interview zu play und videos

  • Zwischen Handwerk und Massenkunst
    Seit den frühen 70er-Jahren, der Zeit als Sänger der Band Genesis, gilt Peter Gabriel als "visueller" Künstler. Damals verblüffte der exzentrische Engländer sein Rockpublikum mit Masken, skurrilen Kostümen und anderen seltsamen optischen Effekten. Für ihn kamen die Eighties, das viel beschworene MTV-Jahrzehnt, also gerade recht.


    Von Eric Leimann



    Peter Gabriel geht es nicht um Notwendigkeiten, wenn er Videos macht. Eher um die Auslotung kreativer Grenzbereiche.


    Nicht ganz zufällig gehören daher wohl auch einige von Peter Gabriels Musikvideos - das legendäre "Sledgehammer" zum Beispiel - zu den berühmtesten in der Geschichte des Genres. Wenn ein Mann wie Peter Gabriel also sein gesamtes altes Filmmaterial sichtet, es überarbeitet und gar die Musik neu abmischt, dann dürfte das interessant werden. Überprüfen kann man das auf der gerade erschienenen Peter Gabriel-DVD "Play - The Videos".


    Peter Gabriel, Sie sind schon sehr lange im Musikgeschäft. Ab wann benötigte man als Künstler eigentlich ein Video, um ein Album oder eine Single zu bewerben?
    Peter Gabriel: Ich weiß nicht genau, ab wann ein Video "notwendig" wurde. Ich weiß nur, dass ich die Idee, Videos zu produzieren, schon viel früher spannend fand. Schließlich besuchte ich mal eine Filmhochschule. Bei einem Video kannst du mit visuellen Ausdrucksformen experimentieren, du darfst mit großartigen Regisseuren arbeiten, und jemand anders bezahlt dafür! 1976 oder 1977 drehte ich mein erstes Video für den Song "Modern Love". Seitdem versuchte ich jede Möglichkeit zu nutzen.


    Von Ihrer alten Band Genesis gibt es aber kein Videomaterial mehr mit Ihnen?
    Gabriel: Ich glaube nicht. Ich wollte damals gerne mit Genesis etwas drehen, aber ich hatte Angst, dass es schlecht werden würde. Deshalb war ich sehr vorsichtig und stand Filmplänen immer sehr kritisch gegenüber. Heute bereue ich es ein bisschen, dass wir so etwas wie "The Lamb Lies Down On Broadway" nie richtig auf Film festgehalten haben.


    Als Sie Ihr erstes Video drehten, gab es noch kein Musikfernsehen. Hat man damals ein Video nur aus künstlerischen Beweggründen gemacht?
    Gabriel: Damals gab es in den normalen Fernsehsendern hin und wieder die Möglichkeit, ein Video zu zeigen. Und auch später war es keine reine Businessentscheidung, ein Video zu machen. Schließlich hat der Künstler mit dem Video Möglichkeiten, seine Musik an Orten zu spielen, die er ansonsten nie und nimmer erreichen würde.


    Sie haben für diese DVD auch neue Videos zu alten Songs produziert ...
    Gabriel: Ja, zu "Solsbury Hill" zum Beispiel, meinem ersten richtigen Solohit, gab es nie ein Video. Das Video, das jetzt auf der DVD zu sehen ist, haben wir erst vor drei Monaten produziert - auch wenn dafür Filmmaterial aus jener Zeit verwendet wurde.


    Sie haben auch den Sound noch einmal neu bearbeitet. Warum?
    Gabriel: Ich denke, die meisten Musiker finden es aufregend, dass man bei DVDs mit der Surround-Technik arbeiten kann. Jeder hat Lust darauf, seine eigene Musik im 5.1-Surround-Sound zu hören. Der Klang kommt dabei aus sechs unterschiedlichen Lautsprechern. Die meisten überlassen diese neue Abmischung der eigenen Musik jedoch der Plattenfirma. Die engagieren dann jemanden für möglichst wenig Geld, und der übernimmt es dann. Ich wollte mir damit etwas mehr Mühe geben. Deshalb haben wir Daniel Lanois geholt, um mit mir an der DVD zu arbeiten. Mit ihm habe ich zwei Alben gemacht, er ist einer der besten Produzenten der Welt.


    Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
    Gabriel: Sehr sogar. Bei manchen Songs wie "Blood Of Eden" finde ich die DVD-Version sogar besser als den Originalmix. Im 5.1.-Verfahren kann man Dinge zum Vorschein bringen, die im klassischen Stereo-Mix nie zu hören waren.



