Selbst als jemand, der einem Fanboy näher ist als einem Abo-Kritiker, kann ich hier keinen Hass entdecken. Phil polarisiert - und das entspricht schlicht seinem Karriereverlauf.
Als innovativer Drummer der Prog- und Session-Szene gestartet, hat er sich bei den alten Genesis-Fans als eben dieser einen Namen gemacht. Später als Sänger und Drummer in Personalunion und der Entwicklung von Genesis vom Prog-Elefanten zum Pop-Dino hat sein Standing erste Risse bekommen und er wurde von den "alten" Fans als Kommerz-Treiber stigmatisiert, obgleich er zusammen mit den anderen drei respektive zwei Genesis-Mitgliedern gemeinsam am Fortbestand im Musikkosmos der 1980er-Jahre gefeilt hat, um seine Band im Punk-Sog dieser Zeit wieder interessant zu machen. Dabei haben sie Federn gelassen, aber auch neue Fans hinzugewonnen, die das zugänglichere Element der damals "neuen" Genesis mit den wunderbaren Prog-Elementen der Gabriel-Ära verknüpfen und sich für beide "Genesis-Welten" begeistern konnten.
Und da gibt es diesen Collins, der sich emanzipierte und seine Zuneigung für Motown und Bigband-Sound zumindest im ersten Solo-Album auslebte. Dabei erschloss er sich wiederum eine verschworene Fangemeinde, die entweder auch dem Genesis-Kosmos angehörte, oder nochmals neue Fans hervorbrachte, die von seiner Vielseitigkeit und Frische auf "Face Value" schlicht angetan waren. Die ihre eigenen Gefühle in den weniger kryptischen Texten von Collins wieder fanden und auf den Zug aufsprangen. Der Zugang zum Mainstream, zur Popwelt der "Neuzeit" war ihm gelungen.
Seine Parallelwelt Genesis trennte er davon zwar ab, jedoch nicht ohne seinen Einfluss geltend zu machen und seine musikalischen Fähigkeiten, vor allem in Sachen Arrangement, noch mehr einzubringen. Das, was in den 1970ern noch eher selten der Fall war. Tony und Mike hatten erkannt, dass dies der Schlüssel zum Fortbestand von Genesis war, ohne dass sie dabei ihr Gesicht verlieren mussten. "Duke", aber vor allem "Shapes/Genesis" machen das deutlich. Genesis schafften es, die neue Fangemeinde für das Alte zu begeistern, und dennoch ein paar der "Alte" mitzunehmen auf ihre Reise in den kommerziell orientierten, aber nach wie vor (aus meiner Sicht) anspruchsvollen Output. Auch da gab es Aderlass im Fanlager der Gabriel-induzierten ewig Gestrigen, die an "Invisible Touch" den Niedergang der einstmals so großartigen Band Genesis festmachten und am Tellerrand abrutschten, ehe sie den Blick darüber hinaus wagen konnten.
Genesis und Phil Collins solo wurden zwei eigene Karrieren in einer sich immer schneller drehenden Welt des Rock und Pop. Die MTV-Generation konnte aber ebenso bedient werden ("I Can't Dance" war damals eines der beliebtesten Videos, auch bei den Teenagern und Twens) wie die alten Fans, die Genesis weiterhin treu blieben, weil sie ihre Magie nicht vergessen haben. Glänzende Augen beim "Old Medley" auf der Tour 1992 sind mir da genauso in Erinnerung wie Aussprüche "Hör dir mal Fading Lights auf der neuen Platte an. Das ist wie früher".
