Die Politik ist tot, es lebe die Politik! - kleiner politischer Frühschoppen, Live-Ticker, Austicker und was man sonst noch so zur Meinungsbildung braucht - oder auch nicht...

  • Doch. Man nennt das 'Gesetz'.


    Es steht eben NICHT im Gesetz, sondern das Gesetz muss von einem Juristen ausgelegt werden. Und diese Auslegung muss nicht eindeutig sein. Zwei Juristen können bei ein und demselben Fall zu verschiedenen Urteilen kommen, gerade in Fragen wie derjenigen, was Satire darf und was nicht.




    Das könnte man als Worstcase auf jedes zu fällende Urteil beziehen, gerade wenn es im Fokus einer breiteren Öffentlichkeit steht. Insofern nichts Besonderes: Die dafür ausgebildeten Profis müssen ihre Arbeit tun, und die Beobachter dürfen sich hinterher dann das Maul zerreißen, es besser wissen und zur Not die Abschaffung des Rechtsstaats fordern. Letzteres wird die Mehrheit sicherlich nicht tun, da mache ich mir keine Sorgen.


    Damit ich nicht missverstanden werde: Ich stelle den Rechtsstaat nicht zur Disposition.
    Aber ich weise auf seine Schwächen hin und stelle die Frage, ob es immer hilfreich ist, wenn Dinge juristisch entschieden werden.



    Eins, das dich überzeugt? Das könnte ja nur eins sein, das dir völlig nach dem Munde redet.


    Nö. Es geht überhaupt nicht darum, dass mir jemand "nach dem Munde redet".
    Es geht darum, dass ich die Satire von Böhmermann in ihrer Gesamtheit (also inklusive der Anmoderation) für etwas halte, was in einem Land wie Deutschland möglich sein muss.



    Ich wage übrigens die Voraussage: Böhmermann wird wegen Beleidigung (nach §103, denn die Verfahren werden zusammengelegt werden) verurteilt, UND das Gericht erkennt durchaus an, dass die Aussagen in satirischer Absicht gefallen sind, aber dass bei es persönlichen Beleidigungen eben Grenzen gibt.


    Wir werden sehen.



    2+2 sind auch dann nicht fünf, wenn die Mehrheit einer Grundschulklasse dafür ist.


    Siehst du, das ist der Unterschied zwischen Rechtsprechung und Mathematik.
    2+2 ist nämlich immer ... äh ... 4



    Und auch wenn du das nicht wahrhaben willst: Es gibt keine Freiheit der Satire.


    Ich denke, du weißt, wie ich das meine.

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

    "Von jedem Tag will ich was haben

    Was ich nicht vergesse

    Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne

    Ein Schlag in die Fresse"

  • Der Jurist Alexander Ignor hat das hier einmal durchgespielt.


    In der Strafsache Jan Böhmermann: Der Freispruch - Kultur - Tagesspiegel


    In der Strafsache Jan Böhmermann: Die Verurteilung - Kultur - Tagesspiegel


    Ein und derselbe Fall - zwei völlig verschiedene Urteile. Beide mit einer in sich schlüssigen Argumentation und juristisch abgesichert.


    DAS ist genau die Unzulänglichkeit, die ich in meinem vorherigen Posting andeuten wollte.


    Wenn Rechtsprechung es ermöglicht, dass Juristen in einem Fall zu völlig unterschiedlichen, sich widersprechenden Urteilen kommen, dann ist das nicht gut.


    Es gibt dann nämlich keine Rechtssicherheit.


    Insofern ist die von mir vorgenommene eigene Urteilsbildung, die man - so zumindest meine Wahrnehmung - als anmaßend und problematisch kritisiert hat, nicht nur völlig normal, sondern geradezu unverzichtbar.


    Und seien wir doch mal ehrlich: Jeder (auch du, martinus) hat sich in der Böhmermann-Sache doch schon längst ein eigenes Urteil gebildet.

