Als Vorgeschmack für die Herrschaften, die im März in der Schweiz und erst ab September in Deutschland hingehen werden, aus der Serie Eure lästige Reporterin aus dem südlichen Gefilde .
Was macht man denn am fettisdagen, wie man auf Schwedisch sagt, martedì grasso auf Italienisch, d.h. am Faschingsdienstag? Man geht natürlich mit Peters Fuchs- oder Blumenmaske auf einen Maskenball, oder? Nö, von wegen, ohne mich, bin immer Karnevalmuffel gewesen und bin sowieso das ganze Jahr verkleidet. Nein, lieber nach Triest sputen, nach einem der eigenen Gesundheit gewidmeten Tag mit Horrorausgaben, um Jethro Tull zu hören. Die waren schon vor anderthalb Jahren in Udine gewesen, aber da war ich auf Island. Schließlich liebe ich Flöte sehr (als junges Mädchen wollte ich sie sogar spielen lernen), ihren Einsatz beim Rock erst recht (s. auch Peter und John Hackett). Ich fuhr trotzdem total unvorbereitet hin, aus den angedeuteten Gründen, auf dem Weg hörte ich sogar Big big train, „Ingenious devices“, an.
Das war der zweite italienische Termin der Band in Italien (direkt nach dem in der Hauptstadt) und überhaupt 2024 auf der „The Seven Decades Tour“, auch der einzige in „Dreivenetien“, wie wir sagen (d.h. Venetien + Friaul-Julisch Venetien + Trentino-Südtirol), und zwar im nobelsten und größten Theater der Region, teatro Rossetti, mit über 1500 Sitzplätzen (am 2. Januar hatte die PFM da gespielt), schon lange war ich nicht mehr da gewesen, abends fehlt mittlerweile die Energie dafür, leider. Ziemlich international besucht war es, ich vernahm nämlich neben Triestinisch und Italienisch auch Österreichisch, Englisch und Slowenisch (oder war’s doch Kroatisch?). Tja, Triest bleibt manchmal noch seiner Schmelztiegel-Tradition treu. Mit unbestreitbarem Vergnügen merkte ich, dass die Mehrheit der Anwesenden (noch) älter war als ich, just meine Sitznachbarn waren dagegen jünger. Im Parkett definitiv ausverkauft, höchstwahrscheinlich überhaupt.
Das Konzert fing damit an, dass auf dem Bild im Hintergrund eine Hand mit einer Flöte, wie Neptun, aus dem unruhigen Meereswasser herauskam. Nein, zuerst gab’s eigentlich eine lustige Durchsage, die zu komisch und gestelzt war, um von einem Italiener zu stammen: Da wurden die Zuschauer jedenfalls darum gebeten, von Fotos und Videos abzulassen, da das den Herrn Anderson von der korrekten Ausführung der schwierigen Musikstücke, die seine ganze Konzentration fordern, abbringen würde . Dafür werden sie während der Zugabe zugelassen werden. (Ich neigte übrigens die ganze Zeit dazu, selbst nur in meinem Kopf „Anderson“ schwedisch auszusprechen, wahrscheinlich wegen meiner Gewissensbisse, an dem Abend eben den Schwedischkurs geschwänzt zu haben . ) Schließlich gar kein schlechter Kompromiss, fand ich, so konnte ich auch das Konzert genießen, ohne die ganze Zeit daran zu denken, und am Ende doch welche schießen.
Großes noch ungelöstes Rätsel, was die Bandzusammensetzung betrifft: John O’Hara (fast der Bruder von Markus Reuter, dem Aussehen nach) war trotz Ankündigung nicht da, da stand überhaupt kein Keyboarder, sondern ein zweiter Gitarrist (hatte an Florian Opahle ohne Bart gedacht, aber doch nicht), neben dem sehr inspirierten (s. Foto) Joe Parrish-James, dem langjährigen Bassisten David Goodier und dem steifsten je gesehenen Schlagzeuger Scott Hammond. Am Ende wurden sie zwar einzeln vorgestellt, sogar mit großen Bilderrahmen auf dem Bildschirm, sah wie aus der Galerie einer schottischen Burg aus, aber ich habe nicht mal versucht, mir den Namen einzuprägen, da ich davon ausging, das hätte ich auch anderswo gefunden, aber keine Chance, hab alles Mögliche auf drei Sprachen durchforstet, niente , auch keine Rezension online, versuche womöglich dranzubleiben.
Nach der Eröffnung mit Cross-eyed Mary kam We used to know (1969), den Ian Anderson The Eagles widmete, die 1977 Hotel California schrieben, der eine gewisse Ähnlichkeit damit aufweist, obwohl Ian den Plagiatsverdacht leugnete: „It's not plagiarism. It's just the same chord sequence. It's in a different time signature, different key, different context. Harmonic progression, it's almost a mathematical certainty that you're gonna crop up with the same thing sooner or later if you're strumming a few chords on a guitar.“
Nur ganz kurz am Anfang versuchte Ian, eine Weile auf einem Bein zu spielen, da musste ich liebevoll an meinen Opa denken, der vor einer Ewigkeit an der Strandlinie auf einem Bein stand wie ein Flamingo. Der Gesang kam akustisch ziemlich schlecht rüber (ich glaube, selbst Muttersprachler hätten den Text kaum verstehen können), mein böser böser Verdacht ist, dass es so Absicht war, um eben die Mängel an der Stimme zu kaschieren . Mir war sowieso die Flöte wichtiger, im Hintergrund liefen Videos, teils mit Zeichnungen (die Anspielungen auf nordische Mythen), fand ich nicht schlecht, obwohl ich am liebsten Konzerte ausschließlich mit Musik hätte (kein Lichtspiel, Show oder sonstige Nerverei). Der Herr Anderson (der mit einem beachtlichen Bierbauch ausgestattet ist, aber schon relativ gut versteckt, muss selbst die Italienerin zugeben) gab nicht viel darauf, Publikumsgunst zu erhaschen, kein einziges Wort auf Italienisch, sprach noch während des Klatschens unverständlich drauflos , sagte etwas über Triest und Großbritannien, was ich leider nicht verstand (habe auch nachgefragt).
In einem Interview vor ihrem Konzert im Juni 2023 in Matera sagte Herr Anderson was Interessantes, das ich mich bemühe zu übersetzen: „Die Bezeichnung ‚Prog‘ verbindet man gewöhnlich mit eigennütziger und selbstgefälliger Musik, womit man sein Können unterstreichen und viele Leute langweilen will. Ich versuche, meine Musik zugänglicher zu machen.”
Das Lustigste (musste echt schmunzeln): In der Pause lief „The Lamb Lies Down On Broadway“!
Das Ganze dauerte 2 Stunden, die jedenfalls sehr angenehm und unterhaltsam waren. Ich gehe davon aus, die Setlist war dieselbe (mit „What a wonderful world“ danach):
Jethro Tull Setlist at Sala Santa Cecilia, Auditorium Parco della Musica, Rome
Beim Verlassen von Triest auf der Heimfahrt leuchtete das Schoss Miramare (s. meinen Beitrag dazu bei Big Big Train) glänzend zwischen Meer und Himmel, fast schottisch anmutend, hätte Ian sicherlich gut gefallen.
Zum ersten Mal i/o durchgehend gehört.
William W. dem Großen, Eroberer und Tippspielgewinner gewidmet (ich weiß, wie Du mich beneidest)