigartig bizarr! Bei wem müsste sich Erdogan denn die Erlaubnis holen, sich beleidigt fühlen zu dürfen? Wer könnte denn Gefühle wie Beleidigtsein verbieten?
    Oder Verliebtheit? Oder Hass? Gefühle sind da. Wenn sich Erdogan beleidigt fühlt, dann ist das eine Realität. Wenn ich verliebt bin, auch (und eine sehr schöne!).


    Zitat

    Unser Taktgefühl ist da der bessere Kompass.


    Nein mit der allgemeinen Phrase "unser Taktgefühl" kommst du nicht durch. Wenn das so wäre: WESSEN Taktgefühl? Das des Erzählenden? Das des Zuhörenden? Das des eigentlich Betroffenen? Und wenn die in unterschiedliche Richtungen gehen, wessen Taktgefühl soll da mehr gelten? Und wer entscheidet das?


  • Dieses Beispiel zeigt aber auch: Es ist sinnvoll, dass sich Gerichte mit solchen Abwägungs-Fragen befassen. Es ist womöglich sogar nötig, wenn sich zwei Parteien unversöhnlich und unvereinbar gegenüberstehen, denn dann braucht es einen neutralen Makler, der auf der Basis eines Regelwerks, das feste Grenzen und Orientierungslinien bietet, den Streit schlichtet.


    Aber gerade mit Blick auf das Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und Beleidigung gibt es doch diese festen Grenzen und Orientierungslinien, die du suggerierst, nicht.
    Ich habe in der Debatte über die Böhmermann-Satire so viele unterschiedliche Kommentare und Meinungen gelesen, auch von Juristen bzw. Menschen mit juristischer Vorbildung.
    Die einen sagen, ja, das bewegt sich noch im Rahmen der Meinungsfreiheit.
    Die anderen sagen, nein, derartige Äußerungen erfüllen den Tatbestand einer Beleidigung und sind nicht zulässig.
    Wenn sich aber nicht einmal Juristen in der Bewertung dieser Angelegenheit einig sind, wie soll dann ein überzeugendes Urteil herauskommen?


    Fest steht nur, dass es zu einem Urteil kommen wird. Und fest steht auch, dass, sollte Böhmermann schuldig gesprochen werden, ich dieses Urteil zwar zur Kenntnis nehmen, aber diesem nicht zustimmen werde. Ich werde es als Fehlurteil bewerten und auch so benennen, denn meine eigene Bewertung steht mir selbstverständlicherweise näher als irgend ein Gerichtsurteil.
    Und ich werde mit der Ablehnung dieses Urteils nicht alleine dastehen, sondern mich wahrscheinlich sogar einer Mehrheit zugehörig fühlen können.


    Im schlimmsten Fall wird eine Verurteilung von Böhmermann nicht nur diesen und die Freiheit der Satire, sondern den Glauben der Menschen an unseren Rechtsstaat beschädigen.


    Und möglicherweise stehen sich dann auch nach dem Urteil beide Parteien so unversöhnlich gegenüber wie am Anfang - oder sogar noch unversöhnlicher.


    Gleiches gilt übrigens auch für den Fall eines Freispruches für Böhmermann, oder du glaubst du, dass die Erdogan-Freunde, dann ihre Einstellung zu Satire ändern?

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  • Aber gerade mit Blick auf das Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und Beleidigung gibt es doch diese festen Grenzen und Orientierungslinien, die du suggerierst, nicht.


    Doch. Man nennt das 'Gesetz'.


    Ich habe in der Debatte über die Böhmermann-Satire so viele unterschiedliche Kommentare und Meinungen gelesen, auch von Juristen bzw. Menschen mit juristischer Vorbildung.
    Die einen sagen, ja, das bewegt sich noch im Rahmen der Meinungsfreiheit.
    Die anderen sagen, nein, derartige Äußerungen erfüllen den Tatbestand einer Beleidigung und sind nicht zulässig.
    Wenn sich aber nicht einmal Juristen in der Bewertung dieser Angelegenheit einig sind, wie soll dann ein überzeugendes Urteil herauskommen?


    Was meinst du eigentlich, aus welchem Grund es Rechts- und Staatsanwälte sowie Richter gibt?


    (...) sollte Böhmermann schuldig gesprochen werden, (...) werde mit der Ablehnung dieses Urteils nicht alleine dastehen, sondern mich wahrscheinlich sogar einer Mehrheit zugehörig fühlen können.


    Die "Mehrheit" scheint dir auch in juristischen Belangen irgendwie total wichtig zu sein, oder? Warum denn nur?



    Im schlimmsten Fall wird eine Verurteilung von Böhmermann (...) den Glauben der Menschen an unseren Rechtsstaat beschädigen.


    Das könnte man als Worstcase auf jedes zu fällende Urteil beziehen, gerade wenn es im Fokus einer breiteren Öffentlichkeit steht. Insofern nichts Besonderes: Die dafür ausgebildeten Profis müssen ihre Arbeit tun, und die Beobachter dürfen sich hinterher dann das Maul zerreißen, es besser wissen und zur Not die Abschaffung des Rechtsstaats fordern. Letzteres wird die Mehrheit sicherlich nicht tun, da mache ich mir keine Sorgen.