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

    "Von jedem Tag will ich was haben

    Was ich nicht vergesse

    Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne

    Ein Schlag in die Fresse"

  • Es steht eben NICHT im Gesetz, sondern das Gesetz muss von einem Juristen ausgelegt werden. Und diese Auslegung muss nicht eindeutig sein. Zwei Juristen können bei ein und demselben Fall zu verschiedenen Urteilen kommen, gerade in Fragen wie derjenigen, was Satire darf und was nicht. (...) Siehst du, das ist der Unterschied zwischen Rechtsprechung und Mathematik.
    2+2 ist nämlich immer ... äh ... 4


    Mutzel, so abenteuerlich inkohärent ich deine Argumentationsweise (was mich an diesem Punkt auch abhält, mich erneut mit weiteren Einzelaspekten zu beschäftigen) und gruselig ich deine Gedanken zur Rechtsfindung z.T. auch empfinde: Du bist hier, finde ich, grundsätzlich auf einer gar nicht so verkehrten Fährte. Das Gesetz muss im Einzelfall ausgelegt werden (und bietet dennoch die von martinus angesprochenen Grenzen und "Orientierungslinien" - insofern widersprichst du uns hier grundsätzlich nicht). Deswegen gibt es eben auch Juristen (nicht nur Richter!), denen man diese Fälle anvertraut, und keine Gerichtsautomaten, in die man sie (also: die Fälle :)) hineinschieben müsste, um sich mal eben die "richtigen" Ergebnisse ausdrucken zu lassen. Ganz deiner Meinung, so wird ein Schuh draus. Eine gute Erfindung, dieses Rechtssystem.


  • Oh, Mutzel - jetzt lese ich dieses Posting und hatte eben gerade was geschrieben in der Hoffnung, ich hätte zumindest einen ganz groben gemeinsamen Nenner in einem Teilzusammenhang mit dir gefunden - das ist aber ganz offensichtlich nicht der Fall.
    Du bildest dir mit allem Recht der Welt eine eigene Meinung zu Gerichtsurteilen, das ist kein Problem (für "unverzichtbar" halte ich sie dennoch überhaupt nicht, ich bin froh, dass du hier nichts zu entscheiden hast).
    Aber das mit der "Rechtssicherheit" empfinde ich als bodenlos ins Kraut geschossen. Ist mir argumentativ völlig unverständlich.


  • Zwei unterschiedliche Urteilsmöglichkeiten stellen für mich nicht die Abwesenheit von Rechtssicherheit dar. Sind sie nicht viel mehr Ausdruck der Komplexität, die jeder einzelne Fall in sich tragen kann? Es soll ja auch vorkommen, dass ein Gericht das Urteil eines anderen wieder aufhebt.


    Insofern ist die von mir vorgenommene eigene Urteilsbildung, die man - so zumindest meine Wahrnehmung - als anmaßend und problematisch kritisiert hat, nicht nur völlig normal, sondern geradezu unverzichtbar.


    Deine "Urteilsbildung" ist juristisch irrelevant. Das fängt schon damit an, dass Du Dir höchstens eine Meinung bilden kannst.

    al's Lebensweisheiten:

    "Man muss sich seiner Arroganz schon bewusst sein, um sie genießen zu können."

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Damit ich nicht missverstanden werde: Ich stelle den Rechtsstaat nicht zur Disposition.
    Aber ich weise auf seine Schwächen hin und stelle die Frage, ob es immer hilfreich ist, wenn Dinge juristisch entschieden werden.


    Wenn du dem Rechtsstaat die Qualifikation absprichst, in Konflikten eine neutrale und ausgeglichene Position einzunehmen, die die Interessen beider Parteien abwägt und dann eine Entscheidung fällt, mit der beide zu leben haben? Klar: Völlig neutral und völlig ausgeglichen gibt es nicht, es sind Menschen, die da am Richtertisch sitzen. Aber im Vergleich zu den Positionen des Hl.Böhmermann und des +++ Erdogan ist ein Richter auch kraft seiner Ausbildung vergleichsweise neutral. Und darauf kommt es an.


    Und seien wir doch mal ehrlich: Jeder (auch du, martinus) hat sich in der Böhmermann-Sache doch schon längst ein eigenes Urteil gebildet.


    Streiche "Urteil", setze "Meinung": Völlig unbestritten. Aber ich weiß, das meine Meinung meine Meinung ist, und ich bin voll und ganz bereit, mit einem eventuell anderslautenden Urteil wie ein Erwachsener umzugehen.

  • Zwei unterschiedliche Urteilsmöglichkeiten stellen für mich nicht die Abwesenheit von Rechtssicherheit dar.


