Kapitel 3: Ein Doktortitel für gute Werbung
ODER
Propaganda
Musik aus deutschen Landen macht mir schon länger keine Freude mehr. Revolverfreunde und Sporthelden, der singende Prediger aus Mannheim, Fischers Helene statt Fischers Fritze – wo man auch hinhört, wird man gleich wieder zum Weghören motiviert. In den Achtzigern war das noch anders. Zunächst einmal die Neue Deutsche Welle, ein unglaublicher Pool für Spaß, Tempo, lyrischen Wahnwitz und musikalisches Herumexperimentieren. Das Ganze auf der Basis einer Maxime, die den Bruch mit Erwartungen zur Regel machte. Alleine diese Ära verdiente eine eigene Aufarbeitung, weshalb ich sie an dieser Stelle absichtlich außer Acht lasse.
Ungeachtet dessen gilt in dieser Zeit (und quasi im Gegensatz zu heute): In der Pop- und Rockmusik ist das Englische die Norm, und wer etwas auf sich hält, der singt verdammt noch mal niemals auf Deutsch. Und selbstverständlich stellen wir, die pubertierenden Nachwuchsmusiker, diese Regel nicht infrage, weshalb wir unsere ersten unbeholfenen Kompositionsversuche mit entsprechend unausgegorenen englischen Texten schmücken. Aber egal, what must that must!
Szenenwechsel. Düsseldorf 1982. Die NDW liegt bereits im Sterben als Ralf Dörper, Andreas Thein und Susanne Freytag zusammen ein Bandprojekt mit dem durchaus mutigen Namen Propaganda starten. Alle drei sind streng genommen keine Musiker. Dörper und Thein verstehen sich eher als elektronische Soundbastler und Freytag kann nicht singen (sie wird auch auf den späteren Aufnahmen nur als Sprecherin fungieren). Mit der Hinzunahme von Komponist und Keyboarder Michael Mertens und Sängerin Claudia Brücken bekommt das Ganze 1983 die nötige musikalische Substanz.
Und dann geschieht das Unglaubliche. Der britische Musikproduzent Trevor Horn– für manche auch „der Mann, der die Achtziger erfand“ - nimmt die Band bei seinem ZTT Records Label unter Vertrag. Unter seiner Mitwirkung als Toningenieur entsteht mit DR MABUSE (1984) ein erster Achtungserfolg. Sampling, moderne elektronische Sounds und das kühle Image der Frontfrauen verschmelzen auch dank der Hilfe von Fotograf und Videoproduzent Anton Corbijn zu einem stimmigen ästhetischen Gesamtpaket. Dabei bilden die geheimnisvollen Schwarzweißaufnahmen von Corbijn eine schöne Referenz zu den Dr. Mabuse Filmen der Nachkriegszeit.
Im Sog des Erfolgs von Bands wie Frankie goes to Hollywood (ebenfalls ein „Kind“ von Horn und ZTT Records) werden Propaganda in den deutschen und englischen Charts weit nach vorne gespült. Mit DUEL (meinem alltime-Favoriten der Band, auf dem übrigens auch Drummer Stewart Copeland zu hören ist) und P MACHINERY, sowie dem Album A SECRET WISH (1985) erscheinen weitere Tondokumente, die diese einzigartige Verbindung von elektronischer Musik aus Deutschland und britischer Produktionskunst belegen. Zu diesem Zeitpunkt ist Andreas Thein bereits ausgestiegen. Das verbleibende Quartett erinnert in seiner Besetzung (2 Jungens, 2 Mädels) an in der Popmusik beliebte Schemata und wird von der Presse „ABBA from hell“ getauft. Es hält aber auch nur bis 1986 durch, dann führen bandinterne Querelen und ein Streit mit der Plattenfirma zum Bruch.
Dr. Mabuse hingegen kommt nicht zur Ruhe. Zehn Jahre nach Propagandas Single veröffentlicht ausgerechnet Dieter Bohlen mit seinem Blue System einen gleichnamigen Titel. Glücklicherweise klaut Bohlen einmal mehr bei sich selbst und nicht bei den Düsseldorfern. Da hätte auch Trevor Horn als Überproduzent nichts mehr retten können.
Vor einigen Jahren wurde A SECRET WISH von ZTT Records in einer schönen neuen Premium Edition veröffentlicht, für die ich als Fan der Achtziger eine klare Kaufempfehlung geben kann. Nur eine Frage beantwortet auch diese Neuauflage nicht: Wo genau auf dem Album ist Steve Howe zu hören?
Definitives
Lineup:
Ralf Dörper – Sampling/Klanggestaltung
Michael Mertens – Synthesizer/Hauptkomponist
Susanne Freytag – Stimme
Claudia Brücken – Gesang
Gegenwart:
Aktuell kursieren immer mal wieder Gerüchte um eine Wiedervereinigung. Ob tatsächlich etwas in dieser Richtung passiert, muss man wohl abwarten.
Weiterhören und Ansehen:
Dr. Mabuse
https://www.youtube.com/watch?v=bHKm4mLTLs8
Duel
https://www.youtube.com/watch?v=nnQ2zOmb6Hg
P Machinery
https://www.youtube.com/watch?v=660ZCEhvbnw
Lieblingsalbum:
A Secret Wish
Demnächst:
Kapitel 4 von „Meine Achtziger“ heißt Farris macht nicht blau.