Und inmitten dieses bunten Kosmos an wechselbadartigen Auswürfen wie "Home By The Sea" im Kontrast zu "One More Night", oder "No Son Of Mine" zu "Everyday" stand der kleine, immer kahler werdende, zur Pummeligkeit neigende und omnipräsente Phil. Die 1980er bezeichnete er sinngemäß als eine Zeit, in der er sich selbst am meisten auf den Zeiger ging. Die kontroversen Diskussionen zu seiner Person in diesem Forum sind also hausgemacht, hervorgerufen durch kontrastreiche Elemente seines Schaffens, vor allem innerhalb der Solokarriere. Kompositorische Höchstleistungen wie auf "Face Value" oder "Hello..." werden konterkariert von Homemade-demoartig-daher-gesülzten Schmonzetten wie auf "Both Sides" oder - ganz schlimm - auf "Testify". Was ihn für viele nach wie vor unantastbar sein lässt: Die Live-Auftritte! So stark wie auf der "Serious"-Tour war er zwar vorher und nachher nicht, aber die "Both-Sides"-Tour und "Dance Into The Light" 1997 waren nach wie vor Zuckergüsse auf dem Sahnetörtchen des musikalischen Live-Genusses. Fit wie nie und beflügelt durch neue Liebe und neuen Wohnsitz am Wasser (Schweiz) hat er all jenen Stimmen getrotzt, die ihn auf Grund der mäßigen Alben und dem Genesis-Ausstieg 1996 totgesagt hatten. Das hat er - bei allem Respekt - selbst 2004/2005 auf seiner Abschiedstournee so nicht mehr hinbekommen. Zu gequält wirkten seine musikalisch nach wie vor ansprechenden Darbietungen. Aber seine Ausstrahlung war zunehmender Sattheit am Musik-Business gewichen. 2010 nochmal der Beleg dafür in Form der Veröffentlichung von "Going Back", das er nur auf Grund der Erfüllung des Plattenvertrags - gezeichnet von seinen Leiden mit getapten Sticks an den halb gelähmten Händen - aufgenommen hat. Wenngleich das Album Spaß macht, das muss man sagen!
Jetzt also wieder live. Mit 65 Jahren, einem geschundenen Körper aber einer innerlichen Lust, wieder auf der Bühne zu stehen, wie es seit 2004 nicht mehr der Fall war. Die einen, die Phil Collins schon seit "No Jacket Required" aus ihrem musikalischen Gourmet-Heft gestrichen haben, fühlen sich bestätigt in ihrer Haltung gegen den Mann aus Chiswick, der nicht mal mehr Schlagzeug spielen kann. Etwas, das Fans aus allen Lagern und Epochen immer an ihm geschätzt haben. Die anderen, darbend nach Output ihres Helden, der doch auch tolle Songs schreiben kann und nicht nur den Radioschrott, freuen sich angesichts eines Lebenszeichens. Frei nach dem Motto "er kann ja noch aufrecht stehen und seinen Text unfallfrei einigermaßen gut intoniert darbieten, ohne dass einem gleich die Fremdscham überkommt". Gut, das ist aus Sicht eines Fanboys hart formuliert, aber die Wahrheit ist nicht weit davon entfernt. Ich selbst habe mich sehr gefreut über die Re-Issues, konnte sogar auf Alben, die ich lange gemieden habe, die eine oder andere Perle wieder entdecken. Und ich freue mich aufrichtig, dass er wieder auftritt - eben "etwas macht". Das kann ich nicht verhehlen. Aber ich verstehe all diejenigen, die ihm eine schöne Rente wünschen und dankbar sind für das, was er in guten Tagen zu leisten im Stande war.
Die Hoffnung, die ich habe: Ein angemessenes Alterswerk, evtl. eine Art "stripped" Album, eine akustische Offenbarung, altersgerecht und erhaben. Kein "But Seriously", aber auch keine Demo-CD mit unfertigen Kinderliedern. Das wäre nochmal was, um die verschiedenen Gemeinden aus dem Genesis-Kosmos, die in diesem Forum alle eine schöne, gemeinsame Austausch-Plattform gefunden haben, zu vereinen. Not Dead Yet - da kommt noch was. Es wäre zu schön.