    Die Videos zu Ihrem Album "So" von 1986 gehören zu den aufwändigsten und berühmtesten der Musikgeschichte. Nehmen wir "Sledgehammer" zu Beispiel. Hatten Sie damals vor, allen zu zeigen, wo der Hammer hängt?
    Gabriel: Wir hatten uns damals wirklich vorgenommen, etwas Frisches und Lustiges zu machen. Wir wollten etwas schaffen, das man sich öfter als fünf Mal ansehen kann. Bei "Sledgehammer" hatte ich mit Stephen R. Johnson natürlich auch einen großartigen Regisseur, dazu ein tolles Special-Effects-Team. Es war einfach eine Gruppe sehr hungriger Leute. Der Grund, warum wir so viele und auch teure Videos für "So" drehen konnten, war natürlich der, dass es mein erfolgreichstes Album war. Wenn du einen großen Hit landest, bekommst du das Geld für das nächste Video hinterher geworfen.


    Das Interesse am Musikvideo als neuem Medium war sicherlich in den 80er-Jahren am größten. Interessieren Sie sich heute überhaupt noch für Videos?
    Gabriel: Mein Interesse hat in den letzten Jahren nachgelassen, das stimmt. Aber es gibt immer noch Musiker und Bands, die sehr außergewöhnliche Videos produzieren. Radiohead, die Red Hot Chili Peppers oder auch Eminem zum Beispiel. Diese Leute spielen immer noch mit dem Medium. Von vielen anderen hingegen sieht man fast nur noch Formelhaftes. Nach dem Motto: Hier sind die hübschen Mädchen, da die Autos.


    Warum sind Musikvideos heute langweiliger als früher? Haben Sie eine Theorie?
    Gabriel: Heute werden weniger Musikvideos gezeigt als früher. Es gibt weniger Sendeplätze. Deshalb sind die Produzenten vorsichtiger geworden und gehen mit ihren Videos lieber auf Nummer sicher. Das ist ein Grund. Außerdem waren Videos einfach neu und aufregend in den Achtzigern. Damals waren sie ein Aufmerksamkeitsmagnet. Heute erfüllen sie eher die Funktion einer Tapete.



    Könnten Sie sich vorstellen, dass die Videokunst in der Zukunft wieder aufregender wird? Was müsste passieren, damit dies geschieht?
    Gabriel: Ich glaube, dass es in einigen Jahren eine neue multimediale Sprache gibt, in der sich die Kids ausdrücken werden. Sehen Sie, der rasante Siegeszug der digitalen Kameras führt gerade dazu, dass viele Menschen zu ganz passablen Fotografen werden. Mit der Filmtechnik wird es auch bald soweit sein. Wenn Millionen von Kids ganz billig Filme drehen und damit herumexperimentieren können, wird es bald eine Vielzahl neuer Talente geben.


    Welche Ihrer Videos gefallen Ihnen am besten?
    Gabriel: Ich mag "Sledgehammer", weil es so ein gewaltiges Projekt war. Und weil das Video so viele Preise gewann. Das war auch für meine Karriere sehr wichtig. Ansonsten "Mercy Street" und "Digging In The Dirt". Einige Videos überleben die Jahre besser als andere. "Games Without Frontiers" zum Beispiel hatte viele Passagen, die mir aus heutiger Sicht einfach nicht mehr gefielen. Deshalb haben wir da noch einmal Hand angelegt und einige Teile von dem Künstler Michal Rovner neu bearbeiten lassen.


    Finden Sie es nicht ein wenig ketzerisch, an solch klassisches Material ranzugehen und es zu verändern?
    Gabriel: Ich sehe Kunst evolutionär. Ich denke, dass auch Kunstobjekte ein Leben haben und sie sich verändern dürfen. Warum soll man sie einsperren oder in ihrem historischen Kontext einfrieren?


    Warum haben Sie selbst eigentlich nie Regie bei einem Ihrer Videos geführt?
    Gabriel: Es hat mich durchaus gereizt, das mal zu machen. Aber letztlich ist auch Regie ein Handwerk, das man beherrschen muss. Davor hatte und habe ich Respekt. Aber immerhin hat meine Tochter das Video zu "Father, Son" gedreht. Sie lebt in New York und versucht dort als Dokumentarfilmerin und Musikvideoregisseurin bekannt zu werden. Ich glaube, dass sie sehr talentiert ist.



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