    Und möglicherweise stehen sich dann auch nach dem Urteil beide Parteien so unversöhnlich gegenüber wie am Anfang - oder sogar noch unversöhnlicher.


    Oha. Ich sehe das auch gerade vor mir. Erdogan verlässt rehabilitiert und erhobenen Hauptes den Gerichtssaal, Böhmermann schlägt die ihm zum Abschied gereichte Hand aus und ruft ihm noch nach: "Freu dich nicht zu früh! Ich krieg' dich schon nach dran! Das nächste Mal lass' ich den 'Ziegenficker' einfach weg!"


    Gleiches gilt übrigens auch für den Fall eines Freispruches für Böhmermann, oder du glaubst du, dass die Erdogan-Freunde, dann ihre Einstellung zu Satire ändern?


    Eine Demütigung für unseren Rechtsstaat: Er kann es dir von vornherein nicht recht machen. Eine Schande.


    4 Mal editiert, zuletzt von townman ()

    • Offizieller Beitrag

    Aber gerade mit Blick auf das Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und Beleidigung gibt es doch diese festen Grenzen und Orientierungslinien, die du suggerierst, nicht.


    Sollen wir darum so tun, als gäbe es in dieser Hinsicht keine Grenzen? Soll ich dich "den kinderschändenden mutzel-fritzl-priklopil" nennen, weil ich das witzig und satirisch finde und dir damit didaktisch die Grenzen des guten Geschmacks oder des Taktes oder der Beleidigung aufzeigen will? Hier? Oder vielleicht an deinem Wohnort oder an deiner Schule?


    Zitat

    Wenn sich aber nicht einmal Juristen in der Bewertung dieser Angelegenheit einig sind, wie soll dann ein überzeugendes Urteil herauskommen?

    Eins, das dich überzeugt? Das könnte ja nur eins sein, das dir völlig nach dem Munde redet.


    Zitat

    Fest steht nur, dass es zu einem Urteil kommen wird. Und fest steht auch, dass, sollte Böhmermann schuldig gesprochen werden, ich dieses Urteil zwar zur Kenntnis nehmen, aber diesem nicht zustimmen werde. Ich werde es als Fehlurteil bewerten und auch so benennen, denn meine eigene Bewertung steht mir selbstverständlicherweise näher als irgend ein Gerichtsurteil.

    Schau: Das, mutzel, ist der Unterschied zwischen uns beiden. Für dich bricht dein Glaube an den Rechtsstaat zusammen, wenn nicht das Urteil herauskommt, das du forderst, weil es "selbstverständlich" ein Fehlurteil ist, und du wirst weiterhin schimpfen und zetern ohne große Rücksicht auf die Begründung (die ist nicht von dir, also muss sie falsch sein, denn was weiß ein Jurist schon!).
    Für mich bricht gar nichts zusammen: Ich schaue mir das Urteil an, ich bin neugierig darauf, wie es begründet wird, und überlege mir dann, wie ich damit umgehe.


    Ich wage übrigens die Voraussage: Böhmermann wird wegen Beleidigung (nach §103, denn die Verfahren werden zusammengelegt werden) verurteilt, UND das Gericht erkennt durchaus an, dass die Aussagen in satirischer Absicht gefallen sind, aber dass bei es persönlichen Beleidigungen eben Grenzen gibt. Das Strafmaß wird das Ganze dann sicherlich abbilden. Und neben dem ganzen "Fehlurteil"-Gebrülle wird man genauso laut die Rufe "Santo subito!" hören. Und beides wird falsch sein.



    Zitat

    Und ich werde mit der Ablehnung dieses Urteils nicht alleine dastehen, sondern mich wahrscheinlich sogar einer Mehrheit zugehörig fühlen können.

    2+2 sind auch dann nicht fünf, wenn die Mehrheit einer Grundschulklasse dafür ist.


    Zitat

    Im schlimmsten Fall wird eine Verurteilung von Böhmermann nicht nur diesen und die Freiheit der Satire, sondern den Glauben der Menschen an unseren Rechtsstaat beschädigen.

    Deinen jedenfalls nicht. Nach dem, was hier von dir zu lesen, ist, hast du dich davon durchaus gelöst. Und auch wenn du das nicht wahrhaben willst: Es gibt keine Freiheit der Satire.


    Zitat

    Und möglicherweise stehen sich dann auch nach dem Urteil beide Parteien so unversöhnlich gegenüber wie am Anfang - oder sogar noch unversöhnlicher.

    "Die großen Fragen der Zeit werden nicht gelöst, sondern von einer gelangweilten Menschheit liegengelassen." (Tucholsky) Und diese Böhmermanngeschichte ist nicht einmal eine kleine Frage unserer Zeit.


    townman: Ich wünschte, ich könnte fünf Likes vergeben!