Liebe Leute!
Was die Politiker können (endlose Debatten zu einem Thema führen, die dann doch keine Ergebnisse bringen), das können wir schon lange. Wahrscheinlich sogar besser.
Beginnen wir doch einmal mit einer guten Nachricht. Heute abend gibt es um 20.15 Uhr KEINEN (ja, ihr lest richtig!) Brennpunkt in der ARD zum Thema Griechenland. Und es wird noch besser. Denn bis Sonntag bekommen die Griechen jetzt die letzte - und das ist jetzt aber wirklich glasklar die allerallerletzte - Gelegenheit, ihren Reformwillen zu bekunden, damit Merkel und Kollegen den Geldhahn wieder aufdrehen können. Und wehe, das klappt nicht, dann kommt der bööööse GREXIT (das ist so ne Art Voldemort für Erwachsene), und dann wird's hier aber sowas von zappenduster...
Wie ihr seht, besteht die Schwierigkeit im Jahre 2015 vor allem darin, politische Debatten wirklich ernsthaft zu führen. Man gleitet irgendwann (schon fast zwangsläufig?!) ab in Ironie und Sarkasmus. Warum ist das so? Hier ein paar Erklärungsversuche:
1. Die Menschen verstehen die Zusammenhänge nicht mehr. Das Nichtverstehen der Zusammenhänge folgt aus a) einer zunehmenden Komplexität der Inhalte und b) einem allgemeinen politischen Desinteresse. Beides bedingt sich wechselseitig. Wenn Zusammenhänge immer komplexer werden, wird das Verständnis eingeschränkt, und man verliert die Lust an der Politik. Und wer eine Zeit lang die Nachrichten gemieden hat, hat später erst recht keine Chance mehr, wieder einzusteigen und Dinge zu verstehen.
2. Die Politiker schaffen es nicht mehr, den Menschen ihre Themen näher zu bringen.
Man stelle sich mal vor, Merkel oder Gabriel würden die folgenden Sätze in eine Kamera sprechen:
"Wir können verstehen, dass hier in Deutschland alle die Schnauze voll haben, wenn es um das Thema "Griechenland" geht. Wir haben nämlich selbst die Schnauze voll, weil es in der Tat so ist, dass Woche für Woche die gleichen Worthülsen und Phrasen gedroschen werden. In Wahrheit ist es nämlich so, dass wir den größten Teil des Geldes, das wir da reingepumpt haben, abschreiben können. Das ist nicht toll, aber es gibt dazu keine Alternative. Denn im Grunde haben wir als Politiker da ohnehin kaum Einflussmöglichkeiten."
So ein Statement werden wir - zumindest vor großem Publikum bzw. laufenden Kameras - wohl nie hören, schon gar nicht von Mutti Merkel, der Königin des Ungefähren. Dabei läge eine solche Aussage vermutlich sehr nah an dem, was die meisten Wähler hier in Deutschland in der Griechenland-Debatte als "wahr" oder "wahrscheinlich" betrachten dürfen. Und indem die wichtigsten Politiker solche Wahrheiten lieber verschweigen und nicht kommunizieren, wirken sie auf viele Menschen dann wie Vertuscher und Laberköppe - eben verlogen. Dabei ist Ehrlichkeit, auch wenn sie bitter sein mag, die wichtigste Währung im Kampf gegen Politikverdrossenheit.
Das oben skizzierte Muster ließe sich nun beliebig auf viele andere Themen und Debatten übertragen: Flüchtlingswelle, Islam, NSA und Überwachung, TTIP, Inklusion etc. Wo man hinsieht, nehmen viele Menschen eine Diskrepanz zwischen der "offiziellen Meinung der führenden Politiker" und dem von ihnen erlebten Alltag wahr. Das soll nicht bedeuten, dass in diesen Fällen die Meinung der Politiker immer falsch und die des "einfachen Wählers" immer richtig sein muss. Aber es sollte der Politik doch zu denken geben. Besonders schwierig wird es dann, wenn innerhalb der Parteienlandschaft kaum noch Unterschiede auszumachen sind, und der Wähler letztlich gar nicht weiß, wen er überhaupt noch wählen kann/soll.
Mir war und ist Politik stets sehr wichtig. Gleichzeitig beobachte ich auch bei mir eine graduelle Distanzierung von der herkömmlichen Parteienpolitik. Mitglied einer Partei bin ich schon lange nicht mehr. Im Moment gehe ich noch wählen, aber weniger aus der Überzeugung FÜR eine bestimmte Position, sondern vielmehr aus dem (auch anerzogenen) schlechten Gewissen, dass ich als Nichtwähler habe. Noch habe! Aber seien wir ehrlich: Wie lange kann kann/soll so eine dünne Grundlage halten?
Dies alles sind keine neuen Diskussionsthemen. Auch in diesem Forum haben wir uns über diese Fragen schon den Kopf zerbrochen, haben uns ausgetauscht, sind aneinander geraten. In den letzten Monaten gab es hier aber kaum noch politische Streitereien, und irgendwie habe ich das Gefühl, dass eine solche "Entpolitisierung" auch nicht der richtige Weg sein kann. Wenn einem etwas stinkt, dann sollte man es ansprechen. Das Herunterschlucken kann auf Dauer nicht gesund sein...