    Äh - ja, natürlich. Ich bin vor dem heutigen Tag auch nicht auf die Idee gekommen, dass man das ernsthaft anders sehen kann. Das eine hat mit dem anderen ja überhaupt nichts zu tun.


    Sind sie nicht viel mehr Ausdruck der Komplexität, die jeder einzelne Fall in sich tragen kann? Es soll ja auch vorkommen, dass ein Gericht das Urteil eines anderen wieder aufhebt.


    Genau, Al. Ich dachte, dass die vorigen Überlegungen, ein juritistisches Urteil sowie das Ergebnis einer Rechenaufgabe seien notwendigerweise zwei unterschiedliche Schuhpaare, hier eine gewisse Klarheit gebracht hätten. Denn was du hier formulierst, ist ja nicht mehr als eine praxis-/lebensnahe Selbstverständlichkeit.

  • Ich weiß nicht, ob du mein letztes Posting mit den Links von Alexander Ignor schon gelesen hast (möglicherweise überschnitt es sich mit deinem letzten Schreiben).


    Ich möchte aber noch einen Vergleich anführen, auch wenn du ihn vielleicht wieder abenteuerlich findest.


    Stell dir einmal vor, wir würden nicht über ein richterliches Urteil reden, sondern über eine ärztliche Diagnose. Nehmen wir einmal an, du hast bestimmte Symptome, weißt aber nicht genau, was es ist, und gehst deshalb zu einem Arzt. Und weil du dich besonders gut absichern möchtest, gehst du nacheinander zu zwei Ärzten.


    Arzt Nr. 1 untersucht dich und befindet, dass du gesund bist und dir keine Gedanken machen musst.


    Arzt Nr. 2 untersucht dich und diagnostiziert eine Krankheit, die eine Behandlung erforderlich macht.


    Wie würdest du reagieren? Zunächst einmal völlig verunsichert, denn von einem Arzt erwartest du Kompetenz. Und bei Vorliegen der entsprechenden Kompetenz kann es ja eigentlich nicht sein, dass zwei verschiedene, sich widersprechende Diagnosen gestellt werden.


    Was folgerst du daraus? Einer der beiden Ärzte ist nicht kompetent, aber leider weißt du spontan nicht, wer hier der Versager ist. Und deshalb sind im Moment leider beide Diagnosen für dich wertlos.


    Das gleiche Dilemma wird es beim Böhmermann-Urteil geben. Es wird sich in diesem Urteil nicht die eine objektive Wahrheit abbilden, sondern nur die Meinung eines einzelnen Richters. Dessen Urteil ist nicht richtiger oder falscher als das gegenteilige Urteil eines anderen Richters, es ist lediglich anders. Aber damit leider auch beliebig.


    Der entscheidende Unterschied zwischen ärztlicher Diagnose und Richterspruch besteht darin, dass sich bei der Diagnose zumindest im Nachhinein zeigt, ob sie richtig war oder nicht. Diese Wahrheit oder Klarheit fehlt beim Gerichtsurteil. Das Urteil setzt eine Norm und stellt diese damit als "richtig" hin. Wir müssen uns dann daran halten. Dabei ist diese Norm keine absolute Wahrheit, sondern lediglich die Überzeugung des Gerichts, die auch - unter Beteiligung anderer Juristen - ganz anders hätte ausfallen können.

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

    "Von jedem Tag will ich was haben

    Was ich nicht vergesse

    Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne

    Ein Schlag in die Fresse"


  • Ich möchte aber noch einen Vergleich anführen, auch wenn du ihn vielleicht wieder abenteuerlich findest.


    @Mutzel: Ja, den Vergleich finde ich sehr abenteuerlich. Das hängt u.a. damit zusammen, dass die Krankheit schon gegeben ist. Ein juristisches Urteil, meinetwegen aber auch so etwas wie Gerechtigkeit müssen hingegen gebildet werden. Da ist es mit Begriffen wie "Wahrheit", "richtig" und "falsch" sofort völlig anders gelagert. Aber das hatten wir eigentlich auch schon mit dem 2+2.
    Und damit Urteile nicht "beliebig" werden, gibt es ja noch etwas, was du weiterhin beharrlich ausblendest: das Gesetz.