Ich bin immer noch tief beeindruckt. Dies war mein erstes Genesis Konzert seit dem Reichstagsauftritt (1987 wenn ich mich nicht irre). Zum ersten mal überhaupt habe ich ein Stadionkonzert besucht und zum ersten mal habe ich das neu gestaltete Olympiastadion bewundern dürfen.
Wir saßen in der Ostkurve Block T2 in der unteren Tribüne mit grandioser Aussicht auf das Stadion und die Bühne. Allerdings hat man bei gut 100 Metern Luftlinie zur Bühne von der Band nicht viel gesehen. Dafür gab es dann ja die verschiedenen Screens, die uns die Jungs in Grossaufnahme präsentierte.
Man ist im Innenraum zwar viel näher dran, aber es hat auch was, das Stadion als ganzes wahrnehmen zu können. Gerade beim Domino-Principle war es gigantisch zu erleben, wie das Publikom mitgegangen ist. Und die Bühne und die damit verbundenen visuellen Effekte kommen aus der Distanz auch ganz anders zur Geltung.
Was allerdings weniger gut kam, war der Sound. Das war auch während der ganzen Veranstaltung so. Es wurde war reichlich nachgebessert, nachdem am Anfang der Sound noch ziemlich schlecht abgemischt war. Aber grundsätzlich ist so ein riesiges Stadion kein geeigneter Raum für eine Musikveranstaltung und der Hörgenuss doch sehr stark abhängig von der eigenen Sitz- bzw. Stehposition.
Gut kamen die neueren Nummern, da die Arrangements hier rhythmusorientierter, reduzerter und weniger aufwändig waren. Die älteren Stücke waren besonders bei den lauten Passagen bestenfalls als Klangbrei wahrzunehmen (cinema show, duke's travels, firth of fifth) und damit nur schwer geniessbar.
Es fehlte nicht an Druck oder Lautstärke. Im Gegenteil, das Stadion bebte an einigen Stellen regelrecht. Aber die Instrumente waren nur noch schwer voneinander zu unterscheiden und die Songstruktur nur für Kenner nachvollziehbar. Leute, die die alten Sachen wohl zum ersten mal gehört haben, hatten sicherlich Schwierigkeiten das gerade gehörte nachzuvollziehen.
Highlights waren für mich deshalb vor allem die nicht ganz so alten Songs.
Ausnahmen:
"I know what i like" weil dies für mich einer der Songs ist, die live ihren ganz besonderen Reiz haben, nicht zuletzt wegen der Einlagen von Phil. Ganz toll: die Kombination der eingespielten Videos aus den Siebzigern und der synchronen Liveperformance von Phil während des Tambourine-Solos.
"In the Cage", weil dies einfach eine der besten Genesis Nummern überhaupt ist und auch durch Schwächen im Sound nicht kaputt zu machen ist.
Ganz groß waren "Mama", "Home by the sea" und das "Drum-Duett" plus "Los endos".
"Mama" ist von einer gnadenlosen Intensität und der Einsatz der Drums geht direkt in die Magengrube. Phil "Fratze" bei den Lachern gibt einem den Rest. Das "Drum-Duett" ist Schlagzeugspiel in Perfektion und das anschliessende "Los Endos" einfach himmlisch und war gestern so gut wie noch nie.
"Ripples" hat sicher nicht nur mich und meine Frau verzaubert. DIE Überraschung des Abends und unverzichtbarer Bestandteil des Sets.
Wie überhaupt zu sagen ist, dass die Zusammenstellung der Songs Mut und Selbstbewusstsein einer ganz grossen Band wiederspiegelt und von wenigen für mich verzichtbaren Songs abgesehen ("Follow you, follow me", "Afterglow") einen perfekten Überblick über das Schaffen von Genesis bietet.
"I can't dance" funktioniert wider Erwarten grossartig als Zugabe. Alle Zuschauer standen spätestens jetzt auf und tanzten und klatschten munter mit. "The carpet crawlers" war der absolut gelungene Abschluss eines unvergesslichen Abends und sorgte nochmals für reichlich Gänsehaut. Ich hätte den Jungs gerne noch weiter zugehört. Die Zeit verging viel zu schnell. Sollten sie sich, in welcher Konstellation auch immer, noch einmal zu einer Tour aufraffen: Ich wäre auf jeden Fall dabei!!
Zur Band: Herrlich locker, ganz souverän und mit ordentlich viel Spielfreude ausgestattet. Man merkte ihnen an, dass sie jetzt wieder ein eingespieltes Team sind. Phil machte seine alllseits bekannten Späße mit den Spickzetteln in deutscher Sprache und schaffte es wieder einmal spielend als sympathischer "Dompteur" die Massen zu dirigieren und dabei bestens zu unterhalten. Das "Domino-Prinzip" funktionierte mit dem gut aufgelegten Berliner Publikum bestens und war aus unserer Perspektive toll anzuschauen. Auch bei "I know.." zeigten die Berliner keine Schwächen und reagierten präzise auf die Befehle des Meisters. Wie überhaupt das Publikum mit sehr viel Enthusiasmus bei der Sache war und die Band teilweise frenetisch bejubelte. So war es sicher auch für Genesis ein denkwürdiger Abend.
Musikalisch gab es kaum etwas auszusetzen. Die Band agiert nach wie vor auf extrem hohem Niveau ungeachtet der sicherlich vorhandenen kleinen Schwächen (Tonys Timingprobleme beim"The cinema show" Solo). Und man merkt ihnen einfach nicht an, dass sie langsam auf die 60 zugehen.
Bleibt eigentlich nur noch, der Band zu danken. Danke dafür, dass sie es den Fans ermöglichte, sie noch einmal live erleben zu dürfen und danke dafür, dass sie durch ihre Musik und den gelungenen Einsatz modernster Bühnentechnik ein unvergleichliches Event geschaffen haben, an das man sich noch lange und mit Freude zurückerinnern wird.